Der Titel dieses Artikels ist mehrdeutig. Weitere Bedeutungen sind unterPolitik (Begriffsklärung) aufgeführt.
Politik bezeichnet die Strukturen(Polity), Prozesse(Politics) und Inhalte(Policy) zur Regelung der Angelegenheiten einesGemeinwesens durch allgemein verbindliche und somit in der Regel auf politischerMacht beruhendeEntscheidungen.[1]
Politik regelt dabei insbesondere das öffentliche, aber teilweise auch das private (Zusammen-)Leben derBürger, die Handlungen und Bestrebungen zur Führung des Gemeinwesens nach innen und außen sowie die Willensbildung und Entscheidungsfindung über Angelegenheiten des Gemeinwesens.[2][3][4] Abstrakt formuliert wird in derPolitikwissenschaft auch von der „Verteilung von Werten (materiellen wieGeld oder nicht-materiellen wieDemokratie)“ gesprochen.[5]
Wortherkunft
Der Ausdruck Politik wurde, mit Umwegen über dasLateinische (politica,politicus, woraus auchPolitikum abgeleitet ist), nachaltgriechischπολιτικάpolitiká gebildet. Dieses Wort bezeichnete in denStadtstaaten desantiken Griechenlands alle diejenigen Tätigkeiten, Gegenstände und Fragestellungen, die das Gemeinwesen – und das hieß zu dieser Zeit: diePolis – betrafen. Entsprechend ist die wörtliche Übersetzung vonpolitiká anzugeben als „Dinge, die dieStadt betreffen“ bzw. die „politischen Dinge“. In dieser Bedeutung ist „Politik“ vergleichbar mit dem römischen Begriff derres publica, aus dem der moderne Terminus der „Republik“ hervorgegangen ist. Eine begriffsgeschichtlich besonders prominente Verwendung fand das Wort als Titel eines Hauptwerks des antiken PhilosophenAristoteles, derPolitik (Πολιτικά).
„Politik ist die Summe der Mittel, die nötig sind, um zur Macht zu kommen und sich an der Macht zu halten und um von der Macht den nützlichsten Gebrauch zu machen“
„Die politische Wissenschaft … lässt sich als derjenige Spezialzweig der Sozialwissenschaften definieren, der sachlich-kritisch den Staat unter seinem Machtaspekt sowie alle sonstigen Machtphänomene unter Einbeziehung sonstiger Zielsetzungen insoweit untersucht, wie diese Machtphänomene mehr oder weniger unmittelbar mit dem Staat zusammenhängen.“
„Politik ist der Komplex sozialer Prozesse, die speziell dazu dienen, das Akzept administrativer (Sach-) Entscheidungen zu gewährleisten. Politik soll verantworten, legitimieren und die erforderliche Machtbasis für die Durchsetzung der sachlichen Verwaltungsentscheidungen liefern.“
„Beziehungen der Überordnung und Unterordnung und ihre Auswirkungen auf das Verhalten der Menschen zu untersuchen (ist das Ziel der Politikwissenschaft).“
„Praktisch-kritische politische Wissenschaft zielt auf eine politische Theorie, die die Befunde der Gesellschaftskritik integriert. Im Begriff der Demokratie gewinnt sie einen Leitbegriff für die Analyse der politisch relevanten Herrschaftsstrukturen der Gesellschaft.“
„Politik ist die Gesamtheit aller Aktivitäten zur Vorbereitung und Herstellung gesamtgesellschaftlich verbindlicher und/oder am Gemeinwohl orientierter und der ganzen Gesellschaft zugute kommender Entscheidungen.“
„Politik (ist) der alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens durchdringende Kampf der Klassen und ihrer Parteien, der Staaten und der Weltsysteme um die Verwirklichung ihrer sozialökonomisch bedingten Interessen und Ziele.“
–Wörterbuch der marxistisch-leninistischen Soziologie. 1969, S. 340
Diekontroversen Politikbegriffe und -definitionen können in drei Dimensionen sortiert werden, ohne dass diese sich untereinander ausschlössen.
Regierungszentriert versus emanzipatorisch
Zu den regierungszentrierten oder gouvernementalen Politikbegriffen gehören die KonzepteMacht, Herrschaft undFührung. Im 19. Jahrhundert galt derStaat und seineMacht (Gewaltmonopol) als das Hauptwesen der Politik. Alle Machtphänomene wurden versucht dem Staat zuzuordnen. In den internationalen Beziehungen ist Macht bis heute einer der Grundpfeiler der Theoriebildung (vgl. zum BeispielPolitischer Neorealismus).Kurt Sontheimer (1962) weist auf die Gefahr hin, dassPolitikwissenschaft bei diesem Politikverständnis leicht zum Handlanger der Macht und der Mächtigen werden kann.
Zu den normativen Politikbegriffen lassen sich die Konzepterechte Ordnung,Frieden,Freiheit undDemokratie zählen und insbesondere auch alle emanzipatorischen Politikdefinitionen. Dabei geht es nicht um die reine Beschreibung politischer Phänomene, sondern es wird ein wertender Soll- oder Zielwert als Hauptkategorie eingesetzt. Das Konzept Freiheit kann zum Beispiel als ein Gegenbegriff zum KonzeptMacht oderHerrschaft verstanden werden. Meist werden harmonischeGemeinwohlvorstellungen angeboten, die sich nur schwer mit den heutigenpluralistischen Gesellschaftsbedingungen vereinbaren lassen. Ein spezielles Problem der KategorieFrieden ist, dass sie nicht bloß die Abwesenheit von Gewalt, sondern auch den Abbau von Ungleichheiten meinen kann.
Die rein deskriptiven, also beschreibenden, Politikvorstellungen lehnen Sollwerte als Wesen der Politik ab. Zu ihnen zählen die in der Einleitung gegebene Politikdefinition, diejenige von Lehmbruch und die vonDavid Easton (authoritative allocation of values;Systemtheorie). Ebenso wie die regierungszentrierten, Macht betonenden Politikbegriffe stehen diese in Gefahr, denStatus quo zu stabilisieren und den gerade Herrschenden zu nutzen.
Konfliktorientiert versus konsensbezogen
Konfliktorientierte Politikbegriffe gehen von der Existenz vonKonflikten als unabänderlichen und notwendigen Erscheinungen des politisch-sozialen Lebens aus. Diese Konflikte müssten durch die politischen Prozesse geregelt werden. Die Voraussetzung für die Verwendung der Kategorie Konflikt ist, dass eine hinreichend flexible und stabile Gesellschaftsstruktur vorhanden ist, die die friedliche Konfliktaustragung zwischen den verschiedenensozialen Gruppen mit ihren divergierendenInteressen ermöglicht. Zu den konfliktorientierten Politikbegriffen gehören neben dem deskriptiven systemtheoretischen Politikverständnis auch die Konflikttheorien vonRalf Dahrendorf undLewis Coser, die Konflikte als die Triebkräfte jedes sozialen Wandels begreifen. Auch dermarxistische Politikbegriff fußt auf Konflikt als Grundkategorie, nämlich dem Kampf derKlassen und ihrerParteien um die Durchsetzung ihrer primär sozialökonomisch bedingten Interessen.
Im Gegensatz dazu ist bei konsensbezogenen Politikbegriffen das gesellschaftlicheGemeinwohl nur durchKonsens herstellbar. Zu diesen Politikbegriffen zählt neben dem klassischen emanzipatorischen PolitikverständnisJean-Jacques Rousseaus auch der Politikbegriff von Thomas Meyer.
Mehrdimensionaler Politikbegriff der jüngeren politikwissenschaftlichen Diskussion
Auch ohne Entscheidung überdie Hauptkategorie von Politik kann man drei Dimensionen unterscheiden, die uns eine begriffliche Klärung und Unterscheidung der komplexen Wirklichkeit der in verschiedener Gestalt auftretenden Politik ermöglichen. Dafür haben sich im deutschsprachigen Raum die englischen BezeichnungenPolicy,Politics undPolity eingebürgert.[6]
Policy: normative, inhaltliche Dimension
Unterschiedlichenormative Vorstellungen (wie etwas sein sollte) über den Inhalt, also Aufgaben und Ziele, von Politik, führen aufgrund begrenzter Mittel (Ressourcenknappheit) dazu, dass nicht alle Wünsche befriedigt werden können. Es kommt zu Interessenkonflikten innerhalb der unterschiedlichsten Politikbereiche, wieSicherheitspolitik,Wirtschaftspolitik,Sozialpolitik und viele weiteren. Diese Konflikte müssen im Sinne der Stabilität des politischen Systems durchKompromisse und folgende allgemeinverbindliche Entscheidungen vermittelt werden.
Policy steht also für die inhaltliche Dimension der Politik. Bezüglich der Politik einerPartei oderRegierung umfasst der Begriff, was diese zu tun beabsichtigt bzw. auch tut. Dazu gehören neben den von einer Regierung vergebenen und bewilligten materiellenGütern auch immaterielle Aspekte. Da aber die allermeisten Maßnahmen der Politik eine materiell-ökonomische Seite besitzen, können die öffentlichenHaushalte oder die eingebrachten Haushaltsentwürfe einen Eindruck geben welchepolicy ein Land bzw. eine Regierung umsetzt.
Wenn im Alltag von „guter“ und „schlechter Politik“ gesprochen wird, dann ist damit in der Regel diepolicy der Regierung gemeint. Insofern als die Bevölkerung damit beurteilt, was bei einer bestimmten Politik für wen dabei herauskommt, ist dies die Sicht der von politischen Entscheidungen Betroffenen. Die Beurteilungskriterien sind dabei in denpluralistischenGesellschaften allerdings in der Regel sehr verschieden, abhängig von den jeweiligenWert- undGerechtigkeitsvorstellungen, abhängig davon, mit welchen gesellschaftlichen Gebilden (einer bestimmten gesellschaftlichen Gruppe oderKlasse, derNation oder einem über die Landesgrenzen hinausreichenden gesellschaftlichenKollektiv) sich identifiziert wird.
Da es in derpolicy stets um gesellschaftliche Inhalte, Werte und Interessen geht, geht es nie nur um die Antwort auf die Frage nach der besten Politik. Vielmehr stehen auch die an politischenEntscheidungsprozessen Beteiligten und die Konsequenzen der Entscheidung für den Einzelnen im Fokus der Analyse. Ebenfalls relevant ist die Frage nach den Begünstigten und den Belasteten.
Kategorien: Politisches Problem; Programme, Ziele, Lösungen; Ergebnisse der Politik; Bewertung der Politik
Die ablaufenden politischen Willensbildungs- und Interessenvermittlungsprozesse prägen die möglichen Ergebnisse derpolicy maßgeblich. BesondersMacht und ihre Durchsetzung im Rahmen der formellen und informellen Regeln bestimmen diesepolitics-Prozesse (Regierungskunst im weitesten Sinne) zusätzlich. In liberal-demokratischen Systemen (moderneDemokratie, mitRechtsstaat undMarktwirtschaft) wird die Akzeptanz der Kompromissbildung dadurch erhöht, dass frühzeitig neben denParteien auch gesellschaftlicheInteressengruppen (Lobbyverbände wieGewerkschaften undUnternehmensverbände) und Einzelpersonen in den Prozess der Entscheidungsfindung eingebunden werden.
Bei der Entwicklung und Beeinflussung derpolicy zeigt sich die Politik von ihrer konflikthaften Seite, dem Kampf um Macht und Einfluss der verschiedenen Gruppen und Personen. Damit inhaltliche Handlungsprogramme umgesetzt werden können, bedarf es neben der Erringung, dem Erhalt und dem Ausbau von Machtpositionen, auch der geschickten Auswahl des politischen Führungspersonals, der Formulierung der Wünsche und Interessen der gesellschaftlichen Gruppen, der Abstimmung mit anderen Forderungen und Interessen, um so ein umfassendes Handlungsprogramm anbieten zu können und wählbar zu sein. Dies erfordert die ständige Berücksichtigung anderer Menschen (Wähler, Parteikollegen usw.), deren mögliche Reaktionen bei der Erstellung und Durchführung derpolicy von vornherein mit einkalkuliert, antizipiert, werden müssen. Gerade in demokratischen Systemen geht es also auch immer um das Sammeln von Zustimmung und Einwilligung zu den Handlungsprogrammen.
Für diePolitiker selbst ist aber daher auch der Aspekt des Kampfes um Entscheidungsbefugnis, welches mehr umfasst als die Erlangung der staatlichen Machtpositionen, entscheidend. Denn im Gegensatz zu typischen Verwaltungsbeamten, derenKompetenzbereich klar über dasAmt geregelt ist, muss sich der Politiker diesen Bereich erst erarbeiten und dann behaupten. Daher ist es für ihn zu wenig, nur die rein sachlichen Gesichtspunkte bei seiner Entscheidungsfindung zu berücksichtigen. Die Aspekte des Machterwerbs und des Machterhalts sind gerade in demokratischen, eben responsiven, Systemen besonders wichtig; insofern ist gerade die Demokratie eine hochpolitischeRegierungsform.
Politics spielt aber auch inautoritären Systemen eine Rolle, in denen die Führer weniger Rücksicht auf die Bevölkerung nehmen müssen. Solange die Handelnden unter einem gewissen Zwang zur Rücksichtnahme auf andere Akteure stehen und versuchen müssen, Zustimmungsbereitschaft zu erzeugen, mit welchen Mitteln auch immer, kann vonpolitics gesprochen werden. Auf welche Art die Zustimmung geschaffen wird (Interessenberücksichtigung, Kompromiss, Überzeugung, Zwang usw.) kann dann durchaus für eine Beurteilung von Politik als „gut“ oder „schlecht“ dienen. „Unter einem ‚klugen und geschickten Politiker‘ verstehen wir offensichtlich nicht einfach einen ‚guten Fachmann‘, der viel von der Sache versteht – wenn er auch das tut, umso besser –, sondern eine Person, die die Fähigkeit hat, Menschen dazu zu bringen, bestimmten Handlungsprogrammen zuzustimmen und Folge zu leisten.“[63]
Dabei kann zwischenpolicy undpolitics nicht immer streng getrennt werden. Es gibt nicht erst ein inhaltliches Programm und dann das Bemühen um Zustimmung zu diesem. Die politische Gruppenbildung (Interessenkoalitionen) findet in Wechselwirkung mit der Programmentwicklung statt. So wird eine die Regierungsmacht anstrebende politische Partei, die gewisse gesellschaftlicheReformen beabsichtigt (oder verhindern möchte), in der Regel auch weitere Programmpunkte vertreten, die ihr zwar weniger wichtig sind, aber für die Chance auf Gewinn der Regierungsmehrheit als notwendig erachtet werden. Dies ist von der „Regierungskunst“ nicht zu trennen. Die gedankliche Unterscheidung vonpolicy undpolitics rechtfertigt sich dadurch, dass es uns erlaubt, „Ordnung in unser Nachdenken über das Politische zu bringen.“[64]
Kategorien: politische Akteure, Beteiligte und Betroffene; Partizipation; Konflikte; Kampf um Machtanteile und um Entscheidungsbefugnis; Interessenvermittlung, -artikulation, -auswahl, -bündelung, -durchsetzung; Legitimationsbeschaffung durch Verhandlungen, Kompromisssuche, Konsensfindung
Polity: formale, institutionelle Dimension
DieVerfassung, die geltendeRechtsordnung undTraditionen bestimmen die in einem politischen System vorhandenenInstitutionen wie zum BeispielParlamente und Schulen. Dadurch wird die Art und Weise der politischen Willensbildung geprägt und der Handlungsspielraum der anderen Dimensionen beeinflusst. Politik im Sinne vonpolicy undpolitics vollzieht sich stets innerhalb dieses Handlungsrahmens. Dieser ist nicht unveränderbar, aber doch so stabil, dass er nicht beliebig und jederzeit zur Disposition steht.
Parlament: der Deutsche Bundestag im Reichstagsgebäude in Berlin
In (modernen)Staaten drückt sich dieser zunächst einmal durch die Verfassung aus, welche hier allgemein als grundlegendeOrganisationsform, die das Verhältnis der Staatsorgane untereinander regelt, verstanden wird, und nicht die schon inhaltlich bestimmte Vorstellung des „Verfassungsstaats“ meint, welcher schon mit konkreten Ordnungsvorstellungen wieRechtsstaatlichkeit,Gewaltenteilung und Garantie von Freiheits- undBürgerrechten verbunden ist. Ferner geht diepolity als Organisationsform auch über den Inhalt der geschriebenen Verfassung im engeren Sinn hinaus und umfasst auch weitere grundlegende Gesetze wie beispielsweise in derBundesrepublik Deutschland dasBundeswahlgesetz oder die Bestimmungen, die das Verhältnis vonParlament undRegierung, Regierung undVerwaltung, Bund und Ländern regeln.
Zurpolity gehören auch die Grenzen, die dem politischen Handeln gesetzt sind (beispielsweise durch die Bürgerrechte, die Bürgerdefinition oder die Staatsgrenzen). Eine solche staatliche „Verfassung“ beruht also auch auf einer Einheit (Volk oder Bürgerbevölkerung), die durch diese „verfasst“ wird. Somit gehört zurpolity auch der Aspekt der Abgrenzung.
Neben die offiziellen, geschriebenen Regelwerke (Verfassung, Gesetze) tritt auch die jeweiligePolitische Kultur eines Landes; man sprach auch schon von einer „doppelten politischen Verfassung“. So kann die geschriebene Verfassung eineparlamentarische Demokratie vorsehen, aber das Desinteresse der Bevölkerung oder der Missbrauch durch die Regierenden die tatsächliche Verfasstheit des Staates alsautoritär begründen. Gerade die nach 1945 versuchte, allzu einfache Übertragung von westlichen Verfassungsvorstellungen auf Länder der Dritten Welt hat dies durch ihr teilweise grandioses Scheitern gezeigt. Rechtliche Regelungen und politischeInstitutionen allein, egal wie ausgeklügelt das politische Institutionensystem auch sein mag, genügen nicht zur Stabilisierung einespolitischen Systems und zur Erklärung der tatsächlichen Funktionsweise. GesellschaftlicheNormen undSitten, zum Beispiel die Anerkennung faktenbasierter Tatsachen im politischen Diskurs oder den politischen Gegner nicht unter die Gürtellinie zu schlagen, sind meist wichtiger für das Fortbestehen guter politischer Umgangsformen und damit für die Stabilität des politischen Systems als die Möglichkeiten, gegen politischeVerleumdungen gerichtlich, also im Rahmen der geschriebenen Verfassung, vorgehen zu können. Zur politischen Kultur einer Gesellschaft gehören die typischen politischen Orientierungs- und Verhaltensmuster der Menschen.
Kategorien: Internationale Abkommen und Regelungen; Grundgesetz; Zentrale Verfassungsprinzipien; politische Institutionen; Gesetze und Rechtsnormen; Politische Kultur
Zivilitätstheoretische Diskussion des mehrdimensionalen Politikbegriffs
Nach der Theorie der zivilen Moderne vonVolker von Prittwitz zeichnen sich zivile Ordnungen durch mehrdimensionale Koordination aus. Dabei werden freund/feind-, macht- und interessenlogische Interaktionsformen durch gemeinsam anerkannte Regeln aller Beteiligten gebunden(Bound Governance). Nur in solchen Ordnungen besteht eine unabhängige Polity-Dimension, und nur in deren Schutz, so im Schutz der Menschenrechte, können Sachpolitiken(Policies) frei entwickelt und diskutiert werden. Damit korrespondiert diePolicy/Politics/Polity-Trias, die sich seit den 1980er Jahren in der Politikwissenschaft hochentwickelter Industrieländer ausbreitet, mit der Entwicklung der zivilen Moderne.[65]
In vormodernen Gesellschaften und in Ländern unziviler (lediglich technischer) Moderne dominieren dagegen eindimensionale Politikformen, in denen die Herrschenden auch in geltende Verfahren, geltendes Verfassungs- und Gesetzesrecht sowie in Verläufe sachpolitischer Diskussion durchgreifen können.Polity undPolicies bilden hier also keine unabhängigen Politikdimensionen, sondern reflektieren lediglich aktuelle Macht- und Interessenkonstellationen. Vollständig verloren geht mehrdimensionale Politik, wenn die Freund/Feind-Logik zwingend herrscht; denn die Logik des Kriegs widerspricht prinzipiell einem Politikmodell, in dem alle Beteiligte bei gemeinsam anerkannten Regeln zu gemeinsam anerkannten Beschlüssen kommen.[65]
Da auch ein entfaltetes mehrdimensionales System politischer Willensbildung und Entscheidungen wieder untergehen kann, ist politische Zivilität nie völlig sichergestellt. Vielmehr findet – häufig latent – ein ständiger Kampf um die zivile Moderne statt. Dies gilt für innenpolitische Konflikte, etwa zwischen demokratischer Öffentlichkeit, Populismus, Fundamentalismus und Extremismus; es gilt für Konflikte um Staatsgründung und staatliche Separation (Separationskrieg versus einvernehmliche Differenzierung), und es gilt für das Spannungsfeld zwischen dem UN-KonzeptHerrschaft des Rechts (auf Grundlage der Menschenrechte) und dem Streben nach absoluter Macht, unilateralen Interessenstrategien und Freund/Feind-Mustern zwischen Kulturen wie Staaten.[66]
Abgrenzung von Politisch und Sozial – Politik im engeren und weiteren Sinn
Politische Fragen tauchen zwar meist im Zusammenhang mit Sachfragen auf, aber sie können nicht von Fachleuten reinwissenschaftlich,technokratisch entschieden werden. Zur Beantwortung sind immernormative Grundentscheidungen und Abwägungen von prinzipiell gleichberechtigten Ansprüchen nötig, bei denen es kein Richtig oder Falsch im Sinne absoluterWahrheit gibt. Bei politischen Fragen geht es immer auch um Fragen des menschlichen Zusammenlebens. Daher spielen bei der Beantwortung nebensubjektivenMeinungen undÜberzeugungen über unsereInteressen undRechte auch der Wille, diese durchzusetzen, eine Rolle. Als der beste Agent unserer eigenen Interessen sieht die liberaleDemokratietheorie dabei uns selbst an, daher die Notwendigkeit vonGrundrechten der politischen Mitwirkung. Politische Fragen sind also normative Fragen, die nicht wissenschaftlich entscheidbar sind (siehePolitische Theorie undWissenschaftstheorie).
Doch nicht alle zwischenmenschlichen Probleme sind auch politische Probleme. Als menschliches Handeln definiert man allgemein ein Verhalten, mit dem der Handelnde einen subjektiven Sinn verbindet, undsoziales Handeln als Handeln, dessen gemeinter Sinn auf das Verhalten anderer bezogen ist (Max Weber). Dazu benötigen MenschenEmpathie, die Fähigkeit, sich in denInteraktionspartner hineinzuversetzen und die Situation „mit seinen Augen“ zu sehen.
Dieses Soziale wird nun politisch, sobald das Zusammenleben der Menschen als solches zum Problem wird (konfliktorientierter Politikbegriff). In allen sozialen Beziehungen (Freundeskreis, Kollegen usw.)kann ein spezifisches Vorgehen nötig werden, um Konflikte zu regeln. Alle Anstrengungen, die zu einer Vermittlung und Regelung führen (sollen), kann man alsPolitik im weiteren Sinne bezeichnen. Diese Art Politik ist aber nicht der eigentliche Zweck dieser informellen Gruppen und sozialenOrganisationen (zum Beispiel Sportverein).
Erst auf der Ebene der nicht mehr auf persönlicher Bekanntschaft aufbauenden,anonymen Gesellschaft wird Politik auch zum eigentlichen Zweck, weil das Zusammenleben der vielen sozialen Gruppen, Interessen und Weltanschauungenstets konfliktanfällig ist und der Regelung bedarf. Alles soziale Handeln, das gesamtgesellschaftlich verbindliche Regelungen bezweckt, wird alsPolitik im engeren Sinne bezeichnet.
Früh befassten sich Gelehrte damit, wie Politik auszusehen hat; dabei standen die Fragen „Was ist eine gute und gerechte Staatsordnung?“ und „Wie erlangt man wirklich Macht im Staat?“ im Mittelpunkt der Diskussion. Schon imAltertum verglich beispielsweiseAristoteles (384 bis322 v. Chr.) alle ihm bekanntenVerfassungen (Politische Systeme) und entwickelte eine auch heute viel zitierteTypologie in seinem WerkPolitik. Er ist der erste Philosoph im Abendland, der daspolitische Vermögen und des Menschen in fachspezialiserter Abgrenzung zu den anderen Arten der Tiere herauszuarbeiten beginnt. Neben der Anzahl der an der Macht Beteiligten (einer, wenige, alle) unterschied er zwischen einer guten gemeinnützigen Ordnung (Monarchie,Aristokratie,Politie) und einer schlechten eigennützigenStaatsordnung (Tyrannis,Oligarchie,Demokratie). Erste geschriebeneGesetze belegen, dass Politik sich nicht nur mit den Herrschenden, sondern auch früh schon mit sozialen Regeln befasste, die bis heute überliefert wurden. DerCodex Hammurapi (Babylon, etwa1700 v. Chr.) oder dasZwölftafelgesetz (Rom, etwa450 v. Chr.) sind Beispiele verbindlicher Regeln, die sicher als Ergebnis von Politik gewertet werden können. Befasst man sich mit den Politikern derRömischen Republik und demRömischen Kaiserreich, erkennt man viele Elemente damaliger Politik auch heute noch. Es wurde mit Kreide Wahlwerbung an die Hauswände geschrieben (etwa inPompeji). Es gab einen komplexen Regierungsapparat und hitzige Rivalität zwischen den Amtsträgern.Korruption war ein Thema derGesetzgebung und römischer Gerichtsverhandlungen. BriefeCiceros an einen Verwandten belegen, wie gezielt die Wahl in ein Staatsamt auch taktisch vorbereitet wurde.
Mittelalter
Mit dem Verfall des Römischen Reiches verlor Politik in Europa wieder an Komplexität, die Gemeinwesen wurden wieder überschaubarer und Konflikte kleinräumiger. In der Zeit derVölkerwanderung und des frühenMittelalters war Politik mehr kriegerische Machtpolitik und weniger durchInstitutionen und allgemein akzeptierte Regeln geprägt. Je stärker derFernhandel,Geld undStädte wieder an Bedeutung gewannen, desto mehr wurden wieder feste Machtzentren gebraucht und desto wichtiger wurden Institutionen. Beispielsweise bildete sich dieHanse als Interessen- und Machtverbund einflussreicher sich selbst regierender Städte. Wichtiges relativ konstantes Machtzentrum war diekatholische Kirche. Aus sozialen Gemeinschaften, die bestimmten Führern die Treue schworen (Personenverband), wurden langsamErbmonarchien mit festenGrenzen.
Im20. Jahrhundert kam es schließlich zur Herausbildunginternationaler Organisationen mit zunehmendem Einfluss auf die Politik. Der erste Versuch, im sogenanntenVölkerbund eine Völkergemeinschaft zu bilden, scheiterte mit demZweiten Weltkrieg. Heute existiert neben denVereinten Nationen eine Vielzahl weiterer internationaler Organisationen. Eine Besonderheit stellt dieEuropäische Union dar, die ein höheres Integrationsniveau als eine klassische internationale Organisation aufweist, aber trotzdem keinföderaler Staat ist.
Giorgio Agamben:Herrschaft und Herrlichkeit: Zur theologischen Genealogie von Ökonomie und Regierung (= Homo sacer. Teil 2, Band 2). Suhrkamp, Berlin 2010,ISBN 3-518-12520-6 (aus dem Italienischen von Andreas Hiepko).
Ulrich von Alemann, Erhard Forndran:Methodik der Politikwissenschaft: Eine Einführung in Arbeitstechnik und Forschungspraxis. Kohlhammer, Stuttgart, Berlin und Köln 1995.
↑Manfred G. Schmidt:Politik. In: Derselbe:Wörterbuch zur Politik. 2., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage. Kröner, Stuttgart 2004,ISBN 3-520-40402-8, S. 538–539.
↑Eintrag:Politik. In:Klaus Schubert, Martina Klein:Das Politiklexikon. 7., aktualisierte und erweiterte Auflage. Dietz, Bonn 2020 (online auf bpb.de).
↑Thomas Bernauer u. a.:Einführung in die Politikwissenschaft: Studienkurs Politikwissenschaft. Nomos, Baden-Baden 2009, S. 32.
↑Stadt, Land, Frust: Die Baupolitik braucht dringend einen Paradigmenwechsel. In:Der Tagesspiegel Online.ISSN1865-2263 (tagesspiegel.de [abgerufen am 14. Dezember 2024]).
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↑Eberhard Jäckel:Hitlers Kriegspolitik und ihre nationalen Voraussetzungen. In:De Gruyter. 10. Oktober 2017,doi:10.1515/9783110857702-004/html (degruyter.com [abgerufen am 14. Dezember 2024]).
↑Uwe Jean Heuser:Krisenpolitik: Irgendwann hat es sich ausgewummst. In:Die Zeit. 8. Oktober 2022,ISSN0044-2070 (zeit.de [abgerufen am 14. Dezember 2024]).
↑Volker von Prittwitz (Hrsg.):Gleich und frei nach gemeinsam anerkannten Regeln: Bound Governance – Theorie der zivilen Moderne. Geänderte Auflage. Freie Universität Berlin, Berlin 2018,ISBN 978-3-96110-176-4, S. 20–28, 68–87 und 88–94.