Antonie Julie Friederike Marianne „Toni“ Schwabe (*31. März1877 inBad Blankenburg; †17. Oktober1951 ebenda) war eine deutscheSchriftstellerin, Übersetzerin, Frauenrechtlerin und Aktivistin derHomosexuellenbewegung.
Angesichts ihres Frühwerks wird sie als erste bekannte und bekennende lesbische Schriftstellerin der deutschen Literatur angesehen. In der zweiten Hälfte der 1910er Jahre betrieb sie einen eigenen Verlag und eine eigene Zeitschrift, ab Mitte der 1920er Jahre leistete sie mit Romanen zu Frauen in Goethes Leben einen wichtigen Beitrag zum Genre der Goethe-Romane. Nach derWeltwirtschaftskrise gelang es ihr nicht mehr, als Schriftstellerin dauerhaft ein Auskommen zu finden, sie starb 1951 verarmt und vergessen. Erst ab den 1990er Jahren wurde sie wiederentdeckt.
Schwabe wurde 1877 in Blankenburg als Tochter der Dänin Emilia Horn und des Weimarer MedizinalratsJulius Schwabe geboren. Ihr Vater förderte sie in ihren geistigen Interessen und ihre Mutter machte sie mit der modernen dänischen Literatur vertraut.[1] Ihr Großvater war der Weimarer Bürgermeister und Verehrer Friedrich Schillers,Carl Lebrecht Schwabe. Die Familie zog 1885 nachJena, wo Schwabe nach dem Besuch der Höhere-Töchter-Schule versuchte, Zugang zur Universität Jena zu bekommen. Da Frauen zu der Zeit aber nicht studieren durften, blieb es bei Gaststudien. Schwabe plante daher 1895, zum Studium nach Zürich zu gehen, blieb aber doch in Jena. Im selben Jahr reiste sie für mehrere Monate zu ihrer Patentante in Dänemark. Auch besuchte sie eine Kunstgewerbeschule, deren Besuch sie aber nach kurzer Zeit wieder abbrach.[2]
Schon als Schülerin in Jena hatte sie 1893Sophie Hoechstetter kennengelernt, aus der Begegnung wurde bald eine Liebesbeziehung. Nach dem Tod der Mutter Schwabes lebten beide Frauen ab 1902 zusammen im ehemaligen Elternhaus. Schwabe hatte zu dieser Zeit immer wieder Affären, unter anderem mitFrieda von Bülow undSophia Goudstikker, von denen Hoechstetter wusste und die sie tolerierte. Als Schwabe jedoch 1906Elsa von Bonin einlud, ebenfalls Teil der Lebensgemeinschaft zu werden, fühlte sich Hochstetter brüskiert und ihre Beziehung zerbrach, sie blieben aber lebenslang befreundet.[3] Über spätere Lebenspartnerinnen Schwabes ist nichts bekannt.[4]
1902 veröffentlichte Schwabe ihr RomandebütDie Hochzeit der Esther Franzenius, gefolgt 1906 vonBleib jung meine Seele; beide thematisierten auch lesbisches Lieben. 1908 folgte der GedichtbandKomm, kühle Nacht.[4] Im selben Jahr 1908 veröffentlichte sie (u. a. nebenJohanna Elberskirchen) zwei Kapitel in dem WerkMann und Weib, kam in Kontakt mit demWissenschaftlich-humanitären Komitee (WhK) umMagnus Hirschfeld und wurde 1910 als eine der ersten Frauen in das Obmännergremium des WhK gewählt. Sie initiierte eine Tagung unter Anwesenheit von Hirschfeld. Mit ihm wie mit seiner SchwesterFranziska Mann (1859–1927) war sie zeitweise auch befreundet. Eine längere Tätigkeit für das WhK ist aber nicht bekannt, vermutlich führten gesundheitliche Komplikationen zu ihrem Rückzug.[2]
In den 1910er Jahren ging Schwabes schriftstellerische Arbeit zurück, sie veröffentlichte keine größeren Texte mehr, sondern beschränkte sich auf Beiträge in literarischen Zeitschriften sowie Anthologien und übersetzte Werke vonJens Peter Jacobsen aus dem Dänischen.[5] Statt als Autorin wirkte sie zuerst 1915 als Herausgeberin klassischer Literatur für den Jenaer Frauenverlag;[6] 1916 gründete sie einen eigenen Verlag, den Landhaus-Verlag, in dem sie die LiteraturzeitschriftDas Landhaus herausgab. Als einzige deutsche Frau erhielt sie vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels einen „Meisterbrief“[7] zugesprochen. Zu Kriegszeiten programmatisch noch zurückhaltend in der Auswahl (laut Schwabe wurde sie durch die Pressezensur behindert), wurde das Programm ab 1919 experimenteller und vielfältiger, sie publizierte neben Klassikern wieFlaubert,Stendhal,Hölderlin oderShakespeare auch zahlreiche zeitgenössische Literatur, darunter expressionistische Autorinnen wieHenriette Hardenberg,Kasimir Edschmid,Yvan Goll oderKlabund, führende Vertreterinnen der Frauenbewegung wieHedwig Dohm sowie Stimmen weiblicher Autorinnen wieSophie Hoechstetter,Gabriele von Lieber,Katarina Botsky oderTherese Rie. Auch außereuropäische Autoren wieSaadi,Izumi Shikibu oderZhuangzi finden sich regelmäßig, einen weiteren Schwerpunkt bildete skandinavische Literatur (Jens Peter Jacobsen,Knut Hamsun). Aufgrund der Auswirkungen der zunehmendenInflation musste Schwabe jedoch die Zeitschrift 1921[8] und 1922 auch den Verlag einstellen; in den folgenden Jahren verarmte sie.[7]
1925 veröffentlichte sie den RomanUlrike über die Beziehung zwischenUlrike von Levetzow undJohann Wolfgang von Goethe. Damit gelang ihr der einzige größere Erfolg, der zugleich eine wirtschaftliche Erholung bedeutete. MitDer Ausbruch ins Grenzenlose (1926) undChristiane (1931) verfasste sie weitere Goethe-Romane,[9] die letzteren veröffentlichte sie 1949 neu unter dem TitelWandlung des Herzens.[10] Weitere Erfolge blieben nach 1926 jedoch aus, und mit der Weltwirtschaftskrise geriet sie erneut in wirtschaftliche Not. Sie vermietete deshalb ihr Haus in Blankenburg und zog nach Berlin.[7]
Von 1931 bis 1934 lebte Schwabe in derKünstlerkolonie Berlin-Wilmersdorf amLaubenheimer Platz.[11] Nach 1931 konnte sie keine größeren Texte mehr neu veröffentlichen und es gelang ihr kaum noch, ein Einkommen zu erzielen, sie lebte von Unterstützungen durch dieDeutsche Schillerstiftung, zwischen 1938 und 1944 als jährliche Pensionszahlung.[12] 1941 reiste sie aus gesundheitlichen Gründen nach Italien, an den Lago Maggiore und die Riviera.[13]
Ehemals Mitglied derSPD und nach dem Zweiten Weltkrieg erst derLiberal-Demokraten und dann derOst-CDU, blieb Schwabe dem Nationalsozialismus gegenüber indifferent und unreflektiert.[14] Im (Manuskript gebliebenen) RomanRosemarie Brügge von 1930, der die Inflationszeit behandelte, verwandte sie antisemitische Stereotype gegenüber demOstjudentum, berichtete in einem rückblickend verfassten Text aber von ihrer Abscheu, als sie in Berlin den Abtransport jüdischer Nachbarn aus der Künstlerkolonie mitansah.[15]
In einem Kreislauf aus wirtschaftlicher Not, Vereinsamung, Krankheit und fehlendem künstlerischen Erfolg gefangen, konnte sie sich trotz vereinzelter Publikationen in der Nachkriegszeit nicht mehr erholen. 1949 veröffentlichte sie ohne Erfolg ihren letzten Roman, den im Rahmen eines Stadtschreiberamtes entstandenen „Würzburg-Roman“Antlitz im Zwielicht.[16] Sie starb 1951 in Blankenburg und wurde im Erbbegräbnis der Familie in Weimar begraben.[17][18]
Schwabe war stark von frühmoderner skandinavischer, insbesondere dänischer Literatur beeinflusst, ein besonders wichtiges Vorbild war für sieJens-Peter Jacobsen,[19][20] aber auchHenrik Ibsen undLudvig Holberg spielten eine Rolle.[21] Neben diesen waren auch Autoren der deutschen Klassik wie Schiller und Goethe für sie wichtig und sie verehrte Thomas Mann.[19] In ihren Texten finden sich u. a. Referenzen zur LyrikClemens Brentanos undHeinrich Heines.[22] So kam sie zu einem „eigenwilligen Sprachstil“, der sowohl als „pathetisch“ oder „geschraubt“, aber auch als „kalt und klar“ wahrgenommen wurde. Regelmäßig wurde ihr Stil auch mit Begriffen wie „fein“, „leise“, „sanft“ und „lyrisch“ beschrieben.[23]
Ihr Frühwerk wird derNeuromantik zugerechnet,[24] anhand ihres GedichtbandsKomm, kühle Nacht stellt Hamacher unterschiedliche Einflüsse vomImpressionismus überSymbolismus und Neuromantik bis zurHeimatkunstbewegung fest, die er zugleich als charakteristische Eckpunkte ihres gesamten Werks einstuft.[19] In ihrem Frühwerk finden sich immer wieder Natur- und Landschaftsbeschreibungen als positive Bezugspunkte, charakteristisch für die Moderne in ihrer Beziehung zum Subjekt.[25] Die Stadt (Berlin) hingegen bleibt demgegenüber blass und profillos.[26]
Schwabe schrieb über lesbisches Liebencamoufliert, es finden sich also auf der Textoberfläche ihrer Prosa keine direkten Schilderungen lesbischer Liebe, diese erschließen sich erst durch Hinweise im Subtext wie z. B. Signalisierungen („Verstecken“, „Verschweigen“).[27] Nur im GedichtbandKomm, kühle Nacht brach sie mit der Praxis der Camouflage[4] und wurde expliziter. Auch ist die Gegenüberstellungheteronormativer Beziehungen ironisiert, so werden junge Männer vor allem überheblich und eitel bis zur Albernheit dargestellt.[28] In ihren späteren Arbeiten wie den kleinen Texten der 1910er Jahre und den Goethe-Romanen hingegen spielt gleichgeschlechtliche Liebe keine Rolle mehr.[27]
Zeitgenössisch hatte Schwabe nur geringen Erfolg, allein ihre Goethe-RomaneUlrike undAufbruch ins Grenzenlose von 1925 bzw. 1926 erreichten ein nennenswertes Publikum.[9]Heinrich Detering resümierte 1999, Schwabe „war seinerzeit unbekannt, und sie ist unbekannt geblieben“,[29]Jenny Bauer stellte noch 2011 fest, dass „ihr Werk bis heute nahezu rezeptionslos bleibt.“[30] Als Gründe für den trotz Anerkennung ihres Talentes weitgehend fehlenden Erfolg wurden vor allem der zu „künstlerische“ und daher marktferne Charakter ihres Werkes, ihre Vielseitigkeit, die sie feste „Zielgruppen“ verfehlen ließ sowie darüber hinaus ihre Einordnung als „Frauenschriftstellerin“ im Sinne eines nicht richtig literarischen Nischenmarktes angeführt.[31] Seit 2011 begann insbesondere durch Jenny Bauers Arbeit eine stärkere Beschäftigung mit Schwabe und ihrem Werk.
Schwabe hinterließ ihren literarischen Nachlass dem KulturjournalistenWerner Nickold, 1984 wurde er demGoethe-und-Schillerarchiv in Weimar übergeben. Er enthält neben ihren Werken Briefwechsel (u. a. mit Sophie Hoechstetter), Tagebücher, Arbeitsmaterialien, sowie geschäftliche und berufliche Unterlagen,[32] die biographischen Forschungen Hamachers und Bauers speisen sich im Wesentlichen daraus.
Hans Sittenberger sprach Schwabe bereits anhand ihres DebütsEin Liebeslied „unzweifelhafte Begabung“ zu.[33]Thomas Mann, derDie Hochzeit der E.sther Franzenius als Lektor desAlbert Langen Verlags schon 1900 im Manuskript kennenlernte, mit Schwabe korrespondierte und den Roman zur Publikation empfahl, machte ihn 1903 zum Thema seines EssaysDas Ewig-Weibliche. Er bezeichnete ihn als „ungewöhnlich gut und schön“, lobte seine Sprache und nannte ihn „auserlesene Kunst“. Detering hält es für möglich, dass das Buch Manns NovelleTonio Kröger beeinflusst habe.[34] Anlässlich ihres RomansDie Stadt mit lichten Türmen attestierte Frieda von Bülow Schwabe ein „ungewöhnliches Können“ und schrieb: „Ihre Dichtung ist Lyrik.“Anselma Heine schrieb von „Liebesszenen, die man nicht vergisst“.Bleib jung meine Seele veranlassteFranz Servaes zur Aussage, Schwabe nehme als „Enthüllerin der jungen Weibespsyche […] unter den deutschen Erzählerinnen heute vielleicht den ersten Rang ein“, und dieNeue Freie Presse nannte es „ein wundervolles Buch“. Derselbe Text lobte anlässlich ihrer NovelleTristan und Isolde vor allem die Sprache, die „lyrisch-seelenvoll und voll gleitendem Schmelz“ sei,[35]Rolf Conrad Cunz hingegen verriss sie 1918 als „eine Menge Liebe, eine Menge Sehnsucht“ mit „allerhand geisterstandenem Pathos zwischendurch“.[36]
Einige Kritiken finden sich zeitgenössisch in Medien der Homosexuellenbewegung. Ihr zweiter RomanBleib jung meine Seele war 1906 in den Monatsberichten des Wissenschaftlich-humanitären Komitees wohlwollend als „fesselnde Darstellung des fraglichen psychischen Problems“ [d. i. Bisexualität] gelobt worden undElfriede Kurtzer schrieb 1908 inDer Eigene angesichts des GedichtbandesKomm, kühle Nacht von Schwabe als einer „hochbegabten Lyrikerin“ und „großen Dichterin“.[37]
Der von ihr 1925 veröffentlichte RomanUlrike – Ein Roman von Goethes letzter Liebe wurde ihr größter Erfolg. Der Roman erfuhr regelmäßig Neuauflagen, 1928 hatte er die 9. Auflage erreicht,[38] bei seiner vorletzten Auflage 1948 war er in 93.000 Exemplaren erschienen.[39] Schwabe begründete mit dieser ersten literarischen Darstellung der Begegnung das Genre der sogenanntenUlrike-Romane.[40] Auch der nachfolgende RomanDer Aufbruch ins Grenzenlose über Goethe undCharlotte von Stein war erfolgreich, 1928 lag er in der 6. Auflage vor.[38] Ihr letzter Goethe-Roman,Christiane von 1931, konnte an diese Erfolge nicht anschließen und blieb ihre letzte große Veröffentlichung bis zum 1949 veröffentlichten, wiederum erfolglosen RomanAntlitz im Zwielicht.
Alfred Richard Meyer (mit dem sie lebenslang befreundet war) widmete Schwabe 1912 die erotische NovelleDas Aldegrever-Mädchen sowie 1920 seinen GedichtbandDornburger Maskenzug.[41] In einer späten Reminiszenz parodierteErwin Strittmatter Schwabe 1977 in seiner ErzählungMeine Freundin Tina Babe.[42]
Erste Informationen über Schwabes Biographie wurden ab 1990 durch den thüringischen HeimatkundlerHans-Helmut Lawatsch veröffentlicht,[38] später ergänzt um visuelle Zeugnisse aus der Sammlung Dieter Krause.[43]
Seit Ende der 1990er Jahre wurde Schwabe, angestoßen durch Arbeiten von Heinrich Detering, der Thomas Manns Essay über Schwabe als Ausgangspunkt nahm, neu wahrgenommen. Detering würdigte sie dahingehend, dass ihr der Status der „ersten bekannten und bekennenden lesbischen Schriftstellerin der deutschen Literatur“ zustehe.[44] Jenny Bauer, die ab 2011 Schwabes Werk und Biografie erforschte undDie Hochzeit der Esther Franzenius 2013 neu herausgab, sah sie als „Analytikerin der Geschlechterkonstellationen ihrer Zeit“,[45] auch für ihre herausgeberische und verlegerische Tätigkeit müsse Schwabe heute noch Respekt gezollt werden.[46] Bauer vertritt die Auffassung, dass der RomanDie Hochzeit der Esther Franzenius „die Ehe noch radikaler“ in Frage stelle, als dies zuvorHedwig Dohm,Gabriele Reuter oderHelene Böhlau getan hätten. Schwabe schildere die Verliebtheit zwischen Frauen ebenso selbstverständlich und häufig wie die Verliebtheit zwischen Frauen und Männern.[47] Ihre Goethe-Romane, in denen sie Goethes Beziehungen zu Frauen darstellte, geltenBernd Hamacher als „innovative Bausteine der literarischen Biographie Goethes aus weiblicher Perspektive“. Sie ragten „über viele entsprechende Versuche einer Darstellung von Goethes Frauenbeziehungen weit hinaus“.[15] Der GoethespezialistJens Kruse würdigteUlrike 2011 als den „ungewöhnlich[en] […] Goethe-Roman einer ungewöhnlichen Autorin“,[48] der einen „humanisierten und demokratisierten Goethe für die Weimarer Republik“[49] erschaffe.
Personendaten | |
---|---|
NAME | Schwabe, Toni |
ALTERNATIVNAMEN | Schwabe, Antonie Julie Friederike Marianne (vollständiger Name) |
KURZBESCHREIBUNG | deutsche Schriftstellerin, Übersetzerin und Menschenrechtsaktivistin |
GEBURTSDATUM | 31. März 1877 |
GEBURTSORT | Bad Blankenburg |
STERBEDATUM | 17. Oktober 1951 |
STERBEORT | Bad Blankenburg |