Dieser Artikel beschreibt die originale Kunstepoche des 18. Jahrhunderts, zu späteren Stil-Imitationen imHistorismus des 19. Jahrhunderts siehe:Neorokoko.
EineRocaille, typisches muschelartiges Ornament des RokokoEiner der bedeutendsten und berühmtesten Rokokoräume der Welt: dieWieskirche bei Steingaden, Bayern
DasRokoko ist eineStilrichtung der europäischen Kunst von etwa 1730 bis etwa 1780 und entwickelte sich aus demRégence, das im Spätbarock (ca. 1700–1720) ankert. Ausgangspunkt warFrankreich. Der Name entstammt dem französischen WortRocaille (Muschelwerk) und bezeichnet ein immer wieder auftretendesOrnamentmotiv, das sich durchAsymmetrie von barocken Formen unterscheidet.[1] Der BegriffRokoko wurde 1797 von dem Maler Pierre Maurice Quays geprägt.[2]
Das Rokoko wurde ungefähr ab ca. 1770 langsam vomKlassizismus abgelöst. Einen Übergangsstil nennt man im DeutschenZopfstil.
Der Begriff Rocaille leitet sich aus den französischen Wörternroc (‚Fels‘) undcoquilles (‚Muscheln‘) ab. Die Ableitung zeigt, dass es sich vor allem um einen Dekorationsstil handelt. Daher wird auch im Wesentlichen bei monumentaler Baukunst und bei bildnerischen Künsten jener Zeit nur bedingt von einer eigenen Stilepoche gesprochen. Dagegen wird besonders auf den Gebieten der Innenarchitektur und des Kunstgewerbes eine strenge Abgrenzung vomBarock getroffen.[1] Der Begriff ist in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gebildet worden.[3]
DasPathos des Barocks konnte sich im Zuge derGegenreformation, derkatholischen Reform und der damit einhergehenden Lehre und Praxis sowie in der Verherrlichung des absolutistischen Herrschertums voll entfalten. In der Zeit des Rokoko huldigte man dagegen einem verspielteren Schönheitsideal von eleganter Leichtigkeit und Anmut. Charakteristisch in diesemBau- undDekorationsstil sind überbordende Verzierungen anFassaden, in Innenräumen, an Möbeln, Alltagsgegenständen etc. und eine Vorliebe für das Unregelmäßige und fürAsymmetrie, im Gegensatz zu der im Barock so zentralen Symmetrie. An die Stelle fester Formen traten leichte, zierliche, gewundene Linien und häufig rankenförmige Umrandungen.
In derIkonographie der weltlichen Kunst zeigen die Motive eine Zunahme an sinnlicher, erotischer Ästhetik und einelaszive Darstellung dergalanten Welt. In der Architektur und Baukunst tritt der großartigeFassadenschmuck zugunsten einer reichhaltigeren Ausstattung und Akzentuierung der Innenräume zurück, wie überhaupt das Rokoko in erster Linie eine Kunst der Innendekoration ist. In der höfischen und zunehmend auch in der bürgerlichen Umgebung waren mehr oder weniger luxuriös gestalteteSalons die Zentren geselliger Unterhaltung. Sie entwickelten sich zu den beherrschenden Wohnräumen.
Im Spätbarock und Rokoko hatte man auch eine große Vorliebe für alles Exotische, daher erreichte vor allem dieChinoiserie ihre größte Popularität. Die Bewunderung fürchinesisches Porzellan und ostasiatischeLackarbeiten führte zur Einrichtung von Porzellankabinetten oder von chinesischen oder japanischen Lackzimmern, wie beispielsweise inSchönbrunn, und sogar zu kleinenPavillons oderPagoden in manchen Schlossparks (Chinesischer Pavillon inSanssouci, Potsdam). Vor allem kam es auch zur Neuentdeckung derPorzellanherstellung in Meißen, die auch die Gründung anderer Manufakturen nach sich zog, wie derPorzellanmanufaktur Nymphenburg, derManufacture royale de porcelaine de Sèvres bei Paris oder inCapodimonte, Neapel. In manchen Palästen schmückte man sogar ganze Räume statt mit dem wertvollen China-Porzellan mit Produkten aus den europäischen Werkstätten, z. B. im Schloss vonAranjuez oder imSalottino di Porcellana der KöniginMaria Amalia von Sachsen im Königspalast vonPortici (1757–1759; heute imMuseo di Capodimonte, Neapel). In den Manufakturen entstanden nicht nur alle möglichen Ziergegenstände – Vasen und Figurinen –, denn mit der Liebe zum Porzellan ging parallel auch ein erster Boom im Genuss exotischer Getränke wieSchokolade,Tee undKaffee einher, die seit dem 17. Jahrhundert in Europa immer mehr in Mode gekommen waren. So wurden entsprechende Services gefertigt, und die im Vergleich zu chinesischen Originalen preiswertere Produktion von Porzellan förderte letztlich die Verfeinerung der Sitten, und es kamen auch ganze Ess-Services aus Porzellan in Mode.
Rokoko-Uhr mit Meißner Porzellan-Blumen und -Figurinen, um 1735.Cummer Museum, Jacksonville, Florida
Ludwig XIV. von Frankreich hatte sein Leben zum öffentlichen Ereignis gemacht, um den Adel am Hof zu halten und durch Gunstbeweise oder -entzug zu lenken; die großen Appartements und selbst der Park inVersailles sollten daher vor allem durch ihre prunkende Schönheit beeindrucken und dienten der repräsentativen Demonstration der königlichen Macht. Aber schon der Sonnenkönig ließ ab den 1670er Jahren auch kleinere und intimere Schlösser mit privaterem Charakter errichten, die nicht allgemein zugänglich und in ihrer Ausstattung einfacher waren und wo die strengeHofetikette gelockert wurde (das (zerstörte)Trianon de porcelaine, dasTrianon de marbre und das nicht erhalteneMarly). Diese Tendenz zu einem Rückzug ins Private verstärkte sich bei anderen Herrschern im 18. Jahrhundert. In der Zeit derRégence (1715–1723/30) hatten sich außerdem die Sitten gelockert und der Adel lebte fern von strenger Hofetikette in seinen Stadtpalais in Paris oder vergnügte sich auf Bällen.
So traten im Rokoko an die Stelle monumentaler Pracht und kraftvoller Dynamik des Barock nunkultivierte Lebensführung und ein leichtfüßiges, feinsinniges Lebensgefühl, gepaart mit vornehm-zarter Sinnlichkeit undgalanten Umgangsformen. In der (Klein-)Plastik und vor allem in der Malerei tauchen häufig private oder gar erotische Themen auf, nicht selten auch in einer lieblichen oder gar niedlichen Darstellung (z. B. Gemälde vonBoucher, Meißner Porzellan-Figuren). Dies rief auch Kritik hervor, besonders aus den Reihen derAufklärer, und es wird vom Zeitalter derDécadence gesprochen;Voltaire bezeichnet es als „lesiècle despetitesses“ (das Jahrhundert der Kleinigkeiten). Die folgendenAdjektive wurden zur Beschreibung dieser Zeit verwendet: „[…] vielsagend lächelnd, aber selten eindeutig lachend; amüsant, pikant, kapriziös, witzig, kokett, komödiantisch …“.[4]
In der Architektur gibt es nur relativ wenige Bauten, deren Stil sich eindeutig dem Rokoko zuordnen lässt, da es sich – wie erwähnt – eher um einen Dekorationsstil handelt. Die Schlösser erscheinen kleiner, Hauptgebäude trennen sich teilweise von Dienstgebäuden, beispielsweise inSchloss Benrath bei Düsseldorf. In der Innenarchitektur verzichtet man nun auf die gliedernden Elemente der klassisch-antikenSäulenordnung, aufPilaster,Gebälk undFriese, stattdessen lässt man die Grenzen der einzelnen Raumteile (Wände, Decke usw.) mithilfe von schmückenden Ornamenten verschwimmen. Neben den offiziellen pompösen Repräsentationsräumen finden sich jetzt auch vermehrt kleinere und intimere Privaträume – wie diePetits Appartements Ludwigs XV. und seiner Töchter inVersailles –, oder gar Privathäuser und -schlösschen, wie beispielsweise dieAmalienburg im Park vonSchloss Nymphenburg. Das Lebensgefühl fordert eine heitere, leichte Architektur mit eleganten und verspielten Details.
Im Kirchenbau, besonders im süddeutsch-österreichischen Raum entstehen allein aus praktischen Gründen zum Teil gigantische Raumschöpfungen, die jedoch nicht monumental wirken, sondern durch eine einzigartige Verschmelzung von Architektur, Malerei, Stuck usw. gekennzeichnet sind, also die Grenzen zwischen den Kunstgattungen oft völlig aufheben, und durch eine lichterfüllte Schwerelosigkeit, festliche Heiterkeit und Bewegtheit geprägt sind (z. B.Wieskirche bei Steingaden u. a.).
Seinen Ursprung nahm das Rokoko in Frankreich, wo es die kurze Periode derRégence oder „Regentschaft“ ablöst, die als Kunstepoche etwa den Zeitraum von 1715 bis 1730 umfasst, und in der Politik die Jahre zwischen 1715 und 1723, alsPhilipp von Orléans die Regierungsgeschäfte in Frankreich während der Minderjährigkeit des späteren KönigsLudwig XV. leitete.[5]
Schon in der Régence entwickelte man einen leichteren, graziöseren Dekorationsstil. Das schwere, geradlinige klassisch-antike Formenrepertoire desLouis-quatorze verschwand zu Gunsten von Schwüngen und Wölbungen. Typisch für die französische Innendekoration sind Wandvertäfelungen mit oft vergoldetenBoiserien auf weißem Grund. Das Zierelement der Rocaille tritt etwa um 1730 zum ersten Mal auf (Salon Ovale imHôtel de Soubise, Paris).
Das zierlichere Mobiliar zeigte sich mit geschwungenenCorpora,[6] die mit Ornamenten verziert waren und mit üppigmarketierten Oberflächen. Man wünschte nun auch einen höheren Grad anKomfort und polsterte z. B. die Sitz- und Rückenflächen der Sessel dicker oder man schuf dieChaiselongue. Aus dem Bedürfnis nach nützlichen und bequemen Dingen, die noch dazu den Wunsch nach verspieltem Luxus befriedigen sollten, wurden neue Einrichtungsgegenstände gefertigt, wie Tische mit Schubladen und versenkbaren Fächern, Toilettentische, Spieltische und Zylinderschreibtische oder -bureaus, deren Fächer und Schübe sich hinter einem im Halb- oder Viertelkreis geführten Rollladen befanden u. ä. m. DieTischler bevorzugten Eiche, Walnuss, aber auch tropische Hölzer, etwaSatinholz oder Mahagoni, für ihre Arbeiten. Hinzu kamen verfeinerte Alltagsgegenstände aus Glas und Porzellan.
Der Rokokostil in Deutschland und Österreich entwickelte unter dem bereits bestehenden Einfluss des italienischen Barock wesentlich überschwänglichere Formen als imklassizistisch vorgeprägten Frankreich, und es entstanden vor allem auch bedeutende Rokokodekorationen im Kirchenbau.
DieAsamkirche in München steht an der Schwelle zum Rokoko, doch tritt hier die typische Leitform imOrnament, dieRocaille, noch nicht auf. Man findet sie zuerst in den späten 1730er Jahren, doch herrschen auch in dieser Zeit noch florale Ornamentmotive vor, wie in der vonFrançois de Cuvilliés erbautenAmalienburg in München-Nymphenburg. Das Rokoko und die Rocaille werden ausFrankreich vor allem durch Ornamentstichvorlagen nach Deutschland importiert. Das Zentrum solcher Stiche istAugsburg; man nannte es auch den „Augsburger Geschmack“, und es geht in das Formenrepertoire vieler süddeutscher Stuckateure über, bis die Ausstattungskunst des Rokoko im WerkDominikus Zimmermanns ihren Höhepunkt erreicht: Im Chor derWieskirche erscheinen „gebaute Rocaillen“. Ebenfalls hervorzuheben ist sein Wirken bei der Errichtung und Stuckierung derWallfahrtskirche Steinhausen (1727–1733) zwischen Bad Schussenried und Biberach. Andere bedeutsame Schöpfungen des Rokoko sind dasCuvilliés-Theater in München undSchloss Wilhelmsthal bei Kassel.
Im deutschsprachigen Bereich werden diverse Ausprägungen des Rokoko in verschiedenen Regionen teilweise besonders bezeichnet, nicht zuletzt auch deshalb, weil es sich ursprünglich im 18. Jahrhundert um eigenständige Länder handelte, deren Bauten durch den Geschmack und die Mittel eines bestimmten Fürsten oder einer Fürstin geprägt waren. Grob ist zwischen dem norddeutschen Rokoko und dem süddeutschen Rokoko unterscheiden.
Bedeutende Elemente des süddeutschen Rokoko sind in derWürzburger Residenz zu finden. Im HauptwerkBalthasar Neumanns wurden die Stuckaturen vonAntonio Bossi ausgeführt. Besonders sind hier der „Weiße Saal“ und der „Kaisersaal“ mit seiner Ausarbeitung zu erwähnen. Vom hochbegabten KunstschreinerFerdinand Hundt ließ Balthasar Neumann unter anderem das einzigartige Audienzzimmer ausstatten und lobte ihn, dass er „die Zierratenschneiderei am besten von allen verstehe“. Durch Ferdinand Hundt, Antonio Bossi und Johann Wolfgang van der Auwera wurde in der Residenz der neue Gusto desWürzburger Rokoko erschaffen.
Eine regionale Ausprägung des norddeutschen Rokoko ist das nach Friedrich dem Großen benannteFriderizianische Rokoko bzw.preußische Rokoko, das im Vergleich zur bayerischen Variante als nicht ganz so verspielt und überbordend gilt, aber durchaus zum Prunkenden neigt. Beispielhaft sind die elegante Innendekoration vonSchloss Sanssouci (z. B. Konzertzimmer) sowie manche Innenräume imNeuen Palais von Potsdam, wo aber auch Mischformen mit demKlassizismus auftreten (andere Räume, wie die Galerien, sind völlig klassizistisch).
Als eigenständige Entwicklung wird auch dasBayreuther Rokoko angesehen, das unter MarkgräfinWilhelmine in den Jahren 1740 bis 1760 in Bayreuth entstand. Typische Elemente sind zierliche Stuckornamente, von denen die meisten vonGiovanni Battista Pedrozzi stammen.[7] Am ausgeprägtesten zeigte sich dieser Stil im neuen Schloss der Eremitage, dessen Innenräume im Krieg leider zerstört wurden. Erhalten sind Appartements imNeuen Schloss Bayreuth, im Alten Schloss derEremitage und dieSchlosskirche Bayreuth.
Im heutigen Österreich findet man ebenfalls bedeutende Beispiele für das süddeutsche Rokoko – eine strenge Abgrenzung vom übrigen süddeutschen Raum ist jedoch nicht möglich oder sinnvoll und entspricht auch nicht der historischen Situation im 18. Jahrhundert. Auf der anderen Seite gibt es mit dem nachMaria Theresia benannten(maria-)theresianischen Rokoko bzw.österreichischen Rokoko, der noch etwas mehr zum Lieblichen tendiert, auch eine eigene Begriffsbildung. Bekanntestes Beispiel hierfür ist die Innendekoration vonSchloss Schönbrunn inWien (wobei das rot-weiße Mobiliar allerdings zum großen Teil erst aus dem 19. Jahrhundert stammt und demNeorokoko angehört). Andere bedeutende Beispiele sindSchloss Leopoldskron inSalzburg, oderStift Engelszell undStift Wilhering inOberösterreich. DieStiftskirche von Wilhering gilt als wichtigster Sakralbau des Rokoko in Österreich und zählt zu den bedeutendsten Bauten des Rokoko imdeutschen Sprachraum.
Rokokodekor aus farbigem Stuck undGrisaille-Malerei in derGalleria des Palazzo Pianetti inJesi
Eine umfassende Untersuchung über den Rokoko inItalien scheint bisher nicht vorzuliegen. Teilweise ist eine genaue Abgrenzung zum italienischen Spätbarock auch nicht ganz einfach, weil man im Gegensatz zum klassischen Formenkanon in Frankreich unter Ludwig XIV. in Italien schon zuvor viel freier und rauschhafter in den Dekorationen der Paläste und Kirchen war. Nach 1700 entstanden Dekorationen, die bei allem Überschwang bereits eine große Feinheit und Eleganz und teilweise ähnliche Ornamentik wie im Rokoko verwenden, z. B. Muscheln, die aber im großen Entwurf oft noch symmetrischer bleiben als im späteren Rokoko. Trotzdem gibt es einige ganz eindeutige und fantasievolle Beispiele für Raumschöpfungen im Rokokostil in Italien, unter anderem in der PalazzinaStupinigi[8] und imPalazzo Reale inTurin (u. a.Galleria del Daniel und Chinesisches Kabinett), oder invenezianischen Palästen,[9] wie derCa’ Rezzonico, dem Casino der Prokuratorin Venier, im Palazzo Baglioni, imPalazzo Pisani Moretta und im Palazzo Foscarini ai Carmini, die häufig neben farbigen Stuckdekorationen auch spektakuläre Deckengemälde vonTiepolo,Giambattista Crosato und anderen Malern haben.[10] Ein bekanntes Beispiel für Rokoko ist auch die große Galerie imPalazzo Pianetti inJesi. In Rom war die Tradition der klassischen Antike und der Renaissance sehr stark, und in den dortigen Palästen gibt es daher zwar viele Rokokomöbel, aber ganze Raumschöpfungen sind rar: Erwähnenswert sind die Palazzi Rondinini undChigi-Odescalchi, sowie die schon 1734 entstandene Spiegelgalerie desPalazzo Doria-Pamphilj.[11] AufSizilien finden sich nennenswerte Rokokodekorationen in den PalazziValguarnera-Gangi, Butera undComitini (alle inPalermo), in der Villa Ajroldi (Palermo), und imPalazzo Biscari inCatania.[12]
Auch inRussland wird der Stil aufgegriffen, hier jedoch mit einer Tendenz zu Prunk und Pomp und auch zum Monumentalen (Katharinenschloss in Zarskoje Selo, Jonastreppe imWinterpalais). Bedeutendster Architekt des russischen Rokoko war der ItalienerBartolomeo F. Rastrelli.
Ein berühmtes Rokokoschloss inPortugal ist derPalácio de Queluz beiSintra, dessen Innenräume zum Teil aber auch klassizistisch sind. Der Park hat seine Originalform bewahrt und besitzt auch wertvolleAzulejo-Dekorationen im Rokokostil.
InGroßbritannien ging derKlassizistische Barock nahezu unmittelbar in denKlassizismus über, der sich durch strenge Formalität, geometrische Ordnung und antikisierende Motive auszeichnete. Die vom Kontinent übernommene Mode des Rokoko wurde bald vom britischenPalladianismus, der bis zum Anfang des 17. Jahrhunderts zurückreichte, überlagert. Zeitgleich bildeten die beiden „irregulären“ Stile, die sich über Musterbücher verbreiteten, eine Gegenströmung: die Mode derChinoiserie und die derNeugotik, welcheHorace Walpole um 1747 für seinen LandsitzStrawberry Hill „erfunden“ hatte. Rokoko, Chinoiserie, Klassizismus und Neugotik vermischten sich vor allem bei Innendekorationen, etwa beim „Adamstil“ oder bei den Möbeln vonThomas Chippendale (siehe:Chinoiserien in Großbritannien).
Die Gartenkunst der Zeit von etwa 1730 und 1760 wurde erst Anfang des 20. Jahrhunderts dem Rokoko zugeordnet.[13] Sie bedient sich meist der Elemente des französischenBarockgartens, wandelt diese ab und verwendet sie anders. Es werden zunehmend naturnahe Elemente wie Rasenflächen, Blütensträucher und Obstgehölze aufgenommen. Auch können Elemente derChinoiserie und desKlassizismus mit dem Rokokogarten verbunden sein. Teilweise kann von Mischformen zwischen Barock- und Landschaftsgarten gesprochen werden. In Frankreich hat Ingrid Dennerlein zwischen Barock und Rokoko noch die Gartenkunst derRégence definiert.[14] Während es für Frankreich, Deutschland und Skandinavien als geklärt gelten kann, was unter Rokokogärten zu verstehen ist, bereitet die Verwendung des Begriffes für die Gärten dieser Zeit in England, Italien und Spanien zuweilen Schwierigkeiten.
Bedeutende, bis heute als solches erkennbare Rokokogärten
Die Darstellung des neuen Lebensgefühls entfernt sich in Frankreich von der bisherigen Staatsidee der Malerei unter Ludwig XIV. und mündet in einem heiteren Spiel der Farben und in geschwungenen Linien.[16] Die Malerei entdeckte die zarten Töne derPastellmalerei (z. B.Rosalba Carriera,Maurice Quentin de La Tour), und auch in derÖlmalerei kommt es zu einer deutlichen Aufhellung der Farbskala, zur Hinwendung zu hellen Pastellfarben mit dem Brechen aller Töne ins Silbrige (je nach Künstler). Weiß zeigt sich als materialisiertes Licht mit dekorativen, heiter-festlichen Effekten.[15] Das spielerische Element findet sich in kleinformatigen Bildern, in der Porzellanmalerei und besonders auch in den Chinoiserien.[1]
In derIkonographie lässt sich eine Tendenz zur Verweltlichung, eine sinnliche Ästhetik und eine erotische und laszive Darstellung der galanten Welt beobachten. In den Bildprogrammen verlierenHelios-Apoll oderHerkules ihren Vorrang anVenus undPan und an die „niederen Götter“.[17] Der Wunsch nach einem Leben inArkadien äußert sich in Liebesszenen, stimmungsvollen Idyllen,bukolischen Landschaften und Festlichkeiten im Freien. Die Tradition der pastoralen Malerei lebt wieder auf. Im Vordergrund steht das Dekorative und die Komposition des Bildes, eine idyllische Hintergrundlandschaft, Details wie Stoffe, Vasen etc., und weniger psychologische Elemente. In der französischen Malerei findet sich die Darstellung eines „galanten“ Lebens in dem schon in der Régence durchAntoine Watteau entstandenen neuen Bildtypus derfête galante,[15] der im beginnenden Louis-quinze vonJean-Baptiste Pater undNicolas Lancret fortgesetzt wurde. Diese Art der Malerei stieß als poetische Idealverkörperung französischer Eleganz gerade auch bei deutschen Fürsten auf besonderes Interesse, vor allem an den Höfen inDresden,Berlin undPotsdam, wo der Grundstock für die noch heute bestehenden Sammlungen in den entsprechenden Kunstmuseen und Schlössern gelegt wurde.
Zu den großen Hauptmeistern des französischen Rokoko mit der Darstellung von Schäferspielen und erotisch gefärbten mythologischen Szenen gehörenJean-Honoré Fragonard undFrançois Boucher, der ein Meister des Dekoration war und 40 Jahre des französischen Rokoko in der EpocheLudwigs XV. prägte.
Der ausMartinique stammende SchriftstellerLouis Maynard de Queilhe konstatierte 1833, dass die französischen Maler des Rokoko – bedingt durch ihre feudalen und klerikalen Auftraggeber – weit hinter den sozialen Bewegungen und den Philosophen und Literaten zurückgeblieben sei. Die Kühnheit und Kraft früherer Zeiten habe sie verloren, der Ausbruch der Revolution habe sie „im Négligé überrascht“. „Ermattet von Wein und Weibern“ habe sie sich bis zur Revolution „dahingeschleppt zwischen ihren Rosen, Moschusdüften und Schäferspielen“. Erst die Wiederentdeckung des griechisch-römischen Altertums durchJacques-Louis David habe zu einer unbarmherzigen, je terroristischen Reaktion gegen den „süßesten Rausch dieser Orgie“ geführt.[18]
Die italienische Malerei konnte zu dieser Zeit bereits auf eine lange Tradition von Deckenfresken, mythologischen Szenen und religiöser Malerei zurückschauen, die im Spätbarock und Rokoko stilistisch auf den weichen, lieblichen Stil vonCorreggio oder auf die Freskenkunst und die erotischen Szenen vonLuca Giordano oderSebastiano Ricci zurückblicken konnte, oder auf den flackernden Stil vonPellegrini[19] die alle – wenngleich zeitlich zum Teil wesentlich früher – als wichtige Vorläufer und Inspiration der Rokokomalerei gelten können und zwar weit über Italien hinaus. Bedeutende italienische Maler der Epoche warenJacopo Amigoni, der auch viele erotische Szenen im Zeitgeschmack schuf, sowieCorrado Giaquinto,Gianantonio Guardi, und die NeapolitanerFrancesco De Mura undSebastiano Conca. Der VenezianerGiambattista Piazzetta pflegte auch noch im Rokoko meistens einenTenebroso-Stil,[20] im Gegensatz zu seinem etwas jüngeren KollegenGiovanni Battista Tiepolo, der als „letzter Großmeister dervenezianischen Malerei“ gilt, und neben zahlreichen Werken für venezianische Kirchen und Paläste auch in Deutschland eines seiner meisterhaften Deckenfresken in einer lichterfüllten Farbigkeit schuf, im Treppenhaus der Würzburger Residenz. InVenedig entstanden außerdem die berühmtenVeduten undCapricci vonCanaletto,Bernardo Bellotto undFrancesco Guardi, die auch einen reißenden Absatz bei den aristokratischenTouristen aus dem übrigen Europa fanden, und so auch an den Wänden englischer oder deutscher Schlösser landeten. Daneben waren Karnevalsdarstellungen, Porträts undGenre-Szenen beliebte Themen, mit Meistern wiePietro Longhi oderGiovanni Domenico Tiepolo, oder der bereits erwähnten, in ganz Europa berühmten PastellmalerinRosalba Carriera. Mythologische oder pastorale Landschaftsbilder malteFrancesco Zuccarelli.
Im sakralen Bereich neigen die Maler zu Gefühl, Andacht und Heiligenlegenden. Ganz im Gegensatz dazu steht aber die Verherrlichung in der Deckenmalerei, die sich auch der Stilmittel der Illusionsmalerei bedient. Besonders in süddeutschen und österreichischen Residenzen und Kirchen entsteht eine bisher nicht bekannte Integration von Freskenmalerei und Architektur und Ornamenten. Hier entstehen die großartigen Meisterwerke europäischer Freskenmalerei, mit den VertreternGiovanni Battista Tiepolo,Johann Georg Bergmüller,Johann Baptist Zimmermann,Mathäus Günther,Daniel Gran,Franz Anton Maulbertsch,Paul Troger.[15]
Während im Barock bei den Möbeln trotz ihrer mannigfachen Gliederung und dominanten Ornamentik vorwiegend kantig-strenge Grundformen vorherrschten, hob das Rokoko das statische Rahmenwerk und die lineare Strenge auf und führte fast jedes Element in geschweifte und gebogene Formen über, zeigte sich überaus „verspielt“, entsagte sich der Symmetrie und erschien als Epoche der ausgeschmückten, schwellenden und schmiegsamen Eleganz. Zentrales Motiv des Rokoko ist auch hier die Rocaille. Die Sitzmöbel, Kommoden und Tische hatten geschweifte Beine. Die Möbelfüße zeigen häufig Schnitzereien oder Metallapplikationen in Form von Pflanzen, Tierfüßen oder Muschelmotiven. Eine Weiterentwicklung stellt der Konsoltisch dar, der nur noch zwei Füße benötigt, da er an der Wand befestigt ist. Der Bequemlichkeit diente die sogenannteBergère, ein Vorläufer des Sessels mit gepolsterten Armlehnen und einem losen Sitzpolster. Eine Neuentwicklung stellt dieChaiselongue (franz. Langer Stuhl) dar, die einen Sessel mit seiner Fußbank zu einem langen Möbelstück verbindet. In der Möbelkunst ging von Frankreich ein besonders dominierender Einfluss aus, dem Rokoko entspricht dabei derStyleLouis-quinze.
In der Literatur bezeichnetRokoko eineEpoche derFrühaufklärung, die noch stark vonSchäferdichtung und demBarock beeinflusst ist und entsprechend spielerische und auch erotische Elemente aufnimmt, andererseits jedoch durch ihre subjektive Gefühlsströmung derEmpfindsamkeit nahesteht und bei aller Sinnenfreudigkeit eine individuell und rational begründete Erlebniswelt ausdrückt. Während Tragik und Größe des Barock verflachen, treten Vernunft, Zweckmäßigkeit, Wohlbehagen, goldenes Mittelmaß und Freude am grazilen Stil an die Stelle der Rätsel und Wunder des Jenseits.[21]
Christoph Kürzeder, Ariane Mensger u. a.:Mit Leib und Seele. Münchner Rokoko von Asam bis Günther. Hrsg. von der Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung. Sieveking Verlag, 2014,ISBN 978-3-944874-15-9.
Alfred Anger:Literarisches Rokoko. Metzler, Stuttgart 1990,ISBN 3-476-10025-1.
William Barcham:Das venezianische Rokoko – Tiepolo und das 18. Jahrhundert. In:Venedig – Kunst und Architektur. Bd. 2, hrsg. v. Giandomenico Romanelli. Könemann, Köln (urspr. Magnus Edizioni/Udine), 1997,ISBN 3-89508-592-8, S. 640–691.
Adriano Mariuz, Giuseppe Paranello:Die Innendekorationen der venezianischen Paläste – Von der barocken Pracht zur Eleganz des Rokoko. In:Venedig – Kunst und Architektur. Bd. 2, hrsg. v. Giandomenico Romanelli. Könemann, Köln (urspr. Magnus Edizioni/Udine), 1997,ISBN 3-89508-592-8, S. 582–639.
↑Egon Friedell:Kulturgeschichte der Neuzeit. C. H. Beck’sche Verlagsbuchhandlung, München 1931, S. 563 ff.
↑Noël Riley (Hrsg.):Kunsthandwerk & Design. Stile, Techniken, Dekors von der Renaissance bis zur Gegenwart. 2004, S. 114.
↑also die zusammengesetzten Seiten eines Möbels oder Bauteils (Boden, Seitenteile, Deckel, Rückwand und Front)
↑nach Erich Bachmann:Neues Schloss Bayreuth. Amtlicher Führer. 4. Auflage, München 1980.
↑U.a. auch Chinoiserien; siehe Andreina Griseri:Das Jagdschloss Stupinigi bei Turin. Atlantis, Manfred Pawlak, Herrsching 1989.
↑Adriano Mariuz, Giuseppe Paranello:Die Innendekorationen der venezianischen Paläste – Von der barocken Pracht zur Eleganz des Rokoko. In:Venedig – Kunst und Architektur, Bd. 2. hrsg. v. Giandomenico Romanelli, Könemann/Köln (urspr. Magnus Edizioni/Udine), 1997, S. 582–639.
↑Viele Paläste in Venedig sind in Privatbesitz und nicht öffentlich zugänglich, Informationen und einige Abbildungen enthält: Adriano Mariuz, Giuseppe Paranello:Die Innendekorationen der venezianischen Paläste – Von der barocken Pracht zur Eleganz des Rokoko. In:Venedig – Kunst und Architektur, Bd. 2. … Könemann/Köln, 1997, S. 582–639, im Einzelnen S. 600 (Palazzo Foscarini ai Carmini), S. 614 f (Palazzo Pisani Moretta), S. 627 (Casino der Prokuratorin Venier), S. 632 (Cà Rezzonico), S. 639 (Pal. Baglioni)
↑Für die Öffentlichkeit zugänglich ist nur der Palazzo Doria-Pamphilj, die anderen beiden sind in Privathand. Caroline Vincenti & Roberto Schezen:Römische Paläste. Bechtermünz (& Weltbild) Verlag, Augsburg, 1998, S. 186f (Pal. Chigi-Odescalchi), S. 210–12 (Pal. Doria-Pamphilj), S. 221, 224, 228f (Pal. Rondinini).
↑Paul Höckendorf:Sanssouci zur Zeit Friedrichs des Großen und heute. Berlin 1903.
↑Ingrid Dennerlein:Die Gartenkunst der Régence und des Rokoko in Frankreich. Worms 1981.
↑abcdDörfler:Lexikon der Kunst, Malerei Architektur Bildhauerkunst. Band 9, Nebel, Eggolsheim 2006,ISBN 3-89555-386-7, S. 115 ff.
↑Herder Freiburg, mit Beiträgen von Hubert Damisch:Die französische Malerei. Basel, Wien, Freiburg 1983,ISBN 3-451-18937-2, S. 120.
↑Hubert Krins:Barock in Süddeutschland. Konrad Theiss Verlag, Stuttgart 2001,ISBN 3-8062-1420-4, S. 24 f.
↑Zit. nachHeinrich Heine:Der Salon I: Kunstberichte aus Paris. In: Sämtliche Werke, hrsg. von Bodo Petersdorf, Augsburg o. J., Band 4, S. 42 f.
↑William Barcham:Das venezianische Rokoko – Tiepolo und das 18. Jahrhundert. In:Venedig – Kunst und Architektur, Bd. 2. hrsg. v. Giandomenico Romanelli, Könemann/Köln (urspr. Magnus Edizioni/Udine), 1997, S. 640–691; zu Ricci und Pellegrini, S. 640 und S. 651–653, 659, 662–665.
↑William Barcham:Das venezianische Rokoko – Tiepolo und das 18. Jahrhundert. In:Venedig – Kunst und Architektur, Bd. 2. …, Könemann/Köln (urspr. Magnus Edizioni/Udine), 1997, S. 640–691; hier zu Piazzetta, S. 656 und 667–673.