Rubinroter Dschungel (englischer Originaltitel:Rubyfruit Jungle) ist derDebütroman derUS-amerikanischenSchriftstellerinRita Mae Brown aus dem Jahr1973. Das Werk ist einautobiografisch eingefärbterBildungsroman, der stark auf Browns Jugend und Entwicklung alslesbischeAutorin beruht. Der Roman erzählt die Geschichte von Molly Bolt, die intelligent, lesbisch und unabhängig ist, von ihrer Kindheit in den 1950er Jahren im ländlichenPennsylvania über Schulzeit und Studium inFlorida bis hin zu ihrem Leben und Studium inNew York. Die Bezeichnung „rubinroter Dschungel“ wird im Roman für die weiblichenGenitalien verwendet. Der Roman markiert eine wichtige Wende in der lesbischen Literatur und etablierte ein Erzählmodell für „lesbische Selbstfindungsromane“.
Der aus derIch-Perspektive geschriebene autobiografisch geprägte Roman erzählt die Geschichte von Molly Bolt von ihrer Kindheit in den 1950er Jahren im ländlichen Pennsylvania über Schulzeit und Studium in Florida bis hin zu ihrem Leben und Studium in New York. Molly Bolt ist die adoptierte Tochter einer armen Familie. Sie ist braunäugig und dunkelhaarig und sticht in ihrer sonst durchgehend blonden Familie heraus. Die Beziehung zu ihrer Adoptivmutter Carrie ist schwierig. Im ersten Kapitel des Romans wirft Carrie der siebenjährigen Molly im Streit an der Kopf, dass sie nicht ihr leibliches Kind ist, sondern ein „Bastard“, die Tochter einer „Nutte“, was Molly abwehrt mit:
“I don't care. It makes no difference where I came from. I'm here, ain't I?”
„Ist mir egal, es macht doch nichts aus, wo ich herkomme. Ich bin da, oder?“
Schon früh identifiziert Molly sich mit anderen Außerseitern: denAfroamerikanern undHispanics, die in denSüdstaaten, wo sie lebt, diskriminiert werden. Der Roman zeigt, wie Mollys durchaus derber Humor ihr hilft, mit unangenehmen Menschen umzugehen, so zum Beispiel als sie dem Schulhofschläger Kaninchenkot als Rosinen zum Mittagessen unterjubelt oder sie in New York den Schreibtisch eines feindseligen Kollegen mit Hundehaufen füllt.[3]
Molly, der schon früh ihr sexuelles Interesse an Mädchen bewusst ist, verliebt sich in der sechsten Klasse in ihre Freundin Leota B. Bisland, mit der sie ihre erste sexuelle Beziehung hat. Diese endet, als ihre Familie nachFort Lauderdale in Florida umzieht, wo ihr Vater Arbeit sucht. Während derHighschool experimentiert sie sexuell mit ihrem Cousin Leroy wie auch mit anderen Jungen, doch Molly weiß, dass sie Frauen bevorzugt. Sie hat eine längere sexuelle Beziehung mit ihrer Freundin Carolyn Simpson, der oberstenCheerleaderin der Schule, die zwar gerne mit Molly schläft, aber die Bezeichnung „Lesbe“ für sich ablehnt. Auch Leroy hat eine sexuelle Freundschaft mit einem älteren Jungen. Doch er kann sich nicht damit abfinden, dass dies bedeuten könnte, dass erschwul ist, obwohl Molly ihm zuredet, nicht nach Etiketten zu leben.
Mollys Vater Carl stirbt in ihrem vorletzten Jahr an der Highschool. Anders als ihre Mutter Carrie hatte Carl Molly mit Liebe und Verständnis behandelt und sie in ihren Zielen und ihrer Ausbildung unterstützt. Molly zwingt sich, Spitzenleistungen in der Highschool abzuliefern, so dass sie ein volles Stipendium für dieUniversity of Florida erhält. Nachdem dort jedoch ihre Beziehung mit ihrer alkoholabhängigen Zimmergenossin entdeckt wird, wird ihr Stipendium nicht verlängert. Als Molly nach Hause zurückkehrt, wird sie von Carrie aus dem Haus geworfen, die Molly mit „stinkende Schwule“ beschimpft.
Fast mittellos reist Molly per Anhalter nach New York insGreenwich Village, da sie gehört hat, dass dort mehr Akzeptanz für unterschiedliche Lebensstile herrscht. Sie jobbt, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen, und schreckt dabei auch nicht vor sexualisierten Tätigkeiten zurück. So verdient sie sich einmal hundert Dollar, indem sie einem Mann den Wunsch erfüllt, ihn, während er nackt ist, mitGrapefruits zu bewerfen. Molly mietet eine kleine Wohnung, arbeitet in einem Kino, später in einem Restaurant und an anderen Orten und schreibt sich an einer örtlichen Universität ein, um Filmemachen zu studieren.
Während ihrer Jahre als Teilzeitstudentin und Vollzeitarbeiterin entdeckt Molly die lesbischeSubkultur und hat mehrere sexuelle Beziehungen zu Frauen und Männern. Dabei lernt sie, dass es viele Arten von Lesben gibt. Eine ihrer Geliebten ist Holly, eine große schwarze Frau, die von einer älteren wohlhabenden Lesbe finanziell unterstützt wird. Molly lehnt eine solche Situation für sich selbst ab und zieht es vor, für sich selbst zu sorgen. Dann hat sie eine Affäre mit der einundvierzigjährigen Polina Bellantoni und kurzzeitig auch mit Polinas sechzehnjähriger Tochter Alice. Polina hat auch eine Affäre mit Paul, einem äußerst unattraktiven Mann. Molly erfährt, dass Polina und Paul beim Sex Szenarien von sich als dem anderen Geschlecht verbalisieren. Gleichzeitig behauptet Polina, sie sei heterosexuell und Molly sei pervers.
Gegen Ende ihrer Studienzeit besucht Molly noch einmal ihre Heimatstadt in Pennsylvania. Ihre inzwischen verheiratete Jugendfreundin Leota leugnet, dass es in ihrer Kindheit eine Romanze gegeben hätte. Molly fährt auch nach Florida, um Carrie zu besuchen und einen Film über sie für ihr Abschlussprojekt zu drehen. Leroy lebt dort mit seiner Frau und seinen Kindern. Er beneidet Molly um ihren Mut, ihr Leben zu leben. Carrie behauptet, sie habe Molly nie verleugnet, und Molly akzeptiert Carrie so, wie sie ist. Sie dreht einen dokumentarischen Kurzfilm, in dem ihre Mutter offen über ihr Leben spricht.
Beim Vorführabend für den Abschluss des Studiums zeigt Molly ihrenDokumentarfilm, während ihre Mitstudenten Vergewaltigungs- und Gewaltfilme präsentieren. Weder der Dozent noch ihre Mitschüler erkennen ihre Arbeit an. Sie schließt ihr Studium mit „summa cum laude“ ab, doch die Geschichte endet damit, dass Molly trotz ihrer überlegenen akademischen Leistungen – anders als ihre Studienkollegen – keine Stelle in der Filmindustrie bekommt. Doch Molly will weiterkämpfen. Die letzten Sätzen der Erzählung wechseln insPräsens:
“I wish I could make my films. That wish I can work for. One way or another I'll make those movies and I don't feel like having to fight until I'm fifty. But if it does take that long then watch out world because I'm going to be the hottest fifty-year-old this side of the Mississippi.”
„Ich möchte, daß ich meine Filme machen kann. Für diesen Wunsch kann ich etwas tun. So oder so, ich werde diese Filme machen, und ich glaube nicht, daß ich darum kämpfen muß, bis ich fünfzig bin. Aber falls es doch so lange dauert, dann sei auf der Hut, Welt, denn ich werde die schärfste Fünfzigjährige diesseits des Mississippi sein.“
Rubyfruit Jungle ist einBildungsroman, ein Roman über das Erwachsenwerden, wobei der Wandel innerhalb des Romans nicht auf Molly Bolt als Protagonistin beschränkt bleibt. Mehrere Frauenfiguren bemühen sich umAutonomie und reiben sich daran, wie die Welt sie aufnimmt. Die Verwandlung konzentriert sich nicht auf die Protagonistin, sondern findet in der Welt außerhalb der Figur statt. Wie in der klassischen Gestaltung eines Bildungsromans wächst Molly heran und wird zu einer jungen Frau, aber auch als Erwachsene weigert sie sich, die gesellschaftlichen Zwänge zu akzeptieren, die ihr als Frau und als Lesbe auferlegt werden. Politisch gesehen brauchen Browns Figuren eine neu erdachte Welt, die sie von den Zwängen befreit, die ihnen aufgrund von Geschlecht und sexueller Orientierung auferlegt worden sind. In der Welt, in der Brown 1971 ihren Roman verfasste, war eine freie und befreite Molly, die offen und glücklich als Lesbe lebte, nicht denkbar. Aber Brown weigerte sich, sie in einesexistische,rassistische undhomophobe Welt zu integrieren. Brown hielt den Raum für eine veränderte Welt in der Zukunft offen. Julie R. Enszer schrieb, dass die politische Botschaft des Romans darin bestehe, sich eine Welt vorzustellen, in der die Figuren sie selbst sein können, ohne dass dies negative gesellschaftliche Folgen hätte.[6]
James Martell siehtRubyfruit Jungle in der Tradition despikaresken Romans. Der pikareske Roman ist an sich ein konservatives Genre, dessen Charme darin besteht, dass die Protagonistin eine Außenseiterin ist. Molly lebt am gesellschaftlichen Rand und versucht zumindest in ökonomischer Hinsicht, im sozialen Mainstream Fuß zu fassen. Im Kontext der amerikanischen literarischen Kultur sei keine Person vorstellbar, die stärker marginalisiert und entfernt von Macht und Einfluss sei als eine Lesbe aus den Südstaaten, die aus einer armen Familie derArbeiterklasse stammt. Die Herkunft der Hauptfigur ist in einem pikaresken Roman von besonderer Bedeutung. InRubyfruit Jungle basiert die Marginalität auf „weiblich“ und „illegitim“.[7]
Rita Mae Brown war bereits als Schülerin für dieBürgerrechtsbewegung engagiert. Während ihres Studiums in New York in den 1960er Jahren setzte sich Brown in der Homosexuellen- und Frauenbewegung ein. Sie war ein frühes Mitglied derNational Organization for Women (NOW), aus der sie nach ihrer Aussage wegen der dortigen sexistischen, rassistischen und klassenbewussten Haltungen austrat. Für ihre Promotion zog Brown 1970 nach Washington. Dort lernte sie die Frauen kennen, die 1971 gemeinsamThe FuriesCollective gründeten, ein lesbisch-feministischesKollektiv. Es bestand nur achtzehn Monate, gab in dieser Zeit aber auch eine Zeitung heraus. Gemeinsam formulierten die Frauen viele Ideen, die noch heute für den lesbischen Feminismus und lesbischen Separatismus von zentraler Bedeutung sind. In ihren MemoirenRita Will beschreibt Brown den lesbischen Feminismus als die Idee, dass, „wenn Frauen lesbisch wären, ihre beste Energie den Frauen zufließen würde; sie würden sich als Frauen identifizieren, anstatt sich mit Männern zu identifizieren, die eindeutig nicht ihre besten Interessen als Klasse im Sinn hatten“.[9]
Während ihrer Zeit bei denFuries begann Brown zu veröffentlichen, zunächst Essays in feministischen Zeitschriften und eine Gedichtsammlung über lesbischen Aktivismus. Außerdem verfasste sie mitRubyfruit Jungle ihren ersten Roman, bei dem sie stark auf ihre eigenen Erfahrungen zurückgriff. Mainstream-Verlage zeigten kein Interesse an diesem Buch. Schließlich publizierte es 1973Daughter’s, ein kleiner feministischer Verlag. Zum damaligen Zeitpunkt gab es in den USA immer mehr und immer größere lesbische und feministische Gruppen. Brown machte Lesereisen mit den Roman. Sie las daraus, sprach mit Lesben, die unbedingt Bücher mit fesselnden lesbischen Charakteren lesen wollten, und verkaufte Exemplare aus dem Kofferraum eines Autos. Durch Mund-zu-Mund-Propaganda wurde der Roman zu einem Underground-Bestseller. Zwischen 1973 und 1976 wurden 80.000 Exemplare verkauft, was einen enormen Erfolg für einen unabhängigen, feministischen Verlag darstellte. 1977 erwarb Bantam die Rechte anRubyfruit Jungle. In einer Ausgabe für den Massenmarkt verkaufte sich der Roman bald über eine Million Mal.[10] Der Vorschuss von Bantam gab Brown die Freiheit, von da an in Vollzeit zu schreiben.[11][12][9]
Rubyfruit Jungle wurde von Barbara Scriba-Sethe ins Deutsche übersetzt und 1978 imRowohlt Verlag veröffentlicht, was damals als mutig galt. Kritisiert wurde später aber, dass die Übersetzung „schamhaft“ den Begriff „Lesbierin“ statt „Lesbe“ verwendete.[13] Auch die deutschsprachige Ausgabe erfuhr zahlreiche Neuauflagen, zuletzt 2018.[14]
Rubyfruit Jungle hatte wegen seines frischen und schockierenden Ansatzes zu sexueller Selbstbestimmung eine starke Wirkung auf seine Leserschaft, insbesondere die Leserinnen.[15] Die SchriftstellerinKatherine V. Forrest schrieb, dass der Einfluss von Rita Mae Brown auf die Entwicklung der lesbischen Literatur kaum übertrieben werden könnte. Ihre selbstbewusste Darstellung der kühnen lesbischen Heldin Molly Bolt könne man als die Geburtsstunde des „Gay Pride“ bezeichnen. Unbestreitbar sei es einer der wichtigsten lesbischen Romane aller Zeiten.[16] Der Roman markiert eine wichtige Wende in der lesbischen Literatur. Frühere Erzählungen über das Leben von Lesben, wie zum BeispielRadclyffe HallsQuell der Einsamkeit, hatten vor allem beschrieben, wie sie verzweifelten und an Depressionen litten bis hin zum Suizid. Molly Bolt war die erste Protoganistin in der Mainstreamliteratur, die für sich das Recht beanspruchte, eine Frau und Lesbe zu sein.[17][18][9] Gerade wegen der überlebensgroßen Protagonistin wurde der Roman zu einem Manifest sowohl für die lesbische als auch für die Frauenbewegung.[19] Er ist eine der frühestenComing-out-Erzählungen der Post-Stonewall-Zeit[20] und wurde zu einem Modell für viele „lesbische Selbstfindungsromane“.Jeanette WintersonsOranges Are Not the Only Fruit,Emma DonoghuesStir-Fry undEileen MylesInferno folgen alle dem Erzählmodell vonRubyfruit Jungle. Sie bevorzugen „authentisches Lesbischsein“ gegenüber „unauthentischer Heterosexualität“ und bieten Raum und Gelegenheit für die Erforschung lesbischen Lebens in seiner ganzen Komplexität.[9] In der lesbischen Community erlangteRubyfruit Jungle bald den Status eines Klassikers[21] und lösteDesert of the Heart der SchriftstellerinJane Rule aus dem Jahr1964 als wichtigsten lesbischen Roman ab.[15]
Auch in der Hochschulwelt reüssierte der Roman. In literaturwissenschaftlichen Seminaren reagierten die Studierenden meist enthusiastisch bis glühend auf die Lektüre.[22] So berichtete die Hochschullehrerin Susan Radner, dass sie in SeminarenRubinroter Dschungel gerne als letztes Werk am Ende des Semesters ansetzte, wenn die Studierenden die große Literatur allmählich über hätten. Und immer werde es von diesen zum besten Buch des Seminars gewählt.[23]
Es gibt allerdings auch kritische Stimmen. So kam die „übermütige“ Heldin bei einigen als so uniform „rotzfrech“ an, dass sie als Figur nicht glaubwürdig sei.[9]
Nach dem Erscheinen vonRubyfruit Jungle lag der Schwerpunkt von Browns Veröffentlichungen im Bereich der anspruchsvollenGenreliteratur. Das führte zu einer geringeren Aufmerksamkeit der Literaturwissenschaft für ihre literarischen Werke. Trotzdem ist Browns Werk von Bedeutung. Dies gilt wegen ihres prägenden Einflusses auf die lesbische Literatur und ihres weitreichenden Einflusses auf die feministische Theorie, insbesondere im Hinblick auf Lesben-Feminismus, Separatismus, Klasse in der Frauenbefreiungsbewegung und Intersektionalität.[9]
Jonathan Dollimore hatRubyfruit Jungle als scharfsichtige,pikareske Kritik heterosexueller Machtverhältnisse und Heuchelei beschrieben. Das Werk zeichne sich durch die affirmative Darstellung der weiblichen Homosexualität aus. Während die damals üblicherweise als „pervers“ geltenden Lesben im Roman als unkompliziert und authentisch dargestellt werden, also als „natürlich“, erscheint das Sexualleben der Heterosexuellen dagegen als „verkorkst“. Nach einer von Fetischismen durchzogenen Affäre mit der bisexuellen Wissenschaftlerin Polina hat Molly eine „geradlinige“ lesbische Beziehung mit deren 16-jähriger Tochter, die sich durch eine unkomplizierte Sinnlichkeit auszeichnet. Brown lässt Molly dazu sagen:[24]
“She was there, all there with no hang-ups, no stories to tell, just herself. And I was just me.”
„Sie war da, ganz da, mit keinerlei Komplexen, keinen Geschichten, ganz sie selbst. Und ich war ganz ich selbst.“
Dollimore betonte, dass der Roman sich überlappende binäre Gegensätze präsentiert: authentisch vs. unauthentisch und Einschluss vs. Ausschluss. Molly wird als integer und authentisch dargestellt. Ihre Unverwüstlichkeit und schiere Unbestechlichkeit angesichts von Ausbeutung, Diskriminierung und Armut sei heiligengleich. Perverse sexuelle Fantasien, wie die Beziehung von Polina und Paul, werden dagegen der unauthentischen, ausgeschlossenen Seite zugeordnet. Ein weiteres Beispiel ist die Beschreibung von Mollys Erlebnissen bei ihrem ersten Besuch einer New YorkerButch/Femme-Bar, in der dieser Form lesbischen Lebens die Authentizität abgesprochen wird:[24]
“That’s the craziest dumbass thing I ever heard tell of. What’s the point of being a lesbian if a woman is going to look and act like an imitation man? Hell, if I want a man, I’ll get the real thing, not one of these chippies.”
„Das ist ja wohl das verrückteste, dümmste Zeug, das ich je gehört habe. Was ist der Sinn, wenn man Lesbierin ist und wie ein imitierter Mann aussieht und handelt? Himmel, wenn ich einen Mann will, hol ich mir das richtige Ding und nicht eine von diesen Nutten.“
James Mandrell sah in der Zurückweisung traditioneller Mann/Frau-Rollen und sogar nicht-traditioneller Geschlechterrollen innerhalb der Homosexuellen-Kultur den subversivsten Aspekt des Romans. Beispiele dafür sind, wenn Molly, also das Mädchen, bei den kindlichen Doktorspielen die Doktorin sein möchte oder wenn sie ihrer Jugendliebe Leota einen Heiratsantrag macht und schockiert hört, dass Mädchen einander nicht heiraten könnten. Die Entlarvung männlicher Gewalt gegen Frauen und der Unterdrückung von Frauen im Roman kulminieren in den letzten Kapiteln des Romans, in denen es um den Film für das Abschlussprojekt geht. Der Dozent erweist sich beim Beratungsgespräch nicht nur als frauenfeindlich, sondern auch noch als boshaft. Molly bekommt keine Hilfe oder Unterstützung von ihren Kommilitonen. Ihr wird nicht einmal wie allen anderen die technische Ausrüstung zur Verfügung gestellt. So sieht Molly keine andere Abhilfe, als den Film und die Kamera, die sie braucht, an sich zu nehmen, ohne dies entsprechend einzutragen. Mit ihrem erstklassigen Studienabschluss hat Molly zwar letztendlich Erfolg in der kulturell anerkannten Form. Doch diesen Erfolg kann sie nicht in einen besseren Job ummünzen, wie es für ihre männlichen Studienkollegen selbstverständlich ist. Der Student mit dem Studienprojekt über eine Marsianer-Vergewaltigung erhält eine Stelle bei CBS im Kinderprogramm. Mandrell sieht das Ende des Buches als Scheitern Mollys, was sich in ihrem Schwur in den letzten Sätzen des Romans zeige. Weit davon entfernt, ihre männlichen Widersacher zu besiegen, gewinne Molly die Schlacht, um dann den Krieg zu verlieren. Der Roman ende mit dem Schweigen der Erzählerin, mit ihrer Unfähigkeit, Filme zu machen. Mandrell fasst zusammen: „By offering this ‚good and true account,‘ Molly/Brown changes nothing, shows no possibility for change, but, rather, acquiesces to and confirms the marginality experienced by those who are not straight, white middle-class males.“ (deutsch „Indem sie diese ‚gute und wahre Darstellung‘ anbietet, ändert Molly/Brown nichts, zeigt keine Möglichkeit zur Veränderung auf, sondern akzeptiert und bestätigt vielmehr die Marginalität, die diejenigen erfahren, die keine heterosexuellen weißen Männer der Mittelklasse sind.“)[7]
Carol M. Ward, die die bedeutendste monografische Studie über Rita Mae Browns Werk vorgelegt hat, hat ihre Bücher im Zusammenhang mit der Geschichte des Südens analysiert. Browns Bücher, so Ward, stellten die konventionellen historischen Erzählungen des Südens in Frage. Zudem forderten ihre Texte die Konventionen des Erzählens heraus. In anderen Kritiken wurde dagegen Brown im Vergleich zu lesbisch-feministischen Innovatorinnen wieMonique Wittig undHélène Cixous als konventionelle Erzählerin bezeichnet.[29]