Ungarndeutsche
Der BegriffUngarndeutsche (ungarischMagyarországi németek) ist ein Sammelbegriff für die deutschstämmigen bzw. deutschsprachigen BewohnerUngarns. Heute wird er vorwiegend von Menschen in Anspruch genommen, die sich zu denDonauschwaben in den bestehenden oder historischen Grenzen Ungarns zählen.

Allgemeines
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]„Ungarndeutsche“ nennt man allgemein die Nachfahren der einst insKarpatenbecken eingewanderten Deutschen. Der Begriff Ungarndeutsche kann historisch auch Bevölkerungsgruppen außerhalb des heutigen Ungarn einschließen, da dasKönigreich Ungarn mit demVertrag von Trianon (1920) wesentlich verkleinert wurde, als große Gebiete Ungarns an die Nachbarstaaten fielen.
Zu beachten ist auch, dass sich in der Vergangenheit nicht alle deutschsprachigenVolksgruppen in gleicher Weise und Intensität mit dem ungarischen Staat identifizierten. Zumeist bezeichnet im heutigen Sprachgebrauch der Begriff „Ungarndeutsche“ daher nur einen Teil der deutschsprachigen Bevölkerungsgruppen im ehemaligen Königreich Ungarn.
Historisch wanderten die Deutschen in mehreren Wellen zu verschiedenen Zeiten in das Karpatenbecken ein. Es entstanden auf dem Gebiet des damaligen Ungarn deutsche Sprach- und Siedlungsgebiete. Seit derVertreibung 1946–1948 leben Ungarndeutsche (oder Deutsche aus Ungarn) auch inDeutschland,Österreich oder in Übersee (zum Beispiel inBrasilien oder in denUSA).
Geschichte
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Um das Jahr 1000 kamen erstmals deutsche Ritter in Begleitung der HerzoginGisela von Bayern, Königin von Ungarn, in das Karpatenbecken. Gisela war die Frau des ersten ungarischen KönigsSt. Stephan. Er gründete dasKönigreich Ungarn und wurde 1001 formell als König von Ungarn anerkannt, als PapstSilvester II. ihm den Titel „Apostolische Majestät“ verlieh. Er regierte bis zu seinem Tod 1038.
Im Mittelalter siedelten sich deutschsprachige (anfangs in Folge derKreuzzüge daneben auch französisch- und italienischsprachige) Siedler alsSiebenbürger Sachsen im heutigenRumänien an, und später in derZips (heuteSlowakei) alsZipser Sachsen. Daneben kamen beim Ausbau einiger ungarischer Handelsknotenpunkte zu mittelalterlichen Handelsstädten, wieBuda,Gran,Fünfkirchen,Stuhlweißenburg oderKaschau ein vorwiegend deutschsprachiges und anderes westeuropäisches Städtebürgertum in diese Zentren, deren Anteil im Laufe der Frühneuzeit aber durchAssimilation deutlich zurückging oder komplett verschwand. Ähnlich wurden die vom Bergbau lebendenoberungarischen undniederungarischen Bergstädte in der heutigen Slowakei im Mittelalter vorwiegend von deutschsprachigen Bergleuten, anderen Handwerkern und Städtebürgern besiedelt, die ebenso meistens nach Niedergang des Bergbaus ab 16./17. Jahrhundert ihren vorwiegend deutschsprachigen Charakter verloren. Ausnahmen bildeten jene Städte, deren dörfliches Einzugsgebiet auch deutschsprachig war und deshalb alsSprachinseln bis ins 20. Jahrhundert erhalten blieben. Das waren in der Slowakei dasHauerland als kleines Restgebiet der einstigen niederungarischen Bergstädte, die Unterzips und Umgebung als Rest der meisten oberungarischen Bergstädte und schließlich Teile der Oberzips als Rest der dort einst florierenden Handelsstädte. Schließlich hatte der Westrand Ungarns an der Grenze nach Österreich, die Regionen umPressburg und das heute österreichischeBurgenland schon Anschluss an den geschlossen deutschsprachigen Raum, deutschsprachigen Bewohner lebten hier aber (wie auch in der Zips und in Siebenbürgen) in Gemengelage mit anderssprachigen (hier: slowakischen, ungarischen, slowenischen und später auchburgenlandkroatischen) Bevölkerungsgruppen. Praktisch alle diese mittelalterlichen Ansiedlungen werden in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts nicht mehr zu den Ungarndeutschen gezählt, leben entweder seit dem Ersten Weltkrieg außerhalb der ungarischen Grenzen oder wurden schon in der Frühneuzeit assimiliert.
Die größte Einwanderungswelle ins ungarische Tiefland erfolgte nach dem Ende derTürkenherrschaft infolge derSchlacht bei Mohács. Zwischen 1700 und 1750 kamen deutsche Siedler ausSüddeutschland,Österreich undSachsen in die nach denTürkenkriegen zum Teil menschenleeren GebietePannoniens, desBanat und derBatschka und trugen entscheidend zur wirtschaftlichen Erholung und kulturellen Eigenart dieser Regionen bei (siehe HauptartikelSchwabenzug).
Ende des 18. Jahrhunderts lebten im damaligenVielvölkerstaat Ungarn mehr als eine Million Deutsche, die vor allem in der Landwirtschaft tätig waren. Es gab aber auch eine blühende deutsche Kultur mit literarischen Werken, Zeitungen, Zeitschriften, und Kalendern in den Städten. DasDeutsche Theater inBudapest bestand von 1812 bis 1849. Vor dem Ersten Weltkrieg lebten etwa 1,5 Millionen Donauschwaben im Königreich Ungarn, deren Siedlungsgebiete 1919 zwischen den Staaten Ungarn,Jugoslawien undRumänien aufgeteilt wurde. Viele von diesen wurden nach 1945 vertrieben.
Im 19. Jahrhundert bildeten sich „deutsche Industriezweige“ wie Glasbläser, Metallgießer, Steinmetze heraus. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts befolgte auch das städtische deutsche Bürgertum, um seine wirtschaftlichen Interessen zu wahren, dieMagyarisierungspolitik und passte sich demUngartum an. So wurde die deutsche Sprache allmählich durch die ungarische ersetzt.
Nach demErsten Weltkrieg gehörte Ungarn zu den Verlierern. Österreich-Ungarn hatte 1879 mit dem Deutschen Kaiserreich denZweibund geschlossen. 1882 wurde der Zweibund durch den BeitrittItaliens zum Dreibund erweitert. Italien wechselte beimLondoner Vertrag (1915) aus expansionistischen Interessen auf die Seite der Alliierten.
Ungarn verlor 1920 imVertrag von Trianon, den es unter Protest unterschrieb, 70 Prozent seiner Gebiete, die von Nachbarstaaten annektiert wurden. Die Zahl der Deutschen im Staat Ungarn wurde dadurch mehr als halbiert.

Region | Stadt | 1888 | 1910 | ||
---|---|---|---|---|---|
Zahl | Prozent | Zahl | Prozent | ||
Budapest | 119902 | 33 | 75882 | 8,9 | |
Oberungarn | Kaschau | 4358 | 16,7 | 3189 | 7,2 |
Neusohl | 1434 | 20 | 879 | 8,9 | |
Schemnitz | 1572 | 10,3 | 453 | 3 | |
Tyrnau | 2861 | 26,4 | 2280 | 15 | |
Zips | Käsmark | 3326 | 74,4 | 3242 | 51,4 |
Göllnitz | 3210 | 73,8 | 2095 | 54,7 | |
Zipser Neudorf | 2348 | 31,2 | 1786 | 17 | |
Westungarn | Pressburg | 31492 | 65,6 | 32790 | 41,9 |
Ödenburg | 17115 | 73,7 | 17318 | 51,1 | |
Güns | 5460 | 74,8 | 3066 | 36,4 | |
Südungarn | Fünfkirchen | 5121 | 18 | 6356 | 13,5 |
Neusatz | 5353 | 25,1 | 5918 | 17,6 | |
Werschetz | 12839 | 57,5 | 13556 | 49,6 | |
Weißkirchen | 6825 | 69,4 | 6062 | 52,6 | |
Temesvár | 18539 | 56,6 | 31644 | 43,6 | |
Siebenbürgen | Kronstadt | 9599 | 32,4 | 10841 | 26,5 |
Hermannstadt | 14061 | 72,3 | 16832 | 50,2 | |
Mediasch | 3470 | 53,4 | 3866 | 44,8 | |
Bistritz | 4954 | 61,4 | 5835 | 45 |
Zeit zwischen den Weltkriegen
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]Gegen denMagyarisierungsdruck auf Staats- und Schulebene wehrte sich der „Ungarnländische Deutsche Volksbildungsverein“ 1924 unter der Leitung vonJakob Bleyer mit geringem Erfolg. In dieser Situation hofften die Deutschen in Ungarn zur Verbesserung ihrer sprachlichen Situation auf Hilfe von außen. Nach HitlersMachtergreifung im Januar 1933 wurde das Deutschtum in Ungarn zum politischen Spielball zwischen demHorthy-Regime und demNS-Regime.
Zweiter Weltkrieg
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]Die Ungarndeutschen wurden von 1938 bis 1945 unterFranz Anton Basch durch den nationalsozialistisch ausgerichtetenVolksbund der Deutschen in Ungarn vertreten. Als die vonMiklós Horthy geführte Regierung angesichts der sicheren Niederlage Ende 1944 geheime Waffenstillstandsverhandlungen mit derSowjetunion führte, putschten diePfeilkreuzler und versuchten, ein nationalsozialistisches Regime zu errichten. Im Waffenstillstandsabkommen vom 20. Januar 1945 musste Ungarn sich einer Alliierten Kontrollkommission unter Vorsitz der Sowjetunion unterstellen. Dieses Waffenstillstandsabkommen verpflichtete Ungarn zur aktiven Mithilfe bei der Verfolgung, Verhaftung und Verurteilung von Kriegsverbrechern. Alle Hitlerfreundlichen oder andere politischen, militärischen und paramilitärischen Organisationen der Ungarn und Ungarndeutschen waren aufzulösen.
Nachkriegszeit
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden viele Ungarndeutsche zurZwangsarbeit in die Sowjetunion verschleppt, oder in Ungarn nach Entnazifizierungsverfahren enteignet, entrechtet und zwischen 1946 und 1948 nach Deutschland, zuerst in die amerikanische, später in die sowjetische Besatzungszone vertrieben.
1945 wurde per Gesetz eineBodenreform mit kommunistisch-sozialistischer Zielsetzung durchgeführt. Dabei wurde auch der Grundbesitz aller Mitglieder desDeutschen Volksbundes entschädigungslos enteignet. Eine Verordnung vom 1. Juli 1945 organisierte die Überprüfung auf nationalsozialistische Belastung, der vor allem die deutsche Minderheit unterzogen wurde.Es gab ein vierstufiges Kategorienschema:
- Kategorie 1: Führende Mitglieder einer „Hitler-Organisation“. Dazu zählten die Mitglieder der Waffen-SS
- Kategorie 2: einfache Parteimitglieder und solche, die ihren magyarisierten Namen regermanisiert hatten
- Kategorie 3: Unterstützer von „Hitler-Organisationen“
- Kategorie 4: Personen, die „ihre Vaterlandstreue und demokratische Gesinnung nicht unter Beweis gestellt“ hatten
Der Grundbesitz der in den Kategorien 1–3 erfassten Personen war für die Ansiedlung von ungarischen Flüchtlingen bestimmt, die aus Nachbarstaaten geflohen oder vertrieben worden waren.[2]
Am 29. Dezember 1945 verfügte die ungarische Regierung, dass diejenigen ungarischen Staatsbürger nach Deutschland „umzusiedeln“ seien, die sich bei derVolkszählung von 1941 zur deutschen Nationalität oder Muttersprache bekannt oder die Magyarisierung ihres Namens rückgängig gemacht hätten, Mitglied des Volksbundes oder einer bewaffneten deutschen Formation gewesen waren. Diese Ausweisung beruhte auf Artikel XIII desPotsdamer Abkommens, das dieÜberführung der deutschen Bevölkerung oder Bestandteile derselben, die in Polen, Tschechoslowakei und Ungarn zurückgeblieben sind, nach Deutschland festlegte.[3]
Die Volkszählung 1941 hatte im Gebiet von Trianon-Ungarn rund 477.000 Personen deutscher Muttersprache erfasst, 300.000 hatten sich zur deutschen Nationalität bekannt. Rund 100.000 hatten der SS angehört, viele davon waren gefallen oder in Kriegsgefangenschaft. Dem Volksbund und seinen Organisationen hatten im Herbst 1942 (im vergrößerten Ungarn) rund 300.000 Angehörige der deutschen Minderheit angehört. Etwa 60.000 bis 70.000 waren bereits zusammen mit der Wehrmacht geflohen, darunter zahlreiche SS-Mitglieder und ihre Familien sowie Volksbund-Mitglieder.[4]
István Bibó, 1945 Innenminister Ungarns, wandte sich in mehreren Denkschriften gegen die Vertreibung der Ungarndeutschen. 1946 äußerte István Bibó hierzu unter anderem: „Wir tun jetzt mit ihnen nichts anderes als vor einem Jahr mit unseren Juden.“[5] Ende 1945 trat er aus Protest zurück.[6]
Am 1. Juni 1946 wurden die Transporte in dieAmerikanische Besatzungszone von den Amerikanern gestoppt, weil Ungarn das zurückgelassene Vermögen der Deutschen auf seine Reparationsverpflichtung anrechnen lassen wollte, was die Amerikaner nicht anerkannten. In dieser ersten Phase wurden bis zu 130.000 Ungarndeutsche[7] nach Deutschland verbracht.
Nachdem die Sowjetunion sich bereit erklärt hatte, weitere Ungarndeutsche aufzunehmen, wurden von August 1947 bis Juni 1948 weitere 33 Transporte organisiert. Etwa 50.000 aus Südungarn kamen in diesowjetische Zone, überwiegend in dieAuffanglager in Sachsen, in die Graue Kaserne inPirna.[8]
Ab etwa August 1946 spielten die Überprüfungskommissionen, die sehr langsam arbeiteten, bei der Ausweisung nur noch eine geringe Rolle. Oftmals mussten unbelastete Deutsche Ungarn verlassen. Dagegen konnten Mitglieder des Volksbunds bleiben. Er hatte sich vor allem aus armen Bauern und nichtorganisierten Arbeitern rekrutiert. Die ungarischen Kommunisten bewahrten diese Schichten vor der Ausweisung, zielten stattdessen auf vermögende und grundbesitzende Bauern als potentielle Gegner eines sozialistischen Umbaus Ungarns.[9]
Alles in allem hat Ungarn, das durch das Potsdamer Abkommen ermächtigt war, seine gesamte deutsche Bevölkerung auszusiedeln, etwa die Hälfte von ihnen ausgewiesen.[10]
Situation bis zur Wende
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]Nach der Vertreibung der Deutschen zwischen 1945 und 1948 wurden die verbleibenden Deutschen in Ungarn durch die Aberkennung ihrer Staatsbürgerschaftstaatenlos. Erst ab 1950 bekamen siePersonalausweise und wurden als Staatsbürger anerkannt. Von 1950 bis 1956 folgte die Periode der totalen Diktatur, in der neben den „Kulaken“ (reiche Bauern) auch die Ungarndeutschen als Staatsfeinde betrachtet wurden. Beim ungarischen Militär bekamen die ungarndeutschen Männer oftmals keine Waffen und wurden in diesem Bereich auch nicht ausgebildet, weil sie nicht als vertrauenswürdig angesehen wurden, stattdessen mussten sie etwa drei Jahre Arbeitsdienst ableisten. Zahlreiche Beispiele zeigen, dass Ungarndeutsche an den Universitäten nicht studieren durften oder ihre Studien wegen ihrer ethnischen Herkunft abbrechen mussten. Deutschfeindliche Äußerungen wie „Wer ungarisches Brot isst, soll Ungarisch sprechen“ waren bis in die 1970er Jahre keine Seltenheit. DieDiskriminierungen führten dazu, dass 1956 nach demungarischen Volksaufstand viele Ungarndeutsche das Land verließen und nach Österreich, Deutschland, die USA, Kanada oder Australien auswanderten.
Während der als „Gulaschkommunismus“ bezeichneten Periode der gesellschaftlichen Liberalisierung unter dem Partei-GeneralsekretärJános Kádár bekamen die Minderheiten in Ungarn, auch die Deutschen, bestimmte bescheidene Rechte zur Pflege ihrer Kultur. 1955 wurde derVerband der Ungarndeutschen gegründet, der in dem von der ungarischen Regierung zugelassenen Rahmen versuchte, die Interessen der deutschen Minderheit zu vertreten. Dass in den Schulen kaum Deutschunterricht angeboten wurde, hatte zur Folge, dass „eine stumme Generation“ aufwuchs, die der deutschen Sprache nicht mehr mächtig war oder allenfalls ein wenig Mundart verstand. Einungarndeutsches Museum wurde 1972 inTata eröffnet. Mitte der 1980er Jahre wurde jedochDeutsch als Nationalitätensprache/Minderheitensprache als ein spezielles Unterrichtsfach in zahlreichen Schulen eingeführt.[11]
So konnte nun in den BereichenVolkskunde,Mundarten,Zweisprachigkeit,Sprachkontakt,Interkulturalität wissenschaftlich geforscht werden. Beispiele hierfür sind die Arbeiten vonKarl Manherz,Elisabeth Knipf-Komlósi,Maria Erb in Budapest,Csaba Földes in Wesprim/Veszprém, oderKatharina Wild in Fünfkirchen/Pécs. Es entwickelte sich eineungarndeutsche Literatur. Die Zahl der zweisprachigen Schulen, vor allem der Gymnasien, wuchs. Zudem wurden deutsche Chöre, Tanzgruppen etc. ins Leben gerufen.
Entwicklung nach der Wende
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Nach demFall des Kommunismus wurden weitere ungarndeutsche Vereine gegründet.
1993 wurde das Gesetz Nr. LXXVII/1993 über die Rechte der nationalen und ethnischen Minderheiten[12] verabschiedet, das die Einrichtung von Minderheitenselbstverwaltungen in Ungarn vorsah. Nach den Wahlen der Minderheitenselbstverwaltungen vom Dezember 1994 wurde auf der Elektorenversammlung der deutschen Minderheit am 11. März 1995 die Landesselbstverwaltung der Ungarndeutschen gewählt. Bis November 1995 entstanden 164 deutsche Minderheiten-Selbstverwaltungen, deren Dachorganisation auf Grundlage des Minderheitengesetzes von 1993 beziehungsweise des 2011 an seine Stelle getretenen Nationalitätengesetzes[13] dieLandesselbstverwaltung der Ungarndeutschen (LdU) ist. Bei der Parlamentswahl in Ungarn 2018 erreichte die LdU aufgestellte Liste ausreichend Stimmen für ein Parlamentsmandat, undEmmerich Ritter zog als Vertreter der Ungarndeutschen ins neue Parlament ein.[14]
Heutige Lage
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Der ehemalige Parlamentsbeauftragte für Minderheitenrechte in Ungarn, Jenő Kaltenbach, kommentierte die gegenwärtige Lage der Minderheiten in Ungarn als „gesellschaftlich weitgehend integriert (assimiliert), in keinem geschlossenen Siedlungsgebiet lebend, zahlenmäßig klein, kein ausgeprägtes Identitätsbewusstsein, eher eine Doppelidentität“. Sein Fazit war, dass derAssimilationsprozess der Ungarndeutschen und der einhergehende Verlust der Muttersprache trotz einiger positiver Impulse in der letzten Zeit kaum rückgängig gemacht werden kann. In jüngster Zeit konnte jedoch in zahlreichen Orten ein Trend zur ungarndeutschen Minderheiten-Selbstverwaltung beobachtet werden.
Die Zahl der deutschsprachigen Ungarndeutschen lag bei der Volkszählung von 2001 bei 62.233. Inklusive der assimilierten Ungarndeutschen wird ihre Zahl auf über 200.000 geschätzt. Eine Volksbefragung im Jahr 2011 ergab eine Zahl von 132.000 Personen, die als ihre nationale ZugehörigkeitDeutsch angaben, sowie 32.000 Ungarn, die als ihre Muttersprache Deutsch angaben.[15] 96.000 Ungarn gaben an, zu Hause deutsch zu sprechen.[16]
Es gibt eine Reihe von Ortschaften mit deutscher Minderheit, deren Ortsschilder zweisprachig beschriftet sind. Straßenschilder sind dagegen in der Regel einsprachig. Ausnahmen sindÖdenburg (Sopron, 2011 offiziell 5,7 % Ungarndeutsche) undWerischwar (Pilisvörösvár, offiziell 28 % Ungarndeutsche), wo auch Schilder mit deutschen Straßennamen zu sehen sind.
Im Oktober 2011 kündigte der Fraktionsvorsitzende der regierendenFidesz-Partei, János Lázár in einem Interview mit der ZeitungDie Welt an, die Rechte der deutschen Minderheit stärken zu wollen. Diese sollten eigene Abgeordnete ins Parlament entsenden dürfen, eine Regelung, welche auch anderen Minderheiten Ungarns zugutekommen soll.[17] Im Dezember 2012 beschloss das Parlament eine Vorlage der FIDESZ-Regierung, nach der jährlich einGedenktag für die Vertreibung der Ungarndeutschen abgehalten wird. Dieser fand erstmals am 19. Januar 2013 statt.[18] Seit derParlamentswahl 2018 sitzt ein Vertreter derLandesselbstverwaltung der Ungarndeutschen (LdU) im Budapester Parlament. Die LdU steht der regierenden Fidesz-Partei nahe. Er wurde2022 wiedergewählt.
Bei der ungarischen Volkszählung 2011 hatten folgende Gemeinden einen Anteil über 40 % an deutschstämmiger Bevölkerung:[19]
Gemeinde | Komitat | Anteil |
---|---|---|
Ohwala (Ófalu) | Baranya | 83,5 % |
Ganna | Veszprém | 62,9 % |
Großdorf (Vaskeresztes) | Vas | 59,5 % |
Ketsching (Görcsönydoboka) | Baranya | 56,0 % |
Trautsondorf (Hercegkút) | Borsod-Abaúj-Zemplén | 55,6 % |
Roggendorf (Kiszsidány) | Vas | 52,9 % |
Nimmersch (Himesháza) | Baranya | 50,5 % |
Nadasch (Mecseknádasd) | Baranya | 50,2 % |
Altglashütte (Óbánya) | Baranya | 49,6 % |
Sagetal (Szakadát) | Tolna | 49,4 % |
Deutschhütten (Németbánya) | Veszprém | 47,1 % |
Kischnaard (Kisnyárád) | Baranya | 46,4 % |
Pernau (Pornóapáti) | Vas | 45,6 % |
Jerking (Györköny) | Tolna | 44,0 % |
Tschasartet (Császártöltés) | Bács-Kiskun | 42,6 % |
Großnaard (Nagynyárád) | Baranya | 41,8 % |
Nadwar (Nemesnádudvar) | Bács-Kiskun | 41,5 % |
Tscholnok (Csolnok) | Komárom-Esztergom | 40,7 % |
Gowisch (Villánykövesd) | Baranya | 40,9 % |
Schomberg (Somberek) | Baranya | 40,5 % |
Gereschlak (Geresdlak) | Baranya | 40,1 % |
Ungarndeutsche Medien und Kultur in Ungarn
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Die deutschsprachige Presse im Gebiet des heutigen Ungarns hat eine jahrhundertelange Tradition und ist heute sehr vielfältig. Das Angebot reicht von wissenschaftlichen Fachzeitschriften wieActa Archaeologica über dieBalaton-Zeitung für Touristen am Plattensee und dieBonnharder Nachrichten, einer Regionalzeitschrift für Ungarndeutsche, bis hin zumWiU magazin, das Berichte zum Wirtschaftsgeschehen in Ungarn liefert. Bedeutende Publikationen sind die WochenblätterBudapester Zeitung undNeue Zeitung. Letztere wird von der großen deutschen Minderheit herausgegeben und vom ungarischen Staat gefördert wie auch finanziert.
Die traditionsreiche TageszeitungPester Lloyd erschien nach einer Neugründung bis 2009 konventionell, seither aber nur mehr online.
Großer Beliebtheit erfreut sich auch das Sonntagsblatt aus Wudersch.[20] InSzekszárd befindet sich das deutschsprachige TheaterDeutsche Bühne Ungarn, das von dort alsLandesbühne seinenKulturauftrag erfüllt.
Ungarndeutsche Personen
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]- Erika Áts (1934–2020) – Dichterin
- Béla Bayer – Schriftsteller
- Jakob Bleyer (1874–1933) – Wissenschaftler und Politiker
- Georg Fath – Dichter
- Ludwig Fischer – Schriftsteller
- Alajos Hauszmann (1847–1926) – Architekt
- Otto Heinek (1960–2018) – Journalist und Politiker
- Ottó Herman (1835–1914) – Naturforscher
- Nándor Hidegkuti (1922–2002) – Fußballspieler
- József Hild (1789–1867) – Architekt
- Claus Klotz – Schriftsteller
- Wilhelm Knabel – Schriftsteller und Publizist († 1972)
- Valeria Koch – Schriftstellerin
- Ferenc Mádl (1931–2011) – ungarischer Staatspräsident (2000–2005)
- Josef Mikonya (1928–2006) – Schriftsteller
- Ferenc Puskás (1927–2006) – Fußballspieler
- Engelbert Rittinger – Schriftsteller
- Mathias Schneider – Richter
- Ignatz Schöckl (1855–1928) – Architekt
- Imre Steindl (1839–1902) – Architekt
- Johann Weidlein (1905–1994) – Wissenschaftler
- Franz Zeltner – Schriftsteller
- János Junker – Politiker
Siehe auch
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]- Landsmannschaft der Deutschen aus Ungarn
- Banater Schwaben
- Donauschwäbisches Zentralmuseum
- Schwäbische Türkei
Literatur
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]- Gerhard Seewann:Geschichte der Deutschen in Ungarn, Band 1:Vom Frühmittelalter bis 1860. Herder-Institut, Marburg 2013,ISBN 978-3-87969-373-3.
- Gerhard Seewann:Geschichte der Deutschen in Ungarn, Band 2:1860 bis 2006. Herder-Institut, Marburg 2012,ISBN 978-3-87969-374-0.
- Frank Spengler,Klaus Weigelt (Hg.):Ungarndeutsche als Brückenbauer in Europa.Konrad-Adenauer-Stiftung, Budapest 2014.
Weblinks
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]- Isten veled hazánk! – Gott mit Dir, unsere Heimat!, Dokumentarfilm über die Vertreibung der Ungarndeutschen, Laufzeit 15 Minuten, 30 Sekunden
- Landesselbstverwaltung der Ungarndeutschen
- Ungarndeutsches Kultur- und Informationszentrum Budapest
- Die deutsche Geschichte der Region um Sopron/Ödenburg mit den Dörfern Wandorf, Agendorf und Harkau
- Ungarndeutsches Pädagogisches Institut Fünfkirchen
- Publikationen des Germanistischen Instituts derPannonischen Universität Veszprém, Ungarn
- Linksammlung donauschwäbische/ungarndeutsche Vereine in Nordamerika
- Suevia Pannonica
- Gemeinschaft Junger Ungarndeutscher
- Verein Deutscher Hochschüler Budapest
Einzelnachweise
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]- ↑Bevölkerungsanteil der Deutschen in ausgewählten Städten, in: Herder-Institut (Hrsg.): Dokumente und Materialien zur ostmitteleuropäischen Geschichte. Themenmodul „Deutsche in Ungarn“, bearb. vonGerhard Seewann. URL:https://www.herder-institut.de/resolve/qid/364.html, abgerufen am 3. März 2018.
- ↑Margit Szöllösi-Janze:Pfeilkreuzler, Landesverräter und andere Volksfeinde. Generalabrechnung in Ungarn in: Klaus-Dietmar Henke, Hans Woller (Hrsg.):Politische Säuberung in Europa. Die Abrechnung mit Faschismus und Kollaboration nach dem Zweiten Weltkrieg, München 1991,ISBN 3-423-04561-2, S. 345 ff.
- ↑Mitteilung über die Dreimächtekonferenz von Berlin („Potsdamer Abkommen“) vom 2. August 1945
- ↑Margit Szöllösi-Janze:Pfeilkreuzler, Landesverräter und andere Volksfeinde. Generalabrechnung in Ungarn in: Klaus-Dietmar Henke, Hans Woller (Hrsg.):Politische Säuberung in Europa. Die Abrechnung mit Faschismus und Kollaboration nach dem Zweiten Weltkrieg, München 1991,ISBN 3-423-04561-2, S. 349
- ↑Norbert Spannenberger:Systemtransformation und politische Säuberungen in Ungarn 1944–1946, in:Mariana Hausleitner:Vom Faschismus zum Stalinismus. Deutsche und andere Minderheiten in Ostmittel- und Südosteuropa 1941–1953 (S. 107–120), S. 116. IKGS Verlag, München 2008.ISBN 978-3-9811694-0-9
- ↑Biografien wichtiger politischer Akteure. Bibó, István (1911–1979) (Memento vom 2. März 2008 imInternet Archive)
- ↑Mathias Beer:Flucht und Vertreibung der Deutschen. Voraussetzungen, Verlauf, Folgen, München 2011,ISBN 978-3-406-61406-4, S. 96
- ↑Mathias Beer:Flucht und Vertreibung der Deutschen. Voraussetzungen, Verlauf, Folgen, München 2011,ISBN 978-3-406-61406-4, S. 97
- ↑Margit Szöllösi-Janze:Pfeilkreuzler, Landesverräter und andere Volksfeinde. Generalabrechnung in Ungarn in: Klaus-Dietmar Henke, Hans Woller (Hrsg.):Politische Säuberung in Europa. Die Abrechnung mit Faschismus und Kollaboration nach dem Zweiten Weltkrieg, München 1991,ISBN 3-423-04561-2, S. 353
- ↑Mathias Beer:Flucht und Vertreibung der Deutschen. Voraussetzungen, Verlauf, Folgen, München 2011,ISBN 978-3-406-61406-4, S. 86
- ↑Wolfgang Aschauer:Zur Produktion und Reproduktion einer Nationalität – Die Ungarndeutschen, Stuttgart 1992 (=Erdkundliches Wissen, Bd. 107),ISBN 3-515-06082-0; ders.:Die Deutschen und/oder das Deutsche – Konvergenzen und Divergenzen in der (ländlichen) Lebenswelt der Ungarndeutschen, in: (Hg.) Márta Fata:Die Schwäbische Türkei. Lebensformen der Ethnien in Südwestungarn, Sigmaringen 1997 (=Schriftenreihe des Instituts für Donauschwäbische Geschichte und Landeskunde 5), S. 243–264
- ↑Gesetz Nr. LXXVII/1993 über die Rechte der nationalen und ethnischen Minderheiten
- ↑2011. évi CLXXIX. törvény a nemzetiségek jogairól. Auf Deutsch:Nationalitätengesetz
- ↑Országgyűlési képviselők választása 2018 – MNOÖ országos listája. Nemzeti Választási Iroda, abgerufen am 11. März 2018 (ungarisch).
- ↑Mehr Minderheiten in Ungarn, FAZ vom 9. April 2013, S. 5
- ↑Doppelt so viele Ungarndeutsche – Endergebnisse der Volkszählung 2011 in Ungarn veröffentlicht (Memento vom 24. Februar 2017 imInternet Archive) im Funkforum
- ↑Ungarn will Rechte der deutschen Minderheit stärken. In: Junge Freiheit. 4. Oktober 2011, archiviert vom Original am 7. Januar 2012; abgerufen am 6. Oktober 2011.
- ↑Ungarn hielt ersten Gedenktag an die Vertreibung der Ungarndeutschen ab. Auf: www.pesterlloyd.net, 21. Januar 2013
- ↑Magyarország helységnévtára. Abgerufen am 18. Januar 2022.
- ↑http://sonntagsblatt.hu/