Schwuchtel
Schwuchtel (englischFaggot) ist eine meist salopp und abwertend alsSchimpfwort verwendete Bezeichnung fürSchwule oder einen sich‚weiblich‘ benehmenden Mann. Seltener kommt es als wertneutrale ironisierende Selbstbezeichnung vor, manchmal zur Differenzierung untereinander.[1] Der Unterschied ist meist im Tonfall zu hören oder aus dem geschriebenen Zusammenhang zu entnehmen. Es gibt keine weibliche Entsprechung.[2]
Schimpfwort
Heranwachsenden Männern dient der Begriff in abgrenzender Funktion ihrer geschlechtlichen Identitätsbildung.
„Wenn Schüler heute Schimpfausdrücke wie ‚du Schwuchtel‘ verwenden, beabsichtigen sie damit, ihre eigene Männlichkeit von alternativen Männlichkeitskonzepten abzugrenzen. Mit der Verwendung des BegriffsSchwuchtel zum Beispiel wird zumeist eine Männlichkeit abgewertet, die sich durch eine vermeintliche Effeminisierung auszeichnet, bei der also die Grenzen zwischen Männlichkeit und Weiblichkeit als nicht hinreichend scharf wahrgenommen werden. Unklare Trennungslinien zwischen den Geschlechtern werden als Störung der Geschlechterordnung aufgefasst und verstören viele bei der Konstruktion ihrer eigenenGeschlechtsidentität.“
In der Erwachsenenwelt ist das Wort wohlbekannt. Der EntertainerHarald Schmidt bezeichnete während derFußball-Weltmeisterschaft 1998 den NationalspielerJürgen Klinsmann als „Schwaben-Schwuchtel“ und „Warmduscher“. Die Äußerung führte zu einer juristischen Auseinandersetzung mit demDeutschen Fußball-Bund, bei der Schmidt unterlag.[4]
Ebenso hält dieses Wort in die politische Rede Einzug. Bei seinem Grußwort zu einerCDU-Veranstaltung zum ThemaPatriotismus im Juni 2006 inLieske begründete der später wegen solcher rechtspopulistischen Äußerungen aus der CDU ausgetretene BundestagsabgeordneteHenry Nitzsche die Notwendigkeit von Patriotismus, „um endlich vomSchuldkult runterzukommen“, damit „Deutschland nie wieder vonMulti-Kulti-Schwuchteln in Berlin regiert“ werde.[5][6]
Auch in der politischen Presse wird das Wort inzwischen verwendet, sogar auf eine konkrete Person bezogen. In der rechten, derFPÖ nahestehenden ZeitungZur Zeit bezeichnete der Autor Dimitrij Grieb – enger Mitarbeiter des FPÖ-EU-AbgeordnetenAndreas Mölzer – im August 2007 denLife-Ball-OrganisatorGery Keszler alsBerufsschwuchtel.[7] Keszler klagte wegen Beleidigung, und Grieb wurde in erster Instanz freigesprochen. In erster Instanz hatte er sich damit verteidigt, dass Keszler „jemand ist, der ständig seine geschlechtliche Orientierung zur Schau trägt wie ein Adelsprädikat“, und es als „Stilmittel der Übertreibung“ und „umgangssprachlich im Kontext“ zu sehen sei. Außerdem meinte er: „Keszler gehört zu den obersten Zehntausend der Society. Damit muss er leben.“ Die Richterin begründete in ihrem Freispruch, dass die Bezeichnung zweifellos eine Beschimpfung und der gesamte Artikel „böse gegen Homosexuelle geschrieben“ sei. Sie sei aber „zu wenig beleidigend, um die Meinungsfreiheit außer Kraft zu setzen“, und Grieb habe nicht den Rahmen der freien Meinungsäußerung verlassen, die heutzutage sehr hoch gehalten werde. Des Weiteren stehe Keszler „massiv in der Öffentlichkeit“, „und ein Mensch, der so in der Öffentlichkeit steht, muss sich auch öffentliche Kritik gefallen lassen“.[8] EineBerufung vor demOberlandesgericht Wien führte zu einer Verurteilung Griebs zu einer Geldstrafe von 750 Euro wegen öffentlicher Beschimpfung gemäß § 115 StGB.[9]
Selbstbezeichnung und ältere Vorkommen
Belegt ist das Wort in der Prostituiertensprache Wiens[10] und Berlins.[11] Im Berlin der 1920er Jahre gab es einenSchwuchtelball als „Tanzabend Homosexueller“[11] und imBaseldeutsch gab es vor allem zwischen 1930 und 1955 das SpezialidiomSchwuchtle.[12] Ab 1975 wurde vonReinhard von der Marwitz in Berlin dieSchwuchtel – Eine Zeitung der Schwulenbewegung herausgebracht.[13][14][15] Aus dem Herausgeberkreis kamen dann die Gründer des 1977 eröffneten SchwulencafésAnderes Ufer. In der Szene gibt es auch die Bezeichnung derSchrankschwuchtel, also eine Person, die noch nicht ihrComing-out gegenüber der Umgebung hatte und „im Schrank“ versteckt lebt. Es handelt sich um eine Lehnübersetzung aus dem englischen(to be) in the closet (zu deutsch „verheimlichen“), worauf auch der Ausdruckcoming out (of the closet) („sich bekennen“) zurückgeht, beide ursprünglich ohne sexuelle Bedeutung, so dass beide Begriffe noch eher als im Deutschen allgemeine Verwendung finden.
Andere Bedeutungen in verschiedenen Mundarten
In denVolksüberlieferungen aus dem FürstenthumWaldeck von 1860 istSchwuchtel unter der Bedeutung „leichtsinniger Mensch“ verzeichnet.[16]
ImSchlesischen bezeichnetSchwuchtel eine Schwätzerin, eine Art Dorfzeitung und eine dicke Frau. DerSchwüchtel ist ein dickleibiger Mensch undschwuchteln bedeutet herumtreiben.[17]
Einzelnachweise
- ↑Jody Daniel Skinner:Bezeichnungen für das Homosexuelle im Deutschen – Band II, Ein Wörterbuch, Die Blaue Eule, Essen 1999,ISBN 3-89206-903-4; Dissertation der Universität Koblenz-Landau 1998
- ↑Gabriele Scheffler:Schimpfwörter im Themenvorrat einer Gesellschaft, Tectum Verlag 2004,ISBN 3-8288-8172-6, S. 175
- ↑Martin Lücke: „Unnatürliche Sünden – lasterhafte Lustknaben“, in:Bea Lundt,Bärbel Völkel (Hrsg.):Outfit und Coming-out: Geschlechterwelten zwischen Mode, Labor und Strich, Lit Verlag, Münster 2007,ISBN 3-8258-0491-7, S. 140.
- ↑Harald Schmidt darf Klinsmann nicht mehr schmähen: Nie wieder "Schwabenschwuchtel". In:Rhein-Zeitung, 21. Juni 1998.
- ↑Verbalentgleisung: CDU-Parlamentarier kritisiert „Schuldkult“ und „Multi-Kulti-Schwuchtel“,Spiegel Online, 30. November 2006.
- ↑Austritt aus der CDU: Nitzsche sieht sich als Buhmann verunglimpft, Spiegel Online, 15. Dezember 2006.
- ↑Dimitrij Grieb:Die Homoletten-Opfer-Lüge, Zur Zeit, Nr. 29–30/2007, 20. Juli–2. August 2007.
- ↑„Berufsschwuchtel“ für Wiener Gericht von Meinungsfreiheit gedeckt (Memento desOriginals vom 3. Februar 2009 imInternet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäßAnleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.vienna.at, vienna.at, 15. Januar 2008
- ↑„Berufsschwuchtel“ ist eine Beleidigung, diestandard.at, 24. Juni 2009.
- ↑Oswald Wiener:Beiträge zur Ädöologie des Wienerischen, im Anhang zu:
Josefine Mutzenbacher:Die Lebensgeschichte einer wienerischen Dirne, von ihr selbst erzählt, München 1970, S. 388: „päderast“ - ↑abHeinz Küpper:Illustriertes Lexikon der deutschen Umgangssprache II, Stuttgart 1982–1984, „weibischer Homosexueller Berlin 1920 ff.“
- ↑Rudolf Suter (Hrsg.):Baseldeutschwörterbuch, Basel 1984
- ↑http://kenb.org/museum_Marwitz.html Reinhard von der Marwitz Nachruf
- ↑Susanne zur Nieden:Homosexualität und Staatsräson: Männlichkeit, Homophobie und Politik, Campus Verlag 2005,ISBN 3-593-37749-7, S. 93
- ↑Annette Dröge, Volker N. Würtz:„männer“, „frauen“ und andere Menschen: Über Normen, Abweichungen …, Verlag Frauenpolitik 1977, S. 86
- ↑Louis Curtze:Volksüberlieferungen aus dem Fürstenthum Waldeck, Verlag A. Speyer, Arolsen 1860, S. 501 (Online-Version)
- ↑Walther Mitzka:Schlesisches Wörterbuch, W. de Gruyter 1962
Weblinks
- Schwuchtel imHomowiki
- www.berufsschwuchtel.org (Memento vom 15. Januar 2012 imInternet Archive) – Eine Aktion von Aids Life, Trägerverein desLife Balls gegen Homophobie