Sardonismus
Sardonismus bezeichnet eine beißende,höhnische oderzynische Art vonHumor, bei der eine boshafte, herablassende oder bittere Haltung mitschwingt.[1] Im Gegensatz zutrockenem Humor oderSarkasmus enthält der Sardonismus eine tiefere Ebene vonBitterkeit oderVerachtung, die oft hinter einem grimmigen, ironischen, feixenden („sardonischen“)Lächeln oderLachen verborgen ist, und gilt als besondersscharfsinnige, aber kalte Form des Humors. Sardonismus drückt Geringschätzung, Ablehnung oderKritik auf eine treffende, aber indirekte, subtil zersetzende Weise aus, wodurch eine Bemerkung nicht sofort als offene Beleidigung erscheint.
Sardonische Äußerungen zeichnen sich durch feine, aber schneidendeIronie aus und beinhalten oft unangenehmeWahrheiten. Dabei schwingt häufig eine gewisse Gefühlskälte oder Missachtung mit, was eine Bemerkung besonders verletzend machen kann. Anders als beim humorvollen Sarkasmus, bei dem die Ironie oft als Stilmittel genutzt wird, um eine lustige Wirkung zu erzielen, zielt der Sardonismus darauf ab, andere zu erniedrigen oder zu demütigen. Typischerweise zeigt sich dies in einer scheinbar überlegenen Haltung des Sprechers, der durch seine spitze Zunge und den unterschwelligenSpott auf Distanz zur Situation oder den beteiligten Personen bleibt. Oft wird Sardonismus in Situationen verwendet, in denen offene Kritik oder ein direkter Angriff unangebracht oder zu riskant wären. Seine Subtilität macht ihn zu einer effektiven Methode, um elegant Kritik oder Abneigung zu äußern, ohne dabei offen konfrontativ zu erscheinen.[2]
Ursprung
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Bereits im antiken Griechenland kannte man den Ausdruck, meist alssardonisches Gelächter,σαρδάνιος γέλωςsardanios gelos oder späterσαρδόνιος γέλωςsardonios gelos.[3] Man unterschied zwischenkynisch (kynikós: ‚zur Weltsicht der Kyniker gehörig‘),sarkastisch (sarkastikós: ‚höhnender Spott, verletzende Rede‘) und sardonisch (σαρδάνιοςsardanios: ‚das grimmige Hohngelächter eines Zornigen, bei eigenem Schaden oder eigenem Schmerz‘).
So lachtOdysseus als Bettler verkleidet beiHomer sardonisch in sich hinein, als er, endlich zurückgekehrt, einemKuhfuß ausweicht, mit dem ihn ein Freier seiner Frau bewirft:[4]
ὣς εἰπὼν ἔρριψε βοὸς πόδα χειρὶ παχείῃ,
κείμενον ἐκ κανέοιο λαβών· ὁ δ’ ἀλεύατ’ Ὀδυσσεὺς
ἦκα παρακλίνας κεφαλήν, μείδησε δὲ θυμῷ
σαρδάνιον μάλα τοῖον· ὁ δ’ εὔδμητον βάλε τοῖχον.
Also sprach er (*) und warf mit nerviger Rechter den Kuhfuß,
Welcher im Korbe lag, nach Odysseus. Aber Odysseus
Wandte behende sein Haupt und barg mit schrecklichem Lächeln
Seinen Zorn; und das Bein fuhr gegen die zierliche Mauer.
(Übersetzung vonJohann Heinrich Voß)
Gustav Schwab übersetzt diese Stelle so: „mit einem gräßlichen Lächeln“.[5] Wörtlich heißtσαρδάνιον μάλα τοῖονsardanion mala toion „wahrlich sehr sardonisch“. Dies stellt den ersten Beleg fürsardánios dar.Pape führt dieses Wort aufσαίρωsairo („Zähne fletschen, grinsen, hohnlachen“) zurück.[3]
In deutschsprachigen Werken tritt der Ausdruck seit dem 16. Jahrhundert auf:
„… mit aim boßhafftigen vnd Sardonischen glächter (wie man sagt) … Ain Sardonisch glächter würt inn aim sprichwort für ain erdichtets gespöttiges vnd vast bitters gelächter gebraucht.“
„Sie lachten ein Sardonisch Gelächter.“
Die Herkunft des Wortes ist dabei unklar: einerseits soll bei den altenSarden (lateinischSardoni oderSardi) die Sitte bestanden haben, die alten Leute zu töten; dabei sollte gelacht werden. Das war der berüchtigterisus Sardonicus, ein krampfartiges Lachen, an dem die Seele unbeteiligt ist.[8]Andererseits wird das krampfhafte Lächeln gelegentlich auf die Wirkung einer bitteren Pflanzeσαρδάνιονsardánion (je nach Quelle auchApium risus oder, beispielsweise beiVergil,Sardoa herba, deutsch auchLachkraut) ausSardinien zurückgeführt, die das GiftÖnanthotoxin enthalten soll und somit die Überlieferung von der Tötung der Alten erklären würde.[9] So schreibt Meyers Enzyklopädie von 1888 dazu:
„Sardonisches Lachen (Sardonius risus, Sardoniasis), krampfhaftes, mit heftig wechselnden Gesichtsverzerrungen verbundenes Lachen ohne äußern Anlaß. Der Ausdruck findet sich schon bei Homer (Odyssee, 20, 302) und soll von einem auf Sardinien wachsenden Kraut (bei Vergil Sardoa herba) hergenommen sein, dessen Genuß den Mund wie zum Lachen verzieht. Allgemeiner bezeichnet derselbe auch ein gezwungenes oder höhnisches Lachen.“[10]
Auch neuere Werke beziehen den Ursprung des krampfhaften Lachens auf das GewächsSardonia.[11] Häufig wurde als reale Pflanze hinter dem mythischen Kraut derRöhrige Wasserfenchel (botanischOenanthe fistulosa) identifiziert, dessen Pflanzenteile jedoch extrem bitter schmecken. Bereits im 18. Jahrhundert warAlbrecht von Haller der Meinung, dass es sich bei dem Kraut um die nur auf Sardinien vorkommendeSafranrebendolde (botanischOenanthe crocata) handeln müsse.[12] In einer Studie von 2009 gelangte eine Gruppe unter Leitung von Giovanni Appendino[13] zu derselben Ansicht wie Haller:
“Unlike other plant toxins, the convulsant polyacetylenes from water dropwort and related plant do not evoke unpleasant taste (bitter) or chemesthetic (burning) sensations, and the roots ofO. crocata, an exceedingly poisonous plant, have a paradoxical sweetish and pleasant taste and odor. The large concentration of falcarindiol, a bitter compound, and the lower contents of polyacetylene toxins inO. fistulosa when compared toO. crocata could presumably underlie the observation that the former species has not yet been associated with human or animal poisoning. The nameOenanthe signifies ‘wine flower’, because the plant produces a state of stupefaction similar to drunkenness. This, as well as locked jaws (risus sardonicus), has been documented in human poisoning fromO. crocata, and there is little doubt thatherba sardonica of the ancient medical literature should be identified withO. crocata, a plant that, within the Mediterranean area, is common only in Sardinia. The results of our investigation provide a further rationale for this identification, proposing a molecular mechanism for the risus sardonicus described by the ancient authors.”
„Im Gegensatz zu anderen Pflanzengiften rufen die krampferzeugendenPolyacetylene aus der Safranrebendolde und verwandten Pflanzen keine unangenehmen Geschmacks- (bitter) oder chemästhetischen (brennenden) Empfindungen hervor, und die Wurzeln vonO. crocata, einer äußerst giftigen Pflanze, haben einen paradoxen süßen und angenehmen Geschmack und Geruch. Die hohe Konzentration an Falcarindiol, einer bitter schmeckenden Verbindung, und der geringere Gehalt an Polyacetylentoxinen inO. fistulosa im Vergleich zuO. crocata könnten vermutlich der Beobachtung zugrunde liegen, dass erstere Art noch nicht mit einer Vergiftung von Mensch oder Tier in Verbindung gebracht wurde. Der NameOenanthe bedeutet ‘Weinblume’, weil die Pflanze einen Zustand der Benommenheit erzeugt, der der Trunkenheit ähnlich ist. Dies ist ebenso wie die verkrampfte Kiefermuskulatur (risus sardonicus) bei einer menschlichen Vergiftung durchO. crocata dokumentiert, und es besteht kaum ein Zweifel, dass dieHerba sardonica der antiken medizinischen Literatur mitO. crocata identifiziert werden sollte, einer Pflanze, die im Mittelmeerraum nur auf Sardinien verbreitet ist. Die Ergebnisse unserer Untersuchung liefern eine weitere Begründung für diese Identifizierung und schlagen einen molekularen Mechanismus für den von den antiken Autoren beschriebenenRisus sardonicus vor.“
Sardonisches Grinsen
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]AlsRisus sardonicus oder „sardonisches Grinsen“ wird heute ein Symptom bezeichnet, das bei einerTetanus-Erkrankung („Wundstarrkrampf“) und bei Vergiftung mitStrychnin auftritt.
Weblinks
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]- Angelika Franz: Das Lächeln des Todes. 1. Juli 2009; abgerufen am 10. Januar 2019 (auch erschienen inGeo, Juli 2009).
- Riley Winters: An Ancient Method of Forced Euthanasia: The Disturbing Truth Behind a Sardonic Grin. In: Ancient Origins. 14. Oktober 2017; abgerufen am 10. Januar 2019 (englisch).
Einzelnachweise
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]- ↑Definition of SARDONIC. 9. Oktober 2024, abgerufen am 16. Oktober 2024 (englisch). ;Dictionary.com | Meanings & Definitions of English Words. Abgerufen am 16. Oktober 2024 (englisch). ;Sardonic. In: Oxford English Dictionary. Abgerufen am 16. Oktober 2024 (englisch).
- ↑Matthias Heine:Kluge Wörter: wie wir den Bildungswortschatz nutzen können - und wo seine Tücken liegen. 1. Auflage. Dudenverlag, Berlin 2024,ISBN 978-3-411-91410-4. ;Sardonic. In: Cambridge Dictionary. Abgerufen am 16. Oktober 2024 (englisch).
- ↑abWilhelm Pape:Griechisch-Deutsches Wörterbuch. Braunschweig 1849. Belegstellen u. a. bei Homer, Platon, Polybios, Meleager und Sophokles. Online:Stichwortσαρδάνιος (sardanios),Zeno.org.
- ↑Homer, Odyssee 20,302; Verse 299–302 griechisch und deutsch zitiert nachNavicula Bacchi,Homer: Odyssee 20. Die Ereignisse vor dem Freiermord (griechischer Originaltext und deutsche Übersetzung)
- ↑Schwab – Sagen: Der Festschmaus – Odysseus (Textlog.de)
- ↑Juan Luis Vives:De officio mariti, dt. Übersetzung von Christophorus Bruno:Von Gebührlichem Thun und lassen eines Christlichen Ehemanns, Augsburg 1544, fol. 12b, im Text und am Rand. (Onlineansicht in der Google-Buchsuche). Frankfurt am Main 1566, fol. 10b, im Text und am Rand. (Onlineansicht in der Google-Buchsuche)
- ↑Plutarch, dt. Übersetzung vonWilhelm Xylander und Jonas Löchinger:Von der herrlichsten, löblichsten, namhafftsten Historien, Leben ... der herrlichsten Männer, so under den Römern und Griechen gegrünet haben, Frankfurt am Main 1580, fol. 211b. (Onlineansicht in der Google-Buchsuche); W. de Porta:Illustr. dt. Monatshefte. 3. Folge. Band 5, 1875, S. 593 f; Büchmann, Geflügelte Worte 1912, S. 328; Friedrich Kluge:Etymologisches Wörterbuch. Berlin 1963, S. 625.
- ↑Karl Friedrich Wilhelm Wander:Deutsches Sprichwörter-Lexikon. Brockhaus, Leipzig 1867, s. v.Gelächter
- ↑Das Geheimnis des sardonischen Lachens. In:epoc. Heft 5. Spektrum, Heidelberg 2009, S. 9.ISSN 1865-5718
- ↑Sardonisches Lachen. In:Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Band 14, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig/Wien 1885–1892, S. 328.; Lemma im Original fett ausgezeichnet.
- ↑dtv-Lexikon. Band 16, München 1977,ISBN 3-423-03066-6.
- ↑Heinrich Gottfried von Mattuschka:Flora Silesiaca, oder Verzeichniß der in Schlesien wildwachsenden Pflanzen. Erster Theil. Leipzig 1776,S. 520 (Onlineansicht in der Google-Buchsuche): „… wiewohl Herr von Haller der Meinung ist, daß dieOenanthe crocata die wahreHerba Sardoa der Alten sey.“
- ↑Professor für Organische Chemie in derPharmazeutischen Fakultät derUniversità del Piemonte Orientale:Docenti – Dipartimento di Scienze del Farmaco →Giovanni Battista Appendino
- ↑Giovanni Appendino, Federica Pollastro, Luisella Verotta, Mauro Ballero, Adriana Romano, Paulina Wyrembek, Katarzyna Szczuraszek, Jerzy W. Mozrzymas, Orazio Taglialatela-Scafati:Polyacetylenes from SardinianOenanthe fistulosa: A Molecular Clue torisus sardonicus. In:Journal of Natural Products.Band 72,Nr. 5, 2009,S. 962–965,doi:10.1021/np8007717,PMID 19245244,PMC 2685611 (freier Volltext).