Vilnius ist Sitz des römisch-katholischenErzbistums Vilnius und mit der 1579 gegründetenUniversität Vilnius eine der ältesten Universitätsstädte Europas. Vilnius war von Anfang an einebaltische Gründung und wurde im Gegensatz zu den Hauptstädten der baltischen Nachbarländer,Riga inLettland undTallinn inEstland nie vomDeutschen Orden kontrolliert. Als Wilno entwickelte sich die Hauptstadt Litauens zum Zentrum eines ausgedehnten Großreiches, das auf dem Höhepunkt seiner Macht um 1618 alsPolen-Litauen zeitweise von derOstsee bis zumSchwarzen Meer reichte.Vilnius/Wilno galt seit seiner Gründung als eine der liberalsten Städte Europas, die im Lauf ihrer Geschichte u. a. den verfolgten Juden aus Mitteleuropa und Russland Schutz bot. Als „Jerusalem des Nordens“ wurde Vilnius zu einem Zentrum der jüdischen Kultur und Aufklärung. Um 1900 stelltenLitauer nur einen kleinen Teil der Bevölkerung (2 %), nach Juden (41 %), Polen (30 %) und Russen (20 %). Während des Zweiten Weltkriegs und in der Nachkriegszeit verlor die Stadt die Mehrheit ihrer Bewohner: die jüdische Bevölkerung wurde fast vollständig im Holocaust vernichtet; ein Teil der Polen wurde während der ersten sowjetischen Okkupation (1940/41) nach Sibirien deportiert, die große Mehrheit der restlichen polnischen Einwohner nach dem Krieg von der Sowjetunion nach Polen umgesiedelt. Zum Ausgleich wurden vor allem Litauer, auchRussen undBelarussen hier angesiedelt, wodurch sich die ethnische und soziale Struktur der Stadt völlig veränderte.
Ab dem 16. Jahrhundert schufen italienische Baumeister zahlreichebarocke Bauwerke in der Stadt. DieAltstadt von Vilnius zählt zu den größten in Osteuropa und wurde 1994 zumUNESCO-Welterbe erklärt. Aufgrund der über 50 Kirchen der Stadt trägt Vilnius auch den Beinamen „Rom des Ostens“.
Entsprechend ihres multiethnischen und multikulturellen Charakters ist die Stadt unter verschiedenen Namen bekannt. Europäische Landkarten und Beschreibungen verwendeten vom 14. bis ins 20. Jahrhundert den NamenWilna oderVilna. Die ältesten belegten Formen aus dem 14. Jahrhundert lautenvor die Wilne,ante Vilnam oder ähnlich. ImLitauischen heißt sieVilnius, und dieser – erstmals um 1600 belegte – Name setzt sich in der Gegenwart allmählich auch in anderen Sprachen durch.
Der Name der Stadt ist von jenem des FlüsschensVilnia (oft in der VerkleinerungsformVilnelė genannt) abgeleitet, das - unweit des historischen Stadtkerns auf dem Gediminas-Berg - in dieNeris mündet. Die litauischen Wörtervilnìs undvilnelė bedeuten „Welle“ bzw. „kleine Welle“. Ein alternativer Name der Neris ist zudem*Velija, belegt um 1230 alsВелья. Der Name des kleineren Zuflusses war ursprünglich eine Diminutivbildung zu diesem Namen.
Der Asteroid des inneren Hauptgürtels(3072) Vilnius ist nach der Stadt benannt.[2]
Durch dieDritte Teilung Polens bzw. Litauens verloren beide vollständig ihre Unabhängigkeit und Vilnius seinen bisherigen Status als Hauptstadt, den die Stadt – abgesehen von schnell wechselnden Hauptstadtfunktionen in den Jahren von 1918 bis 1922 – erst 1945 wieder erhielt. Mit der bei der Teilung erfolgten Einverleibung in dasRussische Zarenreich wurde Vilnius 1795 der Sitz der Verwaltung des Litauischen Generalgouvernements (Lietuvos Generalgubernatorija). Von 1830 bis zu dessen Auflösung 1912 war die Stadt der Sitz der Verwaltung des Vilniuser Generalgouvernements (Vilniaus Generalgubernatorija). Innerhalb der beidenGeneralgouvernements war Vilnius zugleich der Sitz der Verwaltung des umgebendenGouvernements, unter anderem desGouvernements Wilna. Die Namen der Gouvernements, zu denen Vilnius gehörte, und deren Zuschnitt wurden mehrfach geändert.
Nach der wiedererlangten Unabhängigkeit Litauens (siehe ↑Unabhängigkeit seit 1918) wurde Vilnius die litauische Hauptstadt. Als dieRote Armee imLitauisch-Sowjetischen Krieg gegen den jungen Staat vorrückte, dessen Südosten besetzte und dort am 16. Dezember 1918 dieLitauische Sozialistische Sowjetrepublik proklamierte, wurde Vilnius deren Hauptstadt und am 27. Februar 1919 die Hauptstadt derLitauisch–Weißrussischen Sozialistischen Sowjetrepublik, in der die kurzlebige Litauische Sozialistische Sowjetrepublik aufgegangen war. Knapp zwei Monate später, in den Tagen vom 19. bis zum 21. April 1919, befreiten polnische Truppen Vilnius von der sowjetischen Besetzung.[3]
Von 1922 bis 1945 war Vilnius keine Hauptstadt eines litauischen Staates, sondern erneut ein Verwaltungssitz unterhalb der staatlichen Ebene, diesmal in Polen und in derSowjetunion bzw. unter deutscher Besetzung. Im Einzelnen war Vilnius
nach der Besetzung Litauens durch die Sowjetunion von 1940 bis 1941 die Hauptstadt der zweitenLitauischen Sozialistischen Sowjetrepublik (litauisch:Lietuvos TSR; Litauische SSR)
Die Stadt liegt in einer bewaldeten Hügellandschaft im Südosten Litauens an der Mündung derVilnia in dieNeris rund 40 km von der belarussischen Grenze entfernt. Nördlich von Vilnius im DorfPurnuškės befindet sich dergeographische Mittelpunkt Europas.
Das Klima in Vilnius ist gemäßigt kontinental. In den meist kurzen warmen Sommern wurden Spitzenwerte von über 35 °C gemessen. Die Tiefstwerte im Winter lagen unter −37 °C. Wärmster Sommermonat ist der Juli, kältester Wintermonat ist der Januar. Die Jahresniederschlagsmenge lag in den Jahren 1961 bis 1990 im Jahresmittel bei 683 Millimeter pro Jahr. Die Monatsdaten können dem Klimadiagramm entnommen werden.
DerBezirk Vilnius ist einer der zehn Verwaltungsbezirke Litauens. Der flächenmäßig größte und auch bevölkerungsreichste Bezirk liegt im Südosten des Landes und umfasst auch die Hauptstadt Vilnius. Am 1. Juli 2010 wurden die Bezirksverwaltungen (apskrities administracija) in Litauen als Verwaltungseinheiten ersatzlos gestrichen.
DieStadtgemeinde Vilnius besteht aus folgenden 21Bezirken mit einer unterschiedlichen Anzahl von Stadtteilen. Sie ist die einzige Stadtverwaltung in Litauen, die zwei Städte (Vilnius undGrigiškės) sowie drei Dörfer von Grigiškės verwaltet.
Einer Legende nach sollGediminas, litauischerGroßfürst seit 1316, bei einer Jagd auf einem Hügel am Zusammenfluss der Neris und Vilnia gerastet haben. Dort träumte er von einem eisernen Wolf, der markerschütternd „laut heulte wie hundert Wölfe“. Der Pfeil, den er auf das Tier abfeuerte, prallte an dessen stählernem Körper ab. Beunruhigt bat er seinen heidnischen Hohepriester Lizdeika um die Deutung dieser Episode: „‚Was die Götter dem Herrscher und dem litauischen Staat beschieden haben, mag geschehen: der eiserne Wolf steht auf einem Hügel, auf dem eine Burg und eine Stadt errichtet werden – die Hauptstadt Litauens und die Residenz der Herrscher.‘ Die Festung aber müsse fest wie Eisen sein, dann würde ihr Ruhm laut durch die Welt hallen (Die litauischen Wörter fürlaut undberühmt sind identisch).“[6] Zu jener Zeit war die westlich gelegeneWasserburg Trakai Sitz des Herrschers.
Archäologischen Untersuchungen nach war das Areal der Stadt bereits im steinzeitlichenMagdalénien besiedelt. Weitere Fundstellen im Stadtgebiet wurden auf das 4. Jahrtausend und das 2. Jahrhundert vor Christus datiert. ImFrühmittelalter siedelten an diesem taktisch vorteilhaften Ort zuerst wohl Balten, späterSlawen und seit dem 11. Jahrhundert auch Juden. Bereits im 10. Jahrhundert war auf dem heutigen Stadtgebiet eine hölzerne Befestigungsanlage errichtet worden, um die herum eine Siedlung entstand. Erste Erwähnung in den geschichtlichen Quellen findet Vilnius als Hauptstadt der Litauer 1323. In jenem Jahr sandte GroßfürstGediminas in Latein verfasste Briefe an Kaiser, Papst, verschiedeneRitterorden und Handelsstädte jener Zeit. Darin warb er Kaufleute, Wissenschaftler und Handwerker für „in civitate nostra regia, Vilna dicta“ – als hochqualifizierte Gastarbeiter und lockte mit zwei Kirchen, also auch Religionsfreiheit. Diese Toleranz gegenüber den verschiedensten Glaubensrichtungen sollte die Entwicklung der Stadt noch lange bestimmen, machte sie aber auch wiederholt zum Ziel kriegerischerAngriffe des Deutschen Ordens, die jeweils mit Verwüstungen der Stadt und ihres Umlandes einhergingen, so beispielsweise 1365, 1375, 1377, 1383, 1390, 1392, 1394 und 1402.[7]
Da seit Mitte des 13. Jahrhunderts derDeutsche Orden mit seinem Expansionsdrang im Baltikum sowohl dasGroßfürstentum Litauen als auch dasKönigreich Polen bedrohte, entschied sich der litauische GroßfürstJogaila, eine Allianz mit Polen einzugehen. Infolge derUnion von Krewo von 1386 vermählte er sich mit der polnischen KöniginHedwig. Das Land wurde reformiert und christianisiert. Das „ewige Feuer“ auf dem Hügel von Vilnius wurde gelöscht und der heidnische Tempel zerstört.
Ab dem 15. Jahrhundert erlebte die Stadt eine lange wirtschaftliche und kulturelle Blüteperiode, gleichzeitig fand ihre allmähliche Polonisierung statt. Im 16. Jahrhundert entwickelte sie sich zum Zentrum derOrgelmusik, 1579 wurde auf der Basis desJesuiten-Kollegiums dieUniversität Wilna gegründet (Alma academia et universitas Vilnensis societatis Jesu). Gleichzeitig wurde Vilnius zum wichtigsten Zentrum jüdischer Kultur in Nordeuropa und erhielt seinen BeinamenJerusalem des Nordens. Das 17. Jahrhundert war geprägt von Kriegen, Bränden und Seuchen und für die Bevölkerung und die Bausubstanz der Stadt verheerend. Als besonders zerstörerisch gelten die russische Besetzung von 1655 bis 1661, während desRussisch-Polnischen Krieges, und die Besetzungen durch schwedische Truppen imGroßen Nordischen Krieg in den Jahren 1702 und 1707. Auch die großen Stadtbrände von 1610, 1737, 1745 und 1747 verwüsteten Vilnius erheblich.
Nach denTeilungen Polen-Litauens gehörte Vilnius seit 1795 zumRussischen Kaiserreich. ImRusslandfeldzug 1812 wurde es von französischen Truppen geplündert. Infolge der russischen Repressionen nach dem gescheitertenNovemberaufstand 1830 wurde die Universität geschlossen, und die Stadt wurde zu einer Provinzhauptstadt des russischenGouvernements Wilna heruntergestuft. 1862 eröffnete man dieWarschau-Petersburger Eisenbahn. Obwohl von polnischsprachiger Bevölkerung geprägt, behielt Vilnius seine multikulturelle Tradition und wurde im 19. Jahrhundert das Zentrum desbelarussischen nationalen Lebens, noch vor Minsk. Hier publizierten die wichtigsten belarussischen Dichter und Schriftsteller ihre Werke, und 1906 kam die erste belarussische Zeitung „Naša Niva“ heraus. Die Buchbestände des 1885 verstorbenen GelehrtenMattityahu Strashun gelangten nach seinem Tod an die jüdische Gemeinde und wurden zum Grundstock der größten jüdischen Bibliothek in Europa. Um 1900 war Vilnius eine der größten jüdischen Städte überhaupt und 41 % ihrer Einwohner waren Juden.[8] Trotz dieser Bevölkerungszusammensetzung wurde der in den 1890er Jahren inSankt Petersburg aufgrund seinerreaktionären undantisemitischen Haltung bekannteStadthauptmannViktor von Wahl 1901 alsGouverneur nach Wilna versetzt. Er wurde im Mai des darauf folgenden Jahres Opfer eines misslungenen Attentats und musste abgelöst werden.[9]
1918 wurde mit deutscher Unterstützung derlitauische Staat mit der Hauptstadt Vilnius proklamiert. Er wurde während desPolnisch-Sowjetischen Krieges abwechselnd von derRoten Armee undpolnischen Truppen besetzt.Mit demVersailler Vertrag und mit dem litauisch-sowjetischen Friedensvertrag von Moskau im Jahr 1920 wurde Litauen mit seiner Hauptstadt Vilnius international anerkannt. Im Oktober 1920 besetzten polnische Truppen im Verlauf desPolnisch-Litauischen Kriegs die Stadt samt dem mehrheitlich polnischsprachigen Südosten Litauens erneut. 1922 schlug Polen das Wilnaer Gebiet auch formal seinem Staatsgebiet zu, was zu großen Spannungen zwischen beiden Ländern führte. Die polnische Annexion wurde vomVölkerbundde facto anerkannt.[11] Für 19 Jahre wurdeKaunas daraufhin die „vorübergehende Hauptstadt“ Litauens, und Vilnius wurde die Hauptstadt einer polnischenWojewodschaft. Der Anteil der litauischen Bevölkerung in Wilna war zu dieser Zeit sehr gering (circa 2 %), bei Anteilen von 53 % Polen und 41 % Juden. Noch heute bezeichnen sich etwa 18 % der Bewohner als Polen, und imVilniusser Umland stellen diePolen die Mehrheit.
Nach Beginn desZweiten Weltkriegs am 1. September 1939 mit dem deutschenÜberfall auf Polen drang, wie im Pakt vereinbart, dieRote Armee am 17. September in Polen ein. Vilnius wurde am 19. September besetzt. Am 10. Oktober wurde die Stadt von der Sowjetunion an Litauen übergeben. Am 29. Oktober rückte die litauische Armee in Vilnius ein.[12]
Neun Monate später – am 15. Juni 1940 –überfiel die Sowjetunion Litauen, das Land wurde an dieSowjetunion angeschlossen, und am 3. August 1940 wurde Vilnius Hauptstadt derLitauischen Sozialistischen Sowjetrepublik. Rund 35.000 polnische Bewohner wurden nachSibirien deportiert.
Diedeutsche Besatzung Litauens dauerte vom 23. Juni 1941 bis zum 13. Juli 1944. Vilnius wurde Teil desReichskommissariats Ostland. In der Altstadt wurde einGhetto in zwei Teilen eingerichtet, wobei eines bis Oktober 1941 durch die Erschießungen im Wald vonPaneriai (etwa 10 km westlich von der Stadt) aufgelöst wurde. Im zweiten Ghetto waren Ende November 1941 rund 20.000 Juden zusammengepfercht.[13] Es bestand bis 1943, schrumpfte aber zunehmend nach zahlreichen sogenanntenAktionen. Die verbliebenen Juden wurden inKonzentrationslager deportiert und dort ermordet. Etwa 100.000 jüdische Bewohner verloren ihr Leben. Näheres zu den Kämpfen im Juli 1944hier (Vilnius war zur„Festung“ erklärt worden). Nach 1944 entstand in der Stadt dasKriegsgefangenenlager195 fürdeutsche Kriegsgefangene.[14]
Nach derzweiten sowjetischen Besatzung 1944 wurde die polnische Bevölkerung im Zuge derZwangsumsiedlung von Polen aus den ehemaligen polnischen Ostgebieten 1944–1946vertrieben und Vilnius zur Hauptstadt der Sozialistischen Sowjetrepublik Litauen. DerStalinismus der Nachkriegsjahre brachte nicht nur eine Verstaatlichung und Sowjetisierung der Wirtschaft, sondern versuchte auch die nationale und religiöse Identität der Litauer zu unterdrücken. So wurden auch in Vilnius Kirchen zum Beispiel als Lagerhallen zweckentfremdet, die Ruinen der ehemaligenGroßen Synagoge gar abgetragen. Das öffentliche Leben wurde durch strengeZensur bestimmt.
Der litauische Bevölkerungsanteil in Vilnius stieg – unter anderem durch Landflucht als Folge derZwangskollektivierung der litauischen Landwirtschaft – deutlich an. Daneben förderten die Sowjetbehörden in den ersten Nachkriegsjahren auch den Zuzug von Arbeitskräften aus anderen Teilen der Sowjetunion. Jedoch gelang es dem Politbüro der Litauischen Kommunistischen Partei, die Ansiedlung von Nicht-Litauern zu begrenzen, so dass der Anteil der russischsprachigen Bevölkerung bei etwa 20 % verharrte, während er in den beiden anderen baltischen Hauptstädten Riga und Tallinn zeitweise auf 50 % anstieg.[15]
Auch nach derWiedererlangung der Unabhängigkeit mit demZerfall der Sowjetunion 1990/1991 blieb Vilnius Sitz des litauischen Parlaments und der Regierung. Das heutige Vilnius entwickelte sich innerhalb von zehn Jahren von einer sowjetischen in eine Stadt westlich-kosmopolitischen Stils. Auf dem der Altstadt und dem Zentrum (Bebauung rund um den zentralen Gediminas-Prospekt ab der Jahrhundertwende) gegenüber gelegenen Ufer der Neris entstand in den letzten Jahren ein modernes Büro- und Geschäftsviertel, mit dem Vilnius zu einem Anziehungspunkt nicht nur für Touristen wurde. Bislang verlief die Entwicklung großteils auf Brachflächen. In absehbarer Zeit werden die einfachen, mancherorts ärmlichen Holzhaus-Siedlungen, die sich unmittelbar nördlich anschließen, weichen müssen.
2017 lebten in Vilnius offiziell 574.221 Einwohner oder 22 % der Bevölkerung Litauens, davon 54,43 % Litauer, 18 % Polen und 13 % Russen, der Rest verteilt sich auf weitere 125 Nationalitäten,[16]2016 wurden 7.500 neu angemeldet, davon 1.655 inVerkiai und je 1.000 inNaujoji Vilnia,Pašilaičiai undAntakalnis. In den Polikliniken und anderen Gesundheitseinrichtungen sind 622.543 oder 48.000 Einwohner mehr als offiziell beim Meldeamt angemeldet (2017). Laut derStadtverwaltung Vilnius bekäme die Stadtgemeinde um 17 Mio. Euro mehrEinkommensteuer, wenn diese Einwohner offiziell in Vilnius angemeldet wären.
Laut der von der deutschen Kriegsverwaltung durchgeführten Volkszählung lebten 19 Jahre später (1916) in Wilna 138.794 Einwohner, davon:
74.466 Polen (53,7 %),
57.516 Juden (41,5 %),
02.909 Litauer (2,1 %),
02.219 Russen (1,6 %),
00.611 Belarussen (0,5 %),
00.880 Deutsche (0,6 %) und
00.193 (0,1 %) andere.
Durch den Krieg war die Bevölkerung insgesamt also leicht gesunken, vor allem durch den Wegzug von über 90 % der Russen. Die Anzahl der Polen stieg dagegen im Vergleich zu 1897 um über 60 %, die der Juden auch noch einmal leicht um knapp 20 %. Die Polen waren jetzt die größte Bevölkerungsgruppe vor den Juden.
In der polnischen Zwischenkriegszeit wurde 15 Jahre später (1931) eine Volkszählung durchgeführt. Die Bevölkerung war demnach auf 195.100 angestiegen, davon:
65,5 % Polen,
27,8 % Juden,
03,8 % Russen und nur noch
00,8 % Litauer und
00,9 % Belarussen.
Die Gesamtzahl der Juden war das erste Mal leicht auf 54.500 gesunken.
Der Zweite Weltkrieg führte zu einem völligen Bevölkerungsaustausch. Von den Juden, die bis 1939 in Vilnius gelebt hatten, starben die meisten imHolocaust. Ein großer Teil der polnischen Bevölkerung wurde in die nun von Polen verwalteten deutschen Ostgebiete vertrieben, während im Umland von Vilnius bis heute noch viele Polen leben. Die vertriebenen Vilniuser wurden durch Russen und andere Litauer ersetzt, um diese dort im Sinne der Staatsräson zum Umbau der Stadt zur Hauptstadt einer Sozialistischen Sowjetrepublik in Litauen einzusetzen. Verwaltungsstrukturen und große Industriebetriebe wurden aufgebaut, und Vilnius erlebte ein rasantes Wachstum. Bei der sowjetischen Volkszählung im Jahr 1959 gaben von den 236.100 Einwohnern als Nationalität an:
79.400 Litauer (34 %),
69.400 Russen (29 %),
47.200 Polen (20 %),
16.400 Juden (7 %) und
14.700 Belarussen (6 %).
Nach demZerfall der Sowjetunion und der Unabhängigkeitserklärung Litauens ging die Bevölkerungszahl von über 576.000 (1989) auf 541.000 (2011) zurück.
Im Jahr 2001 wurde eine litauische Volkszählung in Vilnius durchgeführt, wonach 57,5 % der Bevölkerung Litauer waren, 18,9 % Polen, 14,1 % Russen, 4,1 % Belarussen, nur noch 0,5 % Juden und 5,5 % sonstiger ethnischer Zugehörigkeit. Die Mehrzahl der in den 1950er Jahren noch verbliebenen Juden war ausgewandert.
Im Jahre 2017 waren 66 % der Einwohner katholisch.[22] In der Stadt gibt es eine Vielzahl an Kirchen und religiösen Stätten. Über mehrere Jahrhunderte gab es ein friedliches Nebeneinander der jüdischen und christlichen Religionsanhänger. AlsJerusalem des Nordens, hebräisch „Yerushalayim de-Lita“ (Jerusalem von Litauen), wurde Vilnius zu einem Zentrum der jüdischen Kultur und Aufklärung. Mit dem Vorstoß der Truppen der deutschenWehrmacht nach Litauen 1941 begann das Ende derjüdischen Geschichte in Vilnius. Die Stadt verlor im Zweiten Weltkrieg durch den Holocaust fast sämtliche jüdischen Bewohner und somit die Hälfte ihrer Bevölkerung. Wegen der Kriegsbeschädigungen wurde in den 1950er Jahren dieGroße Synagoge abgerissen. Heute ist dieChoral-Synagoge der einzige jüdische Sakralraum in Vilnius.
Die Amtszeit des 51-köpfigen Stadtrates der Stadtgemeinde beträgt vier Jahre. Der Rat wurde bis 2010 aus den Kandidatenlisten der registrierten Parteien gewählt. Seit 2011 können auch unabhängige Kandidaten gewählt werden. In seiner ersten Sitzung wählt der Rat einen Bürgermeister, vierstellvertretende Bürgermeister sowie einen Administrationsdirektor.
DieVerwaltung der Stadtgemeinde Vilnius ist eine kommunale Anstalt, die den Rat der Stadtgemeinde bedient. Sie hilft dem Stadtrat, seine Funktionen auszuüben, und unterstützt ihn bei seinen Aktivitäten. Die Stadtverwaltung hat 1100 Mitarbeiter (Stand 2025).[23]
Das Stadtwappen stammt aus dem Jahr 1330. Es zeigt auf rotem Grund den Schutzheiligen von Vilnius. Der heiligeChristophorus watet durch einen Fluss und trägt dabei auf seinen Schultern das Jesuskind. Das Jesuskind segnet mit der einen Hand und hält in der anderen Hand die Weltkugel. Das Motto istUnitas, Justitia, Spes (Latein: Einheit, Gerechtigkeit, Hoffnung).
Altstadt von Vilnius: Blick auf die Aušros Vartai („Tor der Morgenröte“)
Ausgehend vom Burgberg bildet das Straßennetz der Altstadt von Vilnius in Richtung Westen und Süden eine fächerartige Struktur. Die Altstadt, die sich an den Hängen auf dem linken Ufer der Neris hinaufzieht, hat eine Fläche von 360 ha und zählt damit zu den größten und besterhaltenen Europas; seit 1994 zählt sie zum UNESCO-Welterbe. Als politisches Zentrum des Großherzogtums Litauen vom 13. bis zum Ende des 18. Jahrhunderts hatte Vilnius einen tiefgreifenden Einfluss auf die kulturelle und architektonische osteuropäische Entwicklung. Während in den anderen baltischen Hauptstädten Riga und Tallinn gotische (backsteingotische),hanseatische undlutherische Architektur überwiegen und das mit Seehandel beschäftigte Bürgertum vorherrschte, waren in Vilnius derKatholizismus und der Barock prägend und der Landhandel die staatstragende Schicht. Trotz einiger Überfälle und Zerstörungen wurden viele bemerkenswerte Bauwerke des Barocks, Klassizismus, der Gotik und Renaissance sowie diemittelalterliche Stadtstruktur bewahrt.[27]Im Zweiten Weltkrieg gingen durch Kampfhandlungen nur sehr wenige Gebäude verloren, jedoch wurden über hundertSynagogen systematisch zerstört.
der zentrale Markt auf dem nördlichen Ufer der Neris.
Das StadtviertelUžupis (deutsch:Hinter dem Fluss) am rechten Ufer des FlüsschensVilnele, wurde seit Anfang der Neunziger vom unbeachteten und verwahrlosten Winkel zu einemKünstlerviertel (in unmittelbarer Nähe der Kunstakademie „Dailės akademija“) und stellt nunmehr auch eine exquisite Adresse dar.
Europa Tower, der höchste Wolkenkratzer des gesamten Baltikums
Eine moderne Sehenswürdigkeit ist derFernsehturm, der 326 m hoch ist und in 190 m Höhe über eine Aussichtsplattform verfügt.
Etwa 30 km westlich von Vilnius liegtTrakai, die mittelalterliche Hauptstadt Litauens, mit der wieder aufgebautenWasserburg.
Nördlich von Vilnius im DorfPurnuškės befindet sich derEuropapark. Dort soll der geographischeMittelpunkt Europas (lit.Europos centras) liegen. Diese Berechnungfranzösischer Wissenschaftler um 1989 ist allerdings wegen fraglicher Gewichtung von Inseln umstritten. AndereGeowissenschafter setzen den Mittelpunkt in derUkraine nahe der Grenze zurSlowakei an, wobei es keine zwingende Methodik zur Bestimmung eines solchen Punktes gibt.
Vilnius ist das bedeutendste Verwaltungs- und Wirtschaftszentrum Litauens. In der Stadt sitzen wichtige Banken und zahlreiche Vertretungen globaler Firmen. Zu den bedeutendsten Unternehmen gehörtBitė Lietuva, eine der größten Telekommunikationsfirmen in den baltischen Staaten, undOmnitel, der größte litauische Mobilfunk-Betreiber sowieLietuvos energija, ein staatlich kontrollierter Energieversorger und dieLietuvos geležinkeliai, die größte Eisenbahngesellschaft Litauens. DieNASDAQ OMX Vilnius ist die einzige Börse in Litauen. Sie wurde 1993 gegründet und wird von der BörsengruppeOMX geführt. Die FirmaGEALAN Fenster-Systeme aus demOberfränkischenOberkotzau (Deutschland) hat in der Stadt einen seiner vier Standorte, an denen Fensterprofile produziert werden.
Die Online-Handelsplattform für KleidungVinted, früher auch unterKleiderkreisel bekannt, hat ihren Sitz in Vilnius. DieVinted Limited ist ein international tätiges Unternehmen, welches in 16 Ländern in Europa und Nordamerika vertreten ist und 2022 über 65 Millionen Mitglieder hatte.
In einer Rangliste der Städte nach ihrer Lebensqualität belegte Vilnius im Jahre 2018 den 81. Platz unter 231 untersuchten Städten weltweit.[28]
Die litauische Hauptstadt liegt verkehrstechnisch auf Grund ihrer Nähe zur stark abgesichertenEU-Außengrenze zu Belarus in einer Art „totem Winkel“. Die wichtigsten Verkehrsströme vom Baltikum in die restliche EU verlaufen überKaunas. Von dort führt eine Schnellstraße ins 100 Kilometer entfernte Vilnius. Außerhalb der Stadt werden zurzeit viele neue Straßen gebaut, mit dem Ziel, die Straßen innerhalb der Stadt zu entlasten.
In unmittelbarer Nähe der Stadt befindet sich der internationaleFlughafen Vilnius. Im deutschsprachigen Raum werden München, Frankfurt/Main, Wien, Berlin, Bremen, Karlsruhe, Nürnberg, Hamburg, Düsseldorf und Dortmund angeflogen.
Seit September 2017 wird in Vilnius dieMobilitäts-AppTrafi fürSmartphones eingesetzt.[29][30] Diese Applikation eines litauischenStart-up-Unternehmens ermöglicht ihren Nutzern, in Echtzeit zwischen mehreren Alternativen an Transportmittel und -wegen durch die litauische Hauptstadt auszuwählen. Dabei kann er alle in der Stadt verfügbaren Verkehrsmittel zentral buchen und bezahlen. Die entstehenden Bewegungsdaten werden anonymisiert von der Stadtverwaltung zur Verkehrsplanung und ihrer Verbesserung verwendet.
Gedenktafel für Stephan Báthory im Campus der Universität von Vilnius
DieUniversität Vilnius(Vilniaus universitetas, VU) geht auf ein 1569 eröffnetes Jesuitenkolleg zurück, das 1579 vonStephan Báthory anlässlich seiner Wahl zum litauischen Großfürsten zur Akademie erhoben wurde. Die Vilniuser Universität ist die älteste Universität imBaltikum. (Die älteste Universität in Mitteleuropa ist dieKarls-Universität Prag.) Sie steht gegenüber demPräsidentenpalast.
Im Zuge der jüdischen Bildungsreform desRussischen Kaiserreiches wurde 1847 dasRabbinerseminar Wilna gegründet, bildete Lehrer und Rabbiner für den Staatsdienst aus und gehörte zu den ersten höheren jüdischen staatlichen Schulen. Das Seminar bestand bis 1873 und wurde anschließend in ein Lehrerinstitut umgewandelt.
1925 wurde in Vilnius dasYIVO (Yidisher visnshaftlekher institut) gegründet. Das YIVO war die erste akademische Einrichtung zum Studium desJiddischen und derostjüdischen Kultur. 1940 verlegte es, angesichts der Zeitumstände, seinen Sitz nach New York, wo es bis heute besteht.
Im Juni 2005 ist dieEuropäische Humanistische Universität von Belarus (wo sie 2004 aus politischen Gründen geschlossen wurde) nach Vilnius übergesiedelt und wird dort als vorläufigeExiluniversität geführt. Sie ist einePrivatuniversität und bietet Europastudien, Sprach- und Politikwissenschaften an.
Angeführt sind Personen, die in Vilnius geboren wurden, gestorben sind oder hier begraben liegen und die mit der Stadt eine persönliche Verbindung aufweisen.
Paul Weber:Wilna eine vergessene Kunststätte, mit 2 Farbtafeln, 135 Textbildern und einem Plan der Altstadt, Verlag der Zeitung der10. Armee Wilna 1917. Für den Buchhandel in Deutschland Verlag von Nr. Piper u. Co. München[31]
Janusz Dunin-Horkawicz:Wilna – verlorene Heimat. Erinnerungen eines polnischen Bibliothekars (1933–1945) (= Kleine historische Reihe, Bd. 11). Laurentius Verlag, Hannover 1998,ISBN 3-931614-94-8.
David E. Fishman:Dem Feuer entrissen. Die Rettung jüdischer Kulturschätze in Wilna. Deutsch-jiddische Ausgabe. Laurentius, Dehmlow 1998,ISBN 3-931614-97-2.
Sima Skurkovitz:Sima. Bericht einer jüdischen Frau aus Vilnius über die Zeit des Naziterrors. C. Weihermüller, Leverkusen 2002,ISBN 3-929325-05-5.
Sem C. Sutter:The Lost Jewish Libraries of Vilna and the FrankfurtInstitut zur Erforschung der Judenfrage. In: James Raven (Hrsg.):Lost Libraries. The Destruction of Great Book Collections since Antiquity. Basingstoke, NY, 2004, S. 219–235.
Benjamin Anolik:Lauf zum Tor mein Sohn. Von Wilna durch das Ghetto Wilna und sechs Lager in Estland (= Edition Shoáh & Judaica, Bd. 3). Hartung-Gorre, Konstanz 2005,ISBN 3-86628-020-3.
Genrich Agranovskij:Vilnius: Memorable Sites of Jewish History and Culture. Vilna Gaon Jewish State Museum, Vilnius 2005,ISBN 9955-9556-6-X.
Gudrun Schroeter:Worte aus einer zerstörten Welt. Das Ghetto in Wilna. Röhrig Universitätsverlag, St. Ingbert 2008,ISBN 978-3-86110-448-3 (Dissertation, FU Berlin 2007).
Tomas Venclova:Vilnius. Eine Stadt in Europa. Übersetzt von Claudia Sinnig. Suhrkamp (= Edition Suhrkamp, 2473), Frankfurt am Main 2006,ISBN 3-518-12473-0.
↑Lutz D. Schmadel:Dictionary of Minor Planet Names. Fifth Revised and Enlarged Edition. Hrsg.: Lutz D. Schmadel. 5. Auflage.Springer Verlag,Berlin,Heidelberg 2003,ISBN 3-540-29925-4,S.186,doi:10.1007/978-3-540-29925-7_3073 (englisch, 992 S., Originaltitel:Dictionary of Minor Planet Names. Erstausgabe: Springer Verlag, Berlin, Heidelberg 1992):“1978 RS1. Discovered 1978 Sept. 5 by N. S. Chernykh at Nauchnyj.”
↑Timothy Snyder:The Reconstruction of Nations: Poland, Ukraine, Lithuania, Belarus, 1569–1999. Yale University Press, New Haven 2004,ISBN 0-300-10586-X, S. 62.
↑Gotthold Rhode:Geschichte Polens. Ein Überblick. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt, 3., verbesserte Auflage 1980,ISBN 3-534-00763-8, S. 473.
↑Tauber/Tuchtenhagen (2008), S. 16 f., 21 f. und 33.
↑Paul Robert Magocsi:Historical Atlas of Central Europe. From the early fifth century to the present. University of Washington Press, Seattle 2002.
↑Zu Ursachen und Folgen des Attentats sieheAnke Hilbrenner.Hirš Lekerts Rache. Gewalteskalation an der Peripherie des Zarenreichs Um 1900. InOsteuropa, Heft 4/2016:Explosive Melange. Terrorismus und imperiale Gewalt in Osteuropa, S. 7–18.
↑Georges Scelle:La situation juridique de Vilna et de son territoire. Étude sur le différend polono-lithuanien et la force obligatoire de la décision de la Conférence des Ambassadeurs du 15 mars 1923. In:Revue générale de droit international public, Jg. 35 (1928), S. 730–780.
↑Norman Ridley:The horror of Himmler’s death squads. The Einsatzgruppen and the Holocaust in the Baltics. Frontline Books, Barnsley 2024,ISBN 978-1-0361-0670-6, Foto nach S. 122.
↑Norman Ridley:The horror of Himmler’s death squads. The Einsatzgruppen and the Holocaust in the Baltics. Frontline Books, Barnsley 2024,ISBN 978-1-0361-0670-6, S. 99.
↑Maschke, Erich (Hrsg.):Zur Geschichte der deutschen Kriegsgefangenen des Zweiten Weltkrieges. Verlag Ernst und Werner Gieseking, Bielefeld 1962–1977.
↑Volker Hagemann:Riga, Tallinn, Vilnius. Rundgänge durch die Metropolen des Baltikums. Trescher, Berlin 2008,ISBN 978-3-89794-105-2, S. 218.