Das Martyrium von Gui Minhai nimmt kein Ende. Offiziell ist der schwedisch-chinesische Doppelbürger seit Oktober vergangenen Jahres frei. Das hinderte die chinesischen Behörden jedoch nicht daran, ihn nun abermals festzunehmen.
Die neuerliche Festnahme des schwedischen Staatsbürgers Gui Minhai in einem Zug auf dem Weg nach Peking schlägt immer höhere Wellen. Nachdemdie schwedische Aussenministerin Margot Wallström den chinesischen Botschafter umgehend einbestellt hatte, legte am Mittwoch der Leiter der Delegation der Europäischen Union in Peking,Hans Dietmar Schweisgut, nach. Die EU erwarte von den chinesischen Behörden, dass sie den 53-Jährigen unverzüglich freilassen und ihm gestatten würden, seine Familie zu treffen, um diplomatische und medizinische Hilfe zu erhalten. Die Reaktion des für seine zynischen Kommentare bekanntenstaatlichen chinesischen Propagandablattes «Global Times» liess nicht lange auf sich erwarten. China baue den Rechtsstaat aus, und es sei deshalb unglaubwürdig, dass die Polizei eine Person ohne Grund abführe. Dies gelte umso mehr, da westliche Medien den Fall von Gui Minhai mit Argusaugen verfolgten, hiess es in einem Kommentar mit dem Titel: «Westliche Medien haben kein Recht, sich in Chinas juristische Verfahren einzumischen».
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EU envoy urges China to 'immediately' release Swedish book publisher Gui Minhaihttps://t.co/fTTwVrCajl@aiww@hu_jia@CHRDnet@hrichina@Wang_Naya@SophieHRW@PatrickPoon@WilliamNee@angelagui_@ChinaEUMission@EU_Gatewaypic.twitter.com/ZEjGTxWDGN
— Hong Kong Free Press (@HongKongFP)24. Januar 2018
Guis in England studierende Tochter Angelasagte gegenüber dem schwedischen Rundfunk, ihr Vater habe sich in Begleitung zweier schwedischer Diplomaten auf dem Weg nach Peking befunden, wo er von einem schwedischen Arzt untersucht werden sollte. Es hätten sich bei ihm Symptome einer degenerativen Nervenkrankheit, der Amyotrophischen Lateralsklerose (ALS), gezeigt. Bei seiner ersten Inhaftierung 2015 hätten diese noch nicht bestanden. Nach einer Reihe von Tests in China habe Gui Minhai verlangt, als schwedischer Bürger in Schweden bzw. Europa behandelt zu werden. Sie habe befürchtet, dass China ihn nicht ausreisen lassen würde, sagte Angela Gui. Die nun eingetretene Wendung habe jedoch niemand erwartet, sonst wäre ihr Vater nicht nach Peking gereist.
Kurz vor der Ankunft in der chinesischen Hauptstadt nahmen zehn in Zivil gekleidete Polizisten Gui Minhai vor den Augen der schwedischen Diplomaten,die am Konsulat in Schanghai arbeiten, fest. Das chinesische Aussenministerium sagte, möglicherweise hätten die schwedischen Diplomaten chinesische Gesetzte nicht respektiert. In dem Transkript der täglichen Medienkonferenz des Ministeriums fehlte die Frage zum Schicksal des abermals inhaftierten Doppelbürgers.
Der 1964 in der Provinz Zhejiang geborene Gui Minhai ist seit 1996 im Besitz eines schwedischen Passes. Seit einigen Jahren ist er in Hongkong Miteigentümer des für seine gegenüber der Kommunistischen Partei Chinas kritischen Publikationen bekannten Verlags Mighty Current. Diese sind auf dem chinesischen Festland verboten. Gui Minhai war zusammen mit vier Mitstreitern 2015 spurlos verschwunden. Dieser Vorgang hatte in der einstigen britischen Kolonie eine lebhafte Debatte ausgelöst, ob das auch von Peking propagierte Prinzip «Ein Land, zwei Systeme» noch Bestand habe. Gui Minhai war im Oktober 2015 von seiner Ferienwohnung in Thailand entführt worden. Zunächst fehlte jede Spur von ihm, bis er sichfünf Wochen später zur besten Sendezeit im staatlichen Sender China Central Television vor einem Millionenpublikum als reuiger Sünder präsentierte. Er sei nach China zurückgekehrt, um sich seiner «rechtlichen Verantwortung» zu stellen, erklärte er in einem zehnminütigen Interview schluchzend.
Gui Minhai spielte damals auf einen Vorfall im Jahr 2003 an, als er auf dem chinesischen Festland in angetrunkenem Zustand in einen Verkehrsunfall verwickelt gewesen sein soll, bei dem eine 23-jährige Studentin ums Leben kam. Seine Tochter hatte damals die Authentizität der Aussage angezweifelt und gesagt, der Verkehrsunfall sei bei ihren Eltern nie ein Thema gewesen.
Eigentlich hätte der Prozess gegen ihn noch vor dem 19. Kongress der Kommunistischen Partei Chinas stattfinden sollen. Aus ungeklärten Gründen fand dieser jedoch nicht statt. Vielmehr keimte am 17. Oktober Hoffnung auf, weil Gui Minhai laut den chinesischen Sicherheitsbehörden aus dem Gefängnis entlassen worden war. Allerdings fehlte anschliessend jede Spur von ihm. Inzwischen ist bekannt, dass er nach seiner Freilassung die Auflage erhalten hatte, seine Geburtsstadt Ningbo nicht zu verlassen.Er soll überwacht worden sein, und der Zugang zum Internet und Kommunikation mit der Aussenwelt waren nur eingeschränkt möglich – bis er dann am Samstag vergangener Woche auftauchte – und gleich wieder verschwand.
Der Fall von Gui Minhaihat in Schweden ein starkes Echo hervorgerufen. Die der Stockholmer Regierung generell wohlgesinnte Tageszeitung «Dagens Nyheter» schrieb in einem Kommentar zur Einbestellung des chinesischen Botschafters, das könne nur ein Anfang sein. Schweden müsse seine gegenwärtige Position im Uno-Sicherheitsrat in die Waagschale werfen. Die Zeitung forderte auch, dass Schweden sein Verhältnis zu China überhaupt überdenke. Die Schweden kauften massenweise Waren des globalen Handelsreisenden Xi Jinping, doch sie müssten auch zur Kenntnis nehmen, dass nicht nur viele Konsumgüter, sondern auch die politische Diktatur, für die dieser stehe, «made in China» sei. Gehe es um freie Gedanken oder Bürgerrechte, sei die chinesische Mauer vom Grau eines Gefängnisses.
Die Frage ist allerdings, ob sich Stockholm eine solch prinzipielle Position erlauben kann oder will. China ist wirtschaftlich in Schweden stark präsent, nicht zuletzt etwa als Retter der nationalen Auto-Ikone Volvo. Legt man sich mit Peking an, kann es rasch um Handelsaustausch und Arbeitsplätze gehen – und das in einem Wahljahr.