BUNDESWEHRMumm haben
Um Mitternacht ließ Flottenchef Admiral Lütjens einen Funkspruch an das Oberkommando der Kriegsmarine in Berlin absetzen: »Schiff manövrierunfähig. Wir kämpfen bis zur letzten Granate. Es lebe der Führen«
18 Minuten später wandte sich der Admiral per Funk an seinen Obersten Kriegsherrn selbst: »Wir kämpfen bis zum Letzten im Glauben an Sie, mein Führer, und im felsenfesten Vertrauen auf Deutschlands Sieg.«
Hilflos, mit zerschossener Ruderanlage trieb derweil des Admirals Flaggschiff, die 42 000 Tonnen große »Bismarck«, rund 400 Seemeilen vor Brest bei schwerem Weststurm im Atlantik, eine fast bewegungslose Zielscheibe für britische Lufttorpedos und Schiffsartillerie.
Im stundenlangen konzentrierten Feuer häuften sich auf dem Oberdeck das Schlachtschiffs die Leichen, doch das zerschundene Wrack sank nicht. Die Flagge blieb oben, aus den Schiffslautsprechern tönte aufmunternde Marschmusik.
Erst als der Befehl gegeben wurde, die Bodenventile zu öffnen, um das Wrack gemäß Marinevorschrift nicht in Feindeshand fallen zu lassen, wälzte sich das Schiff, der Stolz der großdeutschen Kriegsmarine, über Backbord auf die Seite und versank in der Tiefe. 1977 Seeleute, unter ihnen der Admiral, starben auf der »Bismarck« oder ertranken im Meer. Nur 115 Mann überlebten die Katastrophe. Das geschah am 27. Mai 1941. Sechsündzwanzig Jahre danach, am Freitag vorletzter Woche, wurde Admiral Günther Lütjens offiziell zum Vorbild für die neue deutsche Bundesmarine erhoben: Gerda Lütjens, Ehefrau des ältesten Admiralssohns, taufte den ersten von drei in den USA bestellten Lenkwaffen-Zerstörern der Bundesmarine auf den Namen des Durchhalte-Admirals.
Lütijens hatte 1941 seinem Obersten Kriegsherrn Hitler gegen dessen Bedenken beweisen wollen, daß nicht nur U-Boote, sondern auch Großkampfschiffe erfolgreich im Atlantik operieren könnten.
Tatsächlich versenkte die »Bismarck« das bis dahin größte Kriegsschiff der Welt, den britischen Schlachtkreuzer »Hood«, in einem nur wenige Minuten dauernden Artilleriegefecht auf knapp 20 Kilometer Entfernung.
Doch dann wurde das deutsche Schlachtschiff von einer Übermacht gejagt. Lütjens opferte drei Tage später das Leben seiner Männer -- und sein eigenes -- auf der von britischen Torpedofliegern manövrierunfähig geschossenen und zur schwimmenden Zielscheibe gewordenen »Bismarck« für das überkommene Ideal vom Kampf bis zum Untergang mit wehender Flagge. Ihm blieb bei Marine-Kameraden der Nachruhm (in Anspielung auf die spätere Katastrophe der Paulus-Armee vor Stalingrad), der »Paulus der Seefahrt« gewesen zu sein.
Doch Verteidigungs-Staatssekretär Karl Carstens rühmte vorletzte Woche auf dem Werftgelände der Bath Iron Works Corporation im US-Staat Maine bei der Taufe der »Lütjens« des Admirals »unbeirrbares Verantwortungsbewußtsein und dessen hingebungsvolle Pflichttreue"' die »auch kommenden Generationen der Marine als Vorbild dienen mögen«.
Danach klopften Werftarbeiter mit langstieligen Hämmern die Bremskeile weg. Die Musikkapelle blies den Marsch »Anchors away«, und 2000 Zuschauer applaudierten, als der frisch getaufte 4500-Tonnen-Zerstörer »Lütjens« von den Helligen in das Wasser des Kennebee-Flusses glitt.
Just in diesem Augenblick wünschte einer der Werftarbeiter von deutschen Journalisten, die das Verteidigungsministerium zum Taufakt nach Bath
* Links: Generaloberst Walther von Brauchitsch.
eingeflogen hatte, zu erfahren: »Habt ihr denn in Deutschland nur Nazi-Helden aus dem letzten Krieg?« US-Zeitungen hatten Namenspatron Lütjens als »Nazi-Seehelden« vorgestellt.
Auch sonst gab es Ärger bei der Taufe. Als US-Rundfunkreporter der Bundeswehr-Hubschrauber ansichtig wurden, die zum Transport der deutschen Taufgäste in Bath stationiert worden waren, mißdeuteten sie die aufgemalten Eisernen Kreuze und bezeichneten sie in ihren Berichten als »Swastikas« -- als Hakenkreuze.
Der CDU-Abgeordnete Rembert van Delden, selbst alter Marine-Mann und mit zehn anderen Kollegen vom Bundestags-Verteidigungsausschuß als Taufgast zugegen, kündigte sogleich an, die Namensfrage werde im Ausschuß noch ein Nachspiel haben.
Dabei hatte Bonn mit negativer Wirkung der Namensgebung durchaus gerechnet. Von der Deutschen Botschaft in Washington und vom Generalkonsulat in Boston waren im Bonner Verteidigungsministerium Warnungen vor dem Namen »Lütjens« eingelaufen, zumal in Amerika zur Zeit ein alter englischer Spielfilm über den »Bismarck«-Untergang als Reprise läuft, der den Admiral nicht gerade schmeichelhaft darstellt.
Aber Bonns Verteidigungsminister Gerhard Schröder wollte das Tabu, das deutsche Heldennamen des Zweiten Weltkrieges noch umgibt, soweit sie sich nicht im Widerstand gegen Hitler hervortaten, endlich brechen.
Deshalb blieb auch ein Brief, den der ehemalige Inspekteur der Bundesmarine, Vizeadmiral Friedrich Ruge, im Mai an den Minister geschrieben hatte, ohne Wirkung. Ruge sorgte sich, der Name »Lütjens« sei für den ersten Raketen-Zerstörer der Bundesmarine »zuwenig wirksam«; denn man kenne Admiral Lütjens heute kaum noch. Als wirksamere Zerstörer-Namen ("Ich habe das im Ausland getestet") schlug Ruge »Adenauer«, »Berlin« oder »Rommel« vor.
Schröder hatte anderes im Sinn. Die Namen der drei Zerstörer sollen der Bundeswehr endlich zum Anschluß an die Tradition verhelfen und die Geschichtslücke schließen, die der Zweite Weltkrieg im verdrängungsbeflissenen Bonner Bewußtsein läßt.
Günstige »integrierende Wirkung« auf die Bundeswehr versprach sich der Minister überdies von der Idee, die drei größten Schiffe der Bundesmarine nach je einem Helden der drei früheren Wehrmachtteile zu benennen.
Wegen der Führer-Funksprüche freilich stieß der Marine-Vorschlag »Lütjens« schon bei erster Interner Diskussion zwischen Schröder und den Inspekteuren der Bundeswehr auf Kritik.
Obwohl des Admirals Soldatenleben vom militärgeschichtlichen Forschungsamt in Freiburg bereits auf Würdigkeit geprüft worden war, kamen dem Marine-Inspekteur, Vizeadmiral Zenker, der kurz vor der Pensionierung steht, Zweifel, ob der Name seines gefallenen Kameraden schon wieder international vorzeigbar sei.
Deshalb wurde Korvettenkapitän Prien, der junge deutsche U-Boot-Kommandant, der gleich zu Kriegsbeginn im Oktober 1939 mit seinem U-47 in einem Bravourstück in die verminte und durch Sperren gesicherte Bucht von Scapa Flow eindrang, das Schlachtschiff »Royal Oak« torpedierte, überdies später mehr als 200 000 Bruttoregistertonnen gegnerischen Handelsschiffsraums versenkte und dafür als fünfter Wehrmachtoffizier das Eichenlaub zum Ritterkreuz erhielt, als möglicher Namenspatron für Bundesdeutschlands neuen Lenkwaffen-Zerstörer in Betracht gezogen.
Die schon während des Dritten Reichs aufgekommene Legende, Prien habe sich zum Hitler-Gegner gewandelt und sei wegen Befehlsverweigerung ins Wehrmachtgefängnis Torgau gesteckt worden, erwies sich allerdings als nicht stichhaltig. Priens U-Boot, so ergaben die Nachforschungen, wurde im Frühjahr 1941 ganz unromantisch durch Wasserbomben des britischen Zerstörers »Wolverine« versenkt.
Verteidigungsminister Schröder selbst beendete schließlich die Unschlüssigkeit der Marine-Führung in der Namensfrage: »Es bleibt bei Lütjens. Insgesamt gesehen ist gegen ihn kein ernsthafter Einwand zu erheben.«
Heer und Luftwaffe hingegen gelang es, Namen zu nennen, denen der Ruf, astreine Nazi-Helden gewesen zu sein, nicht so ohne weiteres anhaftet.
Doch der Vorschlag, den ehemaligen Oberbefehlshaber des Heeres, Werner Freiherr von Fritsch, als Namenspatron für den zweiten Raketen-Zerstörer .zu wählen, der Ende dieses Jahres in Bath vom Stapel läuft, mißfiel zunächst den Bonner Marinern.
Dieser Fritsch, so erinnerte man sich, war Anfang 1938 zu Unrecht einer homosexuellen Affäre beschuldigt und durch Hitler von seinem Kommando abgelöst worden. In einem Militärgerichts-Verfahren unter Vorsitz Hermann Görings stellte sich dann später heraus, daß die Beschuldigung gegen ihn frei erfunden war. Der Generaloberst wurde mit Ernennung zum Chef des Artillerie-Regiments Nummer 12 gleichsam rehabilitiert, suchte jedoch schon zu Kriegsbeginn im September 1939 den Tod im Feuer polnischer Infanterie.
Während einer Erkundung bei der Warschauer Vorstadt Praga traf Fritsch der Querschläger einer MG-Garbe und zerriß die Schlagader am Oberschenkel. Versuche, ihn zu retten, wehrte der General ab; er verblutete »in wenigen Minuten.
Gleichwohl wandten Marine-Offiziere 1967 ein, der Name »Fritsch« könnte bei unwissendem Publikum homosexuellen Beigeschmack haben.
Schließlich entschied wiederum Verteidigungsminister Schröder: »Es bleibt bei von Fritsch. Das ist eine posthume Demonstration für diesen aufrechten Mann des Widerstandes.«
Wie Schröder seinen roten Koalitionskollegen von der SPD den Namen Fritsch schmackhaft machen will, ist freilich noch nicht zu erkennen.
Denn Fritsch hatte in der Reichswehrzeit der Weimarer Republik für sozialdemokratische Prominenz nur wenig übrig.
Dem SPD-Genossen Philipp Scheidemann, 1919 Reichsministerpräsident, sagte Fritsch ein »Bolschewistenherz« nach, das »mehr für unsere Feinde als für die Deutschen schlägt«.
Den SPD-Reichspräsidenten und Obersten Befehlshaber der Reichswehr Friedrich Ebert nannte Fritsch einen »großen Schweinehund«. Grund: »Denn letzten Endes sind Ebert, Pazifisten, Juden, Demokraten, Schwarzrotgold und Franzosen alles das Gleiche, nämlich die Leute, die die Vernichtung Deutschlands wollen.«
Fritsch blieb konsequent. Als Reichskanzler Adolf Hitler sich Ende Juni 1934 anschickte, seine obersten SA-Rabauken umzubringen, stellte der Heeres-Oberbefehlshaber Karabiner, Munition und Fahrzeuge zur Verfügung.
Widerstandslos hell sich Schröders »Widerstandsmann« Fritsch später von Hitler abservieren.
Unumstritten blieb bislang lediglich der Luftwaffen-Vorschlag, den dritten Lenkwaffen-Zerstörer, der jetzt in Amerika auf Kiel gelegt wird, nach dem Jagdflieger-As des Zweiten Weltkriegs Werner Mölders zu benennen.
Mölders, schon während des Spanien-Krieges in der »Legion Condor« erfolgreichster deutscher Jagdflieger, wurde 1941 nach 101 Abschüssen an der Ostfront von Hitler mit den Brillanten zu Eichenlaub und Schwertern des Ritterkreuzes dekoriert.
Die Mölders-Legende, auch schon im Krieg geboren, ist bis heute noch nicht ganz tot. Der Luftwaffen-Oberst, damals als Fliegerführer auf der Krim, um den Angriff auf Sewastopol vorzubereiten, wollte im November 1941 nach Berlin zum Staatsbegräbnis für den Generalluftzeugmeister Udet fliegen. In schlechtem Wetter streifte seine He 111 einen Schornstein, als der Pilot versuchte, auf den Breslauer Flugplatz Gandau einzuschweben. Nach Absturz aus niederer Höhe war er sofort tot.
Doch der Volkaglaube im Dritten Reich wollte es anders. Mölders, so hieß es, sei umgebracht worden, weil er als gläubiger Katholik Hitler-kritische Briefe an den münsterschen Erzbischof Graf Galen geschrieben habe.
Wahr ist, daß Reichsmarschall Göring nach dem Tode des Lufthelden sagte: »Mölders war ein frommer Katholik und gleichzeitig mein bester Mann.«
Daß die »Lütjens«-Taufe in Amerika den deutschen Versuchen, die Vergangenheit zu bewältigen, nicht dienlich war, ficht den Bonner Verteidigungsminister nicht an. Schröder: »Wir müssen den Mumm haben wie jedes andere Volk, Männer zu ehren, die ihrem Lande tapfer und treu gedient haben.«