Tanburo

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Tanburo,tanbūro, damboro, ist eine fünfsaitige, gezupfte Langhalslaute, die in der Volksmusik despakistanischen BundesstaatesSindh eingesetzt wird. Dietanburo begleitet eine Gattungsufischer Lieder: die Kompositionen des Sufi-DichtersShah Abdul Latif aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, dem die Erfindung dertanburo zugeschrieben wird. Möglicherweise versah Latif ein älteres, viersaitiges Lauteninstrument mit einer weiteren Saite. Nach ihrer religiösen Verwendung ist dietanburo mit dertandura vonRajasthan zu vergleichen; in ihrer Bauform ähneln die fürmuslimische und die fürhinduistische Gesänge verwendete Laute der in derklassischen indischen Musik gespieltentanpura.

Inhaltsverzeichnis

Herkunft und Verbreitung

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Eine Sängerin begleitet sich auf einertanpura. Miniaturmalerei von etwa 1790.

Eine frühe indische Langhalslaute im heutigen Pakistan mit einem birnenförmigen Korpus ist auf einem Steinrelief, das ins 2./3. Jahrhundert datiert wird, aus der KulturregionGandhara abgebildet. Das Relief zeigt Tänzer und eine Musikgruppe, zu der eine Langhalslaute und eine Bogenharfe (vina) gehören.[1] Der Nametanburo ist vonarabischtunbūr undpersischtanbūr abgeleitet, womit seit dem Mittelalter im arabisch-persisch-indischen Raum bis nach Zentralasien Langhalslauten mit schlankem Korpus bezeichnet werden. In der arabischen Literatur taucht der Nametunbūr erstmals im 7. Jahrhundert für ein Musikinstrument auf.[2] Eine birnenförmige Laute mit kurzem Hals (Vorläufer desbarbat) war bereits insassanidischer Zeit (4. bis Anfang 7. Jahrhundert) bekannt. Die heutigen namensverwandten Langhalslauten, deren Verbreitungsgebiet sich im Westen bis auf denBalkan erstreckt, werden überwiegend zur melodischen Gesangsbegleitung gespielt. Im südlichen Zentralasien und in Pakistan gehören hierzu diedombra in dertadschikischen Musik, diedambura im Norden Afghanistans, diedamburag (tanburaq) in der RegionBelutschistan und diedanburo im Distrikt Kohistan (NWFP). Diedamburag spielt wie dietanburo einen rhythmischen Bordunton, unter anderem zusammen mit der melodieführenden Fiedelsaroz in einem Besessenheitsritual.[3]

Auf Miniaturen derMogulzeit ist dietambura als dreisaitige Laute mit einem nahezu kreisrunden Korpus abgebildet.[4] An ihrem breiten Hals mit Bünden ist sie als Melodieinstrument zu erkennen. Dagegen dient heute allgemein in Indien die viersaitigetanpura alsBorduninstrument und ihre Verwandten in den regionalen Volksmusikstilen, daruntertanburo undtandura, steuern zum Gesang ebenfalls Borduntöne bei und begleiten ihn gleichermaßen rhythmisch.

Älter als das Saiteninstrumente bezeichnende, arabischetunbūr ist das aus der altindischen Literatur überlieferteSanskritwortdamaru, das für eine kleineSanduhrtrommel steht, abgeleitetHindidamru. Aufdamaru könnte die Doppelbedeutung des Wortumfeldes vontunbūr für Saiteninstrumente und Trommeln zurückzuführen sein, die sich bis zutamburin für eineRahmentrommel erhalten hat.[5] Die im Sindh gespielte Langhalslaute ist im Gedenken an ihren mutmaßlichen Erfinder alsLatif-jo-tanburo, „(Shah Abdul) Latifstanburo“, bekannt.

Die devotionale Vokalmusik der in Sindh und Rajasthan lebenden Musikerkaste Manganiyar, die von der Schalenhalslautekamaica begleitet wird, ist neben dem klassischen StilKhyal von der an Shah Abdul Latif gerichteten Sufi-Musik beeinflusst.

Bauform

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Dietanburo hat einen breiten birnenförmigen Korpus, der in der älteren Form aus einem massiven Holzblock herausgearbeitet wird oder aus Holzspänen (Planken) besteht, die auf Spanten geleimt sind. In beiden Fällen ist der Korpus mit einer flachen Holzdecke geschlossen. Die fünf Metallsaiten verlaufen von der Unterseite über einen hohen, mittig auf der Decke aufgesetzten Steg bis zu den am geraden Halsende befindlichen Wirbeln. Drei der Holzwirbel sind an der Oberseite und zwei seitlich ungefähr gegenüber eingebohrt. Manche Instrumente sind am Korpusrand und Halsansatz mit hellenIntarsien verziert.

Der mit gekreuzten Beinen auf dem Boden sitzende Sänger und Musiker hält dietanburo senkrecht mit dem Korpus in seinem Schoß und dem Hals über der linken Schulter. Die Hauptmelodiesaite (zuban, „Zunge“), vom Musiker aus gesehen links, wird als einzige mit den Fingern der linken Hand gegriffen und ist auf dieTonsilbe (sargam)pa gestimmt (entsprichtg). Die zweite Saite hat die Tonhöhe oberesa (entsprichtc’), Saite drei und vier mittleresa (entsprichtc) und die fünfte Saite unteresa (entsprichtC). Unter einzelnen Saiten befinden sich kleineBünde.

Spielweise

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Statue von Shah Abdul Latif mittanburo in Bhit (Matiari-Distrikt, Sindh).

Dietanburo gehört zu religiösen Gesangsgruppen und ihr Spiel ist eine der meditativen Übungen (Dhikr) der Sufis im Sindh. Ein Sänger, der sich auf dertanburo begleitet, kann zu Anfang eines Liedes kurze melodische Phrasen spielen, bevor er bei zunehmender Dynamik zur rhythmischen Akzentuierung mit den Fingernägeln, andernfalls mit einem am Zeigefinger befestigten Drahtplektrum über alle Saiten streicht oder mit der flachen rechten Hand auf die Saiten oder daneben auf die Korpusdecke schlägt.

Unabhängig davon, dass (außer islamischen Fundamentalisten wieDeobandis undTablighi Jamaat) eine traditionell strenggläubige und sozial hochstehende Gruppe von Muslimen (ashraf) islamische Volksfrömmigkeit mit Argwohn betrachtet und jede Ähnlichkeit mit Glaubenspraktiken der als minderwertig angesehenenHindus ablehnt, existieren in Pakistan eine Vielzahl an volksreligiösen Traditionen, die besonders an den Grabstätten (dargah) verehrter Heiliger gepflegt werden.Schiitische Volksdichter im Sindh und inGujarat der vergangenen Jahrhunderte setzten beispielsweise – gemäß der in Volksreligionen vorherrschenden Tendenz, Elemente fremder Religionen zu inkorporieren – den ProphetenMohammed mit dem HindugottBrahma und dessen TochterFatima mit der GöttinSarasvati gleich.[6] Dhikr, im konkreten Fallsamāʿ (arabisch, „hören“, der religiöse Gesangsvortrag) undBhakti wurden zu geistesverwandten Formen von Gottesliebe, die sich bei Muslimen an den Propheten richtet. Dietanburo und die in Rajasthan für den Gesang vonbhajans verwendetetandura gehören zu parallelen religiösen Traditionen.

Die bekanntesten Gesangsstile der religiösen Sufi-Musik in Pakistan und im indischenPunjab sind derqawwali, bei dem die Sänger von einertabla und einem indischenHarmonium begleitet werden, und diesūfiāna kalām („Sufi-Poesie“), die in den verschiedenen regionalen Sprachen von einem Solosänger und einem Begleitinstrument vorgetragen werden.[7] Die allgemeine Bezeichnung für religiöse Lieder der pakistanischen Sufis, die mit Melodien aus der Volksmusik gesungen werden, istkāfī. Entsprechend der regionalen indischen Volksliedtradition handeln die Lieder von mythischen Heldenfiguren und deren schicksalhafter Liebe zueinander. Auf volksnahe Art umschreiben die Lieder die mystische Suche nach dem vergöttlichten Geliebten. Neben der inhaltlichen und formalen Beziehung zur indischen Volksdichtung ist die Gattungkāfī weniger von der persischen Formghasal, sondern vom indischen Versmaß derqasīda beeinflusst. Musikalisch basiertkāfī auf dem indischen tonalen System desRaga; pakistanische Sänger missachten jedoch oftmals die Raga-Skalen. Mitkāfī ist kein bestimmter Musikstil verbunden. Typisch ist die Begleitung des Solo-Sängers mit Harmonium,sarangi undtabla. Weitere Trommeln aus der Volksmusik wie diedholak (auchdholki) oder die Bambusflötebansuri können hinzukommen. Im Sindh begleitet einDerwisch (hierfaqīr) seinenkāfī-Gesang, während er dazu tanzt, mit der ein- bis zweisaitigen Langhalslauteyaktaro (entspricht derektara) und mit Holzklappern.[8]

Eine mitkāfī verwandte Form ist daswāy (wā’ī). So heißen die im Sindh mit dertanburo begleiteten Verse, die Shah Abdul Latif (1690–1751) komponierte. Latif gilt als der bedeutendste volkstümliche Sufi-Dichter des Landes. Zu seinen Versen legte er passende melodische Muster (sur) fest, die er von klassischen Ragas und Volksliedmelodien ableitete. Charakteristisch für daswāy ist der Wechsel zwischen den von einem Solosänger vorgetragenen Hauptversen und der inhaltlichen Zusammenfassung durch einen Chor.[9] Dietanburo dient zur Begleitung deswāy, sowohl im freirhythmischen Stil (cherr), als auch in metrisch gebundenen Kompositionen, bei denen die harten Schläge auf dertanburo den Takt (tal) vorgeben. Die erstmals 1866 unter dem TitelShah jo Risalo veröffentlichte Gedichtsammlung Latifs enthält 30 Kapitel (die ebensosur genannt werden, wie deren melodische Umsetzung), die nach dem der jeweiligen Melodie zugrundeliegenden, klassisch-indischen Raga oder nach einer von ihm eigens eingeführten Tonskala benannt sind. Am Beginn jedes Kapitels spielt dietanburo eine Einleitung (tand wajāin), zwischendurch spielt sie instrumentale Einlagen (jharr), die an Yakub Shahid gerichtet sind. Der als Heiliger verehrte Yakub Shahid war nach den Volkslegenden ein muslimischer Märtyrer; historisch ist über ihn praktisch nichts bekannt. Pilger besuchen seine Grabstätte (Schrein,mazār) inVaranasi.

Nachdem die Musiker zunächst Borduntöne in der unteren und mittleren Lage geschlagen haben, folgen sie dem Vorsänger und singen mitFalsett-Stimmen. Die hohe – weibliche – Stimmlage, mit der Männer Sufi-Verse vortragen, ist auch bei Qawwali-Sängern üblich und stellt eine Form der religiösen Hingabe dar. Gott soll in den Liedern mit der hohen Stimme einer Frau gelobt werden.[10]

Einige dersur basieren auf Volkslegenden, etwaSassui Punhun. Die tragische Liebesgeschichte handelt von Sassui, der Tochter einesRaja, die als Kleinkind auf demIndus ausgesetzt und von einem Wäscher aufgezogen wurde, sowie dem Königssohn Punhun, der in das schöne Mädchen verliebt war, aber die vermeintlich sozial niedrigstehende Tochter eines Wäschers nicht heiraten durfte. Abdul Latif brachte dieSassui-Punhun-Liebesgeschichte mit der im westlichen Sindh bekannten, traditionellenkāfī-Melodiekohiyārī zusammen.Sur kohiyārī ist durch abschnittsweise Wiederholungen und eine absteigende Melodielinie gekennzeichnet.[11]

Sohni Mehanval ist eine Variante vonHero und Leander, bei der nicht der männliche Held, sondern das Mädchen über den Fluss schwimmt und ertrinkt, nachdem ihre Schwägerin den Krug, den sie bislang als Schwimmweste verwendet hat, mit einem ungebrannten Tonkrug vertauscht. In der Vorstellung der Sufis erhält der in der Mitte des Flusses aufweichende Krug, welcher den Tod des Mädchens und ihres zu Hilfe ins Wasser gesprungenen Geliebten verursacht, eine zentrale Symbolik: Wer auf dem (so verstandenen) göttlichen Strom unterwegs ist, bedarf nicht eines ungebrannten, also unfertigen, sondern eines gebrannten, fertigen Tongefäßes als Begleiter, das heißt eines erfahrenen Seelenführers. In der Sindhi-ErzählungUmar Marui widersteht ein Dorfmädchen dem Angebot des Königs, zu ihm in den Palast zu ziehen und bevorzugt ein bescheidenes Leben auf dem Land. In den Erzählungen wird das Ideal der gesellschaftliche Schranken überschreitenden Liebe beschworen. Andere Verse handeln von dem Kamel, das auf der langen Reise zum Geliebten zahm wird. Besonders diejenigen Gedichte Latifs sind beliebt, die sich auf die im Volk bekannten Legenden beziehen.[12]

Das Mausoleum von Shah Abdul Latif steht in der Kleinstadt Bhit (Bhitshah, Matiari-Distrikt) in der Provinz Sindh. Hier befindet sich das Zentrum derwāy-Musik. Eine Gruppe von fünf bis sechs Sängern trägt die Verse mit einem sich reimenden Refrain unisono oder im Oktavabstand vor und jeder begleitet sich auf einertanburo. Die Sänger treffen sich jeden Donnerstag Nacht, am Jahrestag Abdul Latifs oder an einem sonstigen Feiertag.[13]

Die auf demMakli-Hügel bei Thatta im Sindh erhaltenen Grabbauten gehörten zu einer im Mittelalter bedeutenden Stadt, die vor allem unter der von 1351 bis 1520 herrschendenSamma-Dynastie blühte. Zur Unterhaltung ihrer Herrscher und wohlhabenden Geschäftsleute spielten Musiker der Mahangar-Kaste, die bis heute die Tradition von Preisliedern aufrechterhalten. Drei Grabsteine von Musikern, die am Hof der Samma beschäftigt waren, sind mit Reliefdarstellungen einertanburo dekoriert, um auf den Beruf der Verstorbenen hinzuweisen.[14]

Literatur

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  • Alastair Dick:Tanbūro. In: Laurence Libin (Hrsg.):The Grove Dictionary of Musical Instruments. Bd. 4, Oxford University Press, Oxford/New York 2014, S. 708

Weblinks

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Einzelnachweise

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  1. Walter Kaufmann:Altindien. Musikgeschichte in Bildern, Bd. 2.Musik des Altertums, Lieferung 8. VEB Deutscher Verlag für Musik, Leipzig 1981, S. 140f
  2. Vgl. J.-C. Chabrier:Ṭunbūr. In:The Encyclopaedia of Islam. New Edition. Band 10, Brill, Leiden 2000, S. 625
  3. Hiromi Lorraine Sakata:Spiritual Music and Dance in Pakistan. In:Etnofoor, Bd. 10, Nr. 1/2 (Muziek & Dans) 1997, S. 165–173, hier S. 170
  4. Sibyl Marcuse: A Survey of Musical Instruments. Harper & Row, New York 1975, S. 431
  5. Vgl. Michael Knüppel:Noch einmal zur möglichen Herkunft von osm.tambur(a)~dambur(a)~damur(a) etc. In: Marek Stachowski (Hrsg.):Studia Etymologica Cracoviensia. Bd. 14. Krakau 2003, S. 221–223
  6. Ali S. Asani:Sufi Poetry in the Folk Tradition of Indo-Pakistan. In:Religion & Literature, Bd. 20, Nr. 1, (The Literature of Islam) Frühjahr 1988, S. 81–94, hier S. 82
  7. Peter Manuel:North Indian Sufi Popular Music in the Age of Hindu and Muslim Fundamentalism. In:Ethnomusicology, Bd. 52, Nr. 3, Herbst 2008, S. 378–400, hier S. 379
  8. Hiromi Lorraine Sakata:Devotional Music. In: Alison Arnold (Hrsg.):Garland Encyclopedia of World Music. Bd. 5:South Asia: The Indian Subcontinent. Routledge, London 1999, S. 753
  9. Annemarie Schimmel:Mystische Dimensionen des Islam. Die Geschichte des Sufismus. Insel, Frankfurt 1995, S. 445, 551
  10. Jürgen Wasim Frembgen:Nachtmusik im Land der Sufis. Unerhörtes Pakistan. Waldgut, Frauenfeld 2010, S. 145
  11. Regula Qureshi:Pakistan. 7. Musical Idioms. (i) Sindhi music. In:Stanley Sadie (Hrsg.):The New Grove Dictionary of Music and Musicians. Bd. 18, 2001, S. 922
  12. Annemarie Schimmel, 1995, S. 553f
  13. Hiromi Lorraine Sakata,Garland, 1999, S. 759
  14. Zulfiqar Ali Kalhoro:Representations of Music and Dance in the Islamic Tombs of Sindh, Pakistan. In:Music in Art, Band 35, Nr. 1/2 (Rethinking Music in Art: New Directions in Music Iconography) Frühjahr–Herbst 2010, S. 201–217, hier S. 205 und Abb. 17, 18
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