DieSinfonie oderSymphonie (vongriechischσύμφωνοςsýmphōnos ‚zusammenklingend‘, ‚harmonisch‘)[1] ist eine zentrale Gattung derInstrumentalmusik. Ihre klassischeForm als ein aus mehreren (meist vier)Sätzen bestehendes Werk fürOrchester bildete sich im 18. Jahrhundert nach dem Vorbild derSonate aus. Seitdem behauptete die Sinfonie bis ins 20. Jahrhundert eine dominierende Stellung im Bereich der Orchestermusik.
Seit Ende des 16. Jahrhunderts bezeichnet der italienische BegriffSinfonia ein Werk fürOrchester (eher selten mit Gesang) ohne bestimmte Formangabe. Sie findet sowohl in derKirchenmusik als auch in derOper, imBallett oder in der Kammermusik als Einleitungsstück (Ouvertüre),Zwischenaktmusik oder als musikalische Illustration des Geschehens (z. B.Schlachtmusik) Verwendung.
Johann Sebastian Bach benutzte den TerminusSinfonia nicht nur für instrumentale Eröffnungssätze in einigen seinerKantaten, sondern auch für den Eröffnungssatz der Partita Nr. 2 seinerClavierübung und für seine dreistimmigenSinfonien für Klavier.
Als Vorläufer derklassischen Sinfonie gilt die alsSinfonia bezeichnete Ouvertüre derneapolitanischenOpera seria, die bereits dreiteilig (schnell – langsam – schnell) angelegt war und damit im Gegensatz zurfranzösischen Ouvertüre mit umgekehrter Tempofolge stand.
Ab 1730 emanzipiert sich die Neapolitanische Opernsinfonia als eigenständige Gattung von der neapolitanischen Oper, wo sie zuvor nur eröffnende oder intermittierende Funktion hatte. Sie wird fortan auch als selbständiges Konzertwerk verwendet und dabei zugleich erweitert und gründlicher durchgearbeitet. Ihr Kopfsatz enthält im Modulationsplan und in der Wiederholung der beiden Teile |: T–D:| |: D–T | T–T:| bereits keimhaft die Anlage derSonatensatzform – zunächst monothematisch, bevor sich allmählich ein zweites Thema herausbildet. Im Laufe des 18. Jahrhunderts erweitert sich mit der Verbreitung nach Nordeuropa die ursprüngliche Dreisätzigkeit um dasMenuett, einen zusätzlichen Satz, vor dem letzten eingeschobenen Satz, so vor allem in den Sinfonien der frühenWiener Schule, derMannheimer Schule und der Norddeutschen Schule. Im Gegensatz zur bisherigen Bindung an denGeneralbass entwickelt sich der sogenannte Oberstimmensatz mit vorherrschender Melodie, wobei die Streicher eine (neue) zentrale Rolle einnehmen und die Blasinstrumente (meist 2 Oboen, 2 Hörner und 1 Fagott zur Verstärkung der Basslinie) zunächst in Begleitfunktion eingesetzt werden, später dann aber auch selbständige Aufgaben erhalten. Die Werke zeichnen sich weiter durch geradzahlige Taktgliederungen, variable Themenstruktur, Kontraste (statt barockem Einheitsaffekt) und die sogenanntenMannheimer Manieren aus.
Zu den bedeutendsten Komponisten der vorklassischen Sinfonie gehören u. a.Giovanni Battista Sammartini (Mailand),Johann Stamitz (Mannheim),Matthias Georg Monn undGeorg Christoph Wagenseil (Wien),Carl Philipp Emanuel Bach (Hamburg) undJohann Christian Bach (London) sowieJohann Baptist Wanhal (Böhmen).
Die klassische Sinfonie besteht zumeist aus vier Sätzen. Gewichtigster Satz ist der erste, der sogenannteKopfsatz, der meist inSonatensatzform mit eventuell langsamer Einleitung gehalten ist und zwei gegensätzliche Themen (Haupt- und Seitenthema) vorstellt und verarbeitet. Der zweite Satz hat ein langsames oder gemäßigtes Tempo und steht inLiedform, Sonatensatz- oder Variationenform. Beim dritten Satz handelt es sich entweder um ein mittelschnellesMenuett mit Trio oder um ein schnellesScherzo. Der vierte Satz, dasFinale, ist meist einRondo, ein Sonatensatz oder einSonatenrondo. Die beiden Ecksätze (Kopfsatz und Finale) und üblicherweise auch der dritte Satz stehen dabei in derGrundtonart, der langsame Satz hingegen in einer verwandten Tonart (Dominant-,Subdominant- oderParalleltonart).
Als Schöpfer der klassischen Sinfonie giltJoseph Haydn, der ab Mitte des 18. Jahrhunderts die bestehenden Ansätze zusammenfasste und der Gattung zu europäischem Ruhm verhilft. Seine über100 Sinfonien verteilen sich auf alle Schaffensperioden. Stets überraschend in der Erfindung und von unmittelbarer Wirkung, zeugen sie in ihrer Satztechnik, thematischen Arbeit, differenzierten Instrumentierung und klaren Formdisposition zugleich von höchster Meisterschaft.Wolfgang Amadeus Mozart komponierte über50 Sinfonien. Während seine Jugendwerke bereits durch Ideenreichtum, Eleganz und Kantabilität auffallen, findet er unter Haydns Einfluss (durchgearbeiteter Satz) insbesondere in seinen letzten Sinfonien einen vollendet tiefen und persönlichen Ausdrucksgehalt.
Ludwig van Beethoven führt die sinfonische Tradition Haydns fort und steigert seine9 Sinfonien über den Gattungsbegriff hinaus zu Einzellösungen. Für die später folgende Romantik ist er der wichtigste Bezugspunkt. Einige Komponisten verzweifelten gar an dem „titanischen“ Vorbild, so meinte beispielsweiseJohannes Brahms, dass er „nie eine Symphonie komponieren werde, da er immer so einen Riesen [Beethoven] hinter sich marschieren höre“.[2]
Beethoven führt die sogenannte thematisch-motivische Arbeit (d. h. die Verwendung von aufeinander bezogenen musikalischen Elementen und Fragmenten) zu einer nahezu jeden Takt beherrschenden Dichte und erreicht dadurch einen zwingenden Zusammenhang aller Partien. Der emotionale Gehalt seiner Sinfonien erfährt auf diese Weise vor allem in den Kopfsätzen eine intensivierte Kontrastierung, bisweilen eine dem tragischen Schauspiel verwandte Konflikthaftigkeit (v. a. in der3. Sinfonie und5. Sinfonie). Im Zuge dieser Dramatisierung des musikalischen Ausdrucks verstärkt Beethoven den Orchesterapparat um weitereHörner (3 Hörner in der 3. und 4 Hörner in der 9. Sinfonie), fügtePosaunen (in der 5., 6. und 9. Sinfonie) sowie einePiccoloflöte (in der 5., 6. und 9. Sinfonie) und einKontrafagott (in der 5. und 9. Sinfonie) hinzu und erweiterte das Schlagwerk um eine 3.Pauke sowie umGroße Trommel,Becken undTriangel (9. Sinfonie). Weiter setzt er die Blechblasinstrumente vermehrt auch in melodischer Funktion ein, so z. B. die Hörner in der 3. oder die Posaunen in der 9. Sinfonie. In der9. Sinfonie stellt er dasScherzo dem langsamen Satz voran, in der5. Sinfonie verbindet er die beiden letzten Sätze, in der6. Sinfonie die letzten drei Sätze (attacca). Die 6. Sinfonie erweitert Beethoven erstmals auf fünf Sätze und in der 9. treten im Finale außerdem Gesangssolisten (SATB) und Chor zum Orchester. Weitere Neuerungen betreffen die Satztechnik (durchbrochene Arbeit undobligates Akkompagnement), die Kühnheit der Harmonik, die Dehnung der Form im Kopf- oder Schlusssatz (v. a. der Durchführung und Coda, die oft zu einer Art „Schlussdurchführung“ wird) sowie das Zitieren vorangegangener Sätze im Finale (u. a. in der 5. und 9. Sinfonie). Die Spieldauer der einzelnen Werke liegt dabei zwischen circa 25 und 75 Minuten. Auch der Einbezug außermusikalischer Elemente in die Sinfonie geht weitgehend auf Beethoven zurück: In der6. Sinfonie (Pastorale) bezieht er klangliche Naturereignisse ein (z. B. Vogelrufe im 2. Satz mit dem TitelSzene am Bach oder Gewitter und Sturm im gleichnamigen 4. Satz) und imitiert eine Dorfkapelle im 3. Satz. In der 9. Sinfonie verwendet er die explizite Textvorlage des GedichtsAn die Freude vonFriedrich Schiller für einen groß angelegten Vokalabschnitt mit Gesangssolisten und Chor im 4. Satz. Darüber hinaus werden musikalische Zitate aus den drei vorangegangenen Sätzen sowie die einleitenden Worte „Oh Freunde, nicht diese Töne!“ voraus geschickt. Diese von Beethoven initiierteVokalsinfonik wird später vonFelix Mendelssohn in seiner2. Sinfonie (Lobgesang) sowie vonGustav Mahler in mehreren seiner Sinfonien fortgeführt.
Im Laufe des 19. Jahrhunderts gerät die Sinfonie in Konflikt zwischen neuem romantischem Ausdruck und alter klassischer Form. Einerseits wird die Gattung in romantischer Tonsprache weitergeführt, so u. a. beiFranz Schubert (8 Sinfonien, darunter eine unvollendete),Felix Mendelssohn Bartholdy (5 Sinfonien, dazu 12 Streichersinfonien),Robert Schumann (4),Johannes Brahms (4) sowie beiPjotr Iljitsch Tschaikowski (6 Sinfonien, dazuManfred-Sinfonie),Antonín Dvořák (9),Niels Wilhelm Gade (8) undJean Sibelius (7), deren Werke von nationalem Kolorit geprägt sind. Andererseits verläuft die vonHector Berlioz (Symphonie fantastique) ausgehende Entwicklung einer programmatisch orientierten Sinfonie (Programmsinfonie) undSinfonischen Dichtung, die literarisch-philosophischen Ideengehalt mit Innovation im Bereich der Form und Instrumentation verbindet, so u. a. beiFranz Liszt undRichard Strauss. Dazwischen stehen die Sinfonien vonAnton Bruckner (9 Sinfonien, darunter eine unvollendete sowie zwei unnummerierte Frühwerke), welche von Beethoven, Schubert undRichard Wagner entscheidend beeinflusst sind, zugleich aber eine unverwechselbar eigene Gestalt aufweisen. Auf Anraten seiner Schüler und Freunde hat er seine Sinfonien allerdings mehrfach überarbeitet, so dass von einigen Werken mehrere Fassungen existieren.Gustav Mahler (9 Sinfonien, dazu eine unvollendete) knüpft teilweise an Bruckner an und führt die Gattung zu einem vorläufigen Höhepunkt. Seine Sinfonien sind bezüglich Umfang und Besetzung massiv erweitert, beziehen u. a. Solo- und Chorstimmen sowieFernorchester und weitere Spezialinstrumente (Harfe,Orgel,Harmonium,Celesta,Gitarre,Mandoline,Flügelhorn,Tenorhorn und diverse Schlaginstrumente) mit ein und zeichnen sich durch eine verfeinerte Orchestersprache und einen bisweilen metaphysischen Ausdruck aus.
Dieromantische Sinfonie löst sich zunehmend von ihrer tradierten, klassischen Gestalt. Die Reihenfolge der Sätze wird oft vertauscht, die Anzahl der Sätze variiert. Im Zusammenhang mit der zunehmenden Komplexität der Harmonik mittelsChromatik sowieEnharmonik und der Form verändert sich auch die Disposition der Sonatensatzform: Das zur Zeit der Klassik vorherrschende Prinzip der Quintverwandtschaft (Tonika–Dominante) verlagert sich allmählich zugunsten derTerzverwandtschaften. Die Einführung einer dritten thematischen Gestalt innerhalb der Seitensatz-Ebene findet sich ansatzweise bereits bei Mozart und Beethoven, ein eigenständiges drittes Thema findet sich allerdings erst in SchubertsGroßer C-Dur-Sinfonie (1828) sowie später u. a. bei Dvořák, Tschaikowski, Bruckner oder Mahler. Als neues Ordnungsprinzip des sinfonischen Zyklus werdenMotive undThemen übergreifend in mehreren Sätzen eines Werks verarbeitet oder im Übergang ins 20. Jahrhundert zum Gestaltungsprinzip einer ganzen Sinfonie erhoben, so dass ein einheitlicher, in sich differenzierter musikalischer Organismus entsteht. Die Erweiterung des Aufführungsapparats führt mitunter zur Entwicklung derSinfoniekantate, welche die Sinfonie mit demGesang verbindet.
Seit Beginn des 20. Jahrhunderts gibt es kaum mehr einen einheitlichen Gattungsbegriff. Es entstanden zwar – wenn auch in immer geringerer Zahl – weiterhin Sinfonien, diese sind allerdings hinsichtlich Stilistik, Orchesterbesetzung und Spieldauer äußerst variabel. Zu den bedeutendsten Komponisten gehören u. a. vonSergei Prokofjew (7 Sinfonien, 2 unveröffentlichte),Sergei Rachmaninow (3),Dmitri Schostakowitsch (15),Bohuslav Martinů (6),Nikolai Mjaskowski (27),Karl Amadeus Hartmann (8),Arthur Honegger (5),Anton Webern (Symphonie op. 21),Hanns Eisler (Deutsche Sinfonie op. 50),Alan Hovhaness (67),Hans Werner Henze (10),Darius Milhaud (12),Peter Maxwell Davies (10),Philip Glass (12),Krzysztof Penderecki (8),Allan Pettersson (17),Alfred Schnittke (9 Sinfonien),Mieczysław Weinberg (22),Witold Lutosławski (4),George Enescu (5 Sinfonien, 4 frühe),Heitor Villa-Lobos (12),Benjamin Britten,Ralph Vaughan Williams (9),Edward Elgar (3),Malcolm Arnold (9), Charles Ives (4 Sinfonien, dazuUniverse Symphony),Wilhelm Furtwängler (3),Henry Cowell (20),Paul Hindemith,Igor Strawinsky,Bernd Alois Zimmermann (Sinfonie in einem Satz) undWolfgang Rihm.
- Christoph von Blumröder,Wolfram Steinbeck (Hrsg.):Die Symphonie im 19. und 20. Jahrhundert. Handbuch der musikalischen Gattungen 3/1 u. 3/2.
- Teilband 1:Romantische und nationale Symphonik. Laaber-Verlag, Laaber 2002,ISBN 3-89007-126-0.
- Teilband 2:Stationen der Symphonik seit 1900. Laaber-Verlag, Laaber 2002,ISBN 3-89007-542-8.
- Manuel Gervink:Geschichte der Symphonie, Laaber-Verlag, Laaber 2021,ISBN 3-89007-842-7
- Ludwig Finscher:Symphonie,MGG Prisma, Verlage Bärenreiter (Kassel) und J. B. Metzler (Stuttgart) 2001,ISBN 3-7618-1620-0 undISBN 3-476-41037-4; mit ausführlichem Literaturverzeichnis zur Symphonie-Geschichte.
- Gernot Gruber,Matthias Schmidt (Hrsg.):Die Sinfonie zur Zeit der Wiener Klassik. Handbuch der musikalischen Gattungen 2. Laaber-Verlag, Laaber 2006,ISBN 3-89007-284-4.
- Rudolf Kloiber:Handbuch der klassischen und romantischen Symphonie. 2. erweiterte Auflage. Breitkopf & Härtel, Wiesbaden 1976 (1964),ISBN 3-7651-0017-X
- Stefan Kunze:Die Sinfonie im 18. Jahrhundert. Von der Opernsinfonie zur Konzertsinfonie. Handbuch der musikalischen Gattungen 1. Laaber-Verlag, Laaber 1993,ISBN 3-89007-125-2.
- Ursula Rauchhaupt (Hrsg.):Die Welt der Symphonie, Polydor International GmbH Hamburg und Georg Westermann Verlag Braunschweig 1972,ISBN 3-14-509082-8; eine musikalische, soziologische und historische Darstellung.
- ↑Wilhelm Gemoll:Griechisch-Deutsches Schul- und Handwörterbuch. München/Wien 1965.
- ↑Nicolas Furchert: Brahms: Sinfonie Nr. 1 c-Moll op. 68. 26. Oktober 2016, abgerufen am 27. Mai 2023.