

Diepolnische Minderheit inLitauen (polnischPolacy na Litwie) ist eineautochthone, seit Jahrhunderten dort ansässigeBevölkerungsgruppe und die größteMinderheit des baltischen Staates. Volkszählungen zufolge identifizierten sich im Jahr 2011 etwa 213.000 Einwohner[1] Litauens als Polen, was einem prozentualen Anteil von etwa 6,6 % an der litauischen Gesamtbevölkerung entspricht. In einigen Bezirken stellen ethnische Polen bis heute die Mehrheit, so etwa in denGemeindenVilnius (poln.Wilno) undŠalčininkai (Soleczniki). Der polnischeDialekt in Litauen ist bekannt alslitauisches Polnisch.
Von polnischer Seite wird immer wieder eine vermeintlicheDiskriminierung der Minderheit kritisiert[2], und deren rechtliche Stellung ist häufig Anlass für Spannungen zwischen Polen und Litauen. Litauen hat bis heute dieEuropäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen weder ratifiziert noch unterzeichnet.[3]
Polnische Bevölkerungsgruppen sind seit mehreren Jahrhunderten in Litauen ansässig. Der starke Einfluss der polnischen Kultur in Litauen begann ab 1569 mit derUnion von Lublin, in dem sich dasGroßfürstentum Litauen und dasKönigreich Polen, zuvor über einePersonalunion miteinander verbunden, zu einem gemeinsamen Staat,Polen-Litauen (Adelsrepublik oder I. Rzeczpospolita), zusammenschlossen. In der Folgezeit übernahmen große Teile deslitauischen Adels mehr und mehr die polnische Kultur und Tradition. Auch Teile der litauischen Landbevölkerung ließen sich in einem über Jahrhunderte schleichendem Prozesspolonisieren, hinzu kam die Niederlassung polnischer Siedler auf litauischem Gebiet. Als die polnisch-litauischeAdelsrepublik im Zuge derTeilungen Ende des 18. Jahrhunderts zusammenbrach, war ein großer Teil des heutigen Litauen mehrheitlich polnischsprachig, darunter auchVilnius undKaunas[4], die heute zweitbevölkerungsreichste Stadt Litauens.
Das Polnische blieb auch in der Folgezeit in vielen Regionen Litauens die vorherrschende Sprache, Vilnius (polnischWilno), blieb ein bedeutendes, polnisches Kulturzentrum. An der dortigen Universität studierten etwa der polnische FreiheitskämpferJoachim Lelewel oder der polnische NationaldichterAdam Mickiewicz.
Deutsche Truppen besetzen 1916, während desErsten Weltkrieges, kurzzeitig Litauen und führten dort eine Volkszählung durch. Diese ergab beispielsweise für die Stadt Vilnius einen polnischen Bevölkerungsanteil von über 50 %, 43,5 % Juden, viele davon ebenfalls polnischsprachig, und nur 2,6 % Litauer.[5]

Nach dem Ersten Weltkrieg wurden Polen und Litauen wieder unabhängige Staaten. Vilnius und andere mehrheitlich polnischsprachige Gebiete wurden damals dem litauischen Staat zugeschlagen. Bereits kurz danach kam es zumPolnisch-Litauischen Krieg, in dessen Folge Polen die HauptstadtVilnius und das proklamierteLitwa Środkowa annektierte.
Die auf litauischem Staatsgebiet verbliebene polnische Minderheit war indes teils schweren Diskriminierungen ausgesetzt.[6] Die in der Zwischenkriegszeit von 1918 bis 1939 bestehendeZweite Polnische Republik verfolgte auf ihrem Staatsgebiet im Gegenzug ebenfalls eine teils restriktive Polonisierungspolitik gegenüber nichtpolnischen Minderheiten.
Ein polnischer Zensus aus dem Jahr 1931 ergab für die Stadt Vilnius einen polnischen Bevölkerungsanteil von fast 66 %, 28 % Juden und nur 0,8 % Litauern.[7]
Nach demZweiten Weltkrieg musste Polen einen großen Teil seines östlichen Staatsgebiets an dieSowjetunion abtreten. Hunderttausende Polen wurden dabei im Zuge derZwangsumsiedlung von Polen aus den ehemaligen polnischen Ostgebieten 1944–1946 vertrieben und ließen sich teilweise in den ehemaligen deutschen Ostgebieten nieder. Ein Teil "Mittellitauens" mit Vilnius war bereits 1939 Litauen (ab 1940:Litauischen Sowjetrepublik) zugeschlagen worden. Obwohl zahlenmäßig geschwächt, stellten Polen auch dort teilweise die Mehrheit. 1959 identifizierten sich 8,5 % der litauischen Gesamtbevölkerung als Polen.[8] Die Regierung der Litauischen Sowjetrepublik versuchte mehrfach den Gebrauch der polnischen Sprache zu verbieten, wurde daran jedoch von der sowjetischen Zentralregierung inMoskau gehindert.[9]
Mit demZerfall der Sowjetunion wurde Litauen wieder unabhängig, wobei die polnische Minderheit, auch aus Angst vor einer wieder aufkommenden „Litauisierungspolitik“, der Unabhängigkeit skeptisch gegenüberstand.[10] In den 1990er Jahren gab es aktive Bewegungen für eine autonome Region der in Litauen lebenden Polen und vereinzelt auchsezessionistische Tendenzen. 1990 gründeten polnische Aktivisten eine „Nationale Territoriale Polnische Region“ und übten zeitweise die Kontrolle über größere Gebiete aus, die mehrheitlich von Polen bewohnt wurden. Diese de facto autonome Region wurde bis zumAugustputsch 1991 teilweise vonMoskau unterstützt, von Litauen jedoch für illegal befunden. Sie wurde 1991 aufgelöst.[11]
Im unabhängigen Litauen stellen Polen heute knapp 7 % der Bevölkerung. In zweiVerwaltungseinheiten bilden Polen eine Mehrheit: in derRajongemeinde Vilnius (52,1 %, poln.Wilno) und umŠalčininkai (77,8 %,Soleczniki). Bedeutende polnische Minderheiten gibt es außerdem in derRajongemeinde Trakai (30,1 %, poln.Troki), inŠvenčionys (26 %; poln.Święciany) und in der HauptstadtVilnius selbst (16,5 %)[12].
Der polnischeDialekt in Litauen ist bekannt alsLitauisches Polnisch. DieUniversität Białystok unterhält in Vilnius auch eine Zweigstelle, an der Angehörige der polnischen Minderheit auf Polnisch studieren können. Es gibt mehrere polnischsprachige Zeitungen in Litauen, darunter denKurier Wileński.
Nach wie vor wird von polnischer Seite immer wieder eine Diskriminierung der Minderheit kritisiert.[2] 2008 veröffentlichte der Dachverband der polnischen Organisationen in Litauen einen offenen Brief, in dem er auf eine systematische Diskriminierung der polnischen Minderheit hinwies und einen besseren Umgang mit Minderheiten in Litauen forderte[13]. Nachnamen nicht-litauischer Herkunft müssen in Pässen „litauisiert“ werden.[14] Dies betrifft neben der polnischen insbesondere auch dierussische Minderheit Litauens.
Die polnische Sprache verfügt trotz der zahlenmäßig starken Minderheit über keine offizielle Stellung in Litauen. Es ist nicht erlaubt, zweisprachige Straßenschilder oder Ladenbeschriftungen anzubringen. So wurde 2014 ein Regionalpolitiker zu einer Strafe von rund 12.500 Euro verurteilt, nachdem er es zugelassen hatte, dass in einer mehrheitlich polnischsprachigen Ortschaft zweisprachige Straßenschilder angebracht wurden.[15]
MitPolonija Wilno gab es bis 2014 einen bekannten litauischen Fußballverein, der sich als Vertretung der polnischen Minderheit sah. Mit der „Wahlaktion der Polen Litauens“ gibt es zudem eine eigene Partei der Minderheit, die mit knapp 6 % der Stimmen bei der Wahl 2012 auch im Parlament vertreten ist. Sie arbeitet seit einigen Jahren mit der vonSergej Dmitrijew geführten Partei der russischen Minderheit zusammen.