Ruach

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Lebensodem, byzantinisches Mosaik 12. Jahrhundert

Das weiblichehebräische Wortrûaḥ (רוּחַ) kommt imTanach, der hebräischenBibel, 378 Mal vor. An bestimmten Stellen wird das Wort mit ‚Geist‘ übersetzt. Die Grundbedeutung vonrûaḥ ist ‚bewegte Luft‘[1]. In griechischen Übersetzungen des Tanach ist die Übersetzung alsPneuma zu finden, ebenso imNeuen Testament.

Inhaltsverzeichnis

Verbreitung im Alten Orient

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Imwestsemitischen Sprachraum ist das Wort weit verbreitet. ImUgaritischen findet sichrḥ (‚Wind‘ oder ‚Duft‘),[2] imPhönizisch-Punischenrḥ (‚Geist‘),[3] imAramäischenrwḥ (‚Wind‘ und ‚Geist‘)[4], imArabischenrūḥ (‚Lebensodem‘, ,Geist‘) undrīḥ (‚Wind‘) und imAltäthiopischenroḥa (‚fächeln‘).[5] Im Ostsemitischen findet sich stattrûaḥ dieakkadische Wurzelscharu für ‚Odem‘.[6]

Etymologische Aspekte

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Rûaḥ ist weiblich und soll einonomatopoetisches Wort sein, welches dasGeräusch des Windes oder des Atmens nachahmt.[7] Manche Autoren haben die Beziehung vonrûaḥ zuræwaḥ (‚Weite, Raum; Erleichterung, Rettung‘[8]) diskutiert. Als Indiz wurde das akkadische Wortnapaschu angeführt (‚aufatmen‘ und ‚weit werden‘). Der Zusammenhang gilt allerdings als umstritten.[9]

Häufige Verwendungen

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Die Autoren des Tanach verwenden das hebräische Wortrûaḥ mit unterschiedlicher Frequenz.Ezechiel undJesaja verzeichnen mit insgesamt 103 Fundstellen zusammen einen Großteil der Vorkommen im Tanach. In weiten Teilen des Tanach, vor allem den sogenannten „kleinen Propheten“ (Hosea bisMaleachi) findet es dagegen kaum Verwendung (insgesamt 33 Fundstellen).

Die häufigste Verwendung vonrûaḥ im Tanach ist der Gebrauch im Zusammenhang mit Wetterphänomenen. So wird der im Frühjahr in Nordafrika auftretende heiße Wind, der in IsraelSharav heißt, auch im Tanach erwähnt und dortrûaḥ qadim genannt. Eine weitere häufige Verwendung findet sich in der Beschreibung von Aktivitäten des Windes, etwa in dem Sinne dass der Wind das trockene Stroh zerstiebt. Die verkürzte Formulierung: „Spreu vor dem Wind“ ist im Tanach zu einer Redewendung geworden, die den Untergang der Frevler bezeichnet (Jes 17,13 EU). Im übertragenen Sinne wirdrûaḥ für die Nutzlosigkeit des menschlichen Tuns verwendet: „Streben nach Wind“ (Koh 1,17 EU).

Rûaḥ und das Handeln Gottes

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Rûaḥ wird im Tanach auch in Verbindung mit demHandeln Gottes gebracht. Die Autoren des Tanach nehmen an, dassJHWH die Bewegung des Windes veranlasst (Gen 8,1 EU), dass der Wind von Gott erzeugt werde („rûaḥ JHWH“ inJes 40,7 EU) und dass Gott den Wind erschaffen habe (mit „bara“ inAm 4,13 EU). An einigen Stellen im Tanach wirdrûaḥ im Sinne des „Atems Gottes“ verwendetPs 18,16 EU. Dabei wird der Atem Gottes nicht selten mit einem kriegerischen Handeln JHWHs in Verbindung gebracht. InJes 30,28 EU heißt es, Gottes feuriger Atem habe die Feinde vernichtet.

In deralttestamentlichen Forschung wird der Textbefund, dass der von Gott erzeugte Wind und sein Atem identisch seien, sehr kontrovers diskutiert. Einzelne Autoren bezweifeln die generelle Ineinssetzung von Wind und Atem Gottes im Tanach[10] oder nehmen an, es handele sich ummetaphorische Formulierungen.[11] Andere Autoren vermuten, dass diese Verbindung inEpiphanievorstellungen zustande gekommen sei.[12]

An einigen Stellen im Tanach scheintrûaḥ die Bedeutung von ‚Geist‘ anzunehmen (vergleiche auchNeschama undNefesch). Es handelt sich dabei um Berichte, in denen die Rede davon ist, dass der Erzähler vomrûaḥ Gottes an einen anderen Ort gebracht worden sei (z. B.1 Kön 18,12 EU;2 Kön 2,16 EU); siehe auchEntrückung.Westermann erklärt, man könnte vermuten, dass die „bewegende Kraft des Windes“ zu einer „visionären Sphäre“ verwandelt wird.[13]

Rûaḥ und das Atmen des Menschen

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Wenn die Autoren des Tanach das Atmen des Menschen benennen wollen, kommt nebenrûaḥ auch das Wort נְשָׁמָהnəšāmāh zur Verwendung. Aufgrund des unterschiedlichen Gebrauches der beiden Worte haben einzelne Autoren gefolgert, dassrûaḥ das heftige, geräuschvolle Schnaufen meint, wohingegen mitnəšāmāh das ruhige Atmen gemeint sei.[14] Dieser Ansicht hat Carl Westermann mit dem Hinweis aufJes 42,14 EU, wonəšāmāh für das heftige Atmen einer Gebärenden verwendet wird, widersprochen. Laut Westermann sollnəšāmāh auf den Unterschied zwischen Lebendigsein und Totsein hinweisen, weshalb das Wort auch für den „lebendigem Odem“ inGen 2,7 EU verwendet wird.

Das Wortrûaḥ soll demgegenüber das Atmen des Menschen unter dem „Aspekt der dynamischen Vitalität“ (Carl Westermann) bezeichnen: Angesichts vonSalomos Reichtum stockt derKönigin von Saba der Atem (1 Kön 10,5 EU). An vielen Stellen wird mitrûaḥ die zurückkehrende Lebendigkeit eines erschöpften Menschen beschrieben, so etwaSamson inRi 15,19 EU. Aus diesem Grund haben einzelne Autoren die Vorstellung von Lebendigkeit im Tanach direkt in den Zusammenhang mitrûaḥ gebracht.[15]

Bedeutungswandel vonrûaḥ

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Albertz und Westermann stellen in ihrem ausführlichen Kommentar imTheologischen Handwörterbuch zum Alten Testament (THAT) fest, dass es im Laufe der Entstehungsgeschichte der alttestamentlichen Schriften einen gravierenden Bedeutungswandel des Begriffsrûaḥ gegeben hat.[16] Ursprünglich haberûaḥ einen dynamischen Charakter gehabt, der mit der Zeit eingeebnet worden sei und dann in den später entstandenen Schriften des Tanach ein bloßes „Lebendigsein“ bezeichnet.Rûaḥ sei damit in seiner Bedeutung an die Stelle des Wortesnəšāmāh getreten.nəšāmāh ist ein Begriff, der im Alten Orient im Zusammenhang mit Menschenschöpfungsberichten eine weit verbreitete Verwendung fand.[17] In nachexilischer Zeit tritt laut Carl Westermannrûaḥ an die Stelle des ursprünglichennəšāmāh in Berichten von der Erschaffung des Menschen.

Für das Verständnis dieses Prozesses verweisen die Autoren desTHAT aufEz 37 EU, worûaḥ historisch gesehen erstmals in der Bedeutung „Lebensodem“ verwendet wird. InEz 37,11 EU sei in der Klage über die „verdörrten Gebeine“ noch die ursprüngliche Bedeutung vonrûaḥ zu erkennen. Indem Ezechiel den verdörrten Gebeinen eine Neubelebung ankündigt, verändert er die Verwendung vonrûaḥ: die zurückkehrende Lebenskraft werde zur Menschenschöpfung. Auch inJes 57 EU diene lt. Westermann der Begriffrûaḥ dazu, Rettung und Menschenschöpfung miteinander zu verbinden und damit dem Begriffrûaḥ eine neue Bedeutung zu geben.[18]

Literatur

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Weblinks

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Einzelnachweise

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  1. Wilhelm Gesenius:Gesenius. 18. Aufl. 2013, S. 1225.
  2. Joseph Aistleitner:Wörterbuch der ugaritischen Sprache; Hrsg. O. Eißfeldt. Nr. 2494
    C. H. Gordon:Ugaritic Textbook 1965; Nr. 2308
  3. Herbert Donner, W. Röllig:Kanaanäische und aramäische Inschriften, 3 Bände; Nr. 79.
    Charles F. Jean,Jacob Hoftijzer:Dictionnaire des inscriptions semitiques de l'ouest. 1965. 276.
  4. Joseph A. Fitzmyer:The Aramaic Inscriptions of Sefire. Biblia et Orientalia 19, 1967.
    Ludwig Köhler,Walter Baumgartner:Lexicon in Veteris Testamenti libros. 1958. S. 1123.
    Carl Brockelmann:Lexikon Syriacum. 1928. S. 718.
  5. Pelio Fronzaroli,AANLR VIII/20, 1965.
  6. Johannes Hehn:Zum Problem des Geistes im Alten Orient und im AT; Zeitschrift für alttestamentliche Wissenschaft (ZAW) 43 (1925), S. 210–225.
  7. David Winton Thomas, Zeitschrift für Semitistik (ZS) 10 (1935), S. 311–314.
    Daniel Lys:Ruach. Le souffle dans l’AT; 1962; S. 19 f.
  8. Gesenius. 18. Aufl. 2013, S. 1225.
  9. Wolfram von Soden:Akkadisches Handwörterbuch; 1959; S. 736 f.
  10. Paul van Imschoot:Theologie de l’AT. Band 1; 1954; S. 184.
  11. Johannes Hendrik Scheepers:Die gees van God en die gees van die mens in die Ou Testament. 1960; S. 93–97.
  12. Claus Westermann:Das Loben Gottes in den Psalmen; 1968.
    Jörg Jeremias:Theophanie 1965.
  13. Rainer Albertz,Claus Westermann inTheologisches Handwörterbuch zum Alten Testament (THAT) II, 734.
  14. Norman Henry Snaith:The Distinctive Ideas of the Old Testament. 1947, S. 145 ff.
  15. Aubrey R. Johnson:The Vitality of the Individual in the Thought of Ancient Israel. 1949, S. 28 ff.
  16. Ernst Jenni, Carl Westermann, THAT. S. 735f.
  17. Carl Westermann:Genesis 1-11; Biblischer Kommentar zum Alten Testament I/1; S. 281ff.
  18. Ernst Jenni, Carl Westermann, THAT. S. 738.
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