
Wäldchestag ist inFrankfurt am Main der Name desDienstags nachPfingsten, an dem ein traditionellesVolksfest amOberforsthaus imFrankfurter Stadtwald stattfindet. Das Festgelände liegt im StadtteilNiederrad in der Nähe desWaldstadions. Bis in die 1990er Jahre hatten an diesem Tag nachmittags die meisten Frankfurter Geschäfte geschlossen, und die Arbeitnehmer hatten ab 12 Uhr frei. Deshalb wurde der Wäldchestag scherzhaft imVolksmund auchFrankfurts Nationalfeiertag genannt.
Kleinere Feste finden am Wäldchestag im Osten Frankfurts im StadtteilRiederwald sowie vor den Toren Frankfurts in der Altstadt vonHofheim am Taunus, imHattersheimer StadtteilOkriftel, imFriedberger StadtteilOssenheim,Eppstein-Niederjosbach,Sulzbach sowie inKelkheim (seit 2016) statt.



Das Volksfest am Wäldchestag ist seit dem Ende des 18. Jahrhunderts bekannt, doch gab es schon imMittelalter Frühlingsfeste amdritten Pfingsttag in Frankfurt. Seit dem 14. Jahrhundert beging dieZunft derBäcker ihr Zunftfest auf derPfingstweide im Osten Frankfurts, wo sich heute derFrankfurter Zoo befindet. Ebenfalls in der Woche nach Pfingsten wurde derKühtanz gefeiert, bei dem die Viehmägde und Hirten in einem fröhlichen Umzug das Vieh der Bürger zur Sommermast in den Stadtwald trieben. Bis heute führen die GasthäuserOberschweinstiege undUnterschweinstiege ihre Namen darauf zurück.
Außer dem mittelalterlichen Bäckertanz und dem Kühtanz gab es noch einen dritten Anlass für ein Volksfest, nämlich die alljährliche Holzzuteilung an die Bürger. Der Stadtwald gehörte seit 1372 der Stadt Frankfurt, als KaiserKarl IV. ihr zur Tilgung seiner Schulden Teile des KönigsforstesWildbann Dreieich abtrat. Seitdem war es den Frankfurtern an diesem Tag offiziell erlaubt, im Wald Holz für den Winter zu sammeln. Nach einer anderen Lesart fanden an diesem Tag Brennholzversteigerungen statt, und das Fest stellte den gemütlichen Teil nach deren Abschluss dar.
Vermutlich brachten sich die Frankfurter Bürger und ihre Bediensteten, die am Wäldchestag in den Stadtwald zogen, Speisen und Getränke von zuhause mit. Wann aus diesem Brauch ein ausgelassenes Fest wurde, ist nicht genau bekannt. Die ältesten literarischen Erwähnungen stammen aus dem frühen 19. Jahrhundert. 1802 dichtete ein unbekannter Frankfurter ein Spottgedicht auf die Schwärme von Menschen, die sich am Wäldchestag im Wäldchen tummeln, als ob es nur an diesem Tag etwas zu essen gäbe, und dabei verschwenden würden, was sie das ganze Jahr über mühsam erspart hätten.
Anton Kirchner schreibt 1818 in seinenAnsichten von Frankfurt am Mayn, das Wäldchen sei seit undenklichen Zeiten ein Lieblingsort der Frankfurter. „Auf einem Fleckchen, das von hohen Buchen umstanden ist, stehen Tische und Bänke rings um einen Brunnen, der trefflich Wasser sprudelt … Schinken und Würste, Braten und Geflügel, Kuchen und Pasteten, liegen auf blanken Schüsseln und reinlichem Tischzeug im Grase ausgebreitet“. Bei dem erwähnten Brunnen handelte es sich wahrscheinlich um den Königslacher Brunnen am Oberforsthaus. Es wurde 1729 für denReitenden Oberförster Heinrich Carl Baur von Eysseneck errichtet und erhielt sogleich die städtischeSchankgerechtigkeit, d. h. der Förster wurde ermächtigt, Speisen und Getränke an die vorüberziehenden Gäste auszugeben. Da es an einer wichtigen Landstraße nach Südwesten lag, war der Platz günstig gelegen. Unter anderen logierten hier auch die künftigenKaiserKarl VII.,Joseph II. undLeopold II., bevor sie von hier in feierlichem Triumphzug in die Stadt geleitet wurden.
Möglicherweise ist das Oberforsthaus alsJägerhaus auch inJohann Wolfgang GoethesFaust eingegangen. ImOsterspaziergang heißt es:[1]Warum denn dort hinaus? Wir gehn hinaus aufs Jägerhaus. 1814 ist ein Besuch Goethes im Oberforsthaus belegt.
1828 erwähntJohanna Schopenhauer den Wäldchestag in ihrem ReiseberichtAusflug an den Niederrhein und nach Belgien.1831 wird in einem Artikel derFrankfurter Didaskalia über diePfingstbelustigungen im Wäldchen bei Frankfurt am Main über das „schöne Fest am Wäldchestag 1792“ geschwärmt, ein Jahr später hebtGeorg Ludwig Kriegk den Wäldchestag in seinerNeuesten Chronik von Frankfurt neben Kunstschätzen, Museen und berühmten Bauten eigens hervor.
Mit dem Bau derBahnstrecke Frankfurt am Main–Heidelberg verbesserte sich die Verkehrsanbindung des Wäldchens, das nunmehr auch für Gäste aus der Region attraktiv wurde.Friedrich Stoltze schrieb 1853 in seinem GedichtWäldchestag:
Für das Jahr 1868, schon nach dem Ende derFreien Stadt Frankfurt, ist erstmals eine Besucherstatistik überliefert. Damals besuchten rund 25 000 den Wäldchestag, bei einer Einwohnerschaft von knapp 90 000. Anstelle der privaten Selbstversorgung und der fliegendenEbbelwoi- undBrezelbube trat zunehmend der gewerbliche Ausschank vonBier und Apfelwein. Der Wäldchestag spielte eine zunehmende Rolle im Kulturleben der Stadt, weil die in großer Zahl entstehenden Gesangvereine ihn zu öffentlichen Auftritten nutzten. Erstmals ist für den Wäldchestag des Jahres 1834 ein öffentliches Konzert am Oberforsthaus überliefert. Es fand zu Ehren vonFelix Mendelssohn Bartholdy statt, der damals denCäcilienverein in Frankfurt leitete.
1883 dichteteAdolf Stoltze: „Im griene Laub leiht arm und reich, die Beese und die Fromme“. Das siebte Bild seines 1887 entstandenen LustspielsAlt-Frankfurt spielt am Wäldchestag. Es endet mit einem großenGewitter, das für alteingesessene Frankfurter für einen ordentlichen Wäldchestag obligatorisch ist.
Seit 1889 erleichterte dieFrankfurter Waldbahn, eineDampfstraßenbahn, den Frankfurter Bürgern den Besuch des Wäldchestages. Die Waldbahnlinie von derUntermainbrücke nachSchwanheim führte über das Oberforsthaus unmittelbar vorbei am Festgelände.
Höhepunkt und vorläufiges Ende der Wäldchestagstradition wurde das Jahr 1914. Im April 1914 baute man das Oberforsthaus in natürlicher Größe in derFrankfurter Festhalle auf, samt Bäumen, Schießständen, Königsbrünnchen und Zigeunerlager. Die Frankfurter Gesangvereine und das Frankfurter Militär marschierten in der Halle auf. Einen Monat später feierte man zum vorerst letzten Mal den echten Wäldchestag im Stadtwald: Von 1914 bis 1925 fielen sämtliche Feiern im Wäldchen wegen desErsten Weltkrieges und der nachfolgendenInflation aus.
Erst 1926 ließ die Stadt erstmals wieder den Hügel für die Feiern herrichten. 1933 machten dieNationalsozialisten nach ihrerMachtergreifung den Wäldchestag zumTag derVolksgemeinschaft. 1939 brach derZweite Weltkrieg aus und unterband wiederum für viele Jahre das Volksfest.ImZweiten Weltkrieg wurde das Oberforsthaus bei denLuftangriffen auf Frankfurt am Main durchFliegerbomben zerstört, seine Reste mussten 1963 dem Zubringer zurA 3 weichen. Lediglich der Pferdestall blieb erhalten.
Noch 1949 weigerte sich der Magistrat, den Stadtwald für den Wäldchestag herzurichten, zumal er durch zahlreicheBlindgänger ein gefährlicher Aufenthaltsort geworden war, und bot stattdessen an, die Feiern auf dem in Trümmern liegendenRömerberg abzuhalten. Die Frankfurter boykottierten jedoch den Wäldchestag auf dem Römerberg und zogen wie ihre Vorfahren privat ins Wäldchen. Daraufhin gab die Stadt nach: Am 30. Mai 1950 fand der erste offizielle Nachkriegs-Wäldchestag an alter Stelle nahe dem Oberforsthaus statt.
Seit den 1960er Jahren öffneten dieSchaustellerbuden undFahrgeschäfte bereits über das Pfingstwochenende. 1983 war der Wäldchestag vomFlugtagunglück von Frankfurt überschattet. Am Pfingstsonntag, den 22. Mai 1983, stürzte im Rahmen einerFlugvorführung auf derRhein-Main Air Base ein kanadischerStarfighter auf dieBundesstraße 44. In einem Auto, das von den Wrackteilen getroffen wurde, starb eine sechsköpfige Frankfurter Pfarrersfamilie, die auf dem Weg zu einem Pfingstausflug gewesen war. Die Unfallstelle lag nur wenige hundert Meter vom Wäldchestagsgelände entfernt.
Bis Anfang der 1990er Jahre schlossen viele Frankfurter Unternehmen, insbesondere auch der Einzelhandel, am Wäldchestag um 12 Uhr und gaben ihren Beschäftigten für den Besuch des Volksfestes frei. Als 1991 wegen deszweiten Golfkrieges dieFastnachtsumzüge in Deutschland abgesagt wurden, strichen viele Unternehmen auch die bislang damit verbundenen Freizeitregelungen für Fastnacht und den Wäldchestag. Anfang 1994 bestätigte dasBundesarbeitsgericht die Streichung der Arbeitsbefreiung als rechtmäßig.[2] Das Ende für die Freizeit am Wäldchestag bildete die Einführung dergesetzlichen Pflegeversicherung 1995. Um die Steigerung derLohnnebenkosten zu kompensieren, wurde die Zahl dergesetzlichen Feiertage diskutiert und letztlich derBuß- und Bettag abgeschafft. In der Folge strichen die meisten Unternehmen und Institutionen in Frankfurt auch den freien Wäldchestagsnachmittag.[3][4]
Seit den 1960er Jahren ähnelt das Wäldchestagsgelände äußerlich einemJahrmarkt mitKarussells,Riesenrad,Achterbahn,Schießbuden,Autoscooter und anderen Fahrgeschäften. In dermultikulturellen Gesellschaft hat sich das kulinarische Angebot, das früher im Wesentlichen aufBratwurst,Schaschlikspieße,Rindswurst,Handkäs,Brezel undHaddekuche beschränkt war, deutlich ausgeweitet und internationalisiert. Dazu bieten diverse Wirte Live-Musikdarbietungen, in einer großen Bandbreite von Stilrichtungen. Zum Wäldchestag 2006 wurden insgesamt 174 Schausteller und Händler zugelassen. Es macht allerdings das spezielle Flair des Wäldchestags aus, dass er weniger ein Jahrmarkt mit extremenFahrgeschäften ist (das findet sich in Frankfurt mehr auf derDippemess), sondern ein Platz zum Genießen von interessanten kulinarischen und musikalischen Angeboten.
An den Tagen des Wäldchestages wird deröffentliche Verkehr zusätzlich durch dieStraßenbahn-Linie 20 (Hauptbahnhof – Oberforsthaus (Wäldchestag) – Stadion) und dieOmnibus-Linie 61V (Südbahnhof – Oberforsthaus(Wäldchestag) – Flughafen) verstärkt.Zusätzlich fuhr bis 2013 das „Lieschen“, die beliebte Wäldchestag-Sonderlinie derFrankfurter Straßenbahn, für die eineeingleisige Verbindung der ehemaligenFrankfurter Waldbahn, von der Sonderhaltestelle „Riedhof“ über dieMörfelder Landstraße bis zum heutigen Ende desGleises kurz vor derWendeschleife bei derStraßenbahnhaltestelle „Oberforsthaus“, genutzt wurde. Seit 2014 ist der Betrieb jedoch eingestellt, da die Strecke wegen der Neubaustrecke über die Stresemannallee für 1,5 Millionen Euro hätte instand gesetzt werden müssen. Stattdessen kommen als Ersatz für das Lieschen abwechselnd zwei zirka 50 Jahre alte Busse zum Einsatz, die zwischen Frankfurt Südbahnhof und Oberforsthaus fahren.[5] Viele Gäste kommen auch zu Fuß oder mit dem Fahrrad aus den umgebenden Gemeinden und verbinden so den Besuch des Wäldchestags mit einem Ausflug durch denFrankfurter Stadtwald.
Die Besucherzahlen sind in den letzten Jahren zurückgegangen. Zum einen schließen Büros und Geschäfte heute nicht mehr am Nachmittag. Zum anderen erhielt der Wäldchestag zunehmend Konkurrenz durch andereVolksfeste in Frankfurt und Umgebung. So ziehen dasMuseumsuferfest, dieRheingauer Weinwoche auf derFreßgass und derFrankfurter Weihnachtsmarkt nicht nur größere Besucherscharen an als der traditionelle Wäldchestag, sie sind auch fürTouristen attraktiver. DieStadtverordnetenversammlung hat deshalb denMagistrat im Februar 2005 beauftragt, ein Konzept zur Sicherung und Förderung der Frankfurter TraditionsfesteDippemess, Wäldchestag undMainfest zu erstellen, welches der Magistrat im September 2005 vorgelegt hat.
Dieser Artikel ist als Audiodatei verfügbar:
50.0766666666678.6552777777778Koordinaten:50° 4′ 36″ N,8° 39′ 19″ O