Ritus

EinRitus (Lehnwort aus dem Lateinischen; Plural: dieRiten) ist eine in den wesentlichen Grundzügen vorgegebene Ordnung für die Durchführung zumeistzeremonieller, speziellreligiöser und insbesondereliturgischer Handlungen. Im weiteren, abgeleiteten Sinn wird der Ausdruck auch verwendet, um feste Gewohnheiten undRituale eines Lebewesens oder einer sozialen Gruppe zu beschreiben.
Lateinische Wortbedeutung
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]ImLateinischen bedeutetritus in erster Linie eine religiöse Vorschrift oder Zeremonie, im übertragenen Sinne aber auchBrauch,Sitte oderGewohnheit im Allgemeinen; imAblativ (ritu) kann man das Wort auch einfach mit „wie“ oder „nach Art vonxy“ (wörtlich: „dem Ritusxy entsprechend“)übersetzen.[1]
Verhaltensriten
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]In derPsychologie bezeichnet ein Ritus den stets in derselben Weise wiederkehrenden Ablauf einesgelernten Tuns. In diesem allgemeinen Sinn, der prinzipiell nichts anderes meint als einRitual, wird der Ausdruck besonders in derMedizin, derSozialpsychologie und anderenSozialwissenschaften gebraucht. Zum Beispiel empfehlen Ärzte als Hilfe gegenSchlaflosigkeit, sicheinen Ritus anzugewöhnen und beim Zubettgehen immer dieselben Dinge in derselben Reihenfolge und in derselben Art und Weise zu tun. Medizinisch relevant sind derartige Verhaltensriten auch als Zwangshandlungen (Zwangsrituale), die im Zusammenhang mitZwangsstörungen von den Betroffenen gegen ihrenWillen praktiziert werden.
Soziale Riten
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Von derSoziologie undEthnologie wurden eine Reihe von innerhalb einerGesellschaft oder einersozialen Gruppe üblichen oder vorgeschriebenen, meist formalisierten oder ritualisierten Gruppenverhaltensweisen als Ritus beschrieben. DieKulturanthropologie unterscheidet bei ihrer Analyse von Kollektivritualen insbesondere zwischen Solidaritätsriten undÜbergangsriten, die beide eine zentrale Rolle für die Entstehung und Erhaltung sozialer Bindungen spielen.[2] Solche Riten haben eineidentitäts- oder sinnstiftende Funktion und dienen damit dem Gruppenzusammenhalt oder derRollenzuweisung innerhalb der Gruppe. Übergangsriten (z. B.Initiationsriten,Hochzeitsriten), aber auchReinigungsriten (z. B. vor einer Heirat oder nach einerVerfehlung) oderVergebungsriten (etwa zur Wiederaufnahme eines Mitglieds in die Gemeinschaft oder zurVersöhnung verfeindeter Gruppenmitglieder oderKlans) können für die Gruppenstruktur konstitutiv und einschneidend sein. Kampfriten (z. B. einDuell) bieten die Möglichkeit einer geregelten Austragung von Auseinandersetzungen in ritualisierter oder symbolischer Form. Staatsriten (etwa dieKrönung eines Herrschers, der feierliche Einzug des Parlamentspräsidenten, dieVereidigung derBundeskanzlerin oder das Fahnenzeremoniell) dienen der Legitimation und Darstellung staatlicher Macht.
Viele soziale Riten und Rituale besitzen auch spirituelle Bedeutung oder überschneiden sich mit religiösen Riten. Das ist zum Beispiel der Fall beim Phänomen desTotemismus: Hier finden sich verschiedene Riten, um die mit dem mythischen Gruppenabzeichen (Totem) verbundenen Vorschriften und Verbote sozial zu verankern oder die Identifizierung des Einzelnen mit dem Gruppentotem zu stärken.[3]
Religiöse Riten
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Als religiöse Riten lassen sich alle in einerReligionsgemeinschaft üblichen oder geregelten Praktiken oder Rituale bezeichnen, die der religiösen Lebensführung oder demKult dienen (Gottesdienste, liturgische und kultische Handlungen aller Art, die Feier religiöserFeste,Anbetungsgesten undVerehrungspraktiken, die Rezitation vonGebeten oderMantras, religiöseTänze undGesänge,Orakelbefragungen,Beschwörungen,magische Rituale,Heilungsrituale, rituelleWaschungen von Menschen oder Gegenständen, der Vollzug derBeschneidung, derTaufe oder sakramentaler Handlungen,Opfer-,Reinigungs-,Segnungs- oderWeihehandlungen u. v. m.). Sie können gemeinschaftlich (inFamilie, Dorfgemeinschaft, Gottesdienstgemeinde etc.) oder auch vom Einzelnen allein praktiziert werden. Häufig sind besonders qualifizierte Vorsteher,Amtsträger,Priester,Schamanen,Heiler oder Kultdiener mit der Ausführung oder Leitung dieser Handlungen oder Zeremonien betraut.
Das religiöse Ritual hat lautGeo Widengren eine enge Verbindung zumMythos.[4] Widengren unterscheidet zwischenapotropäischen und eliminatorischen Riten, die der Abweisung oder Beseitigung böser Mächte dienen, auf der einen sowie Geburts- und Initiationsriten (im weiteren SinnKasualien) auf der anderen Seite.
Siehe auch:Grundbegriffe der Religionssoziologie,Sakrament,Segenszeichen
Kirchliche Riten
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]ImChristentum wird als Ritus die historisch gewachsene, derÜberlieferung entsprechende und in der Regel kirchlichnormierte Ordnung der liturgischen Vollzüge und Gottesdienste in einerKirche, einerTeilkirche oder einer Gruppe von Kirchen bezeichnet. In derGeschichte des Christentums haben sich aus den Praktiken in derAlten Kirche unterschiedliche Riten und Ritusvarianten entwickelt, die je eine eigene Art und Weise der Glaubenspraxis beschreiben. Weite Verbreitung haben derrömische Ritus in derlateinischen Kirche, derbyzantinische Ritus in denorthodoxen und manchenkatholischen Ostkirchen, sowie verschiedene weitereostkirchliche Riten.
Sonstige Spezialbedeutungen
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]Adverbiale Verwendung im universitären und kirchlichen Bereich
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]DiePromotion zum Doktor geschiehtrite (lateinischdem Ritus entsprechend, im Sinne von „in gewöhnlicher Form“), wenn der Promovierte die Prüfung besteht, ohne dass seine Leistung eine Hervorhebung verdient (etwa durch den Zusatzcum laude odermagna cum laude).
Alsrite vocati (ordentlich Berufene) werden vor allem improtestantisch-kirchlichen Bereich Amtsträger bezeichnet, die nach den Regeln ihrer Gemeinschaft oder Organisation gültig (etwa durchOrdination) in ein Amt eingesetzt wurden und zur Ausführung der damit verbundenen Amtshandlungen berechtigt sind.
Ritusbegriff im Konfuzianismus
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]Ritus (禮,Pinyin: lǐ) ist ein Schlüsselbegriff derkonfuzianischen Ethik und bezeichnet ein formalisiertes, bestimmten Konventionen entsprechendes Verhalten, das einen guten Menschen kennzeichnet und die Voraussetzung für eine gute Gesellschaftsordnung bildet.
Verhaltensriten von Tieren
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]In derzoologischen Verhaltensforschung bezeichnet man eineangeborene Bewegungsabfolge von Tieren, die häufig kommunikative Funktionen erfüllt (etwa einBalzritual), alsRitualisierung.
Weblinks
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]Einzelnachweise
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]- ↑Stowasser:Wörterbuch
- ↑Heinz Gerhard Haupt, Charlotte Tacke:Die Kultur des Nationalen. Sozial- und kulturgeschichtliche Ansätze bei der Erforschung des europäischen Nationalismus im 19. und 20. Jahrhundert. In: Wolfgang Hardtwig, Hans Ulrich Wehler (Hrsg.):Kulturgeschichte Heute. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1996, S. 255–283 (hier: S. 272).
- ↑Marvin Harris:Kulturanthropologie – Ein Lehrbuch. Aus dem Amerikanischen von Sylvia M. Schomburg-Scherff, Campus, Frankfurt/New York 1989,ISBN 3-593-33976-5. S. 292–293.
- ↑Religionsphänomenologie. de Gruyter, Berlin 1969, S. 209