DieÖkonomische Theoriengeschichte (auch:ökonomische Dogmengeschichte oderGeschichte des ökonomischen Denkens) betrachtet die Wirtschaftstheorie in Vergangenheit und Gegenwart. Die Wirtschaftstheorie wird ebenfalls als Volkswirtschaftstheorie oder ökonomische Theorie bezeichnet und behandelt denjenigen Teilbereich derVolkswirtschaftslehre, der sich mit grundlegenden Abläufen und Zusammenhängen volkswirtschaftlicher Art befasst.
Wichtige Wirtschaftstheorien sind:
- Physiokratie (François Quesnay) ca. 1758
- Klassische Nationalökonomie (unter anderemAdam Smith,David Ricardo,John Stuart Mill,Thomas Robert Malthus undJean-Baptiste Say), ab ca. 1780
- Marxistische Wirtschaftstheorie (unter anderemKarl Marx,Friedrich Engels,Rosa Luxemburg,Nikolai Iwanowitsch Bucharin), ab ca. 1850
- Historische Schule der Nationalökonomie (unter anderemFriedrich List,Gustav von Schmoller), ab ca. 1850
- Neoklassische Theorie (unter anderemVilfredo Pareto,Léon Walras,Alfred Marshall,Irving Fisher als Vertreter der verschiedenenGrenznutzenschulen), ab ca. 1870
- Österreichische Schule (unter anderemCarl Menger,Eugen Böhm von Bawerk,Ludwig von Mises,Friedrich August von Hayek), ab ca. 1880
- Institutionenökonomik (unter anderemThorstein Bunde Veblen,John Rogers Commons,John Kenneth Galbraith), ab ca. 1900
- Freiwirtschaft (Silvio Gesell), ab ca. 1920
- Keynesianismus (unter anderemJohn Maynard Keynes), ab ca. 1930
- Ordoliberalismus (unter anderemWalter Eucken), ab ca. 1940
- Postkeynesianismus (unter anderemJoan Robinson,Nicholas Kaldor,Michal Kalecki), ab ca. 1950
- Monetarismus (unter anderemMilton Friedman), ab ca. 1970
Thomas Hobbes
Adam Smith
Alfred Marshall
John Maynard Keynes
Milton Friedman
Aus der Antike und aus dem Mittelalter sind Gedanken zum wirtschaftlichen Handeln in den Werken einzelner Philosophen, Rechts- und Finanzgelehrter sowie Theologen überliefert. Bildung ökonomischer Theorien durch akademische Diskussion und die Reflexion aktuellen wirtschaftlichen Handelns im heutigen Sinne fand damals nur selten statt. Antike Vorläufer der Wirtschaftswissenschaftler waren u. a.Xenophon,Platon undAristoteles, im Mittelalter und während der AufklärungThomas Morus,Thomas Hobbes,John Locke undGottfried Wilhelm Leibniz. Entsprechend wurde Wirtschaftspolitik meist ohne fundierte theoretische Unterfütterung durchgeführt.
In der frühen Neuzeit spielten die Theologen und Juristen derSchule von Salamanca eine große Rolle bei der Legitimation der Wirtschaft und bei der Entwicklung der Reflexionen über dieWirtschaftsethik. Sie reflektierten viele Aspekte des Wirtschaftslebens, die sie im Gegensatz zu den Protestanten als notwendigerweise mit der christlichen Moral verbunden betrachteten, wie die Achtung derTauschgerechtigkeit[1], den Vertragskonsensismus[2], dengerechten Preis[3] oder den Eingriff desStaatsinterventionismus[4] (sogenannteArbitrismus). Dies bedeutet nicht, dass diese Mitglieder nicht neue und manchmal gegen die alten christlichen Lehren gerichtete Positionen bezogen, wie die Bestätigung desZinswuchers durchMartin de Azpilcueta[5] undLessius[6] oder die Verteidigung desContractus trinus durch letzteren beweisen[7].
Während desAbsolutismus kristallisierte sich in Frankreich, Italien und England eine Denkrichtung in der Wirtschaftspolitik heraus, die zwar nicht auf einer geschlossenen Theorie, aber auf präziseren Vorstellungen über die Zusammenhänge wirtschaftlichen Handelns basierte, als das bis dahin der Fall gewesen war. Auch in Deutschland wurden die Prinzipien desMerkantilismus im Rahmen desKameralismus angewandt. Die merkantilistische Wirtschaftspolitik war gekennzeichnet durch massive Eingriffe des Staates in die Wirtschaft und machte Frankreich zwar zu einer der führenden Wirtschaftsmächte Europas, führte aber auch zu einem Niedergang der Landwirtschaft. Als Reaktion auf diese Entwicklung verlangte die1758 vom ArztFrançois Quesnay imTableau Economique veröffentlichte Theorie eines kreislaufbasierten Wirtschaftsmechanismus eineLaissez-faire-Politik. Diese späterPhysiokratie genannte Denkschule gilt als erster wissenschaftlicher wirtschaftstheoretischer Ansatz.
In England wurden die Gedanken der Physiokratie aufgenommen und zu einer gesamtgesellschaftlichen Theorie ausgeweitet, derKlassischen Nationalökonomie.Adam Smith,David Ricardo undJohn Stuart Mill werden häufig als wichtige Vertreter dieser Denkschule genannt. Im Gegensatz zu den Physiokraten forderten die Klassiker begrenzte Eingriffe des Staates in das Wirtschaftsgeschehen, um Fehlentwicklungen zu vermeiden.
Im Zuge der Industrialisierung und der damit verbundenen Entstehung verschärfter sozialer Gegensätze in den Städten wurden verstärkt Fragen der Gewinnverteilung für Volkswirtschaftler interessant. DerSozialismus und derMarxismus entstanden. Diese Denkschulen betonten die Notwendigkeit von Regulierung des Wirtschaftens und forderten die Kollektivierung der Produktionsmittel. Als wichtige Vertreter geltenRobert Owen,Charles Fourier undKarl Marx. Gleichzeitig prägten andere stärker vom aufkeimenden Nationalgefühl geprägte Wissenschaftler wieFriedrich List undGustav von Schmoller dieHistorische Schule. Ihre Forderungen waren Eingriffe des Staates zum Schutz der einheimischen Wirtschaft sowie Erforschung der Wirklichkeit statt (vor)schneller Verallgemeinerungen.
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts entstand dieGrenznutzenschule unter dem Einfluss von Ökonomen wieWilliam Stanley Jevons,Carl Menger undLéon Walras. Hier wurden erstmalsmikroökonomische Ansätze wie individuelle Nutzeneinschätzungen undAngebots- undNachfragefunktionen thematisiert. Seitdem bildetenmethodologische Probleme eine mindestens gleichberechtigte Säule der Volkswirtschaftslehre neben inhaltlichen und ordnungspolitischen Fragestellungen (siehe auchUtilitarismus).Unter dem Eindruck der Denkweise der Grenznutzenschule wurde die Klassik u. a. vonAlfred Marshall weiterentwickelt zurNeoklassischen Theorie, indem die subjektivistischen Ansätze der Grenznutzenschule mit den objektivistischen Theorien der Klassiker in der Gleichgewichtsanalyse zusammengeführt wurden.
Die bis dahin entwickelten Theorien konnten keine Erklärungen oder hilfreiche Handlungsansätze gegen die globale Wirtschaftskrise der 1920er und 1930er Jahre mit ihrer Massenarbeitslosigkeit liefern. Eine von den VertreternÖsterreichischen Schule befürwortete Abkehr vomStaatsinterventionismus erwies sich als politisch nicht durchsetzbar.
John Maynard Keynes lieferte Beiträge zur Analyse dergesamtwirtschaftlichen Nachfrage und begründete denKeynesianismus, der die Überwindung wirtschaftlicher Krisen durch eine aktive Wirtschaftspolitik des Staates propagiert. Diemonetaristische Geldtheorie wurde vor allem vonIrving Fisher undMilton Friedman entwickelt (Chicagoer Schule).Während der Keynesianismus als makroökonomische Ungleichgewichtstheorie davon ausgeht, dass Märkte für längere Zeit aus dem Gleichgewicht geraten können, gehen Gleichgewichtsorientierte Makrotheorien wie die Neoklassik oder der Monetarismus davon aus, dass Märkte nicht aus dem Gleichgewicht geraten können bzw. zumindest sehr schnell wieder zum Gleichgewicht finden. DerOrdoliberalismus trug zurWettbewerbspolitik und zur Prägung des Konzepts derSozialen Marktwirtschaft bei. Neuere Ansätze sind dieNeue Institutionenökonomik,Experimentelle Ökonomik, dieÖkonometrie und dieSpieltheorie oder dieVerhaltensökonomik.[8]
Mit der Geschichte des ökonomischen Denkens befasste Fachorganisationen sind die „European Society for the History of Economic Thought“ (ESHET, gegründet 1995), die nordamerikanische „History of Economics Society“ (HES, gegründet 1974), die „Japanese Society for The History of Economic Thought“ (JSHET, gegründet 1950), die History of Economic Thought Society of Australia (HESTA, gegründet 1981), die italienische „Associazione Italiana per la Storia del Pensiore Economico“ und die französische „Association Charles Gide pour l'Étude de la pensée économique“.[9] In Deutschland verfügt derVerein für Socialpolitik über einen 1980 konstituierten Ausschuss für die Geschichte der Wirtschaftswissenschaften.[10]
Bei den Zeitschriften ist die prestigeträchtigste dieHistory of Political Economy. In den USA wird seit 1979 dasHistory of Economics Society Bulletin herausgegeben, das 1990 inJournal of the History of Economic Thought (JHET) umbenannt wurde. In Europa besteht seit 1993 dasEuropean Journal of the History of Economic Thought (EJHET), dazu die französische ZeitschriftEconomies et Sociétés und die italienischeHistory of Economic Ideas (früherQuaderni di storia dell'economia politica). Die australische HESTA veröffentlicht dasHistory of Economics Review.[9]
- Bernhard Felderer, Stefan Homburg:Makroökonomik und neue Makroökonomik. 9., verb. Aufl., Springer, Berlin 2005,ISBN 3-540-25020-4.
- Otmar Issing (Hrsg.):Geschichte der Nationalökonomie (= WiSt Taschenbücher). 4., überarbeitete und ergänzte Auflage. Vahlen, München 2002,ISBN 978-3-8006-2804-9.
- Gerhard Kolb:Geschichte der Volkswirtschaftslehre. Dogmenhistorische Positionen des ökonomischen Denkens. 2., überarbeitete und wesentlich erweiterte Auflage. Vahlen, München 2004,ISBN 3-8006-3058-3.
- Heinz-Dieter Kurz:Von Adam Smith bis Alfred Marschall. In:Klassiker des ökonomischen Denkens.Band 1. C.H. Beck, München 2008,ISBN 978-3-406-61543-6. – Heinz-Dieter Kurz:Von Vilfredo Pareto bis Amartya Sen. In:Klassiker des ökonomischen Denkens.Band 2. C.H. Beck, München 2009,ISBN 978-3-406-57372-9.
- Fritz Söllner:Die Geschichte des ökonomischen Denkens. 4., korrigierte Auflage. Springer Gabler, Berlin, Heidelberg 2015,ISBN 978-3-662-44018-6.
- Artur Woll: Definition: Volkswirtschaftstheorie, Dogmengeschichte. In: Gabler Wirtschaftslexikon. 19. Februar 2018, abgerufen am 18. April 2021.
- ↑Wim Decock:Theologians and Contract Law. The Moral Transformation of theIus commune (ca. 1500-1650). Martinus Nijhoff Publishers, Leiden-Boston 2013,S. 507–624 (englisch,brill.com).
- ↑Wim Decock:Theologians and Contract Law. The Moral Transformation of theIus commune (ca. 1500-1650). Martinus Nijhoff Publishers, Leiden-Boston 2013,S. 105–214 (englisch,brill.com).
- ↑Wim Decock:Theologians and Contract Law. The Moral Transformation of theIus commune (ca. 1500-1650). Martinus Nijhoff Publishers, Leiden-Boston 2013,S. 521 und 525 (englisch,brill.com).
- ↑Wim Decock:Collaborative Legal Pluralism. Confessors as Law Enforcers in Mercado’s Advices on Economic Governance (1571). In:Zeitschrift des Max-Planck-Instituts für europaïsche Rechtsgeschichte.Nr. 25, 2017,S. 103–114 (englisch).
- ↑Wim Decock:Martin de Azpilcueta. In: R. Domingo und J. Martínez-Torrón (Hrsg.):Great Christian Jurists in Spanish History. Cambridge University Press, Cambridge 2018,S. 116–132 (englisch,cambridge.org).
- ↑Wim Decock:Lessius and the Breakdown of the Scholastic Paradigm. In:Journal of the History of Economic Thought.Band 31, 2009,S. 57–78 (englisch).
- ↑Wim Decock:L'esprit catholique du capitalisme.Éthique et investissement selon Musculus et Lessius. In: L. Brunori et al. (Hrsg.):Le Droit face à l’économie sans travail. Tome I. Sources intellectuelles, acteurs, résolution des conflits. Garnier, 2019,S. 61–76 (französisch).
- ↑Gabler WirtschaftslexikonMakroökonomik
- ↑abJohn Lodewijks:History of economics: societies and journals. In: Phillip Anthony O’Hara (Hrsg.):Encyclopedia of Political Economy: A–K. Band 1 derEncyclopedia of Political Economy. Taylor & Francis, 1999,ISBN 0-415-18717-6,S. 449–451.
- ↑Geschichte des Ausschusses. Website vonHeinz-Peter Spahn bei derUniversität Hohenheim. Abgerufen am 23. Oktober 2019.