Der Titel dieses Artikels ist mehrdeutig. Weitere Bedeutungen sind unterStephanus (Begriffsklärung) aufgeführt.
Stephanus mit denAttributenMärtyrerpalme und Steinen. Der Heilige trägt dieDalmatik eines Diakons.Stephanus auf dem Wappen vonLank-Latum mit Spargelbündeln und Erdbeeren
Als in der Urgemeinde inJerusalem immer mehr Arme, insbesondere Witwen undWaisen, zu betreuen waren und es dabei zu Streitigkeiten zwischen denJudenchristenaramäischer undgriechischer Sprache kam, befürchteten dieApostel, dass sie deshalb ihre Aufgaben inLehre undPredigt vernachlässigen müssten. Die versammelte Gemeinde wählte darumsieben Diakone, Männer „von gutem Ruf und voll Geist und Weisheit“, die sich auch um die bisher übergangenen Witwen der Griechisch sprechenden Judenchristen kümmern sollten.[1]
Einer dieser sieben Diakone war Stephanus, beschrieben als „voll Kraft und Gnade“. Wie aus seinem griechischen Namen („Kranz“, „Krone“) zu schließen ist, gehörte er selbst zu den Juden, deren Familien meist lange außerhalb desHeiligen Landes, also im Bereich griechischer Sprache und Kultur, gelebt hatten. Als Diakon wirkte er in Jerusalem als Armenpfleger undEvangelist.
Steinigung des heiligen Stephanus, Altarstück von San Giorgio Maggiore, VenedigDer hl. Stephanus beim Predigen (Miniaturmalerei, 14. Jahrhundert)
Das in derApostelgeschichte des Lukas (Apg 6 EU undApg 7 EU) geschilderte Ereignis stellt dar, wie es aufgrund des Wirkens des Stephanus zu einer Gerichtsverhandlung vor dem Hohen Rat, demSanhedrin, kam: Von einer Gruppe hellenistischer Juden wird behauptet, Stephanus habe gesagt, dassJesus von Nazaret „die Stätte“ – gemeint ist derTempel – zerstören und die jüdischen Gebräuche verändern wolle. DerHohepriester wendet sich mit der Frage „Ist das so?“ an Stephanus, der darauf mit der längsten Rede der Apostelgeschichte antwortet. Diehistorisch-kritische Methode sieht in Kapitel 6 und 7 die redaktionelle Arbeit des Verfassers der Apostelgeschichte.[2] Zwar fehlt ein ausdrückliches namentliches Bekenntnis zuJesus Christus, aber dass es um ihn geht, wird daran deutlich, dass inApg 7,52 EU „der Gerechte“ (sieheJes 53 EU) erwähnt wird, in dem diefrühe Kirche Jesus Christus erkannte. Stephanus wird als gelehrter Mann dargestellt, der die Tradition undGeschichte Israels kannte und sich in der Linie der Männer sah, die den Willen Gottes verkündigten, aber gerade deswegen vom Volk verachtet wurden. So wird Stephanus wie einBußprediger dargestellt, der den Anklägern mithilfe der Geschichte Israels und der Ablehnung ihrerPropheten vor Augen führte, dass sie selbst auf der Anklagebank saßen und wie ihre Väter den Fehler begingen, Jesus Christus zu verwerfen.
Nach seiner Verteidigungsrede sah Stephanus auf und rief: „Ich sehe den Himmel offen und den Menschensohn zur Rechten Gottes stehen.“ Diese Identifikation Jesu mit dem inDan 7,13 EU verheißenen Menschensohn erbitterte die Mitglieder desSynhedrions dermaßen, dass sie Stephanus auf der Stelle packten und vor der Stadtsteinigten. Stephanus befahl seinen Geist Jesus, sank in die Knie und rief: „Herr, rechne ihnen diese Sünde nicht an!“[3] Auch durch diese Worte folgte Stephanus dem Vorbild Jesu, der ebenfalls sterbend seinen Geist in die Hände Gottes gelegt und für seine Henker gebetet hatte: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“
Stephanus ist der erste, von dem überliefert wird, dass er wegen seines Bekenntnisses zu Jesus Christus getötet wurde. Damit gilt er als der erste Märtyrer oder auch Erzmärtyrer. Im Bericht von seiner Hinrichtung heißt es: „Die Zeugen legten ihre Kleider zu Füßen eines jungen Mannes nieder, der Saulus hieß. (…) Saulus aber war mit dem Mord einverstanden.“ Die Steinigung des Stephanus war der Auftakt zu einerChristenverfolgung in Jerusalem, an der sich Saulus, der spätere ApostelPaulus, besonders eifrig beteiligte.
In der ostkirchlichen und römisch-katholischenIkonographie wird Stephanus als Diakon dargestellt, oft gemeinsam mitLaurentius undVinzentius. In einer Hand hält er eineMärtyrerpalme, in der anderen Steine. Gelegentlich liegen diese auch auf einemEvangelienbuch, das er hält, oder neben ihm.[4]
Stephanus ist in der katholischen KircheSchutzpatron derBöttcher, Kutscher, Maurer,Steinhauer, Pferdeknechte, Weber, Schneider und Zimmerleute. Angerufen wird er beiBesessenheit, Kopfschmerzen, Steinleiden und für eine gute Sterbestunde. Seine Funktion als Patron der Pferdeknechte beruht möglicherweise auf vorchristlichen Kultbräuchen.[5] Er wird zudem als Schutzpatron der StädtePassau,[6]Turin,Prato undBiella verehrt.
Dem hl. Stephanus sind viele Kirchen geweiht (sieheStephanskirche), zahlreiche Orte (Saint-Étienne,Santo Estêvão) sowie christliche Einrichtungen in aller Welt sind nach ihm benannt.
Der Gedenktag des heiligen Stephanus basiert auf den im 3./4. Jahrhundert sich häufenden Anlässen des liturgischen Märtyrergedenkens. Ende des 4. Jahrhunderts ist der Gedenktag für den 26./27. Dezember in Jerusalem nachweisbar. Um 450 übernahm ihn die armenische Kirche. Das Stephansfest ist erstmals für das Jahr 411 imMartyrologium des Breviarium Syriacum nachweisbar. Für den Westen ist es erstmals im 6. Jahrhundert überliefert. Einen besonderen Anschub erfuhr die Verehrung des Stephanus durch die im Jahr 415 durch den Presbyter Lukianos von Kafar-Gamala griechisch verfasste Auffindung des Stephanus-Grabes in Kafar-Gamala; siehe dazuAbibas. Der Text wurde umgehend ins Lateinische übersetzt und verbreitete sich anschließend in verschiedenen Fassungen. Die Verehrung des Stephanus strahlte dann von Jerusalem in den Mittelmeerraum und nach Gallien aus, sodass Stephanus im 7. Jahrhundert zum Universalheiligen avancierte.[7]
Der26. Dezember ist im Kalender derrömisch-katholischen Kirche,altkatholischen Kirche, derlutherischen Kirchen und deranglikanischen Kirche derGedenktag des hl. Stephanus. Fällt der 26. Dezember auf einen Sonntag, entfällt in der katholischen Kirche das Fest des hl. Stephanus in der Regel zugunsten des Festes derHeiligen Familie. In 21 der 26 Kantone der Schweiz, in Österreich, Deutschland und in fast allen anderen Ländern Europas ist der Stephanitag am 26. Dezember gesetzlicher Feiertag. Auch die evangelische Agende sieht die Feier des Stephanitages am 26. Dezember vor. Dies wird aber in der Regel nicht wahrgenommen, und das Datum wird alsZweiter Weihnachtsfeiertag begangen. In derEvangelischen Landeskirche in Württemberg wird seit dem Jahr 2007 am Tag des Erzmärtyrers Stephanus der „Gebetstag für verfolgte Christen“ begangen.
DieArmenische Apostolische Kirche feiert den Gedenktag des heiligen Stephanus am25. Dezember. Da die Armenische Kirche schon seit dem 4. Jahrhundert das Weihnachtsfest und das Fest der Erscheinung und der Taufe Jesu Christi zusammen am gleichen Tag, dem 6. Januar, begeht, entsteht keineswegs ein liturgischer Konflikt. Der Name des Heiligen undaltgriechischστέφανοςstépʰanos, deutsch‚Krone‘ fallen zusammen. An diesem Tag tragen sowohlSubdiakone als auchDiakone während derGöttlichen Liturgie die Krone,altarmenischխոյրxujɾ, eine Art Mitra oder Stephanos, die sonst nur als Kopfbedeckung für den zelebrierenden Priester zugelassen ist. An diesem Fest ist die Krone auf dem Kopf des Diakons ein Symbol des Märtyrertums des Stephanus, des ersten Märtyrers.
Hiltgart L. Keller:Lexikon der Heiligen und biblischen Gestalten. Legende und Darstellung in der bildenden Kunst. 11. Auflage. Reclam, Stuttgart 2010,ISBN 978-3-15-010768-3.
Erna Melches, Hans Melchers; Carlo Melchers (Hrsg.):Das große Buch der Heiligen. Geschichte, Legenden, Namenstage. Südwest, München 1965; Ludwig, München 1999,ISBN 3-7787-3685-X (Erstausgabe alsDas Jahr der Heiligen – Geschichte und Legende).
Spezialliteratur
Alexandra Fritsch:St. Lorenz: Stephanus, Laurentius, Deocarus. Kirchenpatrone und Altarheilige. Verein zur Erhaltung der St.-Lorenzkirche in Nürnberg, Nürnberg 2001,DNB963488724.
Johannes Lenz:Stephanus und Paulus. Erzmärtyrer und Völkerapostel. Urachhaus, Stuttgart 2008,ISBN 3-8251-7627-4.
Carlo Maria Martini:Stephanus. Mit dem Leben Gott bezeugen. Aus dem Italienischen übersetzt durch Stefan Liesenfeld. Neue Stadt, München/Zürich/Wien 1990,ISBN 3-87996-249-9.
Klaus Haacker:Stephanus. Verleumdet, verehrt, verkannt (=Biblische Gestalten. Band 28). Evangelische Verlagsanstalt, Leipzig 2014,ISBN 978-3-374-03725-4.
Rainer Schulz:Stephanus – Gestalt ohne Antlitz. Rezeptionshermeneutische Untersuchungen zu einer theologischen Figur. Evangelische Verlagsanstalt, Leipzig 2016,ISBN 978-3-374-04296-8.
↑Erna Melchers, Hans Melchers, Carlo Melchers (Hrsg.):Das große Buch der Heiligen. Geschichte und Legende im Jahreslauf. Südwest, München 1978.ISBN 3-517-00617-3, S. 828–829.
↑Erna Melchers, Hans Melchers, Carlo Melchers (Hrsg.):Das große Buch der Heiligen. Geschichte und Legende im Jahreslauf. Südwest, München 1978,ISBN 3-517-00617-3, S. 829.
↑Gerhard Hotze, Michaela Zelzer, Hans J. Limburg: Artikel „Stephanus“, in: Lexikon für Theologie und Kirche, Band 9, Freiburg, Basel, Wien 2009, durchgesehene Ausgabe der 3. Auflage 1993–2001, Sp. 958–959.