Regime
Regime [ʀeˈʒiːm] (Plural: dieRegime [ʀeˈʒiːmə] oder dieRegimes [ʀeˈʒiːms], von französischrégime ‚Regierungsform‘, ‚Staatsform‘,lateinischregimen [n.] ‚Lenkung‘, ‚Leitung‘, ‚Regierung‘; zu lateinischregere ‚geraderichten‘, ‚lenken‘, ‚herrschen‘[1]) ist in derPolitikwissenschaft und in verschiedenen anderen Fachwissenschaften ein Begriff für Regelungs- und/oder Ordnungssysteme,[2] die typischerweise Normen, Entscheidungsverfahren und Prinzipien beinhalten und den Umgang der beteiligten Akteure untereinander sowie mit bestimmten Aufgaben prägen. Die Bezeichnung wird aber auch im engeren Sinne synonym zupolitische Leitung bzw. für die Beschreibung derRegierungsform genutzt und bezeichnet dann beispielsweise dieRegierung oder die Ordnungsprinzipien einespolitischen Systems.[1] Im allgemeinen Sprachgebrauch findet ‚Regime‘ mit abwertenderKonnotation vor allem für nichtdemokratisch gebildete und kontrollierteHerrschaftsformen, etwa fürDiktaturen oderPutschregierungen, Verwendung.
Internationale Beziehungen
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]In denInternationalen Beziehungen spielt der Regimebegriff eine wichtige Rolle.Robert O. Keohane entwickelte Ende der 1970er Jahre als Weiterentwicklung derInterdependenztheorie eine sogenannte „Regimetheorie“. Sogenannteinternationale Regime sind institutionalisierte Arrangements zur Lösung von Problemen, die gleichzeitig die Interessen mehrererStaaten oder auch die von nichtstaatlichen Akteuren betreffen. Ausgangspunkt eines Regimes ist das Interesse der Akteure an der gemeinsamen Lösung der Probleme, die politischer, ökonomischer, sozialer, ökologischer oder technischer Natur sein können. Auch wenn möglicherweise grundsätzlich unterschiedliche Interessen bestehen, soll mit Hilfe eines Regimes ein positives Ergebnis einer Kooperation der Akteure erzielt werden. In diesem Sinn dienen die Verfahrensweisen eines Regimes der institutionalisierten Regelungen von Konflikten. Entscheidendes Merkmal internationaler Regime ist, dass sie keine Instrumente zur Durchsetzung spezifischer Interessen einzelner Akteure sind, sondern Instrumente zur Durchsetzung kollektiver Interessen. Bei der Bildung eines Regimes werdenvölkerrechtlich bindende multinationale Mechanismen vereinbart, welche auf vertraglichen Regeln (d. h. Normen und Prinzipien) beruhen, sowie Entscheidungsprozeduren festgelegt, nach denen die Vertragspartner zusammenarbeiten. Internationale Regime können also als ein vertraglichesRegelwerk angesehen werden. Sie sind demnach keine eigenständigen Akteure wie etwainternationale Organisationen.
In der politischen Theorie internationaler Kooperation und Verflechtung haben sich mehrere Schulen entwickelt:[3]
- dieneorealistische Schule, die Regime machtanalytisch analysiert und im Prinzip hegemonial hergestellter Stabilität ein konstitutives Kriterium sieht;
- neoliberale oder funktionale Regimetheorien;
- kognitionstheoretische Regimetheorien, die die Lernprozesse bei den Akteuren betonen, die Regime hervorrufen oder sogar betonen, dass Regime umfassendere normative Strukturen für die Staatengesellschaft entwickeln.
Beispiele für Regime sindWechselkursregime, Rüstungskontrollregime oder auch Menschenrechtsregime.[4]
Vergleichende Politikwissenschaft
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]In derVergleichenden Politikwissenschaft werdenRegime als Ausprägung politischerHerrschaftsform verstanden. Der Regimetyp bzw. die Art des Regimes gibt Auskunft über den grundlegenden Charakter der Herrschaftsform, bezeichnet somit „allgemein eine Lebensweise, Ordnungs- und Regierungsform, also ein institutionalisiertes Set von Prinzipien, Normen und Regeln, das die Umgangsweise der Akteure in einem gegebenen Handlungszusammenhang grundlegend regelt“.[5] Dieser Begriff des Regimes enthält dabei keine Abwertung, sondern wird wertneutral für alle Herrschaftsformen, auch demokratische, verwendet. Jedoch könnenDe-facto-Regime, deren Herrschaftsausübung sich zwar nicht aus einem Rechtstitel ableiten lässt[6] und die nicht als Staaten oder Regierungen Anerkennung gefunden,[7] aber effektive Herrschaftsgewalt erlangt haben[8] und in denen mithin tatsächliche Herrschaft ausgeübt wird, abgegrenzt werden: Ihr Herrschaftsbereich und damit das von ihnen effektiv kontrollierte Territorium istde jure fremdesStaatsgebiet.[9]Regime kann demnach definiert werden als
„[…] die formelle und informelle Organisation des politischen Herrschaftszentrums einerseits und dessen jeweils besonders ausgeformte Beziehung zurGesamtgesellschaft andererseits. Ein Regime definiert die Zugänge zur politischen Herrschaft ebenso wie dieMachtbeziehungen zwischen den Herrschaftseliten und das Verhältnis der Herrschaftsträger zu den Herrschaftsunterworfenen. Beide Machtbeziehungen […] müssen bis zu einem gewissen Grade institutionalisiert sein. Das bedeutet, sie müssen akzeptiert sein, praktiziert werden und insbesondere das Verhalten der Herrschaftsträger normieren.“
Oft werden mitTotalitarismus,Autoritarismus undDemokratie drei grundlegendeReintypen von Regimen bzw. Herrschaftsformen unterschieden, diese Reintypen können wiederum untergliedert werden.
Von ‚Regime‘ als einem allgemeinen Begriff für konkrete Vorkommnisse von Herrschaftsformen wird dasRegierungssystem und die einzelneRegierung unterschieden. Das Regierungssystem ist in der vergleichenden Politikwissenschaft nur ein spezieller Bestandteil des gesamten Regimes. Zum Beispiel kann das Regierungssystem „parlamentarisch“ oder „präsidentiell“ organisiert sein, beide gehören aber zum Typ demokratischer Regime, einzelne Fälle eines bestimmten Regierungstyp können sich durch Konventionen, Prozesswege und unterschiedliche Institutionen stark unterscheiden. Als Regierung wird hingegen eine konkrete Institution im Regierungssystem bezeichnet oder dessen personelle Ausgestaltung. Der Regimebegriff erfasst politische Strukturen, nicht jedoch bestimmten Regierungsmitglieder oderStaatschefs, wie es alltagssprachliche Wendungen wie „das Assad-Regime“ implizieren.
Allgemeiner Sprachgebrauch
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]In dergemeinsprachlichen Verwendung des Terminus bezeichnet ‚Regime‘ einediktatorische oder eine nicht demokratischlegitimierte Form der Herrschaftsausübung ohne scharfe Abgrenzung von der klar institutionalisiertenRegierung mit einemRegierungschef an der Spitze.[11] Dabei handelt es sich um eintotum pro parte gegenüber der ursprünglichen Bedeutung (jede Art konkreterHerrschaftsübung überhaupt oder jede verwirklichteStaats- und Herrschaftsform). Die Bezeichnung hat imDeutschen einennegativen Bedeutungswandel durchlaufen und ist vor allem in der Alltags- oder Gemeinsprache, teils aber auch in der Fachwelt oftmals negativkonnotiert[12] (während in der englischsprachigen Transitionsforschung der Begriff „Regime“ deutlich eine neutrale Bedeutung besitzt und dort „verschiedene politische Herrschaftstypen“, worunter ebenso demokratische Regime fallen, bezeichnet).[13]
WerdenDissidenten oder Aufständische alsRegimekritiker bzw.Regimegegner bezeichnet, so verleiht ihnen das explizit eine Legitimation und hebt sie damit ausdrücklich von Randalierern, Störern oder garTerroristen ab. Im allgemeinen Sprachgebrauch ist die Abgrenzung zu individuellen Regierungen unscharf. So hat sich der Ausdruck ‚Regime‘ für bestimmte historische Fälle eingebürgert, beispielsweise für
Siehe auch
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]- Belegungsregime (medienrechtliche Festlegung verbreitungspflichtiger Programme)
- Ústav pro studium totalitních režimů (Institut für das Studium totalitärer Regime)
Weblinks
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]Einzelnachweise
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]- ↑abWahrig. Deutsches Wörterbuch. 6. Aufl., Gütersloh 1997,ISBN 3-577-10677-8, S. 1017, 3. Sp.
- ↑Vgl. hierzuHermann E. Ott:Umweltregime im Völkerrecht. Eine Untersuchung zu neuen Formen internationaler institutionalisierter Kooperation am Beispiel der Verträge zum Schutz der Ozonschicht und zur Kontrolle grenzüberschreitender Abfallverbringung. (Völkerrecht und Außenpolitik, Bd. 53). Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 1998, S. 37 mit weiteren Nachweisen.
- ↑Wichard Woyke (Hrsg.):Theorien internationaler Kooperation und Verflechtung, in:Handwörterbuch Internationale Politik, Lizenzausgabe für dieBundeszentrale für politische Bildung, Opladen 2000,ISBN 3-89331-489-X, S. 448–492.
- ↑Standard-Definition nach Stephen D. Krasner, 1983.
- ↑Michael Zürn:Regime/Regimeanalyse. In:Dieter Nohlen,Rainer-Olaf Schultze (Hrsg.):Lexikon der Politikwissenschaft. Bd. 2, C.H. Beck, München 2002.
- ↑Bernt Graf zu Dohna:Die Grundprinzipien des Völkerrechts über die freundschaftlichen Beziehungen und die Zusammenarbeit zwischen den Staaten, Duncker & Humblot, Berlin 1973,S. 75 f.
- ↑Jochen Abr. Frowein:Das de facto-Regime im Völkerrecht, Köln 1968, S. 6 f.
- ↑J. A. Frowein, in:Bruno Simma,Charta der Vereinten Nationen – Kommentar, 1991, Art. 39 Rn. 10. (Englisch: ders.et al.,The Charter of the United Nations. A Commentary. Bd. 1, 2. Aufl., Oxford University Press, Oxford 2002, S. 717–729.)
- ↑Georg Dahm,Jost Delbrück,Rüdiger Wolfrum:Völkerrecht, Bd. I/2, 2. Aufl., de Gruyter, Berlin 2002,S. 303; vgl.Theodor Schweisfurth:Völkerrecht, Mohr Siebeck, Tübingen 2006, S. 33Rn. 119, dazu auch S. 109Rn. 28.
- ↑Wolfgang Merkel:Systemtransformation. Eine Einführung in die Theorie und Empirie der Transformationsforschung. 2., überarbeitete und erweiterte Auflage, VS Verlag, Wiesbaden 2010, S. 63 f.
- ↑Dazu Gotthard Breit/Peter Massing (Hrsg.):Regierung und Regierungshandeln, Wochenschau Verlag, Schwalbach/Ts. 2008,ISBN 978-3-89974-374-6, S. 12.
- ↑Vgl.Manfred G. Schmidt:Regime. In: ders.:Wörterbuch zur Politik (= Kröners Taschenausgabe, Bd. 404). 2., vollständig überarbeitete und erweiterte Aufl., Kröner, Stuttgart 2004,ISBN 3-520-40402-8, S. 603.
- ↑So Philipp Christoph Schmädeke,Politische Regimewechsel. Grundlagen der Transitionsforschung. A. Francke/UTB, Tübingen 2012,S. 10 f.