Das Königreich Bulgarien hatte im Anschluss an denRussisch-Osmanischen Krieg von 1877–1878 als Fürstentum seine Unabhängigkeit vomOsmanischen Reich gewonnen, die auf demBerliner Kongress 1878 bestätigt wurde. In der Folgezeit kam es mehrfach zu kriegerischen Auseinandersetzungen mit demKönigreich Griechenland sowie demKönigreich Rumänien und demKönigreich Serbien, die beide ebenfalls seit dem Berliner Kongress offiziell als unabhängig galten. In die territorialen Streitigkeiten griffen auch Frankreich und Großbritannien ein, die den regionalen Einflussgewinn der bulgarischen SchutzmachtRussland zurückzudrängen versuchten.ImErsten Balkankrieg 1912 ging Bulgarien gemeinsam mit Serbien, Griechenland undMontenegro gegen das Osmanische Reich vor, dessen Territorium in Europa im anschließendenLondoner Vertrag weitestgehend an das siegreiche Bündnis fiel. Über die konkrete Aufteilung des eroberten Gebiets kam es 1913 zum Zweiten Balkankrieg, in dem Bulgarien den einstigen Bündnispartnern, dem Osmanischen Reich und Rumänien allein gegenüberstand. Die nach dem Ersten Balkankrieg erzielten Gebietsgewinne verlor Bulgarien imFrieden von Bukarest weitestgehend wieder.Nach den Balkankriegen war Bulgarien in der Region isoliert. Um den erlittenen Gebietsverlust zu revidieren, trat das Königreich im Oktober 1915 an der Seite derMittelmächte in denErsten Weltkrieg ein. Als sich im Sommer 1918 die Niederlage dieser Kriegspartei abzeichnete, schied Bulgarien am 29. September 1918 imWaffenstillstand von Thessaloniki aus dem Krieg aus.
Bulgarien musste nach den Bestimmungen des Vertrages folgende Gebietsabtretungen leisten:
Westthrakien kam unter die Administration derEntente, mit ihm auch die wichtige Hafenstadt Dedeagatsch (heute:Alexandroupoli). Somit verlor Bulgarien den Zugang zurÄgäis anGriechenland.
Die imFrieden von Bukarest festgelegte rumänisch-bulgarische Grenze von 1913 wurde wiederhergestellt; Rumänien erhielt die 1913 annektierte und im Mai 1918 abgetreteneSüddobrudscha zurück (sie ging imVertrag von Craiova 1940 dann wieder an Bulgarien zurück).
Die bulgarische Armee darf nicht die Anzahl von 20.000 Soldaten überschreiten (Artikel 66)
Für die Gewährleistung der inneren Sicherheit darf Bulgarien über eine 10.000 Mann starkeGendarmerie verfügen sowie über eine 3.000 Mann starke Grenztruppe (Artikel 69)
Weiterhin waren Reparationen in der Höhe von 400 Millionen Dollar zu bezahlen.
Teil dieses Vertrags war eine Regelung zum Bevölkerungsaustausch zwischen Griechenland und Bulgarien. Bulgarien und Griechenland unterzeichneten eineKonvention über die gegenseitige und freiwillige Emigration, die allerdings kein Rückkehrrecht vorsah. Es verließen 53.000 Bulgaren Griechenland und 39.000 Griechen Bulgarien (nach dem Ersten Weltkrieg waren insgesamt 46.000 Griechen aus Bulgarien ausgewandert).[1] 1927 wurde zur Regelung finanzieller Fragen zwischen Bulgarien und Griechenland dasMollow-Kaphantaris-Abkommen unterzeichnet.
Erik Goldstein:The First World War Peace Settlements, 1919–1925. Longman, London u. a. 2002,ISBN 0-582-31145-4.
Björn Opfer-Klinger:Der Friedensvertrag mit Bulgarien in Neuilly-sur-Seine am 27. November 1919. In: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht, Jg. 70, 2019, Heft 5–6, S. 291–307.
Björn Opfer-Klinger:Der lange Schatten des Friedensvertrages von Neuilly-sur-Seine mit Bulgarien 1919. In: Halbjahresschrift für Geschichte und Zeitgeschehen in Zentral- und Südosteuropa, 2017–2018, Band 1/2, 29. und 30. Jahrgang, S. 48–95,ISBN 978-3-9820382-3-0.