
Der BegriffWelthauptstadt Germania fürBerlin wird seit derNachkriegszeit verwendet, um die Machtansprüche desNationalsozialismus alsgigantomanisch zu kennzeichnen.Adolf Hitler hat die beiden Wörter dagegen nie gemeinsam verwendet; er sprach entweder von der „Reichshauptstadt“ oder von „Germania“. Mitarbeiter vonAlbert Speer führten den Begriff der „Reichshauptstadt Germania“ ein. Seitdem steht diesesSynonym für denGesamtbauplan für die Reichshauptstadt, mit dem sie zum Mittelpunkt einesgroßgermanischen Weltreichs umgestaltet werden sollte.
Hitler hatte Speer den eigens geschaffenen TitelGeneralbauinspektor für die Reichshauptstadt (GBI) verliehen[1] und unterstellte ihm die gleichnamige Behörde, mit der dieser den Umbau Berlins in Teilen durchführte.[2]
Die direkten Bauarbeiten für die Umgestaltung begannen 1938 und wurden noch bis 1943 fortgesetzt. Infolge derdeutschen Kapitulation 1945 kam es nie zur Vollendung. Einige im Stadtgebiet verteilte Probebauten und andere Spuren sind erhalten.
Laut den Aufzeichnungen vonHenry Picker vom 8. Juni 1942 spielte Hitler mit dem Gedanken, die neugestaltete Stadt Berlin inGermania umzubenennen, um einemgroßgermanischen Weltreich einen Mittelpunkt zu geben.
„Wie seinerzeit dieBayern, diePreußen und so weiter vonBismarck immer wieder auf diedeutsche Idee hingestoßen worden seien, so müsse man diegermanischen VölkerKontinentaleuropas ganz planmäßig auf den germanischen Gedanken hinlenken. Er halte es sogar für gut, dieser Arbeit durch Umbenennung derReichshauptstadt Berlin in ‚Germania‘ einen besonders nachhaltigen Auftrieb zu geben. Denn der NameGermania für die Reichshauptstadt in ihrer neuen repräsentativen Form sei geeignet, trotz größter räumlicher Entfernung zwischen jedem Angehörigen des germanischen Rassekerns und dieser Hauptstadt ein Gefühl der Zusammengehörigkeit zu erzeugen.“
Den BegriffWelthauptstadt hatte Hitler bereits drei Monate früher verwendet.
„Berlin wird als Welthauptstadt nur mit demalten Ägypten,Babylon oderRom vergleichbar sein! Was istLondon, was istParis dagegen!“


Hitler schrieb in seinem BuchMein Kampf, dass moderne Städte im Gegensatz zurAntike nicht mehr überWahrzeichen verfügten, über „Monumente des Stolzes“, und dass der Staat mit seinen Bauten wieder stärker in die Öffentlichkeit treten sollte. Die geplanten Monumentalbauten sollten demNS-Staat zurRepräsentation dienen.
Die Pläne für die Bauarbeiten, bereits seit 1935 unter Speer erarbeitet, erschienen im Jahr 1937 unter der Überschrift „Neugestaltung der Reichshauptstadt“ in allen großen Tages- und Fachzeitungen als illustrierte Vorankündigungen. Am 4. Oktober 1937 wurde als juristische Grundlage dasGesetz für die Neugestaltung deutscher Städte beschlossen.[2]
Die Bauarbeiten für dieGroße Halle begannen am 23. Juni 1938. Bereits am 14. Juni 1938 erfolgte dieGrundsteinlegung für die Nord-Süd-Achse.[4]
Albert Speer erhielt alsGeneralbauinspektor für die Reichshauptstadt (GBI) von Hitler umfassende, einem Minister vergleichbareKompetenzen, sodass er auch auf Einwände derBerliner Stadtverwaltung keine Rücksicht nehmen musste. Die Umsetzung seiner Pläne hätte die bestehende Struktur der Stadt nachhaltig zerstört, etwa 50.000 Wohnungen hätten abgerissen werden müssen. Abrissaktivitäten liefen bis zur Einstellung der Umgestaltungsarbeiten im Frühjahr 1943, zirka 150.000 Menschen wären direkt betroffen gewesen. Im Rahmen der notwendigenUmsiedlung forcierte die Dienststelle des GBI die „Entjudung“ der Stadt, um die frei werdenden Wohnungen für eigene Zwecke zu nutzen. Einerseits, um sie den von der Zwangsumsiedlung betroffenenVolksgenossen zur Verfügung zu stellen oder um Bauarbeiter unterzubringen, andererseits wurden diese Wohnungen innerhalb der Dienststelle des GBI allerdings auchprivilegierten Mitarbeitern oder Systemfreunden zur Verfügung gestellt.
Darüber hinaus waren nicht nur lebende Bürger von der Umgestaltung betroffen, derSüdwestkirchhof inStahnsdorf wurde erweitert, um die Gräber der im Bereich der Nord-Süd-Achse liegendenSchöneberger FriedhöfeSt. Matthäus undZwölf Apostel aufzunehmen. Vom St.-Matthäus-Kirchhof wurden viele Grabstätten aus dem nördlichen Bereich nach Stahnsdorfumgebettet. Insgesamt wurden 15.000 Tote bis 1940 umgebettet. Betroffen waren darunter die Grabstätten des RegisseursFriedrich Wilhelm Murnau(Nosferatu) und des ArchitektenWalter Gropius senior, Vater desBauhaus-GründersWalter Gropius.
Die Ernennung Albert Speers zum Generalbauinspektor für die Reichshauptstadt zog einen Kreis von Architekten, Bildhauern, Malern und Kunsthandwerkern zur Bewältigung der bis dahin einmaligen Aufgaben herbei. Absoluter Favorit für die Skulpturengestaltung war der BildhauerArno Breker. Dessen ehemaliger Professor, der ArchitektWilhelm Kreis, wurde auf Empfehlung Brekers bei Speer bis Kriegsende mit zahlreichen Aufträgen bedacht. Der BildhauerJosef Thorak, der sich wie Breker auf die Darstellung des Menschen konzentrierte, war für Bauvorhaben außerhalb Berlins vorgesehen, wie zum Beispiel inNürnberg,Linz und im RaumBayern.
Weitere angesehene Künstler während der NS-Zeit waren jene, die bei der offiziellen Ausstellung imHaus der Deutschen Kunst inMünchen präsentiert wurden und deren Figuren imBerliner Olympiastadion standen. Dazu gehörten neben Breker und Thorak die BildhauerGeorg Kolbe,Sepp Hilz,Fritz Klimsch,Richard Scheibe sowieRobert Ullmann.

Die 50 Kilometer lange Ost-West-Achse sollte vonWustermark über dieHeerstraße,Adolf-Hitler-Platz (vor 1933 und 1947–1963:Reichskanzlerplatz; seit 1963:Theodor-Heuss-Platz),Kaiserdamm undBismarckstraße,Knie (seit 1953:Ernst-Reuter-Platz) mit der Technischen HochschuleCharlottenburg (seit 1946:Technische Universität Berlin) entlang der Charlottenburger Chaussee (seit 1953Straße des 17. Juni) über denGroßen Stern, dasBrandenburger Tor undUnter den Linden überFrankfurter Tor undFrankfurter Allee verlaufen.[5]
AufIntervention Hitlers wurde die östliche Fortführung zurückgestellt. An derMuseumsinsel sollte die Ost-West-Achse um eine Reihe von Museumsbauten erweitert werden, amKupfergraben waren einWeltkriegsmuseum und einRassekundemuseum nach Plänen des Architekten Wilhelm Kreis vorgesehen.
Ein sieben Kilometer langes Teilstück der Ost-West-Achse, das zunächst vomBrandenburger Tor bis zumdamaligenAdolf-Hitler-Platz führte, wurde 1939 nach zwei Umbauphasen ab 1935 zu Hitlers Geburtstag fertiggestellt. DieSiegessäule war dazu vomKönigsplatz vor dem Reichstag auf denGroßen Stern versetzt und hierbei um7 1⁄2 Meter erhöht worden. Eine besondere Herausforderung war die Überquerung desLandwehrkanals amCharlottenburger Tor: Einerseits sollte das Straßenniveau so wenig wie möglich erhöht werden, andererseits sollte auch der Kanal schiffbar bleiben. Eine aufwendige Brückenkonstruktion war die Folge. Da mit Rücksicht auf die bereits in der Planungsphase befindliche Nord-Süd-Achse mit den repräsentativen Bauten keine Beleuchtung die Straße überspannen sollte, entwickelte dieBerliner Kraft- und Licht-Aktiengesellschaft (Bewag) neueLeuchten, für die Albert Speer die äußere Hülle gestaltete.[6] Insgesamt stehen noch 800 dieser zweiarmigenOWA-Kandelaber links und rechts derTrasse zwischen Theodor-Heuss-Platz undS-Bahnhof Tiergarten. Sie wurden bislang dreimal instand gesetzt, zuletzt im Jahr 2000.

Eine beiderseitige Verlängerung dieser Trasse war dann zwischen dem östlichen und westlichenAutobahnring vorgesehen. Anfänglich zwei, später vier Ringe sollten den Verkehr von den Achsen in die Stadtfläche verteilen.[7] Nördlich desSchnittpunkts derMonumentalachsen, imSpreebogen, sollte dieGroße Halle als zentrale Versammlungsstätte liegen. Insbesondere die Nord-Süd-Achse sollte als Prachtstraße ausgebaut werden. Als Ersatz für die wegfallenden Flächen in der Innenstadt sollten unter anderem imGrunewald eine neue Hochschulstadt sowie im Osten und Süden Berlins völlig neue Stadtteile entstehen.
In der zeitgenössischen Presse wurde der Straßenzug in Anlehnung analtrömische Gepflogenheiten als „Via Triumphalis“ bezeichnet.

Als 120 Meter breite Prachtstraße war ein rund sechs Kilometer langes Kernstück der 40 Kilometer langen Nord-Süd-Achse vorgesehen. Dieses sollte von einem neuenNordbahnhof im SüdostenMoabits bis zu einem ebenfalls neuen Südbahnhof in der Nähe des heutigen BahnhofsSüdkreuz inTempelhof reichen. Neben demNordbahnhof, in direkter Nähe zurGroßen Halle, war ein 1200 m × 400 m großes Wasserbecken vorgesehen, in dem sich dieGroße Halle spiegeln sollte. Wie die anderen geplanten Monumentalbauten waren die Bahnhöfe von ungekannter Dimension. Die Arbeiten zum Südbahnhof, für den die Reichsbahnbaudirektion Berlin bereits 1937 erste Entwürfe vorgelegt hatte, wurden ab 1940 von Speer persönlich geleitet und waren bei der generellen Einstellung der Umgestaltungsplanungen im März 1943 fast zur Baureife gediehen. Im August 1941 erteilte Speer die Anweisung, zu den geplanten 20 Parallelgleisen zwei weitere Gleise für die Einbindung derBreitspurbahn, eines anderen Lieblingsprojekts Hitlers, einzufügen.
Auf dem südlichen Teil der Prachtstraße war nahe demSüdbahnhof ein kolossalerTriumphbogen (in Form einesTetrapylons) vorgesehen, der 117 m hoch und 170 m breit werden sollte, beschriftet mit den Namen aller imErsten Weltkrieg gefallenen deutschen Soldaten und geschmückt mit Reliefs von Arno Breker. Im Anschluss daran sollte die „Beutewaffenallee“ als Vorplatz des Südbahnhofs einen triumphalen Abschluss bilden. Entlang derNord-Süd-Achse sollten alle wichtigen Reichs- und Parteibehörden sowie Firmenzentralen und kulturelle Einrichtungen angesiedelt werden.
Um die Bodenbelastbarkeit für den geplanten Triumphbogen zu ermitteln, wurde im Jahr 1941 ein Großbelastungsversuch in Form eines Betonzylinders in Tempelhof fertiggestellt. Der gewaltigeSchwerbelastungskörper (21 m Durchmesser, 14 m Höhe, 12.650 t Masse) ist das einzige oberirdische Bauzeugnis der Nord-Süd-Achse und kann besichtigt werden.[8]
Die Nord-Süd-Achse sollte alsSiegesallee des III. Reiches auf der Trasse derwilhelminischenSiegesallee des II. Reiches beginnen, deren Figuren dafür 1938 abgeräumt und in derGroßen Sternallee imTiergarten neu aufgestellt worden waren.Städtebaulicher Höhepunkt der Nord-Süd-Achse sollte derGroße Platz mit dessen umgebenden Gebäuden werden. DerGroße Platz, als Aufmarschplatz für bis zu einer Million Menschen gedacht, sollte umgeben werden von derGroßen Halle, demFührerpalast, demGroßdeutschen Reichstag, demReichstagsgebäude, dem Dienstgebäude für dasOberkommando der Wehrmacht und dem neuen Dienstgebäude derReichskanzlei.
Um den Sieg über die Nationalsozialisten baulich zu dokumentieren, ließ dieRote Armee 1945 exakt auf der geplanten Nord-Süd-Achse, nördlich des Schnittpunktes der Ost-West- und Nord-Süd-Achse, in unmittelbarer Nähe zum Reichstagsgebäude und Brandenburger Tor, einEhrenmal errichten.[9]
ImSpreebogen, etwas nördlich desReichstags, war das wichtigste Gebäude der Germania-Planungen vorgesehen, dieGroße Halle. Sie war mit 315 m × 315 m Grundfläche und 320 m Höhe als das größte Kuppelgebäude der Welt geplant.
ImGrunewald, südwestlich desOlympiastadions, wurde 1937 mit dem Bau derWehrtechnischenFakultät begonnen. Sie war als erster Abschnitt einerHochschulstadt geplant, die ihrerseits dieWehrtechnische Fakultät nach Westen fortsetzen sollte.[10] Bestandteil der geplanten Hochschulstadt war ein gigantisches, an denParthenon erinnerndesAuditorium maximum. Ebenfalls in Planung war der große Neubau einer Universitätsklinik, die als Ersatz für die in der Stadt wegfallendeCharité dienen sollte.
DieWehrtechnische Fakultät ist nicht über einen Rohbau hinausgekommen, dessen Ruine nach demZweiten Weltkrieg mit Trümmerschutt überdeckt wurde. An dieser Stelle entstand der120 m ü. NHN hoheTeufelsberg, ein Naherholungsgebiet. Auf seinem Gipfel befand sich jahrzehntelang eine Flugüberwachungs- und Abhörstation derUS-amerikanischen Streitkräfte. Der Trümmerschutt wurde mit Sand und Mutterboden überdeckt und dann mit rund einer Million Bäumen bepflanzt.
Die Planungen von Speer für dieWelthauptstadt Germania sahen eineReichsuniversität Adolf Hitler vor, der dasReichssportfeld mit demOlympiastadion Berlin später zugeschlagen worden wäre. Es sollte als architektonischer Höhepunkt eine „riesenhafte“Langemarckhalle errichtet werden, welche die zu denOlympischen Sommerspielen 1936 entstandene Langemarckhalle in den Schatten gestellt hätte. Sie sollten denMythos von Langemarck propagieren.
In Verlängerung der geplanten Nord-Süd-Achse war dieSüdstadt mit Wohnungen für rund 210.000 Bewohner und Arbeitsplätze für rund 100.000 Arbeiter vorgesehen. Keiner dieser Pläne wurde bis zum Ende der NS-Zeit realisiert.[11]

Die notwendigen Flächen, Gelder, Baustoffe und Arbeiter für die Errichtung der Welthauptstadt Germania mussten beschafft werden. Hier zeigt sich exemplarisch die Verbindung mit demnationalsozialistischen Unrechtsstaat.[12]

Weitere erhaltene Spuren:[2]