50.44415530.526081Koordinaten:50° 26′ 39″ N,30° 31′ 33,9″ O
St. Katharinen ist dieKirche derDeutschen Evangelisch-Lutherischen Gemeinde in Kiew. Sie steht in derLjuteranska Wulyzja (Lutherische Straße).
Das heutige Kirchengebäude ist der sechsteGottesdienstraum der Gemeinde in ihrer Geschichte. Die Gottesdienste fanden seit 1767 zunächst in der Privatwohnung desdeutschenApothekersGeorg Friedrich Bunge statt, der die Gründung einer Deutschen Evangelisch-lutherischen Gemeinde in Kiew unter anderem dadurch förderte, dass er den Hauslehrer seiner Kinder,Christoph Leberecht Grahl (1744–1799), alsPfarrer der Gemeinde wirken ließ. Für die wachsende Gemeinde wurde dann ein erster Versammlungssaal als Gottesdienstraum angemietet, 1781 ein zweiter, größerer. Dies alles spielte sich im Kiewer StadtteilPodil ab, wo dann auch am 12. November 1794 die erste, hölzerneKirche eingeweiht wurde.
Dieses erste Kirchengebäude wurde nach der damals regierenden Landesherrin, derrussischenZarinKatharina II., benannt. Da deren Namen sich wiederum von der HeiligenKatharina von Alexandrien herleitete, wird der Name der heutigen Kirche auf dieseHeilige bezogen. Das erste Kirchengebäude fiel 1811 demGroßbrand in Podil zum Opfer. Hinsichtlich des Neubaus stritten sich die Deutschen, die traditionell im Stadtteil Podil wohnten, mit einer relativ neuen Mehrheit, die nun im Stadtteil Petschersk wohnte, um den Standort. Der Kompromiss war dann der Bauplatz auf einem damals fast noch unbebauten Hügel, Lipki, dort wo sich auch die heutige Kirche befindet. Aber zunächst wurde 1812 erneut eine hölzerne Kirche errichtet. Die Bauausführung war aber nicht sehr qualitätvoll und sie bot der weiter wachsenden Gemeinde nur 150 Plätze, so dass ab etwa 1840 erneut über einen Neubau nachgedacht wurde.
Allerdings sollte es lange dauern, bis die neue, steinerne Kirche eingeweiht werden konnte. Die Beschaffung der Geldmittel erwies sich dabei noch als geringstes Hindernis. Der Kampf gegen die zivileBürokratie und die desMilitärs verursachte dagegen die größten Verzögerungen. Insbesondere die Errichtung eines solch großen Gebäudes innerhalb derSchussweite derKiewer Festung stellte für das Militär ein Problem dar. Dies dürfte auch der Grund sein, warum die Kirche keinenKirchturm erhielt. Sie konnte am 4. August 1857 eingeweiht werden.
Architekten warenJohann Waldemar Strom (1823–1887) undPaul Schleifer (1814–1879), beide von derSankt Petersburger Kunstakademie. Die Außenmauern und tragenden Wände der alsBasilika errichteten Kirche bestehen ausZiegeln, die Innenkonstruktion,Säulen,Emporen undGewölbe waren in Holz ausgeführt. Stilistisch lehnten sich die Architekten an Vorbilder deritalienischenNeorenaissance an: Die Außenwände werden weitgehend durch den Wechsel glatter undgeriefter horizontaler Bänder bestimmt undimitieren damit die von derRomanik bis in dieRenaissance inItalien verwendetenpolychromenInkrustations-Fassaden. DieGesimsleisten sind in Stein ausgeführt und weisen einenneoromanischenDekor aus kleinenArkadenbögen auf. Statt einesGlockenturmes gibt es über dem Eingang eine erhöhteGlockenstube. Über die historische Gestaltung des Innenraums liegen kaum Informationen – nicht einmal ein Foto – vor.
Durch die religionsfeindliche Politik derSowjetunion wurde die Kirche 1919 beschlagnahmt undverstaatlicht, der Gemeinde zunächst aber noch zur gottesdienstlichen Nutzung überlassen. Gottesdienste fanden hier wohl bis 1937 statt. Während derTerrormaßnahmen imStalinismus wurde dielutherische Gemeinde dann vernichtet und hörte im April 1938 auf zu bestehen.
Das Kirchengebäude wurde in der Folgezeit verschiedenen anderen Nutzungen zugeführt. Zunächst diente es als Klubhaus für denKlub der kämpfendenAtheisten, später nutzte das Kultusministerium es als Lager für Treibstoff, Brenn- und Schmiermittel. Bauunterhaltung fand kaum statt; das Gebäude verfiel.
1972 wurde es demMuseum für Volksarchitektur und Brauchtum der Ukraine, einem großenvolkskundlichen Museum, für die Unterbringung seiner Verwaltung und als Depot zugewiesen. Diese Nutzung als Museumsgebäude ermöglichte nun Unterhaltungsarbeiten, die das Gebäude vielleicht retteten und die – aus ideologischen Gründen – für ein Kirchengebäude nicht möglich gewesen wären. So erhielt das Gebäude in den 1970er Jahren eine neue Dacheindeckung. Allerdings wurden auch Umbauarbeiten vorgenommen: Eine Zwischendecke und Zwischenwände wurden eingezogen, eine Restaurierungswerkstatt und ein Raum für Sonderausstellungen wurde eingerichtet und Anbauten angefügt. Aufgrund der wachsenden Sammlung war der Platz in dem Gebäude seit Ende der 1980er Jahre unzureichend. Etwa 40.000verzeichnete Einheiten lagerten dort. Aber es dauerte bis 1996, ehe Ersatz geschaffen werden konnte.
Nach der Neugründung der lutherischen Gemeinde fanden ab 1991 in dem – fensterlosen – Raum für die Sonderausstellungen wieder Gottesdienste der Gemeinde statt. Das Museum verzichtete auf diesen Raum und Sonderausstellungen und stellte ihn der Gemeinde unentgeltlich zur Verfügung. Seit 1991 bemühte die Gemeinde sich auch um Rückgabe der gesamten Kirche.
Die rechtliche Grundlage für die Rückgabe des Kirchengebäudes schuf dasGesetz der Ukrainischen Sowjetrepublik über die Gewissensfreiheit und religiöse Organisationen vom 23. April 1993. In der Praxis aber gab es erhebliche Schwierigkeiten. Zum einen hatte dasMuseum für Volksarchitektur und Brauchtum der Ukraine kein Ersatzdepot für die in der Kirche gelagerten Gegenstände. Zum anderen war – da es in der Sowjetunion keinen den westlichen Rechtssystemen entsprechendenEigentumsbegriff gab – sehr umstritten, wer die Kirche denn an die Gemeinde zurückgeben durfte: die Stadt Kiew oder der ukrainische Staat. Hinzu kam die ukrainische Bürokratie, die allgemein als schwierig gilt.[1] Zugunsten der Rückgabe intervenierten zahlreich deutsche Stellen: dieEvangelische Kirche in Deutschland (EKD), dieEvangelisch-Lutherische Kirche in Bayern, insbesondere derenDekanatMünchen, das in einem Partnerschaftsverhältnis zu der Deutschen Evangelisch-Lutherischen Gemeinde in Kiew steht, der damaligeBundeskanzlerHelmut Kohl bei einemStaatsbesuch in der Ukraine 1993, der Oberbürgermeister vonMünchen,Christian Ude, derbayerische Staatsminister für Unterricht, Kultus, Wissenschaft und Kunst,Hans Zehetmair,Hans-Jochen Vogel, damalsMdB, der damaligeAußenministerKlaus Kinkel, BundestagspräsidentinRita Süssmuth und schließlich BundespräsidentRoman Herzog bei seinem Staatsbesuch in der Ukraine 1998. Der Bundespräsident bestand dabei auf einerAndacht in der Kirche.
So kam es schließlich aufgrund der Verordnung Nr. 351 des Ministerrates „Über die Übergabe des Kultgebäudes zur Benutzung durch die deutsche evangelisch-lutherische Gemeinde in der Stadt Kiew“ von 1996 und der Bereitstellung von 1 Mio.Griwna dazu, dass das Museum Ersatzräume herrichten, aus der Kirche ausziehen und das Gebäude am 29. November 1998 – zum 1. Advent – der Deutschen Evangelisch-Lutherische Gemeinde in Kiew zurückgeben konnte.
Die Gemeinde übernahm einGeschichts- und Kulturdenkmal und verpflichtete sich im Rahmen einerdenkmalpflegerischenAuflage, die Kirche äußerlich wieder in den Zustand vor ihrer Umnutzung zu versetzen. Das Gebäude wies einen großen Rückstau in seiner Unterhaltung auf, was bis zu starken Schäden antragenden Teilen reichte. Insbesondere die tragenden inneren Teile aus Holz und derDachstuhl waren teilweise durchPilzbefall undInsektenfraß geschädigt, Leitungen im Gebäude marode. Zahlreiche Dekorationselemente fehlten: die ursprünglichen dreiKreuze, die an der Außenseite angebracht waren,Zinnen und Zierelemente der Fassade.
Anbauten aus der sowjetischen Zeit, Müllbunker,Garagen,Transformatorstation und eine außen angesetzteFeuertreppe wurden beseitigt, das Innere entkernt.Der Sanierung wurde das Konzept einer kombinierten Kirche mit Gemeindezentrum zugrunde gelegt. Im vorderen Bereich des Gebäudes wurden moderneGemeinderäume konzipiert, die etwa die Hälfte des ehemaligenHauptschiffs einnehmen. Die neue Trennwand zwischen Begegnungszentrum und Gottesdienstraum dient auch der Aussteifung des Gebäudes. Die Auflast des Daches wurde vollständig auf die Außenmauern abgeleitet. Der Gottesdienstraum bietet für 250 Personen Platz. Er umfasst dreiJoche und dieApsis. Er erhielt eine rückwärtigeEmpore, die im vierten Joch, oberhalb der Gemeinderäume liegt. Der Raum ist hell gestaltet. Die fünf Fenster desChors erhielten einefarbige Verglasung vonTobias Kammerer.
Finanziert wurde dieSanierung von der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern mitZuwendungen desBundesministeriums des Innern.Architekt des Entwurfs für die Sanierung warAlexander Oppermann, in der Durchführungsphase der in Fragen derDenkmalpflege erfahrene ukrainische ArchitektJurij Witaljewitsch Dmitrewitsch. 2000 konnte die Sanierung abgeschlossen und die Kirche genutzt werden.
Auch die Ausstattung des Kirchenraumes ist modern. Die von Tobias Kammerer abstrakt gestalteten Buntglasfenster stellen dar:
Das zentraleKruzifix wurde vonKarl Hemmeter 1929/30 geschaffen und ist eine Leihgabe der Bayerischen Landeskirche; es hing zuvor in der Eingangshalle desLandeskirchenamtes in München.
Altar- und Osterleuchter wurden ebenfalls von Tobias Kammerer gestaltet, ebenso wie die Gedenkstätte an die Opfer der Verfolgung und des Terrors der vergangenen Jahrzehnte (zusammen mit seiner Frau Ela Kammerer), die sich am Kopfende des östlichen Seitenschiffs befindet.
DieOrgel und die beiden Stahlglocken sind eine Spende aus der aufgegebenenPaul-Gerhard-Kirche inRheine.
Von Ende November 2013 bis Ende Februar 2014 ereignete sich in Kiew derEuromaidan, zunächst friedliche Anti-Regierungsproteste, die in extreme Gewalt auf Regierungs- und Oppositionsseite umschlugen und etwa hundert Tote forderten. St. Katharinen war durch seine Nähe zum Kiewer PlatzMaidan, dem Zentrum der Auseinandersetzungen, und durch die Nachbarschaft zum umkämpftenParlamentsgebäude besonders involviert. Die Gemeinde bot den Kämpfern ungeachtet ihrer Seitenzugehörigkeit Essen und Getränke, die Möglichkeit zum Aufwärmen, Ausruhen und zum Gebet. Um den immer zahlreicheren Verletzten helfen zu können, wurde im Kirchengebäude schließlich ein Lazarett eingerichtet, wo den Umständen entsprechend ärztliche Hilfe und Betreuung durch Ehrenamtliche geboten wurde.[2] Ein Foto des zwischen den Fronten der Bewaffneten stehenden und um Deeskalation bemühten GemeindepfarrersRalf Haska im Talar und Interviews mit ihm gingen durch die internationalen Medien.[3] Anlässlich seines Besuchs in Kiew zum Amtsantritt von PräsidentPoroschenko besuchte der deutsche BundespräsidentJoachim Gauck am 7. Juni 2014 St. Katharinen.[4]
Am 8. November 2019 wurde Pfarrer Haska durch BotschafterinAnka Feldhusen in der deutschen Botschaft in Kiew dasBundesverdienstkreuz verliehen.[5] In einer Pressemitteilung der Botschaft heißt es: „Pfarrer Haska setzte sich im Winter 2013/2014 intensiv für die Menschen auf dem Unabhängigkeitsplatz und für ihr Recht auf friedliche Proteste ein. Er verwandelte die evangelisch-lutherische Kirche Kiew in einen Zufluchts- und Ruheort und verhinderte in einer akuten Gefahrensituation ein gewalttätiges Aufeinandertreffen von Protestierenden und der Polizei, indem er sich zwischen beide Fronten stellte. Darüber hinaus engagiert sich Pfarrer Haska fortlaufend für die Menschen in der Ukraine. So organisiert er Hilfstransporte in die Ostukraine und informiert als Autor für das Magazin ‚Ukraine Verstehen‘ regelmäßig die deutsche Öffentlichkeit über aktuelle Entwicklungen.“
Drei Tage vor demrussischen Angriff auf die Ukraine am 24. Februar 2022 musste Pastor Mathias Lasi auf Veranlassung der deutschen Botschaft und der EKD die Ukraine verlassen.[6] Die Gemeinde, in unmittelbarer Nähe desAmtssitzes des PräsidentenSelenskyj besonders gefährdet und im Verlauf des Krieges Bombenalarm und Beschuss ausgesetzt, hält nicht nur ihr eigenes Gemeindeleben provisorisch aufrecht, sondern versucht ihrerseits, Menschen in vom Krieg besonders stark betroffenen Gebieten zu helfen.[7]
Pastoren an St. Katharinen und ihre Dienstzeit:[8]
Am 6. Dezember 2015 scheiterte ein Versuch, den von der EKD eingesetzten Pfarrer Schäfer[11] durch einen der DELKU zu ersetzen.[12] Schäfer starb am 30. März 2016 während einer EKD-Auslandspfarrer-Konferenz in Prag an Herzversagen.[13]
Im Rahmen derStädtepartnerschaft München – Kiew von 1989[14] wurde auch derKiew Ausschuss des evangelisch-lutherischen Dekanats München[15] gegründet, der engen Kontakt zur St.-Katharinen-Gemeinde pflegt und insbesondere Begegnungen und das diakonische Engagement der Gemeinde fördert. Direkte Partnerschaften bestehen mit den Dekanatsgemeinden Apostelkirche Solln, Himmelfahrtskirche Sendling und Kreuzkirche Schwabing[16]. Von Juli 2015 bis Oktober 2018 setzte die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern die Partnerschaft mit derDeutschen Evangelisch-Lutherischen Kirche in der Ukraine (DELKU) aus, direkte Gemeindepartnerschaften wie die genannten waren jedoch nicht betroffen.[17][18]