Pilgerzeichen

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Schlichtes Pilgerzeichen, gefunden inSuffolk

Pilgerzeichen (auch alsPilgermarken bezeichnet) sind Abzeichen, meist in Form kleinerPlaketten,Medaillen oder Flachgüsse aus einerBlei-Zinn-Legierung, die vorwiegend imMittelalter anWallfahrtsorten verkauft und auf derPilgerfahrt am Hut oder an der Kleidung getragen wurden.

Pilgerzeichen auf einer Glocke der Dorfkirche inProtzen

Inhaltsverzeichnis

Aufkommen und Nutzung

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Bereits die frühenChristen suchten besondere Orte, wie dasGrab Christi oder Begräbnisstätten derApostel auf, um dort zu beten. Diese Stätten lagen überwiegend imHeiligen Land oder inRom und können als die ersten Wallfahrtsorte bezeichnet werden. Gegen Ende desFrühmittelalters breitete sich das Wallfahrtswesen dann massiv aus, so entwickelte sich ab etwa 900 n. Chr. eine regeWallfahrt zum Grab des HeiligenJakobus nachSantiago de Compostela. Ab dem 11. Jahrhundert kamen weitereWallfahrtsorte in Mitteleuropa hinzu.

Bei den Pilgern entstand das Bedürfnis, eine Erinnerung an die Wallfahrt mitnehmen zu können; einerseits als Zeichen der Frömmigkeit, aber auch als Beleg, dass man tatsächlich an der heiligen Stätte gewesen war. Bereits früher hatte es den Brauch gegeben, Pilgerandenken vom Wallfahrtsort mitzunehmen, die in ihrer Bedeutung den späteren Pilgerzeichen ähnelten. Dies konntenReliquien im engeren Sinne, Kontaktreliquien oder auch generell ortstypische Objekte der jeweiligen heiligen Stätte sein.[1] Im Laufe des 12. Jahrhunderts bildete sich nun die Tradition aus, an den Wallfahrtsorten kleine Abzeichen auszugeben.[2] Ein juristisch anerkannter Beweis für den Besuch an der Pilgerstätte waren die Pilgerzeichen jedoch nicht, zumal auch Fälschungen kursierten, also Marken eines Erinnerungsortes teilweise auch anderswo hergestellt und vertrieben wurden.[3] In der Regel wurden die Stücke an die Pilger verkauft, zuweilen auch nach demPilgersegen ausgegeben.

Pilgerzeichen des HeiligenNikolaus, 13. Jahrhundert, gefunden in Plau am See

Die Pilgerzeichen bildeten entweder denHeiligen oder dessen Attribute ab, dort verehrteReliquien oder das Heiligtum selbst. Das bekannteste Beispiel ist dieJakobsmuschel als Abzeichen für die Wallfahrt nach Santiago de Compostela (sogenanntePilgermuschel). Weitere Beispiele sind Abbildungen vonPetrus undPaulus für die Wallfahrt nach Rom oder derHeiligen Drei Könige für die Wallfahrt nachKöln. Neben ihrer Funktion alsErinnerungsstück wurde ihnen auch eine wundertätige Wirkung zugeschrieben, die unmittelbar mit dem verehrten Heiligen in Verbindung stand. Der Glaube an die heilkräftige Wirkung ging so weit, dass man das Pilgerzeichen zur Heilung auf einen erkrankten Körperteil auflegte. Ebenso gab man KrankenWasser oderWein zum Trinken, in die man das Abzeichen getaucht hatte. Die Medaillen galten auch alsAmulette zur Abwehr des Bösen und wurden zu diesem Zweck imHaus oderStall aufgehängt oder auf dem Feld vergraben. Daneben schützten sie den Träger bei seiner Reise, da Pilger unter besonderer religiöser Protektion standen und nicht angegriffen werden durften.[3] Vor allem ab dem 14. Jahrhundert wurden Pilgerzeichen auch aufKirchenglocken mit abgegossen.[4] Dahinter stand der Glaube, dass sich die segensreiche Wirkung des Heiligen mit dem Glockenklang über das Land verbreiten sollte.

Steinform zum Gießen von Pilgerzeichen, gefunden im nordirischenKloster Devenish

Herstellung

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Zweifellos waren Herstellung und Verkauf von Pilgerzeichen ein einträgliches Geschäft, das wesentlich zum Reichtum einiger Wallfahrtsorte beitrug. Üblicherweise handelt es sich beim Material um eineBlei-Zinn-Legierung, es gab aber auch kostbarere Varianten aus edleren Metallen wie Silber oder Gold. Charakteristisch sind kleine Ösen an den Rändern, mit denen die Objekte an der Kleidung oder der Kopfbedeckung des Pilgers befestigt werden konnten.[3] Anfangs sind die Objekte als Flachguss, meist mit glatter Rückseite ausgeführt, im Verlauf des 14. Jahrhunderts werden sie filigraner und sind oft durchbrochen (Gitterguss).[5] An manchen Orten wurden sie farbig bemalt, wie aus Darstellungen auf Gemälden und einzelnen erhaltenen Stücken (beispielsweise einem rot bemalten in Wilsnack) hervorgeht. Die Größe der Zeichen schwankt um ein Maß von etwa 4 × 4 cm, nur selten sind sie wesentlich größer.

Neben den Pilgerzeichen aus Zinn/Blei wurden vereinzelt auch andere Materialien verwendet: Relativ weit verbreitet war beispielsweise die Nutzung vonJakobsmuscheln als Pilgerzeichen (Pilgermuschel), da die Muschel als Attribut des Apostels und HeiligenJakobus des Älteren, des Schutzpatrons der Pilger, galt. Besonders typisch waren die Muscheln als Pilgerzeichen für eine Wallfahrt nachSantiago de Compostela, wo sich mit dem Grab des Heiligen Jakobus eine wichtige Pilgerstätte befand.[6] Eine den Pilgermarken vergleichbare Rolle spielten auch diePilgerhörner, wie sie in Aachen verteilt wurden, und dieWallfahrtsspiegel. Um 1490 tauchen für kurze Zeit in Metallblech geprägte Abzeichen auf.

  • Pilgerzeichen aus Zinn und Blei, gefunden am Hagenmarkt in Braunschweig
    Pilgerzeichen aus Zinn und Blei, gefunden amHagenmarkt in Braunschweig
  • Plattenförmiges Pilgerzeichen aus Blei, Darstellung der Apostel Petrus und Paulus
    Plattenförmiges Pilgerzeichen aus Blei, Darstellung der ApostelPetrus undPaulus
  • Pilgerzeichen aus einer Kupferlegierung, vermutlich den Heiligen Thomas Becket darstellend
    Pilgerzeichen aus einer Kupferlegierung, vermutlich den HeiligenThomas Becket darstellend
  • Pilgerzeichen mit der Darstellung des Heiligen Prokop von Sázava, gefunden in Karlova Huť (Beispiel für Gitterguss)
    Pilgerzeichen mit der Darstellung des HeiligenProkop von Sázava, gefunden inKarlova Huť (Beispiel für Gitterguss)
  • Pilgerzeichen aus Blei in Form einer Jakobsmuschel
    Pilgerzeichen aus Blei in Form einer Jakobsmuschel
  • Moderner Nachguss eines Aachener Pilgerzeichens von 1330
    Moderner Nachguss eines Aachener Pilgerzeichens von 1330
Neuzeitliche Pilgerzeichen aus Guadalajara (Mexiko)

Entwicklung und Erforschung

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Der Brauch der Pilgerzeichen erreichte seinen Höhepunkt im 14. und 15. Jahrhundert. So wurden im Jahr 1466 imKloster Einsiedeln binnen zweier Wochen 130.000 Pilgerzeichen verkauft, 1519 und 1520 wurde bei der Wallfahrt zur „Schönen Maria“ inSt. Kassian inRegensburg ein Umsatz von 119.370 Pilgerzeichen aus Blei und 12.193 Stücken aus Silber verzeichnet.[7] Gegen 1530 kommt überall in Mitteleuropa, auch in katholischen Gegenden, die Ausgabe von Pilgerzeichen zum Erliegen. In einigen Regionen lebt der Glaube an die Schutzwirkung von Pilgerzeichen aber bis heute fort.

FürHistoriker sind Funde von Pilgerzeichen – beispielsweise als Grabbeigaben – bedeutend, da sie geeignet sind, Pilgerzüge und Reisewege im Mittelalter zu belegen.[8]Größere Sammlungen von Pilgerzeichen befinden sich unter anderem imGermanischen Nationalmuseum inNürnberg, imFocke-Museum Bremen, imMuseum of London oder imMusée national du Moyen Âge inParis.

Literatur

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  • Christoph Daxelmüller,Marcell Restle:Pilgerandenken, -zeichen. In:Lexikon des Mittelalters(LexMA).Band 6. Artemis & Winkler, München/Zürich 1993,ISBN 3-7608-8906-9,Sp. 2154–2156 (hauptsächlich zu weiteren Formen der Pilgerandenken). 
  • Kurt Köster:Pilgerzeichen-Studien. Neue Beiträge zur Kenntnis eines mittelalterlichen Massenartikels und seiner Überlieferungsformen. In:Bibliotheca docet. Festgabe für Carl Wehmer. Amsterdam 1963, S. 77–100.
  • Kurt Köster:Pilgerzeichen und Pilgermuscheln. In:Sankt Elisabeth: Fürstin, Dienerin, Heilige. Aufsätze, Dokumentationen, Katalog (der Ausstellung zum 750. Todestag der hl. Elisabeth, Marburg). Sigmaringen 1981, S. 452–459.
  • Hartmut Kühne, Lothar Lambacher,Konrad Vanja (Hrsg.):Das Zeichen am Hut im Mittelalter. Europäische Reisemarkierungen. Symposion in memoriam Kurt Köster (1912–1986) und Katalog der Pilgerzeichen im Kunstgewerbemuseum und im Museum für Byzantinische Kunst der Staatlichen Museen zu Berlin (=Europäische Wallfahrtsstudien. Band 4 / =Schriftenreihe Museum Europäischer Kulturen. Band 5). Peter Lang, Frankfurt am Main u. a. 2008,ISBN 978-3-631-57408-9.
  • Hartmut Kühne, Lothar Lambacher, Jan Hrdina (Hrsg.):Wallfahrer aus dem Osten. Mittelalterliche Pilgerzeichen zwischen Ostsee, Donau und Seine. Beiträge der Tagung Perspektiven der europäischen Pilgerzeichenforschung 21. bis 24. April 2010 in Prag (=Europäische Wallfahrtsstudien. Band 10). Peter Lang, Frankfurt am Main u. a. 2010,ISBN 978-3-631-62147-9.
  • Hartmut Kühne, Klaus Herbers (Hrsg.):Pilgerzeichen – „Pilgerstrassen“. Gunter Narr Verlag, Tübingen 2013.
  • Jörg Poettgen:Europäische Pilgerzeichenforschung. Die Zentrale Pilgerzeichenkartei (PZK) Kurt Kösters († 1986) in Nürnberg und der Forschungsstand nach 1986. In:Jahrbuch für Glockenkunde. Band 7/8, 1995/1996 (erschienen 1997).

Weblinks

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Commons: Pilgrim badges – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

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  1. Christoph Daxelmüller:Pilgerandenken, -zeichen I. In:Lexikon des Mittelalters(LexMA).Band 6. Artemis & Winkler, München/Zürich 1993,ISBN 3-7608-8906-9,Sp. 2154 f. 
  2. Robert Plätz:Signum peregrinationis. Heilige Erinnerung und spiritueller Schutz. In: Hartmut Kühne, Lothar Lambacher,Konrad Vanja (Hrsg.):Das Zeichen am Hut im Mittelalter. Europäische Reisemarkierungen. Peter Lang, Frankfurt am Main u. a. 2008,ISBN 978-3-631-57408-9, S. 47–70, hier S. 54–57.
  3. abcRobert Plätz:Signum peregrinationis. Heilige Erinnerung und spiritueller Schutz. In: Hartmut Kühne, Lothar Lambacher,Konrad Vanja (Hrsg.):Das Zeichen am Hut im Mittelalter. Europäische Reisemarkierungen. Peter Lang, Frankfurt am Main u. a. 2008,ISBN 978-3-631-57408-9, S. 47–70, hier S. 69.
  4. Überblick über dieses Phänomen und seine Erforschung: Jörg Poettgen:Der Beitrag der Glockenkunde zur Pilgerzeichenforschung von Kurt Köster bis heute. In: Hartmut Kühne, Lothar Lambacher,Konrad Vanja (Hrsg.):Das Zeichen am Hut im Mittelalter. Europäische Reisemarkierungen. Peter Lang, Frankfurt am Main u. a. 2008,ISBN 978-3-631-57408-9, S. 31–46.
  5. Andreas Haasis-Berner:Das Wallfahrtswesen im 14. Jahrhundert im Spiegel der Pilgerzeichen. Eine These zur Geschichte des Wallfahrtswesens im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation. In: Hartmut Kühne, Lothar Lambacher,Konrad Vanja (Hrsg.):Das Zeichen am Hut im Mittelalter. Europäische Reisemarkierungen. Peter Lang, Frankfurt am Main u. a. 2008,ISBN 978-3-631-57408-9, S. 143–151, hier S. 144.
  6. Robert Plätz:Signum peregrinationis. Heilige Erinnerung und spiritueller Schutz. In: Hartmut Kühne, Lothar Lambacher,Konrad Vanja (Hrsg.):Das Zeichen am Hut im Mittelalter. Europäische Reisemarkierungen. Peter Lang, Frankfurt am Main u. a. 2008,ISBN 978-3-631-57408-9, S. 47–70, hier S. 58–68.
  7. Christoph Daxelmüller:Pilgerandenken, -zeichen I. In:Lexikon des Mittelalters(LexMA).Band 6. Artemis & Winkler, München/Zürich 1993,ISBN 3-7608-8906-9,Sp. 2154 f.,hier Sp. 2155. 
  8. Carina Brumme:Pilgerzeichen – Erhaltungsbedingungen und Verbreitungsräume. In: Hartmut Kühne, Lothar Lambacher,Konrad Vanja (Hrsg.):Das Zeichen am Hut im Mittelalter. Europäische Reisemarkierungen. Peter Lang, Frankfurt am Main u. a. 2008,ISBN 978-3-631-57408-9, S. 127–142.
  9. Christiane Laudage: Eine Datenbank gibt Aufschluss über mittelalterliche Pilgerzeichen. In: katholisch.de. 19. Mai 2022, abgerufen am 19. Mai 2022. 
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