Tsifteteli (griechischτσιφτετέλι, vontürkischçifte telli, ausçifte, „doppelt“, „paarig“ undtel, „Saite“, auchçifteli, „mit doppelten“ [Saiten]) ist eingriechischer Volkstanz der Frauen, der mit seinen sinnlich-erotischen Hüftbewegungen und geradzahligen Rhythmen auf den gleichnamigen türkischen Volkstanzçifte telli zurückgeht und eine Variante desorientalischen Tanzes darstellt. Der improvisierte Einzeltanz oder berührungsfreie Paartanz kennt keine festgelegten Körperbewegungen oder Schrittfolgen.
In seinem Hauptverbreitungsgebiet im arabischen Sprachraum wird der orientalische Tanzraqs scharqi (raqṣ šarqī „Tanz des Ostens“) genannt und ist umgangssprachlich schlicht alsraqṣ („Tanz“) bekannt. Ein verwandter ägyptischer Frauentanz ist derbaladī. Das wesentliche Unterscheidungsmerkmal von den meisten anderen Volkstänzen imOrient sind Hüftbewegungen „wie eine Schlange“, woher der französische Ausdruckdance du ventre rührt, der im Deutschen zu „Bauchtanz“ wurde. Charakteristisch ist ebenfalls ein Kostüm, dessen ungefähres heutiges Aussehen mit einem knappen Oberteil und einem langen durchscheinenden Rock unter dem Einfluss der westlichen Unterhaltungsindustrie ab Ende des 19. Jahrhunderts allmählich zur Konvention wurde. Die Tanztradition erstreckt sich von den Tanzmädchen derOuled Nail imMaghreb über Ägypten bis zu den professionellen Gesangs- und Tanzgruppen dermotrebi[1] im Iran derKadscharendynastie, vergleichbar dennautch (erotische Tanzmädchen in den Palästen der indischenMaharadschas). Bewegungselemente des orientalischen Tanzes gehörten demnach zu volkstümlichen Dorftänzen und zu höfischen Festen, stets in nicht-religiösem Zusammenhang. Als weiteres Kennzeichen kommen die bei den orientalischen Tanzstilen in den arabischen Ländern am weitesten verbreiteten Rhythmen im 8/8- und 4/4-Takt hinzu, die häufig durchSynkopen durchbrochen werden. In der Türkei ist daneben durch den Einfluss der in der Westtürkei und auf demBalkan bei Volkstänzen beliebten asymmetrischenaksak-Rhythmen[2] ein 9/8-Rhythmus mit 2+2+2+3 Zählzeiten üblich. Der professionelle Tanz ist im Orient von seinen Bewegungsmustern und seinem kulturellen Umfeld prinzipiell ein Frauentanz, auch wenn vomOsmanischen Reich bis ins südlicheZentralasien in Tavernen und Palästen anstelle der Tanzmädchen (türkischçengi) auch Knaben in Frauenkleidern (köçek, persischbattscha, bačča) auftraten.[3]
Das türkische Wortçifte telli stammt von der musikalischen Begleitung durch eine zweisaitige türkische Langhalslaute vom Typ dersaz, die in Albaniençiftelia heißt. Es bezeichnet in der Türkei auch einen 2/4-Takt in der Volksmusik. Aus zwei verbundenen Spielröhren bestehendeEinfachrohrblattinstrumente (Doppelklarinetten) werdençifte genannt.[4] Ansonsten sind in der Türkei als Oberbegriff der Bauchtanzstileoryantal dans undgöbek dansı („Bauchtanz“) neben regionalen Bezeichnungen geläufig.
Während der osmanischen Herrschaft verbreiteten sich Elemente der türkischen und arabischen Kultur einschließlich der Musik auf dem Balkan. Der Höhepunkt einer von Musik- und Tanzdarbietungen in den Cafés und Tavernen der ägäischen Hafenstädte geprägten Unterhaltungskultur im Osmanischen Reich war die Zeit des SultansAbdülhamid II. (reg. 1876–1909). Zur Kundschaft der Gaststätten, die Essen, Alkohol und ein Unterhaltungsprogramm anboten, gehörten Arbeiter, Matrosen und ebenso Angehörige der oberen Klassen. Die Sängerinnen und Tänzerinnen stammten aus der griechischen, armenischen und jüdischen Minderheit der Nichtmuslime inIstanbul. Musiker waren häufigRoma.
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bildete sich in kleinasiatischen Städten wie Istanbul undIzmir (griechisch Smyrni) sowie in großen Städten auf dem griechischen Festland unter der griechischen Bevölkerung einsmyrneika genannter Musikstil. Der teilweise auf Türkisch vorgetragene Gesang wurde mit Violine, Gitarre, Mandoline,outi (bundloseKnickhalslaute, entspricht der arabischenoud),kanonaki (orientalische Kastenzitherkanun) undsandouri (santouri,santur) begleitet. Eine Form des türkischen Volksliedes (türkü) im 9/4-Takt,zeybek havası, wurde in osmanisch-griechischen Cafés alszeibekiko aufgeführt.
Ein anderer orientalischer Musikstil war derrembetiko, der sich nach demBevölkerungsaustausch von 1922 zunächst inPiräus, später auch inAthen undThessaloniki entwickelte, als dieosmanischen Griechen aus Kleinasien vertrieben wurden. In den schwermütigen Liedern besangen die Rembetes ihre Subkultur, ihre Armut und den Verlust der Heimat. Trotz der deutlichen Bezüge zur osmanischen Musiktradition wurde das Rembetiko bald aus nationaler griechischer Musikstil empfunden.
In den schwermütigen Liedern des häufig 2/4-taktigenrembetiko brachte die untere Bevölkerungsschicht das Schicksal des armen Lebens und den Verlust der Heimat zum Ausdruck. Trotz der deutlichen Bezüge zur osmanischen Musiktradition wird derrembetiko von manchen Griechen zu einem nationalen griechischen Musikstil verklärt. Weitere populäre Musikstile, die in den 1920er und 1930er Jahren aus der osmanischen Volksmusiktradition auf dem Balkan entstanden, warenčalgiska muzika im heutigenNordmazedonien,sevdalinka inBosnien undstarogradske pesme („Altstadtlieder“) inSerbien undBulgarien.[5]
Dertsifteteli als ein Teil dieses kulturell pluralistischen Umfeldes im Osmanischen Reich verbreitete sich auf dem Balkan besonders ab etwa 1900 und nach 1922. Ein Bereich einer Gaststätte war üblicherweise für kleine Musikgruppen und Tänzerinnen reserviert, die zunächst gegen ein Trinkgeld und später mit einem festen Engagement auftraten. Die typische Gaststätte wurdeCafé-Aman genannt, vermutlich abgeleitet vom türkischenMani Kahvesi. Die nunmehr professionellen Musiker saßen auf Stühlen auf einem Podium entfernt von den Zuschauern und den Tänzerinnen, im Unterschied zu den Musikern der um diese Zeit schwindenden Amateurgruppen, die bei Familienfeiern zwischen den Gästen umhergingen. Zur Professionalisierung der städtischen Musikszene trugen die ersten Schallplattenaufnahmen mit griechischer Volkstanzmusik Mitte der 1920er Jahre bei.[6] Zu den Ensembles (koumpania) in Piräus und Athen um 1922 gehörte einesandouri, einelaouto (Lauteninstrument mit kurzem Hals und Bünden), eineouti oder einesaz. Die Sängerin begleitete sich rhythmisch mit einerRahmentrommel (defi),Löffeln (koutalia, türkischkaşık) oderZimbeln (zilia, türkischzil). Häufig trat die Sängerin zugleich als Bauchtänzerin auf. Die Lieder klangen dem Smyrna-Stil desrembetiko im 2/4-Takt entsprechend langgezogen und traurig.[7] Anspielungen an die Bauchtanztradition imHarem des osmanischen Sultans und eingestreute türkische Wörter in den Liedern dieser Zeit sind als nostalgische Rückbesinnung an die Herkunft zu verstehen.
Felix Hoerburger fasst nach Beobachtungen um 1960 drei Tanzstile ohne feste Form inMakedonien unter dem Oberbegriffrebetikos (rembetiko) zusammen: Dentsifte telli tanzen demnach zwei sich gegenüberstehende Männer mit erhobenen Armen. Beimzeimpetikos tanzt nur einer der beiden Männer mit erhobenen Armen, während sein Gegenüber mit den Händen klatscht. Hiervon unterscheidet er den „wahrenrempetikos“, bei dem sich nur ein Mann mit erhobenen Armen bewegt.[8]
Der städtische Tanzstiltsifteteli wird heute von Frauen und Paaren getanzt. Als Paartanz hat er sich aus dem Frauentanz entwickelt.[9] Für den Rhythmus sorgen ein Schlagzeug oder Rahmentrommeln und Händeklatschen. Traditionelle Melodieinstrumente sind Violine,bouzouki undouti. Weitere Tanzstile dergriechischen Volksmusik sind der Paartanzkarsilamas im 9/8-Takt, der wie derzeibekiko aus Kleinasien stammt. Ansonsten sind für die griechische Variante des Bauchtanzes und die übrigen griechischen Tänze geradzahlige Takte üblich. Der typische griechische Reigentanz ist der ländlichesyrtos, der abends in Gaststätten getanzt wird; eine moderne Variante ist dersirtaki. Die verschiedenen Tänze haben einen festen Platz in der nationalen griechischen Geschichtsschreibung. Bei Festen und Familienfeiern werden sie in einer bestimmten Reihenfolge aufgeführt, die in der Vorstellung von den alten griechischen Wurzeln zurBefreiung von der osmanischen Vorherrschaft (1821–1829) führt. Auf die ländlichen Volkstänzesyrtos,kalamatianos (7/8-Takt) undtsamiko (3/4-Takt) folgen die städtischen Tänzezeibekiko undtsifteteli.[10]
Neben seiner Wertschätzung als Unterhaltungsform und Tanzsport schwankt die Wahrnehmung destsifteteli seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zwischen Ablehnung aus Prüderie, wegen behaupteter Frauendiskriminierung oder Ablehnung als nicht authentisch im Unterschied zu den klassischen griechischen Tänzen. Demgegenüber gibt es Versuche, dentsifteteli mit antiken Kulten um eine Muttergottheit und der griechischen GöttinAphrodite in Verbindung zu bringen. Damit wäre dertsifteteli zur altgriechischen Kultur erhoben und hätte sich von dort als vermeintlich orientalischer Tanz verbreitet.[11]
Ein bekanntes Beispiel eines für dentsifteteli komponiertenrembetiko-Liedes istMisirlou (türkischMısırlı, „Ägypterin“) von 1927, das später vielfach neu interpretiert wurde, unter anderem 1962 vom Surf-GitarristenDick Dale in einer Rock-Version.