Shehnai

Shehnai (Hindiशहनाई), auchśahnāī, shenai, shahnai, ist das in der nordindischen Musik am weitesten verbreiteteDoppelrohrblattinstrument. Es wird zur Unterhaltung bei Familienfeiern, bei religiösen Prozessionen und in derklassischen Musik gespielt. Ihr südindisches Gegenstück ist dienadaswaram.
Herkunft
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]Die in ganz Asien verbreiteten Kegeloboen der Volksmusik gehören zu dem sehr alten, in Persien entstandenen Instrumententyp dersurnais. Gemeinsame Kennzeichen sind der laute, scharfe Ton, dessen Klangfarbe nicht veränderbar ist; und die Verwendung meist im Freien bei Festveranstaltungen, besondersÜbergangsriten, und bei Prozessionen.
Aus dem lautmalerischenpersischensurnai wurde inIndiensanayi (Sanskrit) undhindi:shahnai, sarna undsurna. Name und Instrument kamen während derMogul-Herrschaft nach Indien. Das übliche Zusammenspiel dershehnai mit einer Zylindertrommel brachte diesurnai alszurna in die Militärmusik desOsmanischen Reichs und in ähnlicher Verwendung an die indischen Herrscherhäuser. Von der Wertschätzung dershehnai bei den muslimischen Herrschern rührt wohl die Namensherleitung aus den Wortbestandteilenpersisch شاه,shah, „König“ und ausarabisch ناي bzw.persisch نيnai: (Bambus-)Rohr, entsprechend die Längsflötenay, also zusammen „Königsflöte“.
Vor Ankunft dershehnai gab es in Indien bereits Oboentypen, deren alte Bezeichnungenmadhukari,mohori odermuhuri regional noch für Volksmusikinstrumente geläufig sind oder synonym für dieshehnai verwendet werden. Der Name soll von Sanskritmari („Röhre“) abstammen. Eine andere Herleitung vonmizmar, wie allgemein arabische Oboen genannt werden, könnte die frühe Ankunft einer Kegeloboe auf Anfang des 8. Jahrhunderts festlegen, als eine arabische Expedition erstmalsSindh eroberte.[1]
InHyderabad stellt das Ende des 16. Jahrhunderts erbaute SiegestorCharminar den Mittelpunkt des städtischen Straßensystems dar. ZurMogulzeit war es zugleich ein Symbol für das Zentrum des islamischen Paradiesgartens. Am östlichen Stadttor gab es einen Musikpavillon, wo ohne Unterbrechung einshehnai-Spieler solch nasal klingenden Töne von sich gab, wie sie in Kommentaren zurKoran-Sure 55 den im Paradies wartendenJungfrauen angedichtet werden.[2]
Eine alte, aus dem Orient nach Nordindien gekommene Bambusoboe hießkalama (Sanskrit für ein Schreibrohr). Ihr Name ist verwandt mit dem arabischen Schreibgerätqalam. Aus dem Wortstamm wurde die mittelalterliche europäischeSchalmei.[3]
Während der HerrschaftAkbars (1542–1605) gab es mehrere Musikbands (naubat) mit verschiedenen Blasinstrumenten und Kesseltrommeln (naqqara), die bei repräsentativen Veranstaltungen und bei Prozessionen eingesetzt wurden. Die Naubats am Königshof bestanden aus mindestens neun Instrumenten. Deren Beliebtheit zeigt sich an den Abbildungen in indischen Miniaturen zur Mogulzeit. Die Naubats wurden von allen Mogul-Herrschern gefördert, konnten sich dadurch in Nordindien ausbreiten und für die zunehmende Popularität dershehnai bei der Bevölkerung sorgen. In dem an seinem Hof verfassten GeschichtswerkAin-i-Akbari (1597) wird dieshehnai und neben anderen Blasinstrumenten auch die kleinere, nur noch sehr selten zu hörendesundri erwähnt. An Blasinstrumenten gehörten Ende des 16. Jahrhunderts zum Palastorchester neunsurnā (shehnai), vier Langtrompetenkarna, einige kleinere Trompetennafir und zwei gebogene Hörnershringa.[4]
Um 1770, zur Zeit derbritischen Handelsniederlassungen, wurde die europäische Klarinette eingeführt und von Militärkapellen und in kleinerer Besetzung in der Volksmusik verwendet. Einige Shehnai-Spieler übernahmen die Klarinette wegen ihres größeren Tonumfangs. In Blasorchestern, in denen Briten und Inder gemeinsam musizierten, ersetzte überwiegend das einfacher zu spielende, westliche Instrument dieshehnai. Im Zeichen nationaler Unabhängigkeitsbestrebungen ab Ende des 19. Jahrhunderts zog die Klarinette die Abneigung gegen die Fremdherrschaft exemplarisch auf sich und wurde mit dershehnai zurückgetauscht.[5]
Dieshehnai entwickelte sich zu einem sakralen Instrument des Tempeldienstes (Puja), sie wurde zum lauter tönenden Verbündeten der von den Priestern im Ritual geblasenenSchneckentrompete; mit dem Unterschied, dass dieshehnai in einiger Entfernung zum Geschehen von niedrigkastigen Musikern gespielt wurde. Wegen dieser gesellschaftlichen Zuordnung blieb dieshehnai bis Anfang des 20. Jahrhunderts ein Instrument der auf Festveranstaltungen im Freien gespielten Volksmusik, erhielt aber als glückverheißendes Instrument den Ehrentitel einesmangal vadya.
Verbreitung
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]Neben der in ganz Nordindien bekanntenshehnai haben sich weitere Doppelrohrblattinstrumente in regionalen Spieltraditionen erhalten. Die etwas größeresanai inMaharashtra ist mit dem Repertoire derMarathi-Volksliedtradition verbunden. Kleiner ist die dortigesundri. Das kürzeste Blasinstrument dieser Kategorie ist die im Westen vonRajasthan gespieltesurnai. Sie wird von zwei unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen, den Langas und den Manganiyars in ihren jeweiligen Musiktraditionen eingesetzt.[6] Ein weiterer, noch gebräuchlicher indischer Oboentypen ist die etwas größereswarnai inKaschmir, die bis in die 1980er Jahre bei Hochzeiten, religiösen Feierlichkeiten und bei Volksschauspielen (Bandi Pethir)[7] häufig zum Einsatz kam. InWestbengalen spielt einemahuri beim TanzdramaPuruliaChhau. InMeghalaya besitzt dieka tangmuri ein hölzernes Spielrohr. ImNepal lautet der Name aufNewarimwali und aufNepalishanahi odershahane, inBiharpipahi und inGujaratpipori.
Bekanntestes Doppelrohrblattinstrument in Südindien ist dienadaswaram, eine verlängerteshehnai-Variante, dessen begleitende Trommel ist dietavil. Seltener wird die kleine, nur 25 cm langemukhavina (mukhavina, „Mund-Instrument“) im Süden gespielt, die wie die südindischemohori einen altindischen Namen trägt.[8] Kleiner, aber ansonsten mit dershehnai eng verwandt sind die südindischekuzhal und in Sri Lanka diehoranewa. Größer als dieshehnai ist dieswarnai inKaschmir.
Regional aus der Volksmusik bekannt war die ab dem 17. Jahrhundert gebräuchlichesunadi und eine hohe, besonders schrill klingende Tröte mit einer bauchigen Windkammer in der Mitte, eigentlich einEinfachrohrblattinstrument mit zwei Spielrohren, die bis heute unter dem Namenpungi zum Handwerkszeug der Schlangenbeschwörer gehört. Diepungi ist keine Vorform dershehnai, sondern desDudelsacks. Dafür übernahm dienadaswaram, auchnageshwaram, ihre Bezeichnung vonNaga, der indischen Schlange. Dass der Frisör eines Herrschers dieshehnai entwickelt haben soll, nachdem der Herrscher Missfallen an den hohen schrillen Tönen derpungi geäußert hatte, gehört zu den Ursprungsmythen des Instruments.
Bauform
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]Dieshehnai besteht aus drei Teilen und ist insgesamt 45 bis 50 Zentimeter lang. Das hölzerne Spielrohr mit sechs bis neun Grifflöchern wird nach unten etwas breiter und mündet in einen separaten Blechtrichter (pyala, „Tasse“) aus Messing. Der manchmal verchromte Trichter ist etwa 7 Zentimeter lang bei einem vorderen Durchmesser bis zu 8,2 Zentimetern. Von den neun Löchern sind sieben spielbar, die beiden anderen dienen zur Stimmung und werden nach Bedarf mit Wachs verschlossen. Das Spielrohr ist etwa 36 Zentimeter lang, der äußere obere Durchmesser beträgt 2, der untere Durchmesser 3,5 Zentimeter. Die Bohrung erweitert sich von 9 Millimeter am nahen Ende bis zu 18 Millimeter Durchmesser kurz vor dem Übergang zum Schalltrichter. Die Fingerlöcher haben einen äquidistanten Abstand von 3,1 Zentimetern, wobei das erste Loch 7,7 Zentimeter von nahen Ende entfernt ist. Der Durchmesser des ersten Loches beträgt 5, der von Loch zwei bis sechs 5,5 und von Loch sieben 6 Millimeter.[9]
An das Spielrohr, das aus abgelagertem burmesischem Teakholz besteht, wird von der schlanken Seite eine abnehmbare Messingröhre (nali inDelhi,nari inVaranasi, „Röhre“) eingeschoben. In dieses Mundstück wird das Doppelrohrblatt (pattur, vonpatta, „Blatt)“ aus einer Wildgrasart (Saccharum spontaneum, in Indien:narkat, auchpala) gesteckt. Das mit demZuckerrohr verwandte Gras wird im Sumpfland amGanges inBihar geerntet. Je zwei dieser Blätter liegen leicht nach oben bzw. nach unten gewölbt aufeinander und sind um die Mitte mit einem Faden fest umwickelt, damit sie nicht in das Instrument rutschen können. Für den Fall, dass diese empfindlichen Blättchen beschädigt oder während des Spiels abgenutzt werden, hängen an dershehnai Ersatzblättchen an Schnüren herunter. Dort stecken sie in kleinen Behältern (chapil) aus zwei klammerartig verbundenen Holzstücken, damit sie ihre flache Form bewahren. Bei Spielbeginn öffnet der Musiker die beiden zusammengepressten Rohrblätter, indem er eine konischeAhle (suja) dazwischenschiebt.
Spielweise
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Dieshehnai wird beim Spiel mit den Daumen beider Hände etwa 60 Grad nach unten gehalten. Drei Finger der linken Hand bedienen die drei oberen Löcher, vier Finger der rechten Hand die unteren. Das Mundstück wird soweit in den Mundraum hinein geschoben, dass die Rohrblätter frei schwingen können. Die Tonhöhen ergeben sich durch ganz oder nur teilweises Abdecken der Grifflöcher. Es sind allechromatischen Töne einschließlich der für indischeRagas erforderlichen Mikrotöne (shrutis) im Bereich von zwei Oktaven spielbar. Einen klanglichen Einfluss lässt sich durch die Stellung von Unterkiefer und Zunge erzielen. Wie bei anderen Rohrblattinstrumenten wirdZirkularatmung eingesetzt. Die Bauform dershehnai ist einfach, aber das Spiel ist schwer zu erlernen und die Atmung ist recht anstrengend. Da mit einem einzelnen Fingerloch ein großer Frequenzbereich spielbar ist, sind auchGlissandi (mind) möglich und für das Instrument typisch.
Der Tonumfang beträgt zweiOktaven und eine großeTerz. Hierfür stehen zehn verschiedene Fingerstellungen zur Verfügung, im Vergleich dazu benötigt dieOboe bei gleichem Tonumfang in Halbtonschritten 29 Fingerstellungen. Bei dershenai wird die obere Oktave nur durchÜberblasen ohne Halblochtechnik oder anderweitige Fingerpositionen erreicht. Es gibt einen Variationsbereich in der Tonhöhe bei jeder Fingerstellung, deren Kenntnis für die korrekte Tonbildung daher nur einen groben Hinweis gibt.[10]
Eineshehnai wird als Melodieinstrument selten allein gespielt, es braucht einenBordunton, der nicht wie bei indischen Saiteninstrumenten von dertanpura, sondern beim Duetspiel von einer zweitenshehnai oder einer weiteren,sur genanntenshehnai erzeugt wird, deren Grifflöcher mit Wachs verstopft sind. Dietabla befindet sich gewöhnlich auf der rechten, dersur-Spieler sitzt auf der linken Seite desshehnai-Spielers. Die traditionell übliche Rhythmusbegleitung durch die paarweise gespielteTontrommelduggi (auchkhurdak) ist gegenüber dertabla in den Hintergrund getreten, wird aber noch von namhaftenshehnai-Spielern bevorzugt. Häufig sorgentabla undduggi zugleich für die rhythmische Begleitung.
Dieshehnai kommt in der Volksmusik und in derklassischen Musik vor. Bei Prozessionen anlässlich von Hochzeiten oder sonstigen Festveranstaltungen ähneln die Blasmusikgruppen denen der früheren, aus dem arabisch-persischen Raum stammenden Repräsentationsorchester Naubat. Dort wurdenshehnais unter dem Namensurnā in großen Orchestern mit Trommelbegleitung bei Militärparaden und sonstigen Zeremonien im Freien vor hohen Würdenträgern gespielt. Für die rhythmische Begleitung bei Prozessionen sorgendhol,dholak odernagārā. Viele regionale Volkstänze, Begräbnisse und Volkstheater werden vonshehnais und Trommeln begleitet. In manchen Regionen in Rajasthan kann in den Hochzeitsensembles die zweiteshehnai durch die alte Sackpfeifemashak ersetzt werden.
Das Melodieinstrument aus der Volksmusik wurde durch die Initiative einiger weniger Musiker Anfang des 20. Jahrhunderts in die klassische nordindische Musik eingeführt. Dieshehnai erlebte damit eine vergleichbare Änderung der allgemeinen Wertschätzung wie die Bambusquerflötebansuri, die Streichlautesarangi und die Kastenzithersantur. Das Verdienst, dieshehnai erstmals auf die große Konzertbühne gebracht zu haben, gebührtBismillah Khan (1916–2006) mit seinem Konzert bei derCalcutta All India Music Conference 1937. Er gilt als der führendeshehnai-Spieler des 20. Jahrhunderts.
Weitere bekannte Musiker, die aus einershehnai-Gharana (traditionelle Musikerfamilie) stammen und wie Bismillah Khan ihre Wurzeln in dershehnai-HochburgVaranasi haben, sind Anant Lal (1927–2011) und sein Sohn Daya Shankar. Ali Ahmad Hussain Khan (* 1939)[11] stammt ausKolkata, und Jagadish Prasad Qamar, ein Schüler von Bismillah Khan, ausDelhi. In Varanasi werden die besten Instrumente hergestellt.
Literatur
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]- Mamta Chaturvedi:How to Play Flute and Shehnai. Diamond Books, Neu-Delhi 2007, S. 65–87
- Bigamudre Chaitanya Deva:The Double-Reed Aerophone in India. In:Yearbook of the International Folk Music Council, Vol. 7. International Council for Traditional Music, 1975, S. 77–84
- Reis Wenger Flora:Styles of the Sahnai in Recent Decades: From Naubat to Gayaki Ang. In:Yearbook for Traditional Music 27, 1995, S. 52–72
- Reis Wenger Flora:Observations on the Hindustani sahnai, its structure and performance. In: Rüdiger Schumacher (Hrsg.):Von der Vielfalt musikalischer Kultur. Festschrift fürJosef Kuckertz. Ursula Müller-Speiser, Anif/Salzburg 1992, S. 207–216
- Rita Ganguli:Bismillah Khan and Benares: The Seat of Shehnai. Siddhi Books, Neu-Delhi 1994
- Nazir A. Jairazbhoy:A Preliminary Study of the Oboe in India. In:Ethnomusicology, Vol. 14, No. 3, University of Illinois Press, September 1970, S. 375–388
- Nazir A. Jairazbhoy:The South Asian Double-Reed Aerophone Reconsidered. In:Ethnomusicology, Vol. 24, No. 1, University of Illinois Press, Januar 1980, S. 147–156
Weblinks
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]- David Courtney:Shehnai. chandrakantha.com
- Shehnai. Wind Musical Instrument. IndiaNetzone
Einzelnachweise
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]- ↑Dileep Karanth:The Indian Oboe Reexamined. (Memento vom 18. Februar 2007 imInternet Archive) Asian Studies on the Pacific Coast (bei Internet Archive)
- ↑Jan Piper:Hyderabad. A Qur'anic Paradise in Architectural Metaphors. In:Journal of the Islamic Environmental Design Research Centre, 1984, S. 51 (PDF; 650 kB)
- ↑Curt Sachs:Die Musikinstrumente Indiens und Indonesiens. (1915) 2. Auflage, Georg Reimer, Berlin 1923, S. 153
- ↑Jairazbhoy 1970, S. 377
- ↑Shanti Raval:A Method for Performing Hindustani Music on the Clarinet. S. 6 (Memento vom 12. Juni 2009 imInternet Archive) (PDF; 521 kB)
- ↑Flora 1992, S. 208
- ↑Kashmiri Theatre. Indianet zone
- ↑Bigamudre Chaitanya Deva:Musical Instruments. National Book Trust, Neu-Delhi 1977, S. 67
- ↑Flora 1992, S. 209f
- ↑Flora 1992, S. 211–213
- ↑Ali Ahmad Hussein Khan (Memento vom 7. Juli 2011 imInternet Archive) Homepage