Rekonstruktion der Pfahlbauten imPfahlbaumuseum Unteruhldingen am BodenseeHotel in Pfahlbauweise auf den PhilippinenRekonstruktion von Clairvaux-les-Lacs – Frankreich
Pfahlbauten, auchStelzenbauten oderSeeufersiedlung[1] (französischPalafittes,englischStilt house) genannt, sind Holzbauten auf Pfählen an Flüssen, an oder in Seen, in Sümpfen oder am Meer.
Pfahlbauten sind aus vorgeschichtlicher Zeit vom 6.[2] bis zum 1. Jahrtausend v. Chr. inEuropa dokumentiert, insbesondere im alpinen Raum (siehePrähistorische Pfahlbauten um die Alpen).[3] Auch in Frankreich, Slowenien, Schottland, Litauen oder Lettland lassen sich inzwischen Pfahlbauten an den Rändern von Seen nachweisen. Historische Pfahlbauten in der Poebene in Italien heißenTerramaren. Heute sind Pfahlbauten an den Küsten in Südostasien verbreitet.
Die ältesten Pfahlbauten in Europa wurden 2023 aufalbanischer Seite amOhridsee gefunden, mit derRadiokarbonmethode wurde ihr Alter auf 7.800 bis 8.000 Jahre bestimmt.[2]
Ein Teil der prähistorischen Pfahlbauten stand lediglich auf feuchtem Grund am Ufer von Seen und wird daher heuteFeuchtbodensiedlung genannt. Sie waren nur durch einen späteren Seespiegelanstieg unter die Wasserlinie geraten und zunächst irrtümlich für echte Pfahlbauten (im Wasser stehend) gehalten worden. Mit fortschreitender Ausgrabungstätigkeit an den zirkumalpinen Seen wurden aber immer mehr echte Pfahlbauten, die nur saisonal bei Niederwasserständen trocken fielen, gefunden. Pfahlbausiedlungen und Pfahlbauten sind nach den neuesten Untersuchungen[4] wieder als Begriffe akzeptiert. Damit ist der langandauernde „Pfahlbaustreit“ um die Lage dieser Siedlungen beendet.
An seichten Stellen rammte man Pfähle ein, die aus ganzen oder gespaltenen Stämmen bestanden und die typischerweise zwei zu zwei angeordnet waren. Die Pfähle waren meist nicht stärker als 15 Zentimeter, die Länge betrug je nach Höhe des Wasserstandes meist zwischen drei und fünf Meter. Oft wurden am Fuß der Pfähle schwere Steine versenkt, die für mehr Stabilität gegen Wellenschlag sorgen sollten. Die Häuser selbst waren ebenfalls aus Pfahlwerk geschaffen, von außen mit einerLehmschicht verkleidet und mit Stroh, Rinden und Reisig bedeckt. Mit der Standortwahl am Seeufer haben sich die «Pfahlbauer» vor 6300 bis 2800 Jahren einen namhaften Platz in der Geschichte gesichert. Dank ausgezeichneten Erhaltungsbedingungen im feuchten Milieu der Moore undSeekreideschichten erlauben Dorfruinen und Siedlungsmaterial einzigartige Einblicke in denjungsteinzeitlichen und bronzezeitlichen Alltag früher Bauern und Handwerker und geben ihnen internationale Bedeutung. Unter Luftabschluss haben sich in feuchtenSedimenten auch organische Materialien wie Nahrungsmittel und Speisereste gut erhalten, ebenso textile Werkstoffe und Bauteile vom Ständer über Flechtwerk bis zur Dachbedeckung.
Dendrochronologische Analysen erlauben eine jahrgenaue Datierung der Bauhölzer und die Bau- und Erneuerungsphasen der Uferdörfer. Je länger, desto mehr setzt sich die Erkenntnis durch, dass die Bauweise immer mit, selten aber auf Pfählen beruhte und dass Pfahlbaudörfer von der romantischen Seeplattform zum ebenerdigen Uferdorf am Strand mutierten. Die neuere Forschung geht davon aus, dass derartige Bauten nicht nur imUferbereich von Seen (also an offenen Gewässern) existierten, sondern auch insumpfigem Gelände.[5]
Siedlungen in Pfahlbauweise lassen sich bis in dieJungsteinzeit zurückverfolgen. Meist fördern dieGrabungsarbeiten zahlreiche Alltagsgegenstände der jeweiligen Kultur zutage. Pfahlbauten sind auch aus derKupfer-,Bronze- undEisenzeit bekannt, beispielsweise beiLa Tène oder aufGotland. Die Größe solcher Siedlungen variierte stark. Sie können bis 60.000 Quadratmeter bedecken.
Die ersten derartigen Bauten entdeckte man im Winter 1853/54 amZürichsee, der seinerzeit einen ungewöhnlich niedrigen Wasserstand hatte. Deshalb wollte man dem Gewässer eine größere Landfläche abgewinnen und zog Mauern und Dämme. Als die Arbeiter den Seegrund zum Füllen der neu gewonnenen Flächen abtrugen, stießen sie auf eine dunkle Schicht mit regelmäßigen Pfahlreihen und Überresten einer menschlichen Kultur. Der Schweizer AltertumsforscherFerdinand Keller interpretierte sie als Reste von Siedlungen und prägte den Begriff Pfahlbauten. Diese Entdeckungen lösten europaweit ein großes Interesse an den Pfahlbauten sowie ihren Bewohnern aus, die in der Folgeromantisch verklärt Eingang in dieKunst undPopulärwissenschaft fand und heute alsPfahlbauromantik bezeichnet wird.[6]
TaucharchäologeJoachim Köninger, der die Auskartierung der Pfahlfelder in Vorbereitung des Unesco-Antrags leitete, stellte im März 2009 in Uhldingen neue Ergebnisse derUnterwasserarchäologie im Bereich der Konservierung der Eichenpfähle vor. Der größte Feind der Pfähle ist die Erosion, zwischen 1989 und 2004 hat sie bis zu 35 Zentimeter betragen. Derzeit testet man dort, ob man diese durch Kiesauflagen aufhalten kann.[7] Wenn die starke Erosion nicht gestoppt wird, könnten nach Aussage von Schlichtherle in den nächsten zwei Jahrzehnten 80 der rund 100 Pfahlbausiedlungen am Bodensee verschwinden. Eine weitere Gefahr sind die Seeschwankungen. Die extreme Trockenperiode im Winter lege die Reste der Pfahlbauten in den Flachwasserzonen trocken. Solche außergewöhnlichen Wetterlagen und Klimasituationen wird es künftig öfter geben, sind sich Wissenschaftler einig.[8]
Am 27. Juni 2011 wurden 111 prähistorische Pfahlbausiedlungen in der Schweiz, in Deutschland, Österreich, Frankreich, Italien und Slowenien unter der BezeichnungPrähistorische Pfahlbauten um die Alpen in die Liste desUNESCO-Welterbes aufgenommen.[9] Die meisten der in das Weltkulturerbe aufgenommenen Fundplätze (56) liegen in der Schweiz.[10] Aus Baden-Württemberg wurden 15 Pfahlbausiedlungen eingetragen und aus Bayern erhielten drei Fundplätze den Welterbe-Status.
DasPfahlbaumuseum Unteruhldingen ist das älteste europäische Pfahlbaumuseum. Am und auf dem Wasser desBodensees wurden Ufersiedlungen aus verschiedenen Epochen rekonstruiert. Die ersten beiden Häuser desFreilichtmuseums wurden 1922 erbaut. In der Zwischenzeit entstanden 21 weitere Rekonstruktionen. 2007 entstanden drei weitere Steinzeithäuser am Ufer, die originalgetreu für die FernsehdokumentationSteinzeit – Das Experiment. Leben wie vor 5000 Jahren der ARD/SWR nachgebaut wurden. Dem Museum ist ein Museum mit Originalfunden und ein Forschungsinstitut angegliedert.
AmTraunsee inTraunkirchen suchen Wissenschaftler derUniversität Innsbruck nach Überresten prähistorischer Siedlungen.Eisenzeitliche Seeufersiedlung in Traunkirchen am Traunsee Filmbeitrag der Uni Innsbruck
In der 9 km vom Attersee entfernt gelegenen StadtVöcklabruck befindet sich imHeimathaus Vöcklabruck die größte Pfahlbausammlung Österreichs.
InMondsee befindet sich das österreichische Pfahlbaumuseum.
In der Nähe des Ortsteils Kammer vonAttersee am Attersee, Oberösterreich, wurde 1910 ein Pfahlbaudorf errichtet. Es war eines der ersten Freilichtmuseen in Europa. 1922 wurde es für den Film „Sterbende Völker“ als Filmkulisse abgebrannt.
Am Attersee werden vom VereinPfahlbau am Attersee jährlich mehr als 50 „Zeitreisen zu den Pfahlbauern“ angeboten.
Wohnhäuser im ländlichenLaos in Pfahlbauweise – der Bereich unter der Wohnfläche wird als trockene Lager- oder Stallfläche genutzt
Auch heute noch werden Pfahlbauten verwendet, insbesondere inSüdostasien, auf denNikobaren, in Westafrika, auf derchilenischen InselChiloé und inNeuguinea. In Südamerika werden im Wasser stehende Pfahlbauten allgemein als Palafitos bezeichnet, bei denSeminolen Nordamerikas alsChickee.
Im NordseebadSankt Peter-Ording beherbergen im Gezeitenbereich erbaute Pfahlbauten Restaurants und andere Freizeiteinrichtungen; sie sind mit den andernorts (wie zum Beispiel an der Ostsee) zu findendenSeebrücken verwandt.
Die vorwiegend für einfache landwirtschaftliche Gebäude verwendeteHolzmastenbauart verwendet ebenfalls eingespanntePfosten als tragende und zugleich aussteifende Grundelemente.
Die Sendegebäude der Fernsehsender KCRA,KXTV und KOVR im kalifornischenWalnut Groove sind wegen der Lage im Überschwemmungsgebiet moderne Pfahlbauten – aber nicht aus Holz.[13]
Unterteil des Sindelfinger Stelzenhochhauses
Das Erscheinungsbild von offenen Pfahlbaukonstruktionen wird bei manchen modernen Gebäuden aus architektonischen Gründen zitiert, wie etwa beim Stelzenhochhaus inSindelfingen.[14]
Aus der Herausforderung, dass zum einen der Wasserstand seit den 1970er Jahren und damit auch die Wahrscheinlichkeit höherer Sturmfluten deutlich gestiegen ist und es zum anderen deswegen strengere Vorgaben für Baugenehmigung die Deichsicherheit gibt, entwarf der Architekt Eilert Wilcks[15] ein Stelzenhaus imRechtenflether Deichvorland. Auf einer Stahlkonstruktion steht das in Holz-Tafelbauweise errichtete Haus, das erst in einer Höhe von 5,20 Meter beginnt und auf zwei Stockwerken 57 m² Raumfläche bietet.[16][17] Die Böll-Stiftung wertet das Konzept von Wilcks als Klimaanpassung, „die nicht nur schützt, sondern auch Orte schafft, an denen wir aufatmen und verweilen können“.[18]
Eine Theorie für den NamenVenezuela ist, dass alsAmerigo Vespucci die Bucht vonMaracaibo erforschte, ihn die im Wasser stehenden Pfahlbauten der Einheimischen anVenedig erinnerten und die Region dann als „Klein-Venedig“ (Venezuela) bezeichnet wurde.
Der beschreibende Begriff „Pfahlbauten“ ist seit dem 4. Juni 2004 eine eingetrageneMarke beimDeutschen Patent- und Markenamt. Inhaber derWortmarke „Pfahlbauten“ mit der Registernummer 30355957 ist der Verein für Pfahlbau- und Heimatkunde e. V.
Francesco Menotti (Hrsg.):Living on the Lake in prehistoric Europe. 150 years of lake-dwelling research. Routledge, London u. a. 2004,ISBN 0-415-31720-7.
Philippe Della Casa, Martin Trachsel (Hrsg.):WES ’04, Wetland Economies and Societies. Proceedings ot the international Conference, Zurich, 10–13 March 2004 (=Collectio archaeologica. Band 3). Chronos, Zürich 2005,ISBN 3-0340-0757-4.
Gunter Schöbel:Pfahlbauquartett, 150 Jahre Pfahlbauforschung, ein Rückblick. In:Plattform 13/14, 2004/2005,ISSN0942-685X, S. 4–29.
Cynthia Dunning, Albert Hafner:Das Projekt „Pfahlbauten des Alpenraumes als UNESCO Welterbe“. Informationen zur Nominierung auf die „liste indicative“ der schweizerischen Bundesregierung von Dezember 2004. In: Philippe Della Casa, Martin Trachsel (Hrsg.):Wetland Economies and Societies. Chronos, Zürich 2005, S. 297–298.
Susanne Rau u. a. (Hrsg.):4.000 Jahre Pfahlbauten, Thorbecke, Ostfildern 2016,ISBN 978-3-7995-0676-2.
↑Das Pfahlbaumuseum von Fiavé. Provincia Autonoma di Trento – Soprintendenza per i beni culturali – Ufficio beni archeologici, abgerufen am 20. Mai 2022.