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Dieser Beitrag stammt aus dem SPIEGEL-Archiv.Warum ist das wichtig?

Ihre Respektlosigkeit demonstriert die Tageszeitung »Haaretz« bereits im Foyer der Redaktionszentrale. Dort hängt, ganz wie in einem Schlachthaus, ein geöffneter Schweinekörper - nachgebildet aus Weingummi. Die Muskeln sind aus rotem, die Gedärme aus gelbem Fruchtgelee. Auf der Suche nach einer Deutung springt der Pförtner als Kunstführer ein. Die Skulptur, sagt er, sei wie das Land Israel: »Außen schön, innen verrottet.«

»Das Land«, das bedeutet übersetzt auch der Zeitungsname »Haaretz«. Und tatsächlich sind die Probleme von Blatt und Land miteinander verknüpft. Das, was die Zeitung im Überfluss bietet - Kompromissbereitschaft gegenüber den Palästinensern -, ist in der israelischen Gesellschaft derzeit ziemlich unpopulär.

Eine Treppe runter liegt der Konferenzsaal. Er hat keine Fenster und wirkt wie der Lageraum eines Kriegskabinetts. An diesem Nachmittag besucht Verteidigungsminister Ehud Barak die Zeitung. Ein harter Schlagabtausch: die kritischste Redaktion des Landes gegen jenen Politiker, der die traditionell linke Arbeitspartei deutlich nach rechts gerückt hat und dessen Meinung sich zuweilen kaum von der des Nationalisten und Likud-Führers Benjamin Netanjahu unterscheidet.

Der General a. D. präsentiert sich als Hardliner, und schon bald zermürbt er die Journalisten. Je lauter er wird, desto mehr verlieren die Redakteure jede Lust am Fragen. Barak brüllt. Barak haut mit der rechten Faust auf den Tisch. Selbst ein Croissant, das er sich nebenbei in den Mund stopft, kann seinen Redefluss nicht bremsen. Am Ende stellt der Chefredakteur etwas perplex fest, »dass wir Sie gerade 20 Minuten nicht unterbrochen haben«.

Die nachdenkliche Linke hat auch an diesem Nachmittag gegen den lauten Mainstream verloren. Es ist ein Symbol für den Überlebenskampf, den die einsam gewordene Qualitätszeitung führt. Im Ausland ist sie für ihr entschiedenes Eintreten gegen die israelische Besetzung der Palästinensergebiete berühmt, die englischsprachige Internet-Seite verzeichnet pro Monat eine Million Nutzer. Daheim aber kaufen das Blatt nur 66 000 Israelis.

Die 1919 gegründete Zeitung wurde 1935 von Salman Schocken gekauft. Schocken war vor den Nazis aus Deutschland geflohen, wo er Inhaber einer Kaufhauskette und eines Verlags war. Schockens Sohn Gustav prägte ab 1939 die linksliberale Linie des Blatts. Seit 1990 führt Enkel Amos die »Haaretz«-Gruppe.

Sein Vater, schwärmt Amos Schocken, 64, habe sich noch mehr für die redaktionellen Aspekte als für die Bilanzen interessieren können. Die Zeiten haben sich geändert: »Die Zeitung muss Geld verdienen«, sagt der Gründer-Enkel. Und das ist schwer. 2006 verkaufte die Eignerfamilie bereits 25 Prozent ihrer Anteile an den Kölner Verleger Alfred Neven DuMont.

Auf einer DIN-A4-Seite fasste Schocken damals für DuMont die Prinzipien zusammen, die »Haaretz« redaktionell leiten. Der Deutsche las sie und zeigte dann auf den letzten Punkt: »,Haaretz' unterstützt Anstrengungen, einen Frieden mit Israels arabischen Nachbarn zu erreichen.« Das, sagte Du- Mont, sei besonders wichtig.

Das Problem ist nur, dass es derzeit in der israelischen Gesellschaft ziemlich unpopulär ist, aktiv für Friedensverhandlungen einzutreten. »Haaretz« hatte bereits kurz nach dem Sechs-Tage-Krieg 1967 begonnen, für die Rückgabe der besetzten Gebiete im Tausch für Frieden zu werben. Mit den Oslo-Verträgen von 1994 schwenkte auch die Mehrheit der Israelis auf diesen Kurs ein. Doch die glückliche Ehe der Zeitung mit dem Zeitgeist dauerte nur kurz. Mit dem Beginn der zweiten palästinensischen Intifada und den damit einhergehenden Selbstmordanschlägen in israelischen Städten lebten sich »Das Land« und das Land wieder auseinander.

In Scharen liefen dem Blatt damals die Abonnenten davon. Vor allem einen Redakteur nannten die abtrünnigen Leser als Kündigungsgrund: Gideon Levy. Der 55-Jährige mit den durchdringenden schwarzen Augen ist der radikalste Kommentator des Landes. Einmal pro Woche schreibt er in seiner Kolumne »Im Zwielicht« über Palästinenser-Schicksale: Taxifahrer, deren Wagen von israelischen Soldaten zerstört wurden, oder einen Witwer, dessen Frau mit einem akuten Herzinfarkt so lange an einem Checkpoint aufgehalten wurde, bis sie starb. »Wir können die DNA der Zeitung nicht verändern«, warnt Levy, »sonst überleben wir nicht.«

Aber die Zeitung verändert sich bereits. Profilierte linke Journalisten wurden verdrängt. Stattdessen stießen neue Schreiber zu »Haaretz«. »Die junge Generation von Journalisten ist weniger politisch«, sagt Gideon Levy. Oder sie schreiben auffallend wohlwollend über die jüdischen Siedler, wie es der zuständige Kollege Nadav Schragai tut. Die Räumung eines von Siedlern besetzten Hauses in Hebron kommentierte er so: »Unsere Regierung entwickelt ihren eigenen Fanatismus, bei dem das Ziel - die Vertreibung der Juden aus Hebron - nahezu alle Mittel rechtfertigt.«

Ungewöhnliche Töne für »Haaretz«. »Wir haben immer schon eine große Meinungsvielfalt zugelassen«, verteidigt sich Dov Alfon, 47, der im Frühjahr Chefredakteur wurde. Seit er den Posten übernahm, experimentiert die Zeitung viel. In letzter Zeit ersetzen schon mal Verbrechensgeschichten die politischen Aufmacher auf der ersten Seite.

Als größtes Hindernis für den geschäftlichen Erfolg haben Chefredakteur und Geschäftsführung das Format ausgemacht. »Haaretz« erscheint bislang im sogenannten Broadsheet-Format - so wie in Deutschland zum Beispiel die »Frankfurter Allgemeine«. Israels große Tageszeitungen »Jediot Acharonot« und »Maariv« hingegen sind in Form und Farbe angelsächsischen Boulevardzeitungen nachempfunden. Daher soll jetzt wohl auch »Haaretz« zum sogenannten Tabloid-Format wechseln.

Die politische Grundlinie aber solle sich nicht ändern, versichert Alfon. Die Mehrheit der Israelis stünde doch hinter einer Zwei-Staaten-Lösung und der Rückgabe nahezu des gesamten Westjordanlandes.

Und anders als in Europa und Amerika verkaufe sich Politik in Israel noch immer bestens. Nirgendwo verbrächten die Menschen so viele Stunden vor den Nachrichtensendungen des Fernsehens wie in Israel. »Politik«, sagt Alfon, »ist die israelische Variante der Pornografie.« CHRISTOPH SCHULT

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