Sobolev-Raum
EinSobolev-Raum, auchSobolew-Raum (nachSergei Lwowitsch Sobolew, bei einerTransliteration und in englischerTranskription Sobolev), ist in derMathematik einFunktionenraum vonschwach differenzierbaren Funktionen, der zugleich einBanachraum ist. Das Konzept wurde durch die systematische Theorie derVariationsrechnung zu Anfang des20. Jahrhunderts wesentlich vorangetrieben. Diese minimiertFunktionale über Funktionen. Heute bilden Sobolev-Räume die Grundlage der Lösungstheoriepartieller Differentialgleichungen.
Sobolev-Räume ganzzahliger Ordnung
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]Definition als Funktionenraum schwacher Ableitungen
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]Seioffen undnichtleer. Sei und.
Dann ist der Sobolev-Raum definiert als:
Dabei bezeichnet dieschwachen Ableitungen von.
Mit anderen Worten ist der Sobolev-Raum der Raum derjenigen reellwertigen Funktionen, deren gemischte partielleschwache Ableitungen bis zur Ordnung imLebesgue-Raum liegen.
Für ist ebenfalls die Schreibweise üblich.
Sobolev-Norm
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]Für Funktionen definiert man die-Norm durch
Dabei ist einMultiindex mit und. Weiterhin ist.
Die hier angegebene Sobolev-Norm ist alsNormäquivalent zur Summe der-Normen aller möglicher Kombinationen partieller Ableitungen bis zur-ten Ordnung. Der Sobolev-Raum ist bezüglich der jeweiligen Sobolev-Normvollständig, also ein Banachraum.
Definition als topologischer Abschluss
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]Betrachten wir nun den Raum der-Funktionen, derenpartielle Ableitungen bis zum Grad in liegen, und bezeichnen diesen Funktionenraum mit. Da verschiedene-Funktionen nie zueinander-äquivalent (siehe auchLp-Raum) sind, kann man in einbetten, und es gilt folgende Inklusion
Der Raum ist bzgl. der-Norm nicht vollständig. Vielmehr ist dessenVervollständigung gerade. Die partiellen Ableitungen bis zur Ordnungk können alsstetige Operatoren auf diesen Sobolev-Raum eindeutigstetig fortgesetzt werden. Diese Fortsetzungen sind gerade dieschwachen Ableitungen.
Somit erhält man eine alternative Definition von Sobolevräumen. Nach demSatz von Meyers-Serrin ist sie äquivalent zur obigen Definition.
Eigenschaften
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]Wie bereits erwähnt, ist mit der Norm ein vollständigerVektorraum, somit also einBanachraum. Für ist er sogarreflexiv.
Für wird die Norm durch dasSkalarprodukt
induziert. ist daher einHilbertraum, und man schreibt auch.
Randwertprobleme
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]Die schwache Ableitung beziehungsweise die Sobolev-Räume wurden zum Lösen partieller Differentialgleichungen entwickelt. Jedoch gibt es beim Lösen vonRandwertproblemen noch eine Schwierigkeit. Die schwach differenzierbaren Funktionen sind ebenso wie die-Funktionen aufNullmengen nicht definiert. Der Ausdruck für und ergibt also erst einmal keinen Sinn. Für dieses Problem wurde dieRestriktionsabbildung zum Spuroperator verallgemeinert.
Spuroperator
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]Sei ein beschränktesGebiet mit-Rand,. Dann existiert ein beschränkter, linearer Operator
sodass
- falls
und
- für alle
gilt. Dabei ist
- wenn
- wenn
- wenn
Die Konstante hängt nur von,, und ab. Der Operator heißtSpuroperator.[1]Eine ähnliche Aussage lässt sich auch fürLipschitz-Gebiete beweisen:
Spuroperator für Lipschitz-Gebiete
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]Sei ein beschränktes Lipschitz-Gebiet, also mit-Rand. Dann existiert ein beschränkter linearer Operator
sodass
- falls
und
- für alle
gilt. Dabei ist
- wenn,
- wenn,
- wenn.
Die Konstante hängt ausschließlich von, und ab.[2]
Sobolev-Raum mit Nullrandbedingungen
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]Mit bezeichnet man den Abschluss desTestfunktionenraums in. Das bedeutet gilt genau dann, wenn es eine Folge gibt mit in
Für kann man beweisen, dass diese Menge genau die Sobolev-Funktionen mit Nullrandbedingungen sind. Hat also einenLipschitz-Rand,[3] dann gilt genau dann, wenn im Sinne von Spuren gilt.
Einbettungssätze
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]Sobolev-Zahl
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]Jedem Sobolev-Raum mit ordnet man eine Zahl zu, die wichtig im Zusammenhang mit Einbettungssätzen ist. Man setzt
und nennt diese Zahl die Sobolev-Zahl.
Einbettungssatz von Sobolev
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]Es gibt mehrere miteinander in Beziehung stehende Aussagen, die man mit Einbettungssatz von Sobolev, sobolevscher Einbettungssatz oder mit Lemma von Sobolev bezeichnet.Sei eine offene und beschränkte Teilmenge von,, und die Sobolev-Zahl zu. Für existiert einestetige Einbettung
wobei beziehungsweise mit derSupremumsnorm ausgestattet sind. Mit anderen Worten hat jede Äquivalenzklasse einen Vertreter in. Gilt hingegen, so kann man zumindest stetig in den Raum für alle einbetten, wobei gesetzt wird.
Aus dem sobolevschen Einbettungssatz lässt sich folgern, dass es für eine stetige Einbettung
für alle gibt.
Einbettungssatz von Rellich
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]Sei offen und beschränkt und. Dann ist die Einbettung
einlinearer kompakter Operator. Dabei bezeichnet dieidentische Abbildung.
Sobolevsche Einbettungssätze im Rd
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]Sei fortan eine fest vorgegebene Raumdimension, dann ist dieEinbettung
(1) | ||
stetig, sofern die Bedingungen
erfüllt sind, d. h., es gibt eine Konstante, so dass die folgende Abschätzung gilt
(2) | ||
Dieses Resultat folgt aus derHardy-Littlewood-Sobolev-Ungleichung für gebrochene Integrationen. Hierbei sind dieEndpunktfälle gesondert zu untersuchen.
Im ersten Endpunktfall ist dieEinbettung
(3) | ||
ebenfalls stetig, wobei wir im Fall setzen. Daher gibt es erneut eine Konstante, so dass die folgende Abschätzung gilt
(4) | ||
Dieses Resultat folgt aus derLoomis-Whitney-Ungleichung, die aufGagliardo undNirenberg zurückgeht.
Im zweiten Endpunktfall ist dieEinbettung
(5) | ||
nur für erfüllt und stetig. Dies folgt beispielsweise aus demFundamentalsatz der Analysis. Für ist die Einbettung (5) grundsätzlich falsch und somit nicht erfüllt. Als Gegenbeispiel hierfür betrachte man die Funktion für, und. Insgesamt gibt es daher in Bezug auf (5) nur für eine Konstante, so dass die folgende Abschätzung gilt
(6) | ||
Die Einbettungen (3) und (5) werdenSobolevsche-Endpunkt-Einbettungen und die Abschätzungen (4) und (6)Sobolevsche-Endpunkt-Ungleichungen genannt.
Allgemeiner erhalten wir sogar, dass dieEinbettung
(7) | ||
stetig ist, sofern einer der folgenden Fälle erfüllt ist
d. h., es gibt wieder eine Konstante, so dass die folgende Abschätzung gilt
(8) | ||
Dieses Resultat lässt sich unter Verwendung von (1) durchvollständige Induktion zeigen. Die Einbettung (7) wirdSobolevsche-Einbettung und die Abschätzung (8)Sobolevsche-Ungleichung genannt. Beachte, dass die Einbettung im Falle grundsätzlich nicht erfüllt ist. Die Bedingungen (i) und (ii) zeigen sehr schön, inwiefern die zugehörigen Sobolev-Zahlen und miteinander in Beziehung stehen.Man beachte, dass diese Version des Sobolevschen Einbettungssatzes im Vergleich zu der obigen Version ohne die zusätzliche und sehr einschränkende Bedingung auskommt. Die Beweise dieser Aussagen können interrytao.wordpress.com (Thm. 3, Ex. 20, Lem. 4, Ex. 24 und Ex. 25) nachgelesen werden und lassen sich aus den Standardquellen (unter diesen schwachen Voraussetzungen) leider nicht direkt gewinnen.
Darüber hinaus gilt das folgende Einbettungsresultat:
DieEinbettung
(9) | ||
ist für alle stetig, d. h., es gibt eine Konstante, so dass die folgende Abschätzung gilt
(10) | ||
Hierbei bezeichnet die Menge der auf dem stetigen und beschränkten Funktionen und dieSupremumsnorm auf dem.
Sobolev-Raum reellwertiger Ordnung
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]Definition
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]Oft werden auch Sobolev-Räume mit reellen Exponenten benutzt. Diese sind im Ganzraumfallüber dieFourier-Transformierte der beteiligten Funktion definiert. Die Fourier-Transformation wird hier mit bezeichnet.Für ist eine Funktion ein Element von, falls
gilt. Auf Grund der Identität sind dies für dieselben Räume, welche schon im ersten Abschnitt definiert wurden. Mit
wird zu einemHilbertraum.Die Norm ist gegeben durch
- .
Für ein glatt berandetes, beschränktes Gebiet wird der Raum definiert als die Mengealler, die sich zu einer (auf definierten) Funktion in fortsetzen lassen.
Für kann man ebenfalls Sobolev-Räume definieren. Dazu muss jedoch auf dieTheorie der Distributionen zurückgegriffen werden. Sei der Raum dertemperierten Distributionen, dann ist für alle durch
definiert.
Dual- und Hilbertraum
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]Betrachtet man den Banachraum mit dem-Skalarprodukt, so ist seinDualraum. Jedoch kann man den Raum mit Hilfe des Skalarproduktes
als einenHilbertraum verstehen. Da Hilberträume zu sich selbst dual sind, ist nun zu und zu (bezüglich unterschiedlicher Produkte) dual. Man kann und mit Hilfe desisometrischen Isomorphismus
identifizieren. Auf analoge Weise lassen sich auch die Räume und durch den isometrischen Isomorphismus
miteinander identifizieren.
Anwendungen
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]Sobolev-Räume werden in der Theorie derpartiellen Differentialgleichungen verwendet. Die Lösungen der schwachen Formulierung einer partiellen Differentialgleichung liegen typischerweise in einem Sobolev-Raum.
Die Theorie derpartiellen Differentialgleichungen liefert damit auch numerische Lösungsverfahren. DieFinite-Elemente-Methode basiert auf der schwachen Formulierung der partiellen Differentialgleichungen und somit auf Sobolev-Raum-Theorie.
Sobolev-Räume spielen auch in deroptimalen Steuerung partieller Differentialgleichungen eine Rolle.
Siehe auch
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]Literatur
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]- H.-W. Alt:Lineare Funktionalanalysis. 5. Auflage. Springer, 2006,ISBN 3-540-34186-2
- R. A. Adams, J. J. F. Fournier:Sobolev Spaces. 2nd edition. Academic Press, 2003,ISBN 0-12-044143-8
- M. Dobrowolsky:Angewandte Funktionalanalysis. 2. Auflage. Springer, 2010,ISBN 978-3-642-15268-9
- L. C. Evans:Partial Differential Equations. American Mathematical Society, 1998,ISBN 0-8218-0772-2
- L. C. Evans, R. F. Gariepy:Measure Theory and Fine Properties of Functions. CRC, 1991,ISBN 0-8493-7157-0
- V. Mazja:Sobolev Spaces. Springer, 1985,ISBN 3-540-13589-8
- W. P. Ziemer:Weakly Differentiable Functions. Springer, 1989,ISBN 0-387-97017-7
Einzelnachweise
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]- ↑mathematik.uni-wuerzburg.de (PDF) Satz 3.15
- ↑M. Dobrowolsky:Angewandte Funktionalanalysis. 2. Auflage. Springer, 2010,ISBN 978-3-642-15268-9, Satz 6.15
- ↑M. Dobrowolsky:Angewandte Funktionalanalysis. 2. Auflage. Springer, 2010,ISBN 978-3-642-15268-9, Satz 6.17