
Der elektrisch betriebeneStuttgarter Vorortverkehr war einNahverkehrssystem in derRegion Stuttgart, das ab 1933 bestand und zwischen 1978 und 1985 durch dieS-Bahn Stuttgart abgelöst wurde. Merkmale waren einTaktfahrplan, die überwiegende Verwendung vonTriebwagen und eine eigene Infrastruktur im Kernbereich, auf welcher derVorortverkehr „schon seit den 1930er Jahren annäherndS-Bahn-Qualität hatte“.[1] Lediglich ein gesonderterBeförderungstarif existierte nicht. Stuttgart war damit die erste deutscheGroßstadt, in derWechselstromtriebwagen unter dem gebräuchlichen Stromsystem von 15 kV / 16,7 Hz nach starrem Fahrplan verkehrten.[2]


Im Zuge der fortschreitendenIndustrialisierung entwickelte sich schon vor demErsten Weltkrieg ein starkerPendlerverkehr zwischenStuttgart und seinen Vororten. Viele Menschen aus dem Umland fuhren zwar zur Arbeit in dieLandeshauptstadt, wollten aber nicht auf ihre angestammten Häuser samt Grundstücken verzichten, sodass täglich oft weite Strecken in Kauf genommen wurden. DieKöniglich Württembergischen Staats-Eisenbahnen kamen ihren Stammfahrgästen dabei mit günstigenWochen- und Monatskarten entgegen.[3] Doch konnten die drei auf Stuttgart zulaufenden zweigleisigen Strecken, namentlich dieOstbahn, dieNordbahn und dieBahnstrecke Stuttgart–Horb, den zunehmenden Nahverkehr auf Dauer ebenso wenig verkraften wie deralte Stuttgarter Hauptbahnhof mit seinen nur achtBahnsteiggleisen.
Zur Verbesserung der Verhältnisse beschloss derWürttembergische Landtag daher am 13. August 1907 dasGesetz, betr. den Umbau des Hauptbahnhofs Stuttgart und weitere Eisenbahn- Neu- und Erweiterungsbauten zwischenLudwigsburg undPlochingen.[4] Es sah im Wesentlichen die Verdoppelung der Gleiskapazität im Hauptbahnhof sowie die Errichtung paralleler zweigleisiger Strecken für den Nahverkehr vor, die sogenanntenVorortgleise. Die bereits vorhandenen Strecken wurden später in Abgrenzung dazuFerngleise genannt.[5]
Die Bauarbeiten begannen im Oktober 1908 mit der zweiten Röhre für denPragtunnel, während der Neubau des Hauptbahnhofs erst ab 1914 in Angriff genommen wurde. Kriegsbedingt verzögerte sich schließlich das gesamte Vorortprojekt, unter anderem weil der Hauptbahnhof als zentraler Baustein des Vorhabens zwar schon 1922 provisorisch eröffnet aber erst 1928 vollendet werden konnte. Darüber hinaus mussten die bereits vorhandenen StationenStuttgart-Bad Cannstatt,Stuttgart-Untertürkheim,Stuttgart-Obertürkheim,Esslingen-Mettingen,Esslingen (Neckar),Stuttgart Nord,Feuerbach,Zuffenhausen,Kornwestheim Pbf und Ludwigsburg entsprechend erweitert werden, besonders aufwändig war zudem der Neubau vonRosensteintunnel undRosensteinbrücke sowie die Anlage vonÜberwerfungsbauwerken um Trassenkonflikte mit der Fernbahn zu vermeiden.
Die Errichtung der Vorortgleise ging somit nur schleppend voran, der Ausbau des Abschnitts Esslingen (Neckar)–Plochingen wurde bis auf weiteres zurückgestellt. Letztlich ging die neue Infrastruktur erst wie folgt in Betrieb:[6]
| 26. Mai 1925: | Stuttgart Hbf–Stuttgart-Bad Cannstatt | 13,21 Kilometer[5] | heutigeStreckennummer 4701 |
| 14. Oktober 1931: | Stuttgart-Bad Cannstatt–Esslingen (Neckar) | ||
| 16. November 1925: | Stuttgart Hbf–Feuerbach | 13,93 Kilometer[5] | heutige Streckennummer 4801 |
| Mai 1926: | Feuerbach–Zuffenhausen–Posten 12 | ||
| 1929: | Posten 12–Kornwestheim Pbf–Ludwigsburg |
Im Zuge der noch in den 1920er Jahren begonnenen Fernbahnelektrifizierung vonMünchen nach Stuttgart, nutzte die mittlerweile zuständigeDeutsche Reichsbahn schließlich die Gelegenheit, auch den Stuttgarter Vorortverkehr aufelektrischen Betrieb umzustellen, mit der Folge, dass dieser eine Zeit lang vomWalchenseekraftwerk inOberbayern aus mitBahnstrom versorgt wurde.[7] Hierzu schlossen derVolksstaat Württemberg und die Deutsche Reichsbahn in den Jahren 1927 und 1930 entsprechende Verträge ab, die Ausführung und Finanzierung der 1932 in Angriff genommenen Elektrifizierung regelten. Von dieser versprach man sich sowohl eine Beschleunigung als auch eine Kapazitätsausweitung des Vorortverkehrs. Wegen der besseren Beschleunigung und Ausnutzung der Zuglänge sollte dieser mit elektrischen Triebwagen durchgeführt werden,[3] einenlokomotivbespannten Vorortverkehr hatte man in Stuttgart zu keiner Zeit ernsthaft erwogen.[8] Einen Teil der Investitionskosten von insgesamt 52 MillionenReichsmark streckte dabei das Land Württemberg in Form einesDarlehens vor, auch um die damals großeArbeitslosigkeit zu mildern.[9]


Der planmäßige elektrische Vorortverkehr begann am 15. Mai 1933. DieStammstrecke Esslingen (Neckar)–Stuttgart Hbf–Ludwigsburg wurde dabei – als eine der ersten deutschen Eisenbahnstrecken überhaupt – von Beginn an im starren 20-Minuten-Takt bedient, wobei die Züge drei Minuten zumFahrtrichtungswechsel im Stuttgarter Hauptbahnhofhielten.[1] Auf dem Esslinger Streckenast benötigten die Züge in beiden Richtungen je 18 Minuten, auf dem Ludwigsburger Streckenast waren es 18 Minuten stadteinwärts und 19 Minuten stadtauswärts.[10] DiePersonenzüge (P) führten die zweite und dritteWagenklasse und boten außerdem dieGepäckbeförderung an.
Einen Teil der Fahrten band die Deutsche Reichsbahn schon 1933 von und nach Plochingen und vereinzelt sogar von und nachGeislingen (Steige) durch, wobei diese sich östlich von Esslingen (Neckar) in den übrigen Zugverkehr einfädeln mussten und deshalb dort nicht im Takt fuhren. Ebenfalls von Beginn an mit elektrischen Vorortzügen befahren wurde dieGüterumgehungsbahn Stuttgart-Untertürkheim–Kornwestheim, auf ihr fuhren allerdings schon damals nur einzelne Züge in denHauptverkehrszeiten.[11]
Im Stuttgarter Hauptbahnhof wurde der Vorortverkehr dabei planmäßig über die Gleise 1 bis 6 abgewickelt.[12] Betrieblich war es möglich die Gleise 1 bis 4 von und nach Bad Cannstatt sowie die Gleise 4 bis 7 von und nach Feuerbach zu nützen.[13] DerAbfertigung des Vorortverkehrs stand dabei exklusiv die sogenannteKleine Schalterhalle zur Verfügung,[12] die deshalb auchVorortschalterhalle hieß.[14]
Der Stuttgarter Vorortverkehr des Jahres 1933 unterschied sich dabei von dem anderer Großstädte durch die weniger stark ausgeprägte Häufung des Verkehrs von und zum Hauptbahnhof. Dies hing mit demStuttgarter Talkessel und dem damit begrenzten Aufnahmevermögen des Stadtkerns zusammen. Die aufblühende Industrie war somit gezwungen, sich an den nach außen führenden Straßen anzusiedeln. So ließen sich die Betriebe mit den meisten Arbeitnehmern imNeckartal bisEsslingen am Neckar und in RichtungLudwigsburg bisKornwestheim nieder. Die Folge war in den Hauptverkehrszeiten ein auf fast allen Halten des Vorortverkehrs lebhafter Zu- und Abgang von Reisenden und eine annähernd gleiche Zugbesetzung auf der Gesamtstrecke Esslingen (Neckar)–Ludwigsburg. Der Stationsabstand schwankte dabei zwischen 1,73 und 3,97 Kilometern, der mittlere Abstand betrug 2,7 Kilometer und die Höchstgeschwindigkeit der Triebwagenzüge 75 km/h.[15] Insbesondere in der Esslinger Umgebung schritt durch die Einbeziehung in den elektrischen Vorortverkehr, zusätzlich zum Ausbau der industriellen Anlagen, dieUrbanisierung rasch voran.[16]
Nach 1933 erweiterte die Deutsche Reichsbahn ihren elektrischen Vorortverkehr sukzessive, wenngleich der Taktfahrplan sowie die Durchbindungen im Stuttgarter Hauptbahnhof stets auf die Hauptrelation Esslingen (Neckar)–Ludwigsburg beschränkt blieben:
Für den Betrieb auf derSchwarzwaldbahn standen 1939 allerdings noch nicht genügend Triebwagen zur Verfügung. So fuhren Richtung Weil der Stadt zunächst weiterhin aus zweiachsigen Personenwagen gebildete Züge, die dort für die Weiterfahrt RichtungCalw von einer Elektro- auf eineDampflokomotive umgespannt wurden.[7] Der eigentliche Betrieb mit elektrischen Vororttriebwagen bis Weil der Stadt begann dann erst am 6. Oktober 1940.[17]
Ebenfalls 1940 eröffnete die Deutsche Reichsbahn außerdem provisorisch ein drittes Gleis zwischen Ludwigsburg undBietigheim (Württ), konnte dieses aber nicht mehr elektrifizieren. Der Ausbau Richtung Plochingen wurde erneut zurückgestellt. Ferner musste die Taktfrequenz auf der Stammstrecke imZweiten Weltkrieg vorübergehend von 20 auf 30 Minuten gestreckt werden.[18]

Nach der kriegsbedingten Unterbrechung konnte der elektrische Vorortverkehr Ende Juni 1945 zwischen Stuttgart und Ludwigsburg sowie zwischen Bad Cannstatt und Esslingen wieder aufgenommen werden. Eine Durchbindung war vorerst noch nicht möglich, weil die Rosensteinbrücke zerstört war. Nach Instandsetzung der Gleisanlagen konnte ab etwa 1948 auch wieder an weitere Elektrifizierungsmaßnahmen gedacht werden.[2]
So setzte schließlich dieDeutsche Bundesbahn den Ausbau des Vorortverkehrs fort, wobei dieOberleitung am 2. Oktober 1949Waiblingen, am 10. November 1950 Bietigheim (Württ), am 6. Oktober 1951Mühlacker, am 23. Mai 1954Bruchsal, am 1. Juni 1959Heilbronn Hbf, am 27. Mai 1962Schorndorf, am 26. Mai 1963Böblingen und am 26. September 1965Backnang erreichte. Damit waren alle Hauptstrecken rund um Stuttgart unter Fahrdraht und der Nahverkehr wurde nun ausschließlich mit elektrischen Zügen bedient.[2] Es folgten noch weitere Elektrifizierungen in der Region, darunter Schorndorf–Aalen am 26. September 1971 und Böblingen–Horb am Neckar am 29. September 1974. Außerdem konnte am 27. September 1970 – mit jahrzehntelanger Verspätung – das dritte und vierte Gleis zwischen Esslingen und Plochingen eröffnet werden.
Ab dem Sommerfahrplan 1951 verkehrten die Vororttriebwagen nicht mehr alsZuggattung Personenzug, sondern alsNahschnellverkehrs-Triebwagen (Nt), der Taktverkehr galt mittlerweile auf der Relation Bietigheim (Württ)–Plochingen.[19]
Am 1. Oktober 1978 nahmen schließlich die S-Bahn, zunächst nur auf den Strecken nach Plochingen, Ludwigsburg und Weil der Stadt, und derVerkehrs- und Tarifverbund Stuttgart ihren regulären Betrieb auf. Damit endete der Stuttgarter Vorortverkehr alter Prägung weitgehend, wenngleich auf einzelnen Relationen noch bis 1985 ältere Triebwagen fuhren.


Schon die Königlich Württembergischen Staats-Eisenbahnen beschafften für den, damals noch dampfbetriebenen, Stuttgarter Vorortverkehr eigens entwickelte Fahrzeuge. Diese ab 1919 gebauten zweiachsigenDurchgangswagen mit zusätzlichen mittleren Einstiegstüren undFahrgastflussregelung waren paarweisekurzgekuppelt zusammengesetzt um die Zuglänge zu verkürzen. Ihre Türanordnung und das verhältnismäßig große Fassungsvermögen hatten den Vorteilrascher Zugabfertigung, weshalb sie später als konstruktives Vorbild für die elektrischen Triebwagen dienten.[15]
Für die Aufnahme des elektrischen Vorortverkehrs im Jahr 1933 entwickelte dieMaschinenfabrik Esslingen im Auftrag derReichsbahndirektion Stuttgart schließlich die vierachsigen Trieb- undSteuerwagen derBaureihe ET 65 / ES 65, die in der Regel um zweiachsigeMittelwagen in Form der bereits vorhandenen Vorortwagen württembergischer Bauart ergänzt wurden.[3] Nach dem Zweiten Weltkrieg reichten die vorhandenen Triebwagenzüge jedoch nicht mehr aus, um auch die neu hinzugekommenen Strecken zu bedienen. Deshalb beheimatete die Deutsche Bundesbahn auch jüngere Triebwagen der BaureihenET 25,ET 55 undET 56 im Raum Stuttgart und stellte zudem 1964 die neue BaureiheET 27 in den Dienst. Der Einsatz der Ursprungstriebwagen von 1933 konzentrierte die Deutsche Bundesbahn hauptsächlich auf die Strecke Bietigheim (Württ)–Stuttgart Hbf–Plochingen(–Tübingen Hbf),[20] vor allem wurden sie von der Schwarzwaldbahn abgezogen. Ferner ersetzte sie die alten württembergischen Mittelwagen in den 1960er Jahren durchvierachsige Umbauwagen der Gattung AB4yg.
Trotz der Verstärkung durch weitere Baureihen blieben Triebwagenzüge auf den Strecken Richtung Aalen und Horb die Ausnahme, nach Backnang verkehrten planmäßig überhaupt keine. Dort waren im WesentlichenWendezüge anzutreffen, gebildet ausn-Wagen und Elektrolokomotiven derBaureihe 141. Die Baureihe ET 65 / ES 65 von 1933 verkehrte letztmals am 30. September 1978, nachdem zuvor bereits ab 1977 einzelne ihrer Leistungen von S-Bahn-Triebwagen derBaureihe 420 im Vorlaufbetrieb erbracht wurden. Die jüngeren Triebwagen verkehrten teilweise noch bis 1985.