DieRadiophosphortherapie ist eineRadionuklidtherapie bei derPolycythaemia vera und deressentiellen Thrombozythämie. Es wird dasRadionuklid32Phosphor verwendet. Die Methode gilt als Alternative zu den herkömmlichen Behandlungsverfahren – aufgrund ihresNebenwirkungsprofils aber vorwiegend bei älteren Patienten über 65 oder 70 Jahren.
Die häufigsteIndikation der Radiophosphortherapie ist diePolycythaemia vera (PV), die zu denMyeloproliferativen Erkrankungen zählt. Eine weitere Indikation ist dieEssentielle Thrombozythämie (ET).[1]
Als absoluteKontraindikationen für die Behandlung mit32P geltenSchwangerschaft undStillzeit, als relative Kontraindikationen Frauen imgebärfähigen Alter. Aufgrund der Altersverteilung der Erkrankung kommen diese Kontraindikationen in der Praxis kaum vor. Weitere relative Kontraindikationen sind eine rasche Verschlechterung derNierenfunktion, eine sehr niedrige Zahl anweißen Blutkörperchen (Leukozytopenie) oder – bei der ET – ein sehr niedrigerHämoglobinwert (Blutarmut,Anämie).
Die Therapie der Wahl der Polycythaemia vera ist zunächst derAderlass. Da bei alleiniger Aderlasstherapie die Gefahr einerOsteomyelofibrose besteht, erfolgen meist zusätzliche Therapien mitHydroxycarbamid oderBusulfan.
Das verwendete radioaktivePhosphor-Isotop32Phosphor (32P) wird inKernreaktoren hergestellt und steht zur Therapie alsDihydrogenphosphat oder alsNatriumphosphat in flüssiger Form zur Verfügung. Das Radionuklid wird – nachAufklärung undEinwilligung des Patienten – strengintravenös über einenperipheren Venenkatheter verabreicht (appliziert). Zur Reduktion derStrahlendosis des punktierten Gefäßes soll die punktierte Vene anschließend mitisotonischer Kochsalzlösung gespült werden. Alternativ kann auch dieorale Gabe Anwendung finden.[1]
Die angegebenenAktivitäten betragen 3,7 MBq pro Kilogramm Körpergewicht[2] oder 80 bis 110 MBq pro m2Körperoberfläche.[3] Als Höchstaktivität einer einzelnen Behandlung werden 185 bis 260 MBq angegeben. Manche Autoren fordern eine Aktivitäts-Reduzierung um 25 % für Patienten über 80 Jahre.[1]
32P wird in den Pool des anorganischen Phosphors aufgenommen und zu 20 % innerhalb von 24 Stunden mit dem Urin ausgeschieden. Aus Gründen desStrahlenschutzes wird daher empfohlen, die Therapie in einer Einrichtung durchzuführen, die an eineAbklinganlage angeschlossen ist oder den Urin zu sammeln und erst zu entsorgen, wenn die Radioaktivität abgeklungen ist. Die verbliebenen 80 % werden in verschiedeneorganische undanorganische Phosphorverbindungen des menschlichen Körpers aufgenommen. Phosphor wird zum Beispiel direkt inNukleinsäuren eingebaut und reichert sich daher in Geweben mit hoherZellproliferation an, zu denen dasKnochenmark als Ort derBlutbildung gehört. Besteht krankheitsbedingt auch eine Blutbildung außerhalb des Knochenmarks (extramedulläre Blutbildung), so reichert sich dasRadiopharmakon auch dort an.32Phosphor wird auch in dasCalciumphosphat desKnochens aufgenommen und trägt von dort zur Strahlendosis des Knochenmarks bei.
32P ist ein reinerBetastrahler mit einer maximalen Energie von 1,71 MeV, einer mittleren Energie von 0,70 MeV, einer maximalen Reichweite in Gewebe von 7,9 mm, einer mittleren Reichweite von 3 mm und einerphysikalischen Halbwertszeit von 14,3 Tagen. Diebiologische Halbwertszeit beträgt im Knochenmark etwa 7 bis 9 Tage. Die höchstenStrahlendosen entstehen im Knochenmark, in derLeber und derMilz.
Die Strahlung des32P bewirkt in der unmittelbaren Umgebung Schäden in derDNA, insbesondere Doppelstrangbrüche, die letztlich zur Einleitung des programmierten Zelltods (Apoptose) führen (→ Wirkungsmechanismus der Strahlentherapie). Dieser antiproliferative Effekt schließt die Zelllinien ein, die bei der Polycythaemia vera betroffen sind. Es resultiert eine Hemmung der hyperproliferativen Zelllinien, nicht eine Auslöschung.
Therapieziele bei der Polycythaemia vera sind eine Normalisierung des Gesamtvolumens allerErythrozyten, die Reduktion der Zahl derThrombozyten unter 500.000/µl und ein Rückgang derSplenomegalie. Falls die Ziele mit der ersten Behandlung nicht erreicht werden, kann die Radiophosphortherapie nach 4 Monaten mit um ein Viertel gesteigerterAktivität wiederholt werden. Die Gesamtdosis soll 600 MBq pro Jahr nicht überschreiten.
Wenn die Injektion desRadiopharmakons nicht in die Vene gelangt, sondern in das Gewebe um die Vene herum (Paravasat), kann dort das Gewebe absterben (Radionekrose).
Regelhaft entwickelt sich innerhalb von vier bis sechs Wochen eine relativeLeukozytopenie (Verminderung der Zahl der weißen Blutkörperchen) undThrombozytopenie (Verminderung der Zahl der Blutplättchen), die sich innerhalb von vier Monaten zurückbilden.
Etwa 10 %[3] (2 bis 15 %[1]) der mit32P behandelten Patienten entwickeln innerhalb von 10 Jahren nach der Behandlung eineakute myeloische Leukämie. Die Häufigkeit scheint von der angewendeten Aktivität abzuhängen. Nach anderen Quellen gibt es keinen signifikanten Zusammenhang zwischen verabreichter Gesamtaktivität und Leukämierate.[1] Ungefähr die gleichen Häufigkeiten für die Entwicklung einer Leukämie gelten allerdings auch für die Patienten, die mitHydroxycarbamid oderBusulfan behandelt wurden.
Eine weitere beschriebene Komplikation, die allerdings auch unter anderen Therapieformen auftreten kann, ist dieOsteomyelofibrose.
98 % der Patienten – nach anderen Quellen nur 60 bis 90 %[3] – erzielen innerhalb von drei bis vier Monaten einekomplette Remission, die imMedian drei Jahre lang anhält. Unter einer anschließenden Erhaltungstherapie mit niedrig dosiertemHydroxycarbamid hatten nach 14 Jahren noch 60 % der Patienten eine komplette Remission.[4] Die Radiophosphortherapie gilt daher als „eine gut verträgliche und effiziente Therapie bei älteren Patienten mit Polycythaemia vera, welche zu einer langen mittleren Überlebenszeit bei ausgezeichneter Lebensqualität führt“.[5]
Die erste Radionuklidtherapie mit32P bei Polycythaemia vera wurde 1953 von Lawrence beschrieben.[6] Zuvor war die Methode bereits beiLeukämien eingesetzt worden.[1]