Befragung
DieBefragung ist eine Methode vieler Wissenschaften und deren Forschungsrichtungen. Sie dient dazu, systematisch Informationen über Einstellungen, Meinungen, Wissen und Verhaltensweisen von Menschen zu gewinnen. Sie kann mündlich oder schriftlich (z. B. mittelsFragebogen), standardisiert oder frei erfolgen. Vor allem imJournalismus sowie für mündliche Befragungsmethoden in der Wissenschaft ist die BezeichnungInterview auch gebräuchlich. Die BegriffeUmfrage bzw.Meinungsumfrage sind vor allem in derPolitik oder derWirtschaft üblich, umrepräsentative Aussagen bezogen auf Gruppen oder die Gesamtbevölkerung zu erhalten. Diese können ebenfalls mündlich (z. B. Telefonumfrage) oder schriftlich erfolgen. Eine immer häufiger eingesetzte Form ist dieOnline-Befragung über dasInternet.
Bedeutung von Befragungen
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]Befragungen sind ein klassisches Instrument vieler Wissenschaftsdisziplinen, beispielsweise derempirischen Sozialwissenschaft, derWirtschaftswissenschaften, derBildungswissenschaft, derPsychologie, derSprachwissenschaft (Sprachatlas,Mundartforschung), derVolkskunde (Gewährsleute,Oral History), und in derGeschichtswissenschaft (Zeitzeugen, Technikgeschichte, Sozialgeschichte). Interviews werden außerdem in derMeinungsforschung und in derMarktforschung eingesetzt, um ein Meinungsbild einer größerenPopulation (beispielsweise der Bevölkerung einer Region oder eines ganzen Landes) zu bestimmten Themen, Zeitfragen oder Produkten zu erhalten.
Einen Bedeutungsaufschwung erhielt die in den 1920er Jahren in den USA durchGallup-Institute eingeführte Methode, bei der – anders als zuvor – nicht mehr auf schiere Masse der Befragten, sondern auf die möglichst repräsentative Auswahl der Befragten Wert gelegt wurde.
Befragungsformen der Sozialwissenschaften
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]Unterscheidungskriterium für die Formen der Befragung (im Rahmen einerErhebung) ist vor allem dasKommunikationsmedium, während derGrad der Standardisierung und Strukturiertheit sich neben der Abgrenzung zwischen qualitativer und quantitativer Forschung vor allem auf dieFragetechnik (Art und Aufbau der Fragen) bezieht. Nach der Anzahl der Themen einer Befragung unterscheidet man Spezialbefragungen undOmnibusumfragen.
Nach der Art der Kommunikation mit den Befragten unterscheidet man persönliche, telefonische, schriftliche ("self administered") und Online-Befragungen. Jede hat ihre spezifischen Vor- und Nachteile.
Persönliche Befragung
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]Bei derpersönlichen Befragung (Face-to-Face) besucht oftmals ein Interviewer den zu Befragenden und spricht mit ihm (siehe auchComputer Assisted Personal Interview). In manchen Face-to-Face-Befragungssituationen trifft der Interviewer den zu Befragenden auch anderswo an.
- Vorteile: Für die Befragung können Hilfsmittel (Listenvorlagen, Bildblätter, ggf. Produktbeispiele) eingesetzt werden. Dabei sind Interviewerbeobachtungen möglich (auf dem Fragebogen wird beispielsweise vermerkt, ob der Befragte engagiert oder desinteressiert wirkt). Persönliche Interviews können relativ lang sein (Richtwert: 1–1,5 h).
- Nachteile: Persönliche Befragungen sind vergleichsweise teuer, weil Material verschickt und ein gegebenenfalls im ganzen Land verteiltes Netz von Interviewern betreut werden muss. Die Führung und Anleitung der Interviewer ist deshalb kompliziert und aufwändig. Die Zeit zwischen dem Verschicken der Fragebögen an die Interviewer und dem Rücklauf der Ergebnisse ist relativ lang. Computergestützte persönliche Befragungen (CAPI) können diese Zeit gegenüber der Verwendung von Papierfragebögen verkürzen.
Telefonische Befragung
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]- Vorteile: Dietelefonische Befragung ist relativ schnell und kostengünstiger durch einfache Interviewerführung in einemCall-Center. Verglichen mit dem persönlichen Interview ist die Anonymität größer. Dadurch ist die Hemmschwelle für den Befragten beiheiklen Fragen möglicherweise geringer.
- Nachteile: GeringereTeilnahmebereitschaft als bei persönlicher Befragung. Viele Hilfsmittel (Listenvorlagen, Kartenspiele) können nicht eingesetzt werden. Durch das Fehlen von Hilfsmitteln und die rein sprachliche Kommunikation kann das Interview vom Befragten leicht als monoton oder ermüdend empfunden werden. Die Interviews müssen deutlich kürzer sein als bei anderen Befragungsformen.
Postalische oder schriftliche Befragung
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]Schriftliche Befragungen finden meist mit einem standardisiertenFragebogen statt.
- Vorteile: Postalische Befragungen sind verhältnismäßig kostengünstig, ermöglichen hohe Anonymität und eine einfache Verwaltung (keine Interviewer oder Call-Center).
- Nachteile: Postalische Befragungen haben eine geringe Rücklaufquote (ca. 5 %). Außerdem besteht kaum Kontrolle über Umwelteinflüsse.
siehe auchComputer Assisted Self Interviewing
Online-Befragung
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]Online-Umfragen eigneten sich bis um 2005 vor allem, um Mitglieder einer speziellenGrundgesamtheit zu befragen, die einen Internet-Anschluss und PC-Kenntnisse haben (beispielsweise Umfrage unter Studenten, Universitäts-Mitarbeitern, Webmastern).
- Vorteile: Online-Umfragen sind relativ kostengünstig. Computergestützte Benutzerführung vermeidet Interviewerfehler. Hilfsmittel wie Bildblätter, Listen usw. sind möglich. Einfache und schnelle Auswertung, kurze Feedback-Zeit.
- Nachteile: Es muss sichergestellt werden, dass die Befragten an der Umfrage nicht mehrfach teilnehmen können. Mögliche Selbstselektion der Befragten, vor allem bei Umfragen auf Webseiten. Nur diejenigen Internetnutzer antworten, die dafür eine spezielle Motivation haben (vergleichbar mit der Problematik bei der postalischen Befragung). Unverlangte Umfrage-E-Mails können Nutzer verärgern. Der Forscher hat kaum Kontrolle über die Befragten (ähnlich wie bei postalischen Befragungen).
Kritik
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]Von Vertretern einer „relationalen Soziologie“ wird die mit Attribut- und Einstellungsdaten arbeitende Umfrageforschung der 1950er bis 1970er Jahre kritisiert. Sie gleiche einem „soziologischen Fleischwolf, der das Individuum aus seinem sozialen Umfeld reißt und damit garantiert, dass niemand innerhalb der Studie mit jemand anderem interagiert.“[1] Diese Kritik trifft auf neuere Methoden jedoch nicht mehr zu. Zudem gehörte es bereits damals zu den grundlegenden Erkenntnissen der Soziologie, dass jede Befragung einesoziale Interaktion darstellt, die entsprechend kritisch zu bewerten sei.[2]
Befragungsformen anderer verwandter Wissenschaften
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]- Psychologie und Sozialpsychologie: Neben Experimenten und anderen Beobachtungstechniken arbeitet die wissenschaftliche Psychologie auch weiterhin überwiegend mitvalidierten, statistisch auswertbaren ausführlichen Fragebögen. DieSozialpsychologie verwendet häufigstandardisierte Interviews. Explorative, offene Interviews bereiten diese vor.
- In derBiografieforschung dokumentieren ausführliche wissenschaftliche Interviews die Lebensverläufe bestimmter Bevölkerungsgruppen, um geglückte oder auch problematische individuelle Verhaltensweisen,Mentalitäten und soziale Entwicklungen genauer untersuchen zu können. Besonders in derKriminologie (Jugendkriminalität, Intensivtäter, Gewaltprävention) liegt die dringende Notwendigkeit und Relevanz solcher Forschung unmittelbar auf der Hand.
- In derGeschlechterforschung arbeiten verschiedene Interviewformen die spezifischen Unterschiede in Verhalten undHabitus zwischen Männern und Frauen sowie unterschiedlichen Untergruppen derselben heraus.
Journalismus/Medien
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]Befragungen erfolgen auch inJournalismus undÖffentlichkeitsarbeit. Die einschlägigenjournalistischen Darstellungsformen heißenInterview,Umfrage oder Vox pop.[3]
Für Umfragen unter größeren Zielgruppen wird insbesondere imMarketing auch der Begriff „Poll“, insbesondere „Jahrespoll“, verwendet.
Literatur
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]Quantitative Befragung
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]- Bernad Batinic,Andreas Werner, Lorenz Gräf und Wolfgang Bandilla (Hrsg.):Online Research. Methoden, Anwendungen und Ergebnisse. Göttingen 1999
- Elisabeth Noelle-Neumann und Thomas Petersen:Alle, nicht jeder. Berlin 2005
- Rainer Schnell,Paul B. Hill und Elke Esser:Methoden der empirischen Sozialforschung. 7. Auflage. München 2005
- Jürgen Bortz und Nicola Döring:Forschungsmethoden und Evaluation. Berlin 2006
- Richard Geml und Hermann Lauer:Marketing- und Verkaufslexikon. 4. Auflage, Stuttgart 2008,ISBN 978-3-7910-2798-2.
- Wiebke Möhring und Daniela Schlütz:Die Befragung in der Medien- und Kommunikationswissenschaft: Eine praxisorientierte Einführung. 2., völlig überarbeitete Auflage. VS-Verlag, Wiesbaden 2010,ISBN 978-3-53116994-1.
- Rainer Schnell:Survey-Interviews: Methoden standardisierter Befragungen. 1. Auflage. VS Verlag für Sozialwissenschaften, 2012.ISBN 978-3-531-13614-1.
- Michael Höfele:Die Personalausweisbeantragung auf Einwohnermeldeämtern als Auswahlmethode für lokale Bevölkerungsumfragen. 1. Auflage. Norderstedt 2014,ISBN 978-3-732-25421-7.
Geistes- und Sozialwissenschaften
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]- Alexander Bogner:Das Experteninterview: Theorie, Methode, Anwendung. Leske + Budrich. Opladen 2002.ISBN 3-8100-3200-X.
- Jochen Gläser und Grit Laudel:Experteninterviews und qualitative Inhaltsanalyse: Instrumente rekonstruierender Untersuchungen. 1. Auflage. UTB. Stuttgart 2004,ISBN 3-8252-2348-5.
- Cornelia Helfferich:Die Qualität qualitativer Daten: Manual für die Durchführung qualitativer Interviews. 1. Auflage. VS. Wiesbaden 2004.ISBN 3-8100-3756-7.
- Rolf Porst:Fragebogen – Ein Arbeitsbuch (2. Aufl.). Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, 2009.ISBN 978-3-53116435-9.
Personalwesen
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]- Werner Sarges: Bewerber-Interviews und Mitarbeitergespräche: Engpaß Exploration. In: B. Voß (Hrsg.):Kommunikations- und Verhaltenstrainings. Göttingen 1995. Verlag für Angewandte Psychologie. S. 136–156
- Gerald Richter:Was misst das strukturierte Einstellungsinterview? Studien zur Konstruktvalidität des Multimodalen Interviews.Dissertation 2003 (Abstract)
- U. P. Kanning:Standards der Personaldiagnostik. Hogrefe. Göttingen 2004
Pädagogik
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]- Herbert P. Ginsburg, Susan F. Jacobs und Luz Stella Lopez:The Teacher's Guide to Flexible Interviewing in the Classroom. Learning what Children know about Math. Allyn & Bacon. Needham Heights 1998,ISBN 0-205-26567-7.
Einzelnachweise
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]- ↑Allan Barton 1968 zit. nach Linton C. Freeman (2004),The Development of Social Network Analysis, Vancouver: Empirical Press, dt. Übersetzung: Jörg Raab,Der "Harvard Breakthrough", in: Christian Stegbauer, Roger Häußling (Hrsg.) (2010),Handbuch Netzwerkforschung, Wiesbaden: VS Verlag, S. 29
- ↑StichwortInterview imWörterbuch der Soziologie, herausgegeben vonWilhelm Bernsdorf, Fischer Handbücher, Taschenbuchausgabe mit Genehmigung des Enke-Verlages 1972, Band 2, Seite 397
- ↑Axel Buchholz: Umfrage/Vox pop. In: Gerhard Schult/Axel Buchholz (Hrsg.):Fernseh-Journalismus. Ein Handbuch für Ausbildung und Praxis. Mit Video-Journalismus. ReiheJournalistische Praxis, 8. Aufl. Berlin (Econ) 2011.