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Weltanschauung

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Unter einerWeltanschauung versteht man heute vornehmlich die Gesamtheit persönlicher Wertungen, Vorstellungen und Sichtweisen, welche die Deutung der Welt, die Rolle des Einzelnen in ihr, die Sicht auf dieGesellschaft und teilweise auch denSinn des Lebens betreffen. Sie ist damit die grundlegendekulturelle Orientierung vonIndividuen,Gruppen undKulturen.[1][2] Werden dieseÜberzeugungen reflektiert und systematisiert und fügen sich so zu einem zusammenhängendenGanzen, kann von einergeschlossenen Weltanschauung beziehungsweise einemGlaubenssystem gesprochen werden.[3] SolcheSysteme können von einer Gruppe, einer Gesellschaft und selbst von mehreren Kulturen geteilt werden, wie es etwa bei großenReligionsgemeinschaften,Weltanschauungsgemeinschaften oder deren gesellschaftlicher Wirkung der Fall ist.

Weltanschauungen sind teils soziokulturell bestimmt, also traditionsgebunden, teils geprägt durch transkulturellephilosophische oderreligiöse Vorstellungen, und teils bestimmt durchspirituelle undesoterischeGeheimwissenschaften.[4] Die Grundlage der traditionell ganzheitlichen und mythisch erklärten Weltanschauungen dernaturangepassten Kulturen fassteClaude Lévi-Strauss unter die Bezeichnung „Wildes Denken“.[5] Heute können auch einzelwissenschaftliche Erkenntnisse eine „Weltanschauung“ bestimmen und verändern.

Der verwandte BegriffWeltsicht ist weiter gefasst und beinhaltet über die persönlichenWertvorstellungen undSinnfragen hinaus z. B. auch gesellschaftliche und physikalische Erklärungsmuster unterschiedlichsterPhänomene.

Der normative Anspruch einer Weltanschauung kann als absolut und exklusiv verstanden werden; der Begriff „Weltanschauung“ beinhaltet aber auch die Möglichkeit (oder den Hinweis), dass auch andereMeinungen möglich sind. Themenkreise, die von einer Weltanschauung in organischer Gesamtheit abgedeckt werden können, betreffen häufig Inhalte und Beziehungen zwischenNaturwissenschaft, Philosophie und Religion,Politik undWirtschaft,Natur undKultur,Brauchtum undMoral. Verschiedene Wissenschaftler haben Gesellschaften nach ihren Weltanschauungen und der daraus hervorgehendenMotivation zumkulturellen Wandel klassifiziert (→ siehe dazu:Kalte und heiße Kulturen oder Kulturelemente).

Das deutsche Wort „Weltanschauung“ ist in vielen Sprachen der Welt einLehnwort, z. B. imEnglischen,Französischen undItalienischen.

Weltanschauung und Ideologie

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Der BegriffIdeologie wird häufig synonym zu Weltanschauung verwendet. Eine strenge Unterscheidung der beiden Begriffe ist nicht möglich, vielmehr rechtfertigt eine Abgrenzung lediglich die verschiedene Verwendung der Begriffe in der Literatur, Philosophie und Soziologie. So wird „Weltanschauung“ eher für ganzheitliche, weniger theoretisch ausformulierte Sichtweisen auf die Welt und den Menschen verwendet als die „Ideologie“.[6] Letztere möchte überdies die Welt nicht nur erklären, sondern auch beeinflussen.[7] Die begriffliche Unterscheidung zwischen „bösen Ideologien“ und „guten Weltanschauungen“ (die vor allem durchKarl Marx geprägt wurde) kommt ausschließlich in derdeutschen Literatur vor.[6] Die häufig abwertende (pejorative) Verwendung des Ideologie-Begriffes im allgemeinen Sprachgebrauch für manipulative, unzulängliche oder nicht wissenschaftlich begründete Ideen-Systeme und Theorien geht darauf zurück.

Abgrenzung gegenüber Weltbild, Philosophie und Religion

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Im alltäglichenSprachgebrauch häufig synonym mit „Weltanschauung“ verwendet, aber von einer „Weltanschauung“ im engeren Sinn zu unterscheiden sind

„Weltanschauung“ bezieht sich eher auf die systematischen, prinzipiellen oder durchGesinnung bestimmten Aspekte, aus deren Anwendung auf die Welt dann ein Bild der Welt, das Weltbild, resultiert. Während im späten 19. und beginnenden 20. Jahrhundert häufig von einer „naturwissenschaftlichen Weltanschauung“ gesprochen wurde,[8] wird heute häufig der Begriff des naturwissenschaftlichen Weltbildes bevorzugt.[9]

Hintergrund ist die Annahme, dass Weltanschauungen immer auch normative und metaphysische Annahmen beinhalten, die jenseits des Bereichs empirischer Forschung liegen. Allerdings sind die Begriffe „naturwissenschaftliche Weltanschauung“ und „naturwissenschaftliches Weltbild“ beide dem Einwand ausgesetzt, fälschlich die Möglichkeit voraussetzungsloser Forschung zu suggerieren.[10]

Begriffs- und Bedeutungsgeschichte

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18. und 19. Jahrhundert

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DasKompositum „Weltanschauung“ findet sich zuerst inImmanuel KantsKritik der Urteilskraft (Erster Theil, Zweites Buch, § 26) von 1790. DieKritik der Urteilskraft ist Kants dritte Kritik und enthält seine philosophischeÄsthetik. Der Begriff fällt – eher nebenbei – im Kapitel, welches die Grundlegung des ästhetischen Empfindens überhaupt leisten soll: dieAnalytik desErhabenen.

„Weltanschauung“ bedeutet also zunächst ganz allgemein die Fähigkeit, dieWelt unter eine ästhetisch-rezeptive Anschauung zu bringen und sie als unendlich vielfältige Erscheinung in Begriffe zu fassen. In Kants Werk kommt diesem Begriff keine entscheidende systematische Bedeutung zu.

Zunehmend wichtig wird der BegriffWeltanschauung ab 1800 in derRomantik, soweit sie sich gegen einen als überzogen empfundenenRationalismus der Aufklärungsepoche wendet und diesem einenholistischen und integrierenden Ansatz entgegenhält.

Verwendungen des Begriffes sind etwa beiFriedrich Schelling (1799) undNovalis (vor 1801) belegt:

„Die Welt ist Resultat eines unendlichen Einverständnisses, und unsere eigene innerePluralität ist der Grund der Weltanschauung.“

Insofern lässt sich hier ein entscheidenderBedeutungswandel des Begriffes feststellen:

in den Vordergrund tritt das subjektiveEmpfinden, das persönliche Bild von der Welt als Summe eben nicht nur rationaler Erkenntnis, sondern auch von Erfahrung und Gefühl. Damit behauptet die Weltanschauung auch ein unhintergehbares Eigenrecht gegen andere (persönliche) Anschauungen, und aus dem SingularWeltanschauung wird der Plural derAnschauungen.

Friedrich Schleiermacher formuliert 1813 in denVorlesungen überPädagogik entsprechend:

„Es ist die Weltanschauung eines jeden, worin die Totalität aller Eindrücke zu einem vollständigen Ganzen des Bewusstseins bis auf den höchsten Punkt gesteigert […] gedacht wird.“

Weltanschauung wird dabei nicht als bloß subjektiv-spekulatives Meinen über die Dinge in der Welt verstanden, sondern als ein prozessualer Bildungsweg der zunehmenden persönlichen Integration von Wissen über Naturwissenschaft und Geschichte, die die „höchste Selbsttätigkeit des menschlichen Geistes“ voraussetzt, und deren Ziel ein „zusammenhängendes Ganzes“ sei.

FürJohann Wolfgang Goethe versteht sich gerade der Begriff derAnschauung als dem bloßen intellektuellenVerstehen entgegengesetzt und wohl überlegen: versucht doch der Blick, das Ganze in seinem organischen Zusammenhang zu fassen, während dasVerstehen – das ein Hören oder Hören als Lesen ist – stets nur ein Bearbeiten des Partikularen sein kann, das der Sache nicht gerecht wird.

In dieser Hinsicht ist GoethesOptizismus, seine Bevorzugung des Augenscheins gegenüber einer intellektuellen, sezierenden Analyse, für die weitere kulturelle Bedeutung des Begriffes entscheidend: Sierechtfertigt gerade das Unterlassen der intellektuellen Analyse zugunsten der Anschauung als einer anderen – überlegenen – Form der Erkenntnis (Vgl. hierzu die Kontroverse über GoethesFarbenlehre).

Gerade in der Goethe-Rezeption am Anfang des 20. Jahrhunderts wird diese Eigenheit als eine spezifisch deutsche – das soll heißen: besonders tiefgründige –Betrachtungsweise den anderen europäischen Erkenntnismethoden entgegengesetzt: alsschauendes Denken.

Schon früh artikuliert sich aber auch Kritik amModewort „Weltanschauung“, welches den engeren Bereich der akademischen Philosophie verlässt, etwa beimSkeptikerJacob Burckhardt:

„Vor Zeiten war ein jeder einEsel auf seine Faust und ließ die Welt in Frieden; jetzt dagegen hält man sich für 'gebildet', flickt eine 'Weltanschauung' zusammen und predigt auf die Nebenmenschen los.“[11][12]

Dabei richtet sich die Kritik zumeist gegen die bürgerliche Popularisierung des Begriffes und dessen oberflächliches Bedürfnis nach „Tiefsinn“.Julian Schmidt gegenFriedrich Hebbel:

„Es ist mit jener Anforderung, das Drama solle eine ‚Weltanschauung‘ geben, nicht viel zu machen. Dieses leidige Wort […] ist seit demFaust durch unsere halbphilosophischenKunstkritiker so imKatechismus festgesetzt, daß ein Drama, welches nicht eine Weltanschauung enthält […] gar nicht mehr angesehen wird.“[12]

Der Begriff „Weltanschauung“ weitet sich bald bis zur Unkenntlichkeit: DasWörterbuch der philosophischen Begriffe vonRudolf Eisler verweist unter dem Lemma „Weltanschauung“ kurzerhand auf das Lemma „Philosophie“[13] oder er wird in sprachkritischer Absicht mit der Alltagssprache gleichgesetzt:

„Von allen diesen Worten ist gegenwärtig keines so im Schwange wie: Weltanschauung. Der müsste schon ein ganz armseliger Tropf sein, wer heutzutage nicht seine eigene Weltanschauung hätte. Ich glaube aber schon (Kr. d. Spr. I S. 538 und III 235) gezeigt zu haben, daß nicht nur die Weltanschauung des schlichtesten Mannes aus dem Volke, sondern auch die Weltanschauung des Dichters und Denkers identisch sei mit seinem Sprachvorrat und seinemSprachgebrauch, daß wir diese Sprachbereitschaft oder Weltanschauung nicht immer ganz beisammen haben, daß die Weltanschauung eines Menschen von seiner allgemeinen und von seiner augenblicklichen Seelensituation abhänge. In diesem Sinne darf man freilich sagen, daß jeder Tropf seine eigene Weltanschauung habe, in seiner Individualsprache nämlich.“[14]

20. Jahrhundert

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Diesozialphilosophische Diskussion am Beginn des20. Jahrhunderts ist vor allem geprägt durch eine sehr weitgehendeRelativierung von philosophischen und religiösen Wahrheitsansprüchen. DieWahrheit wird dabei vor allem zum „Verhältnisbegriff“ (Simmel, 1907) erklärt, was man letztlich als eineVergesellschaftung desPerspektivismus verstehen kann. BeiGeorg Simmel finden sich etwa neben Weltanschauung auch Bildungen wie „Lebensanschauung“ (Simmel, 1918) des „Grenzwesens Mensch“. In diesen Zusammenhang gehört auch die Vorstellung, dass es sich bei einer Weltanschauung um ein begrenztesGehäuse handele (das allerdings im Sinne Simmels auch der Überschreitung, des „Mehr-Lebens“ fähig sei).

Einen wichtigen Beitrag zur Relativierung von Wahrheitsansprüchen bietet nicht nur die soziologische Beobachtung gesellschaftlichenPluralismus' und sozialerWirklichkeitskonstruktion (in diesem Sinne ist auch der Anspruch von SimmelsPhilosophie des Geldes zu verstehen), sondern sie wird schon als Diskussion in der Philosophie selbst geführt. Zunächst noch im Bemühen um einenormative – nicht relativistische oder historische – Grundlegung des Verhältnisses derNaturwissenschaften zu denGeisteswissenschaften hatte etwaWilhelm Windelband noch aus der „allgemeinen Gesetzmäßigkeit der Dinge“ den „festen Rahmen unseres Weltbildes“ abzuleiten versucht.

Sein SchülerHeinrich Rickert (s. a.:Neukantianismus,südwestdeutsche Schule) entledigt sich dieses normativen Anspruchs zugunsten einer Problematisierung geisteswissenschaftlicherMethodologie und versteht menschliche Kultur (wie auch soziales Leben allgemein) alsWertebeziehung (s. a.:Wertphilosophie). Damit fokussiert sich die Problemstellung künftig auf das Phänomen derGeltung von Werten, und nicht mehr auf dessen – wie auch immer verstandenen –Realitätsbezug.

Wilhelm Dilthey versucht eineTypologie der Weltanschauungen in seinerWeltanschauungslehre (Die Typen der Weltanschauung und ihre Ausbildung in den Metaphysischen Systemen. Berlin 1919). Sie stellt weiter den Versuch dar, die existierenden philosophischen Systeme in ihrem Zusammenhang mit dem Leben, der Kultur und Religion, den spezifischen Erfahrungen des Menschen zu verstehen und beansprucht letztlich, eine „Philosophie der Philosophie“ zu sein.

Dilthey formuliert als seinen „Hauptsatz“ der Weltanschauungstheorie:

„Die Weltanschauungen sind nicht Erzeugnisse des Denkens. Sie entstehen nicht aus dem bloßen Willen des Erkennens. […] Aus dem Lebensverhalten, der Lebenserfahrung, der Struktur unserer psychischen Totalität gehen sie hervor.“

Damit ist für Dilthey die Weltanschauung an den Begriff des Lebens geknüpft, das in seiner Endlichkeit immer nur perspektivisch und in Ausschnitten zur Anschauung des niemals zu erreichenden Ganzen kommt. Weltanschauungen sind für Dilthey – wie auch philosophische Systeme – an das Herzblut eines Menschen geknüpft, an eine sie tragende Grundstimmung. Diese allein macht philosophische Systeme und Weltanschauungen mit ihren nie zu lösenden inneren Widersprüchen erst „lebensfähig“. Treffen verschiedene solcher Weltanschauungen aufeinander, so kann es zum „Kampf der Weltanschauungen“ kommen.

Karl JaspersPsychologie der Weltanschauungen (Berlin 1919) versucht sich an einer Analyse der Elemente von Weltanschauungen in einerWeltanschauungspsychologie. Er unterscheidet als die„statischen Elemente“ einer Weltanschauung:

  • Verhaltensweisen des Subjektes (gegenständliche, selbstreflektierte, enthusiastische) und
  • Weltbilder (sinnlich-räumliche, seelisch-kulturelle, metaphysische).

Diese Anschauungen zerbrechen in existentiellen Situationen wie Leiden, Kampf und Tod und zeigen dabei den Charakter des Menschen.

Karl MannheimsIdeologie und Utopie von 1929 untersucht die weltanschaulichen Kämpfe der Moderne vor allem unter sozialhistorischen Aspekten. Er formuliert die Idee einerWissenssoziologie, die als wertfreieIdeologieforschung konzipiert ist und denallgemeinen totalen Ideologiebegriff in Relation zur eigenen wissenschaftlichen Position setzen soll, indem sie den Zusammenhang von jeweiligersozialer Seinslage undhistorisch bewusstseinsmäßiger Perspektive herausarbeitet.

Unter „totalem Ideologiebegriff“ versteht Mannheim: die „totale Bewusstseinsstruktur eines ganzen Zeitalters“ – welche in diesem Fall genau der Umstand einer tiefgreifenden Ideologisierung ist. Sinn des Unterfangens ist letztlich die „Selbstkorrektur“ nicht nur der sozialwissenschaftlichen Methodologie und die Zurückweisung der zunehmenden Ideologisierung in der Soziologie („partikulare Ideologie“ als gegenseitige Ideologieunterstellung), sondern letztlich dieOffenheit des Denkens erneut zu gewährleisten.

Dass Mannheim hier nahezu durchgehend von Ideologie undnicht von Weltanschauung spricht, obwohl dieWissenssoziologie genau auf das weltanschauliche Denken zielt, deutet auf zwei Sachverhalte:

  • zum einen wird die Ideologieanalyse zur „Metatheorie der Weltanschauung“ der weltanschaulichen Perspektive enthoben,
  • zum anderen hat sich der Begriff bereits auf eine engere, d. h. politischrechte Bedeutung zurückgezogen.

Sigmund Freud beendet seine „Neue Folge der Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse“ (1932) mit der 35. VorlesungÜber eine Weltanschauung. Er setzt sich darin kritisch mit dem Anspruch von Weltanschauungen auseinander.[15] Auf eine ähnlichenarzisstische Struktur greift Adorno zurück, wenn er dreißig Jahre später in seiner „Philosophischen Terminologie“ (1962–63) die Liquidation der Weltanschauung zur Aufgabe der Philosophie erklärt.[16]

Romano Guardini prägte die Begriffe der „katholischen Weltanschauung“ bzw. „christlichen Weltanschauung“ zwischen 1923 und 1964 vor allem durch seine Berufungen an die gleichnamigen Lehrstühle derUniversität Breslau, derFriedrich-Wilhelms-Universität Berlin, derEberhard Karls Universität Tübingen sowie derLudwig-Maximilians-Universität München.

Politisierung

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Für die 1920er und 1930er Jahre lässt sich eine geradezu inflationäre Verwendung des Begriffes der Weltanschauung – vor allem in rechts-konservativen und nationalistischen Kreisen – konstatieren, die an dessen romantischen Bedeutungsgehalt anzuknüpfen scheint. Dieseaffirmative Selbst-Identifikation der Rechts-Konservativen mit dem Weltanschauungsdenken hat den Begriff lange geprägt und beginnt erst heute in Vergessenheit zu geraten.

Armin Mohler, ein sich selbst dem rechten Lager zurechnenderChronist der „Konservativen Revolution“, definiert:

„Weltanschauung ist nicht dasselbe wie Philosophie. Während die Philosophie ein Teil des alten geistigen Gehäuses des Abendlandes ist, fassen wir die Weltanschauung als ein Ergebnis des Zerfalls dieses Gehäuses auf. Der Versuch die Weltanschauung bloß als eine weniger klar durchgebildete Philosophie […] zu verstehen, sieht am wesentlichen vorbei.“[17]

Das Wesentliche für Mohler ist, „daß in ihr[sc. der Weltanschauung] Denken, Fühlen, Wollen nicht mehr reinlich geschieden werden können.“[17]

Damit wirdWeltanschauung geradezu zu einemKampfbegriff gegen den Begriff derIdeologie gesetzt.

Von entscheidendem Einfluss für die spätere nationalsozialistische Verwendung des Begriffes Weltanschauung dürfte nicht zuletzt auchOswald Spenglersuniversalhistorische Ausweitung des Begriffes inDer Untergang des Abendlandes von 1918 sein: nicht nur lehnt sich Spenglers eigene wissenschaftliche Erkenntnismethode eng anNietzsches Perspektivismus und GoethesMetamorphosenlehre (vgl. Goethe:Metamorphose der Pflanzen, 1790.) an – und versteht sich in dieser Hinsicht als besonders deutsch und tiefgründig. Auch stellt sich für Spengler die Geschichte der Kulturen als ein Kampf der Weltanschauungen dar. Weltanschauungen sind in diesem Verständnis kollektive, unausgesprochen geteilte Ansichten über Gestalt und Sinn der Welt und Bestimmung des Menschen. Seine besondere Betonung liegt auf der Unausweichlichkeit einer einmal getroffenen Anschauungsweise für den gesamten Werdegang einer Kultur; sie bestimmt dessen Schicksal bis zum Schluss. Im Laufe der Geschichte einer Kultur würden letztlich nur die Grundmotive einer spezifischen Weltanschauung stilistisch variiert. Dabei deutet aber gerade der konkrete Begriff „Weltanschauung“ für denKulturpessimisten Spengler bereits auf eineReflexion der eigenen Grundlagen und der eigenen Perspektive und damit schon auf dessen innere Schwäche und ihren Niedergang.

Kritik

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Eine kritische Beschäftigung mit dem Thema Weltanschauung stelltMartin Heideggers VortragDie Zeit des Weltbildes von 1938 dar. Heidegger hatte sich noch 1933/34 entschiedenfür die Nationalsozialisten engagiert, während ab 1936 – u. a. anhand der Beschäftigung mit Nietzsche und demNihilismus – seine Haltung distanzierter wurde. Heideggers Kritik am Nationalsozialismus ist keine politische Kritik, sondern eine Kritik, die die gesamte abendländischeMetaphysik trifft.

Für Heidegger stelltWeltbild ein Mittel der technisch-wissenschaftlichenZurichtung der Welt in derNeuzeit dar, auf welche die abendländische Metaphysik hinausliefe. DieVorstellung von der Welt werde zumSymptom derVergegenständlichung vonSein alsSeiendes (siehe auchOntologische Differenz) und damit zur Abkehr von einer wie auch immer gedachtenBesinnung

„Daß die Welt zumBild wird, ist ein und derselbe Vorgang mit dem, daß der Mensch innerhalb des Seienden zumSubjectum wird.“ [und] „Sobald die Welt zum Bilde wird, begreift sich die Stellung des Menschen als Weltanschauung […]. Dies bedeutet: Das Seiende gilt erst als seiend, sofern es und soweit es in diesesLeben ein- und zurückbezogen, d. h. erlebt und Erlebnis wird.“[18]

Der Mensch mache sich zum Maß und zur Richtschnur alles Seienden:

„Weil diese Stellung sich als Weltanschauung sichert, gliedert und ausspricht, wird dasneuzeitliche Verhältnis zum Seienden in seiner entscheidenden Entfaltung zur Auseinandersetzung von Weltanschauungen […]. Für diesen Kampf der Weltanschauungen setzt der Mensch die uneingeschränkte Gewalt der Berechnung, der Planung und der Züchtung allerDinge ins Spiel.“[18]

Im Nationalsozialismus

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In derSprache des Nationalsozialismus warWeltanschauung propagandistisch attraktiv (siehe auch:Dezisionismus).

DerNationalsozialismus bezeichnete sich selbst als Weltanschauung und nicht alsIdeologie. Der Begriff Weltanschauung diente zunächst der Artikulation des Nationalsozialismus in Schriften wie HitlersMein Kampf (1925) oder Alfred RosenbergsMythus des 20. Jahrhunderts (1930), und wurde später auch institutionell verankert: Im Jahr 1934 wurde Rosenberg von Hitler zum Beauftragten für „geistige und weltanschauliche Schulung und Erziehung“ der NSDAP ernannt und leitete diese Tätigkeit mit der RundfunkredeDer Kampf um die Weltanschauung ein.[16] Während man einer Ideologie nur anhängen kann, so werden Weltanschauungen geteilt – oder auch nicht. Im Sinne des Nationalsozialismus wurde eine Weltanschauung gelebt: sie entzieht sich der Kritik, da sie die Wahrnehmung selbst bereits bestimmt und alle Lebensbereiche unter ihrer Perspektive interpretieren und umformen kann. So werden zugleich, darauf machtVictor Klemperer inLTI aufmerksam, alle möglichen Positionen und selbst die Philosophie zu bloß konkurrierenden Anschauungen degradiert, gegen welche sich der Nationalsozialismus als „totale Weltanschauung“ durchsetzen sollte – und zwar durch die Mittel der Überzeugung der Zaudernden durchPropaganda bis hin zur physischen Vernichtung all jener, die die Weltanschauung des Nationalsozialismus nicht teilen wollten oder sollten.

Nach 1945

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Der Begriff „Weltanschauung“ scheint durch die nationalsozialistische Verwendung im wissenschaftlichen Sprachgebrauch nachhaltig diskreditiert, auch wenn sich diese Position erst im Laufe der 1950er und 1960er Jahre durchsetzte. Von 1947 bis 1949 erschien etwa noch eine 5-bändige „Geschichte der abendländischen Weltanschauungen“ vonHans Meyer, während in der Gegenwart nur wenige Publikationen das Wort „Weltanschauung“ in einem nicht-historischen Sinne im Titel führen. Problematisch und für philosophische Erörterung ungeeignet scheint vor allem die enorme Spannweite oder anders formuliert die Ungenauigkeit und damit die assoziative Beliebigkeit des Begriffes. In Teilen der rechtswissenschaftlichen Literatur wird er weiterhin verwendet.

In der aktuellen soziologischen Theoriebildung kommt dem Begriff derWeltanschauung keine analytische Bedeutung mehr zu: der (aus Sicht einiger unhintergehbare)Perspektivismus sowohl der beteiligten Individuen, wie gesellschaftlicher Subsysteme geht in der Analyse der Kommunikationsbedingungen und -situationen alsInteraktionssysteme vollständig auf.

So ist „Sinn“ etwa fürNiklas Luhmann nur ein Mittel zurReduktion von Komplexität in einer gegebenen Umwelt, welche die Kommunikation selbst ist – und damit eine der Kommunikation letztlich untergeordnete Funktion, die die Anschlussfähigkeit der Kommunikation sicherstellen soll (siehe auch:Systemtheorie (Luhmann)). Auch das InteresseJürgen Habermas’ richtet sich eher auf die Möglichkeit gelingenderInteraktion imDiskurs, als auf ein statisches Konzept existierender Positionen. Die Soziologie ersetzt also den tendenziell zumSolipsismus neigenden Begriff derWeltanschauung zugunsten einer Beobachtung der Dynamik von Kommunikationsprozessen und intersubjektiver Wahrheit (siehe auch:Intersubjektivitätsphilosophie).

Der Begriff derWeltanschauung taucht in der Soziologie und Politikwissenschaft allenfalls noch dort auf, wo es um eineIdeologiekritik imengeren Sinne geht, wo also eher in der Tradition Mannheims verfahren wird, etwa beiErnst Topitschs Weltanschauungsanalyse als Kritik desMarxismus.

Unbenommen seiner Verwendung in der Alltagssprache, ist der Begriff derWeltanschauung damit aus dem wissenschaftlichen und auch aus dem philosophischen Sprachgebrauch nahezu verschwunden.

Hans Blumenberg fasst die Struktur des Begriffes noch einmal im Rückblick auf Kants Begriffserfindung in der KdU folgendermaßen zusammen:

„Wenn in Bezug auf die Welt keine Anschauung verstattet und dennoch Anschauung unverzichtbar ist, greifen Substitutionen ein, Erlebnisse für Sachverhalte: das Gewaltige für das Unermessliche –absolute Metaphern, deren Risiko darin besteht, daß sie, als „beim Wort genommene“, zurDogmatik eben dessen werden, was am Ende „Weltanschauung“ heißt und vordergründige Befriedigung an der Durchsichtigkeit wie Übersichtlichkeit der Dinge suggeriert. Es ist mehr ein Begriffsschicksal als eine Begriffsgeschichte.“

Hans Blumenberg:Lebenszeit und Weltzeit. FfM 2001. S. 9 f.

Jenseits des akademischen Diskurses, im Bereich der Alternativmedizin, deranthroposophischen Pädagogik und Heilkunde, floriert bis heute ein Weltanschauungsbegriff, dessen Herkunft inRudolf Steiners Goethe-Studien sowie in der durch seine Herausgeberschaft beeinflusste Rezeption der naturwissenschaftlichen SchriftenGoethes noch einer näheren Untersuchung harrt.[16] Die strukturelle Nähe aktueller ganzheitlicher Konzepte zum populären Weltanschauungsbegriff um 1900 bietet einen möglichen Ansatz um die sozialpsychologisch vielfach nachgewiesenen[19] Überschneidungen zu verstehen, die zwischen der Esoterik-Szene, dem Impfgegner-Milieu einerseits undVerschwörungstheorien andererseits bestehen.[20][16]

In anderen Sprachen

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Das deutsche Wort Weltanschauung ist in vielen Sprachen der Welt einGermanismus.

Im englischen Sprachgebrauch sind dabei sowohl dieLehnübertragungen „worldview“, „world outlook“ als auch derXenismus „Weltanschauung“ seit dem 19. Jahrhundert verbreitet.[21] Der kollektive und soziokulturelle Aspekt scheint hier im Vordergrund zu stehen. Beispiele für Lehnbildungen in den germanischen Sprachen sind niederländisch:wereldbeeld oderwereld-beschouwing, dänisch und norwegisch:verdensanskuelse, schwedisch:världsåskådning.

Eine weitere Lehnbildung findet sich im Spanischen:Cosmovisión.

Im Japanischen (世界観) setzt sich der Begriff zusammen aus den Schriftzeichen für „Welt“ und „Ansehen“ oder aber auch „Mensch“, „Leben“ und „Ansehen“ (人生観) und kann in der Alltagssprache auch die Bedeutung von „virtuelle Welt“ annehmen.

Im Französischen heißt es:la weltanschauung. „Dieser deutsche Beitrag zum internationalen Wortschatz ist ein zweifelhafter Gewinn.“[22] (Theodor Geiger)

Politik, Gesellschaft und Soziologie

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Die von Menschen vertretenen Weltanschauungen und Werte, deren Funktion in der persönlichen Lebensbewältigung, wie auch ihre gesellschaftliche Verbindlichkeit und ihre soziale Funktion, ihre philosophischen, politischen oder religiösen Wurzeln, können als eine Problemstellung der philosophischenAnthropologie betrachtet werden, die umstandslos von der Pluralität undKontingenz existierender Weltanschauungsweisen auszugehen hätte.

Dabei befindet sich die soziale Verbindlichkeit von Werten und Normen in einem Spannungsverhältnis zur persönlichenFreiheit und der Entfaltung desIndividuums; zum anderen konstituiert sieIdentität und sozialeIdentifikation mitGruppen durch die Abgrenzung zu anderen Anschauungen anderer Gruppen (wieNationen undReligionen, Schulen undTraditionen,Vereinen und Clubs,Stämmen undClans).

Die in einer Gemeinschaft vorherrschenden kulturellen Leitideen bestimmen in hohem Maße die Gestalt und das Leben in dieser Gemeinschaft.[23] Damit ist das Problem der Weltanschauung vor allem auch eine grundlegendepolitische Frage.

Das Problem, inwieweit persönliche wie kollektive Wertvorstellungen an der Gestaltung des Gemeinschaftswesens oder des Staates, also an derPolitik teilhabensollten, ist sehr viel älter als der BegriffWeltanschauung oderIdeologie selbst. Während in der Antike die Frage nach dem Sinn und Ziel der Politik undpolis mit der natürlichen Anlage des Menschen zur sozialen Gemeinschaft (siehe auchzoon politikon) und seinem Streben nachGlück­seligkeit beantwortet wurde und damit sowohl deren Ursprung, wie deren Bestimmung (Telos) beschreibt, weist erst die frühe Neuzeit den weltanschaulichen Anspruch an die Politik entschieden zurück – indem sie eine teleologische Vorstellung von Politik überhaupt erst als „weltanschaulich“ auszeichnet.

Hobbes

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Thomas Hobbes’ Erfahrungshintergrund waren derenglische Bürgerkrieg und dessen religiöse und weltanschauliche Kämpfe, die mit erbitterter Brutalität und – in seiner Sicht – oft doppelter Moral geführt wurden. Hobbes hielt die moralische oder religiöse Begründung politischer Intervention für dasGrundübel seiner Zeit. Er reagierte auf diese Herausforderung mit einerpolitischen Theorie (siehe auchLeviathan), in der derSouveränabsolut und autonom agiert, der Bürger sich aber der öffentlichen Meinung in religiösen und weltanschaulichen Fragen zu enthalten hat, da dies der erneuten Wiederaufnahme des Bürgerkrieges gleichkäme.

Die öffentliche, kritische Meinungsäußerung kommt im Rahmen dieses Konzeptes demHochverrat gleich und dem Souverän wird das Recht eingeräumt, dagegen mit allen Mitteln vorzugehen. Einziger Zweck des Staates ist die Überwindung desNaturzustandes, des „Krieges aller gegen alle“(Bellum omnium contra omnes) – kann er diesem nicht Einhalt gebieten, verliert er seineLegitimation. Der Bürger nimmt somit zwei Identitäten an:

  • zum einen ist er „Staatsbürger“ mit der Pflicht zu absolutem Gehorsam,
  • zum anderen Privatmann, dessenGewissen seine Privatangelegenheit zu bleiben hat. In dieser ist er allerdings frei und eine Gewissensforschung des Souveräns unzulässig.

Da diese Unterteilung in eine private Sphäre und eine öffentliche Aufgabe in gleichem Maße für die Person des Fürsten gilt, erzwingt dies die Unterordnung derMoral unter dieStaatsräson in der praktischen Politik. (vgl.Reinhart Koselleck: „Kritik und Krise“, FaM 1973)

Das aufgeklärte Bürgertum des 18. Jahrhunderts kritisierte die als zutiefst amoralisch empfundeneKabinettspolitik und ein rein operatives Verständnis von Politik als eine Zumutung an die menschlicheVernunft, die zum Beispiel in der VerteufelungMachiavellis und derEmphase der „Bürgertugenden“ ihren Ausdruck fand.

Rousseau

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So sieht etwaJean-Jacques Rousseau in der „Abhandlung über die Wissenschaften und die Künste“ von 1750 den technischen und zivilisatorischen Fortschritt seiner Zeit als einen moralischen Rückschritt. Die geforderte „Vernunft“ verhält sich zu einer bloßen Zweck-Mittel-Rationalität (siehe auchVerstand) für Rousseau geradezu konträr. Er findet in der Gesellschaft seiner Zeit mit dieser Kritik großen Anklang und wirkt mit ihr bis in die Französische Revolution. Mit der Revolution von 1789 kehren die idealistischen (und teilweiseutopischen) Ansprüche in die praktische Politik zurück, deren stärkster Ausdruck dieProklamation derUniversalität derMenschenrechte darstellt. Im Unterschied zu den weltanschaulichen Kämpfen der Zeit von Hobbes sind die ideologischen Kämpfe nun weniger religiös bestimmt, sondern werden im Namen eines höheren Ideals (vor allem auchgegen die Religion) ausgefochten.

Für das Fortschrittsdenken desdeutschen Idealismus des 19. Jahrhunderts steht die sittlich-moralische Aufgabe des Staates außer Frage: vielmehrist der Staat Ausdruck der moralisch-sittlichen Konstitution des Menschen und Ausweis seiner Vernunft, sein Zweck die Verwirklichung und Gestaltung der Freiheit. FürHegel objektiviert sich der subjektive Geistdialektisch in seinen Institutionen (wie Recht, Gesellschaft und Staat) und ermöglicht das Walten desabsoluten Geistes, wie Kunst und (institutionalisierter) Philosophie. Dieser ermöglicht durch dieReflexion auf die historische Situation, in welcher Hegel den Zusammenhang des zu sich selbst kommenden absoluten Geistes alsabsolutes Wissen erkennt, die Aussage …

… „in und mitPreußen – genauer, auf dem Lehrstuhl für Philosophie und Ästhetik an derBerliner Universität – komme derWeltgeist zu sich selbst zurück. Folglich sei alles was sei auch gut sowie es sei, da die historische Situation wesentlich Bedingung der Möglichkeit der Erkenntnis der historischen Situation und damit Bestimmung des Zweckes der Geschichte überhaupt ist: das Bewusstsein des Geistes von sich selbst.“

Dass in Preußen keineswegs alles gut ist, wie es ist, ist der entscheidende Einsatzpunkt der Kritik vonMarx undEngels: die Hegelsche Philosophie gehe an der gesellschaftlichen Realität vorbei und das Scheitern einer zutreffenden Beschreibung der Verhältnisse mache ihre idealistischen Grundannahmen hinfällig.

Vielmehr sei aus der materialistischen Analyse der herrschenden Verhältnisse eine Theorie der Gesellschaft zu entwickeln, die nicht den ideologischen Selbsttäuschungen unterliege. Entscheidend an der materialistischen Umwendung der Philosophie Hegels – ihn vom Kopf auf die Füße stellen – ist, dass sich auch Marx und Engels der Idee und Aufgabe verpflichtet fühlen, die noch zu schaffenden gesellschaftlichen Institutionen eines zukünftigen kommunistischen „Reichs der Freiheit“ ins Bewusstsein zu heben. Die Verwirklichung von Idealen wie Gerechtigkeit und Gleichheit wäre dann keine bloß gedachte, sondern eine reale Freiheit von Unterdrückung und Zwang. Die lange Geschichte der Unterdrückung des Menschen durch den Menschen entmutige Marx und Engels keineswegs von der Annahme, dass das Ende der Unterdrückung vor allem institutionell überwunden werden könne, da die veränderten materiellen Bedingungen des gesellschaftlichen Lebens („Eigentum an Produktionsmitteln“) letztlich auch das Bewusstsein verändern würden und die Einsicht in den historischen Prozess allgemein machten.

Marx

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Die objektive materialistische wissenschaftliche Methode desMarxismus ist der Ausgangspunkt, von dem aus das Bewusstsein über die tatsächlichen Verhältnisse erlangt wird, um die materiellen gesellschaftlichen Bedingungen zu verändern. Allein dieser Zweck bestimmt die Methode, so dass gesagt werden kann, dass diese Perspektive gewählt und nur in dieser Hinsicht berechtigt ist (Feuerbachthese). Recht verstanden stellt die Objektivität deshistorischen Materialismus also einegeschichtliche Notwendigkeit dar, keine „absolute“.

Der Umsturz der gesellschaftlichen Besitzverhältnisse ist auf zweierlei Weisen denkbar:

  • Entweder der Umsturz findet „ad hoc“ statt, weil der Kapitalismus an seinen inneren Widersprüchen zugrunde geht und das revolutionäre Potential zu seiner Überwindung selbst produziert (das „Lumpenproletariat“).
  • Oder die unterdrückte Klasse – dasProletariat – wird über ihre eigenen Interessen ins Bild gesetzt und der ohnehin notwendige historische Prozess beschleunigt, d. h., es wird sich seiner historischen Aufgabe der Befreiung der ganzen Gesellschaft bewusst. Dies schließt auch die Befreiung derKapitalisten von der entmenschlichenden Aufgabe der Unterdrückung ein. Das Proletariat ergreift die Initiative, da es in den bestehenden Verhältnissen nicht nur vom Produkt seinerArbeit, sondern auch dem gesellschaftlichenÜberbauentfremdet ist und seinKlassenbewusstsein dem allgemeinen, durch dieBourgeoisie bestimmten gesellschaftlichen Verdeckungszusammenhang bereits vorausläuft. Die Verbreitung der Ideen desKommunismus ist also integraler Bestandteil der Theorie selbst, deren Durchsetzung die Gültigkeit der Theorie gerade erweist (siehe auchDas kommunistische Manifest).

So ist erstmals die Wahl einer bestimmten weltanschaulichen Perspektive – des wissenschaftlichen Materialismus, der sich alsIdeologiekritik und Überwindung der ideologischen Perspektive versteht – in den Dienst einer Sache gestellt und in ihrer inneren Logik durch diese Sache allein bestimmt: der Befreiung des Menschen von der Unterdrückung.

Insofern kann man sagen, dass Marx von seiner Ideologiekritik selbst gelernt hat, dass Ideologien operativdisponibel sind. Da Ideologien die materiellen Herrschaftsverhältnisse in der Gesellschaft verdecken, also keineswegs „Realität“ abbilden, ist es im Umkehrschluss auch möglich, die Herrschaftsverhältnisse durch ein verändertes Bewusstsein zu stürzen, da die Kenntnis der wirklichen Verhältnisse die richtigen Maßnahmen zur Folge hat.

Psychologische Aspekte

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Die identitätsstiftende Funktion und die entstehendeGruppendynamik ist seit der Entdeckung und Erforschung derMassenpsychologie (siehe auchGustave Le Bon) im 19. Jahrhundert zu einem bevorzugten Objekt derManipulation und desMachtmissbrauches geworden, obwohl derAppell an gemeinsame Ansichten und eine geteilte Identität zu den ältesten Machtmitteln überhaupt gehören dürfte.

Die bereits im 19. Jahrhundert beobachtete allgemeineVermassung,Entindividualisierung, Lenkbarkeit und soziale Wurzellosigkeit breiter Schichten der Bevölkerung (v. a. des entstehenden Proletariats und desKleinbürgertums), die Zunahme an Verkehr und die zunehmende Verbreitung vonMassenkommunikations­mitteln haben das politische und soziale Gefüge der Neuzeit grundlegend verändert und die Möglichkeiten der ideologischen Manipulation ganzer Völker entfesselt. Dabei standen vielen Theoretikern der Massenpsychologie vor allem die Umwälzungen derFranzösischen Revolution und der Schrecken desTerrors als Beispiel vor Augen.

Der zugrundeliegende historische Prozess wurde vonMichel Foucaultsozialpsychologisch als eine Ablösung des bloßenGehorsams, derPflicht und des äußeren, oft körperlichen Zwanges durch eine erzwungeneInternalisierung sozialer Wertvorstellungen und Gruppenzugehörigkeit beschrieben, denen gegenüber – vermeintlich – freiwilligLoyalität geübt wird. In diesem Kontext ließe sich eineWeltanschauung als gefestigte verinnerlichte Kontrollinstanz innerhalb eines sozialen Gefüges interpretieren. Sie hätte die Funktion die Spaltung derPersönlichkeit im Konflikt zwischen gesellschaftlichen Ansprüchen und dem Freiheitsbedürfnis des Individuums zu verhindern, indem es die gegebene Interpretation alsvernünftig,allgemein undnormal in die eigene Persönlichkeit weitgehend zu integrieren sucht und so den sozialen Zwang vor sich selbst als freiwillige Wahl ausgibt. Normalität definiert sich dann gesellschaftlich vor allem an abweichenden Verhaltensweisen, die in Schule, Gefängnis und Psychiatrie erzogen, bestraft oder therapiert werden. (Michel Foucault: „Überwachen und Strafen“, FaM 1976)

Siehe auch:Politische Ideologie undSchule (Wissenschaft)

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland

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Gemäß dem Grundgesetz wird Weltanschauung als Gegenstück zur Religion angesehen. Während letztere einetranszendente Erklärung des Weltganzen liefere, befasst sich die Weltanschauung mit einer weltimmanenten Gesamtsicht der Welt.

Artikel 3 [Gleichheit vor dem Gesetz]

(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischenAnschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden.

Artikel 4 [Glaubens-, Gewissens- und Bekenntnisfreiheit]

(1) Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen undweltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.
(2) Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.

Aus der Regelung desArt. 4 Abs. 1 GG wird geschlussfolgert, dass Weltanschauung und Religion gleich zu behandeln seien. Unter diesem Gesichtspunkt werden die weiteren Bestimmungen des Grundgesetzes bezüglich der Religion gelesen und auch auf die Weltanschauungen angewendet. Eine trennscharfe Abgrenzung zwischen Religion und Weltanschauung ist damit nicht notwendig. Ausdrücklich ist diese Gleichstellung in Art. 137 Abs. 7 der Weimarer Reichsverfassung geregelt, der gemäßArt. 140 GG fortgilt.

Artikel 137WRV [Kollektive Glaubensfreiheit und öffentlich-rechtliche Organisation]

(7) Den Religionsgesellschaften werden die Vereinigungen gleichgestellt, die sich die gemeinschaftliche Pflege einerWeltanschauung zur Aufgabe machen.

Siehe auch

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Literatur

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Theoretisch-systematische Schriften:

  • Wilhelm Dilthey:Gesammelte Schriften. (Erstm.: Berlin 1911). 6. Auflage. Teil 8:Weltanschauungslehre. Abhandlungen zur Philosophie der Philosophie. Teubner u. a., Stuttgart 1991,ISBN 3-525-30309-2.
  • Martin Heidegger:Die Zeit des Weltbildes. Vortrag 1938. In:Holzwege. FaM 1950,ISBN 3-465-02682-9, S. 73ff.
  • Karl Jaspers:Psychologie der Weltanschauungen. (Erstm.: Berlin 1919). Frankfurt a. M. 1994,ISBN 3-492-11988-3.
  • Karl Mannheim:Ideologie und Utopie. (Erstm.: Bonn 1929). Frankfurt a. M. 1995,ISBN 3-465-02822-8.
  • Helmut G. Meier:Weltanschauung. Studien zu einer Geschichte und Theorie des Begriffs (Phil. Diss.), Münster 1967/70.
  • David K. Naugle:Worldview: the history of a concept. Eardman, Grand Rapids 2002.
  • Johannes Rohbeck (Hrsg.):Philosophie und Weltanschauung. Dresdner Hefte für Philosophie 1, Thelem bei w.e.b. Univ.-Verl., Dresden 1999,ISBN 3-933592-07-0.
  • Kurt Salamun (Hrsg.):Aufklärungsperspektiven. Weltanschauungsanalyse und Ideologiekritik. Mohr, Tübingen 1989,ISBN 3-16-245473-5.
  • Max Scheler:Schriften zur Soziologie und Weltanschauungslehre. Werke in 16 Bänden, Band 6, Bonn 2006,ISBN 3-416-01992-X.
  • Oswald Spengler:Der Untergang des Abendlandes. Umrisse einer Morphologie der Weltgeschichte. (Erstm.: Wien 1918, München 1923). München 1997,ISBN 3-423-30073-6.
  • Reinhold Zippelius:Verhaltenssteuerung durch Recht und kulturelle Leitideen. Kap. 1–3, Duncker & Humblot, Berlin 2004,ISBN 3-428-11456-6.

Enzyklopädische Schriften:

  • Weltanschauung. In:Meyers Großes Konversations-Lexikon. 6. Auflage.Band 20:Veda–Zz. Bibliographisches Institut, Leipzig / Wien 1909,S. 523–524 (zeno.org). 
  • Weltanschauung. In:Jacob Grimm,Wilhelm Grimm (Hrsg.):Deutsches Wörterbuch.Band 28:Weh–Wendunmut – (XIV, 1. Abteilung, Teil 1). S. Hirzel, Leipzig 1955,Sp. 1530–1538 (woerterbuchnetz.de). 
  • Konrad Stock, Michael Moxter u. a.: Art.Welt/Weltanschauung/Weltbild. In:Theologische Realenzyklopädie. 35, 2003, S. 536–611(Überblick mit philosophisch-theologischem und historischem Schwerpunkt).
  • H. Thomé:Weltanschauung. In:Historisches Wörterbuch der Philosophie. Band 12, S. 453–460.
  • Jenny Willner:Weltanschauung. In:Weltkomposita. Ein Lexikon. Hrsg. v. Thomas Erthel und Robert Stockhammer, München: Fink 2019.
  • Harald Baer:Lexikon neureligiöser Gruppen, Szenen und Weltanschauungen. Orientierungen im religiösen Pluralismus. Herder, Freiburg im Breisgau u. a. 2005.
  • Pradeep Chakkarath:Zur kulturpsychologischen Relevanz von Religionen und Weltanschauungen. In:Enzyklopädie der Psychologie (Theorie und Forschung, Kulturvergleichende Psychologie, Bd. 1), S. 615–674. Hogrefe, Göttingen 2007.
  • Horst Reller:Handbuch religiöse Gemeinschaften und Weltanschauungen. Freikirchen, Sondergemeinschaften, Sekten, synkretistische Neureligionen und Bewegungen, esoterische und neugnostische Weltanschauungen und Bewegungen, missionierende Religionen des Ostens, Neureligionen, kommerzielle Anbieter von Lebensbewältigungshilfen und Psycho-Organisationen. 5. Auflage. Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2000.
  • Religion, Staat, Gesellschaft. Zeitschrift für Glaubensformen und Weltanschauungen. Duncker & Humblot, Berlin 2000ff.

Weblinks

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Wiktionary: Weltanschauung – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen
Wikiquote: Weltanschauung – Zitate
Wikibooks: Buch zum naturwissenschaftlichen Weltbild – Lern- und Lehrmaterialien

Einzelnachweise

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  1. Dieter Haller (Text), Bernd Rodekohr (Illustrationen):Dtv-Atlas Ethnologie. 2. Auflage. dtv, München 2010, S. 233.
  2. Reinhold Zippelius:Rechtsphilosophie. 6. Auflage. § 17 I.
  3. Günter Kehrer:Religion und sozialer Wandel inGünter Dux (Hrsg.):Religion und Sozialer Wandel Und andere Arbeiten / Religion and Social Change And other Essays. Springer, Wiesbaden 2013,ISBN 978-3-663-01714-1, S. 40.
  4. Helmer Ringgren:Anthroposophie. In:Theologische Realenzyklopädie. Band 3, de Gruyter, Berlin 1978, S. 12; Sven Ove Hansson:Is Anthroposophy Science? In:Conceptus. 25 (1991), Heft 64, S. 37 f. (online, Zugriff am 17. Juni 2016); Jan Badewien:Faszination Akasha-Chronik. Eine kritische Einführung in die Geisteswelt der Anthroposophie.Vortragsmanuskript (Memento vom 9. Januar 2007 imInternet Archive) (PDF; 211 kB). Tagung: Anthroposophie – kritische Reflexionen. Veranstaltet vom Kulturwissenschaftlichen Seminar, in Kooperation mit dem Graduiertenkolleg „Geschlecht als Wissenskategorie“, Humboldt-Universität zu Berlin, 21. Juli 2006.
  5. Claude Lévi-Strauss:Das wilde Denken. Übersetzung von Hans Naumann. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1968.
  6. abKlaus von Beyme:Politische Theorien im Zeitalter der Ideologien: 1789-1945. 1. Auflage, Westdeutscher Verlag, Wiesbaden, 2002. S. 48.
  7. Franz Austeda:Lexikon der Philosophie. 6., erweiterte Auflage, Verlag Brüder Hollinek, Wien 1989, S. 165–166, Stichwörter „Idologie“ und „Ideologiekritik“
  8. Siehe z. B. Ernst Haeckel:Der Monismus als Band zwischen Religion und Wissenschaft. E. Strauss, Bonn 1892.
  9. z. B. Richard Schwarz:Menschliche Existenz und moderne Welt. De Gruyter, Berlin 1967.
  10. Renate Wahsner:Gibt es ein naturwissenschaftliches Weltbild?. in:Naturwissenschaft und Weltbild. Preprint 368 des Max-Planck-Instituts für Wissenschaftsgeschichte, Berlin 2009.
  11. Jacob Burckhardt anGottfried Kinkel (26. April 1844) in:Basler Zeitschrift für Geschichte und Altertumskunde. 19 (1921) S. 276.
  12. abWeltanschauung. In:Jacob Grimm,Wilhelm Grimm (Hrsg.):Deutsches Wörterbuch.Band 28:Weh–Wendunmut – (XIV, 1. Abteilung, Teil 1). S. Hirzel, Leipzig 1955,Sp. 1530–1538 (woerterbuchnetz.de). 
  13. Wörterbuch der philosophischen Begriffe. Berlin 1899, Band II, S. 720.
  14. Fritz Mauthner:Wörterbuch der Philosophie. Neue Beiträge zu einer Kritik der Sprache. München 1910. Leipzig 1923. Band III, S. 430. Zitiert nach:Geschichte der Philosophie. Darstellungen, Handbücher, Lexika. Hrsg. M. Bertram. Berlin 1998, Digitale Bibliothek, Band 3.)
  15. Sigmund Freud, Studienausgabe, Frankfurt am Main 1969, Band 1, S. 586 ff.
  16. abcdhierzu siehe Jenny Willner:Weltanschauung. In:Weltkomposita. Ein Lexikon, hg. v. Thomas Erthel und Robert Stockhammer. Fink: München 2019.
  17. abMohler, Graz 1950, Darmstadt 1989, S. 15 ff.
  18. abMartin Heidegger:Holzwege. Frankfurt am Main 1950, S. 90 ff.
  19. Pia Lamberty:Verschwörungsmythen als Radikalisierungs- beschleuniger: Eine psychologische Betrachtung. April 2020, abgerufen am 23. Oktober 2021. 
  20. „Corona-Demonstrationen: Was verbindet Esoterik und Rechtsextremismus?“ In:jetzt.de. Süddeutsche Zeitung, 4. September 2020, abgerufen am 23. Oktober 2021. 
  21. Online Etymology Dictionary
  22. Theodor Geiger:Ideologie und Wahrheit. Eine soziologische Kritik des Denkens. 2. Auflage. Luchterhand, Neuwied und Berlin 1968, S. 71, Anm. 8.
  23. Reinhold Zippelius, Verhaltenssteuerung durch Recht und kulturelle Leitideen, 2004.
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