Postgender

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Postgender oderPostgenderismus (vonlateinischpost „hinter, nach“, und englischgender „soziales Geschlecht“) bezeichnet ein sozialpolitisches Konzept, das sich für die Überwindung derbinären Geschlechterordnung einsetzt. Diedekonstruktive Ausrichtung des Postgenderismus richtet sich insgesamt gegen das Konzept des Geschlechts.

Inhaltsverzeichnis

Dekonstruktive Ansätze

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Als Grundlage der Postgender-Bewegung wird vielfach dasCyborg-Manifest der amerikanischen Biologin und PhilosophinDonna Haraway aus dem Jahr 1985 angesehen,[1][2] jedoch hatten auch derTranshumanismus,Androgynie,Metrosexualität, die Schriften vonMichel Foucault undJudith Butler,Poststrukturalismus,Diskursanalyse und vor allem dieQueer-Theorie undQueer Studies erheblichen Einfluss auf die Theoriebildung. Ausformuliert wurde der Postgenderismus erstmals 2008 von George Dvorsky und James Hughes,[3] unter Berufung auf Judith Butler,Sandra Bem,Kate Bornstein,Martine Rothblatt,Leslie Feinberg undKeri Hulme.

„Die Postgender-Bewegung bedient sich des dekonstruktivistischen Ansatzes, indem sie die Auflösung der Geschlechterkategorien fordert. Ebenso sollen die damit einhergehenden Machtstrukturen aufgegeben werden.“

Stephanie Reuter, 2009:Intersexualität innerhalb heteronormativer Gesellschaftsstrukturen am Beispiel des Films XXY.[4]

„Bieten die optimistischen Prognosen der Technikeuphorie mit ihrem Wunsch nach Überschreitung der Natur Möglichkeiten uneindeutiger Geschlechtsmarkierungen im Cyberspace(gender swapping) und lassen sie scheinbar verfestigte Dichotomien wie Natur vs. Kultur, Mensch vs. Maschine, Realität vs. Virtualität etc. implodieren, so birgt dies, aller Faszination zum Trotz, auch die Gefahr einer Verstetigung von Herrschaftsstrukturen im Wege über die manipulative Verwischung nach wie vor bestehender Differenzen.“

Walburga Hülk,Gregor Schuhen, Tanja Schwan, 2006:Vorwort zu(Post-)Gender.[5]

Gesetzliche Maßnahmen

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1995 publizierte Martine RothblattApartheid of Sex,[6] ein Plädoyer zur Abschaffung der staatlichen Geschlechtsbestimmung. Sie stellt in den Raum, dass Geschlechternormen (Geschlechterordnungen) weder auf Genetik, Genitalien oder Reproduktion beruhten, sondern ausschließlich aufpatriarchalen Strukturen, die in modernerGesetzgebung unverändert vorherrschten. Sie forderte zugleich Akzeptanz menschlicher Sexualität in ihrer prismenförmigen Vielschichtigkeit. 1996 erinnerteLeslie Feinberg[7] an all jene Geschlechtsdevianten, die wieJeanne d’Arc auf dem Scheiterhaufen endeten oder wie die Aktivisten derStonewall-Unruhen Freiheit und Leben riskierten – und untermauerte damit Rothblatts Forderung.

Eine Forderung der Postgender-Bewegung ist, den „Zwang zum geschlechtseindeutigenVornamen“ abzuschaffen.[8][9]

Kritik am Postgender-Ansatz

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Kritisch betrachtet wird vor allem am Postgender-Ansatz, dass er durch das Ignorieren von Unterschieden dieDiskriminierung aufheben will.Antje Schrupp formulierte im Jahr 2010Fünfzehn Thesen zu Feminismus und Post-Gender, in denen sie vor allem die „Sich-zur-Normsetzung des Männlichen“ problematisiert (These 1).[10] In These 4 schreibt sie:

„Die Betonung von biologistischen Klischees über Frausein und Mannsein wurde ideengeschichtlich erst bedeutsam, als diese Hierarchisierung der Geschlechter mit der Aufklärung und ihrem Postulat von der Gleichheit aller Menschen in Legitimationsschwierigkeiten kam. Die Überwindung dieser Geschlechterklischees (‚post-gender‘) garantiert deshalb noch nicht die Freiheit aller Menschen und speziell nicht die Freiheit der Frauen. Post-Gender-Denken kann auch genau das Gegenteil bewirken, nämlich die erneute Behauptung des ‚Unwichtigseins‘ von Frauen.“[10]

In These 9 ergänzt sie diese Kritik:

„Diese Ungleichheiten allein auf individuelle Unterschiede zurückzuführen, wie es unter dem ‚Post-Gender‘-Begriff versucht wird, beinhaltet nicht nur die Gefahr, die prägende Kraft von Konventionen und gesellschaftlichen Normierungen zu ignorieren. Sie beinhaltet vor allem die Gefahr, die Normsetzung des Männlichen quasi durch die Hintertür wieder einzuführen. Männlichkeit und der ‚geschlechtsneutrale Mensch‘ sind historisch eins. Männlichkeit hat sich nie als einheitlich, sondern schon immer als vielfältig verstanden. ‚Einheitlich‘ im Sinne von Stereotypen wurden immer nur die ‚anderen‘, speziell die Frauen, definiert.“[10]

Siehe auch

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Einzelnachweise

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  1. Donna Jeanne Haraway:A manifesto for Cyborgs: Science, technology, and socialist feminism in the 1980s. In:Australian Feminist Studies. Band 2, Nr. 4, 1987, S. 1–42 (englisch).
  2. Donna Jeanne Haraway:A Cyborg Manifesto: Science, Technology, and Socialist-Feminism in the Late Twentieth Century. In: Dieselbe:Simians, Cyborgs and Women: The Reinvention of Nature. Neuauflage. Routledge, New York 1991,ISBN 978-0-415-90387-5, S. 149–181 (englisch;PDF: 11,6 MB, 309 Seiten auf monoskop.org).
  3. George Dvorsky, James Hughes:Postgenderism: Beyond the Gender Binary. Institute for Ethics and Emerging Technologies, Hartford März 2008 (englisch;PDF: 111 kB, 18 Seiten (Memento desOriginals vom 9. Mai 2008 imInternet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäßAnleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/ieet.org auf ieet.org)
  4. Stephanie Reuter:Intersexualität innerhalb heteronormativer Gesellschaftsstrukturen am Beispiel des Films XXY. Düsseldorf 2009, S. 17.
  5. Vorwort zuWalburga Hülk, Gregor Schuhen, Tanja Schwan (Hrsg.):(Post-)Gender. Choreographien/Schnitte. Bielefeld 2006, S. 7.
  6. Martine Rothblatt:Apartheid of Sex: A Manifesto on the Freedom of Gender. Crown 1995,ISBN 0-517-59997-X (englisch).
  7. Leslie Feinberg:Transgender Warriors: Making History from Joan of Arc to RuPaul. Beacon Press, 1996 (englisch).
  8. Parteiprogramm:Grundsatzprogramm der Piratenpartei Deutschland: Geschlechter- und Familienpolitik. Stand: 2017, abgerufen am 9. Juni 2019.
    Anmerkung: Die Piratenpartei lehnt auch die Erfassung des MerkmalsGeschlecht durch staatliche Behörden sowie die Durchführung sogenanntergeschlechtsangleichender Operationen bei Kindern ab, die von den Piraten alsgeschlechtszuordnend bezeichnet werden.
  9. In Österreich muss zumindest der ersteVorname dem Geschlecht des Kindes entsprechen:Das Namensrecht: Vornamen. (Memento vom 12. Mai 2012 imInternet Archive). In:Help.gv.at. 1. Januar 2012, abgerufen am 9. Juni 2019 (offizieller Amtshelfer für Österreich).
  10. abcAntje Schrupp:Fünfzehn Thesen zu Feminismus und Post-Gender. Eigene Homepage, 25. Mai 2010, abgerufen am 9. Juni 2019.
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