Peptidoglycane
Peptidoglycan (PGN),Peptidoglykan (pl. Peptidoglycane bzw. Peptidoglykane), auchMurein (aus dem Lateinmurus =Mauer,Wall,Schutz[1]), seltenerPolysaccharid-Peptid genannt, ist ein ausZuckern undAminosäuren zusammengesetztesMakromolekül, das charakteristisch ist für dieZellwand (Murein-Sacculus) derBakterien (DomäneBacteria[2]).[3] Sowohlgrampositive als auch gramnegative Bakterien besitzen in ihrer Zellwand eine Festigkeit verleihende Schicht aus einem Peptidoglycan. Die Dicke der Hülle ist unterschiedlich, bei grampositiven 20 bis 80 nm, bei gramnegativen weniger als 10 nm. Ausnahmen bilden die L-Formen von Bakterien und die zur Domäne der Bakterien zählendenMycoplasmen undSpiroplasmen, die keine Zellwand und damit auch keine Mureinhülle besitzen, sowie diePlanctomyceten,[4] die eine proteinreicheS-Layer-Zellwand aufweisen.
Das Fehlen von Peptidoglycan ist eines[5] der Definitionsmerkmale derArchaea (DomäneArchaea[2], früher Archaebakterien).[3] Bei einigen Archaeen, z. B. bei denMethanobacteriales und denMethanopyrales wurde das sog.Pseudopeptidoglycan (pseudomurein) gefunden und seine Biosynthese beschrieben.[6][7]
Peptidoglycan ist an der Zweiteilung (binary fission) der Bakterien beteiligt. Die zellwandlosen L-Formen von Bakterien und Mykoplasmen (früher als PPLOs – pleuropneumonia-like organisms bezeichnet) vermehren sichnicht durch Zweiteilung, sondern durch einen Knospungsmechanismus.[8][9]
Während der frühen Evolution der Organismen war die Abgrenzung der ersten Lebensstrukturen von der Umgebung (z. B. durch Membranen, Wände) die Voraussetzung für die Bildung von Zellen (Zellularisierung). Dabei war die Erfindung von festen Peptidoglycan-Zellwänden bei den Bakterien wohl die Grundlage für deren erfolgreiche Entwicklung, Ausbreitung und Besiedelung praktisch aller Habitate der Geosphäre und Hydrosphäre.[10][11]
Aufbau
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Peptidoglycan besteht aus Strängen der zwei β(1→4)glycosidisch miteinander verknüpften ZuckerderivatmoleküleN-Acetylglucosamin undN-Acetylmuraminsäure (siehe Bild 1), die als lineare Kettenmoleküle das Rückgrat bilden. Von jedemN-Acetylmuraminsäure-Molekül geht – an dessenLactylgruppe gebunden – eineOligopeptidkette zu einemN-Acetylmuraminsäure-Molekül eines benachbarten Stranges (siehe Bild 2). Die Zusammensetzung bei grampositiven wie auch gramnegativen Bakterien ist nicht immer einheitlich. So besitzen die meisten grampositivenKokken stattDiaminopimelinsäure (DAP)L-Lysin. Manchmal ist die Aminosäure an Position 2 noch zusätzlich hydroxyliert.[12] Ein wichtiges Charakteristikum desTetrapeptides ist das Vorhandensein vonD-Aminosäuren wieD-Alanin bzw.D-Glutaminsäure, die enzymatisch durchRacemasen aus den entsprechendenL-Aminosäuren gebildet werden.
Vernetzung
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]Die parallel angeordneten Stränge sind quervernetzt. Für diese Verbindung wird ein Enzym benötigt, welches alsTranspeptidase diePeptidketten miteinander verknüpfen kann. Diese Transpeptidase wird auch alsPenicillin-bindendes Protein (PBP) bezeichnet, da sie der Angriffspunkt derBeta-Lactam-Antibiotika ist und so die Zellwandsynthese gehemmt wird. Sie kann unterschiedlich aufgebaut und deshalbresistent gegen dieseAntibiotika sein.
Die peptidoglycanfreien L-Formen von Bakterien und die Mycoplasmen (Mollicutes) sind penicillinresistent, ebenso die peptidoglycanfreien Zellen der Eukaryoten (DomäneEukarya[2]), also auch des Menschen.
BeiEscherichia coli und anderengramnegativen Bakterien sind die beiden Tetrapeptide direkt verbunden (Abb. 2a). Hierbei ist die Aminogruppe der Diaminopimelinsäure des einen Peptids an dieCarboxygruppe des terminalenD-Alanins des benachbarten Peptids verknüpft.
BeiStaphylococcus aureus bzw.grampositiven Bakterien verbindet eine Interpeptidbrücke aus fünfGlycinmolekülen (syn. Pentaglycinbrücke, Pentapeptidbrücke[13]) zwei Tetrapeptide (Abb. 2b).
Da das Verbindungsstück von Organismus zu Organismus verschiedene Aminosäuren enthalten kann, trägt dies dazu bei, dass über 100 unterschiedliche Arten von Peptidoglycanen bekannt sind.[12] Die Varianz der Aminosäuresequenz ist bei Grampositiven Bakterien stärker als bei Gramnegativen. LediglichHistidin,Arginin oderProlin wurden noch nicht in einem Verbindungsstück nachgewiesen. Die taxonomische Bedeutung der verschiedenen Peptidoglycan-Typen wurde beschrieben.[14]
Durch die Quervernetzung bildet das Murein ein flächiges Netz, das die Oberfläche der Bakterienzelle umspannt (Murein-Sacculus, siehe Abb. 3). In allen Fällen ist das Zuckerrückgrat gleich aufgebaut.
- Abb. 2a: Schematische Darstellung der Mureinschicht von gramnegativen Bakterien am Beispiel vonEscherichia coli[12]
MurNAc =N-Acetylmuraminsäure;
GlcNAc =N-Acetylglucosamin;
DAP = Diaminopimelinsäure - Abb. 2b: Schematische Darstellung der Mureinschicht von grampositiven Bakterien am Beispiel vonStaphylococcus aureus[12]
MurNAc =N-Acetylmuraminsäure;
GlcNAc =N-Acetylglucosamin - Abb. 3: Schematische Darstellung der Mureinschicht (Peptidoglycan) von gramnegativen Bakterien
Grampositive und gramnegative Bakterien
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]Ein Bakterium ist von einem einzigen Murein-Makromolekül umgeben.Gramnegative Bakterien (in derGram-Färbung sich negativ verhaltend) besitzen eine dünne, einschichtige Mureinhülle, die etwa 5–10 % der Trockenmasse der Bakterienhülle ausmacht. Beigrampositiven Bakterien ist die dickere Zellwand aus einem mehrschichtigen Mureinnetz undTeichonsäuren aufgebaut. Der Mureinanteil kann hier bis zu 50 % der Trockenmasse der Bakterienhülle betragen, die durch basische FarbstoffeGram-Färbung annimmt.[15]
Funktion, Erweiterung und Bedeutung
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]Die Mureinhülle hält den Bakterienprotoplasten gegen den osmotischen Innendruck zusammen. Wird die Mureinschicht verletzt oder aufgelöst, zum Beispiel durch das EnzymLysozym, platzt das Bakterium. Beim Wachstum eines Bakteriums muss deshalb das Mureinnetz erweitert werden, ohne dass eine größere Lücke entsteht. Mureinbausteine werden imCytoplasma synthetisiert und mit Hilfe desLipidcarriersBactoprenol (siehe auch:Transporter (Membranprotein)) exportiert. In dem außerhalb derCytoplasmamembran gelegenen Mureinnetz werden durch spezifische lytische Enzyme lokal begrenzt Bindungen in den Rückgratsträngen und in den Oligopeptiden gelöst und die vorgefertigten und exportierten Mureinbausteine werden durch spezifische Enzyme eingefügt. Die Erweiterung des Mureins erfordert also ein genaues Zusammenspiel verschiedener Enzyme. Wird dieses Zusammenspiel gestört, platzt das Bakterium ebenfalls. Einige der wichtigstenAntibiotika, wie z. B.Vancomycin undPenicillin hemmen den Aufbau der Peptidoglycanschicht.
Rolle von Peptidoglycanen in der Darm-Hirn-Achse
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]Peptidoglycan spielt auch eine Rolle in derDarm-Hirn-Achse („gut-brain axis“) vonSäugetieren. DerMagen-Darm-Trakt beherbergt verschiedene Mikroorganismen, darunterBakterien,Archaeen,Pilze undViren. Die Produkte des Stoffwechsels von Bakterien sind an den Stoffwechselfunktionen des Wirts beteiligt und beeinflussen außerdem dasImmunsystem und das zentraleNervensystem. Das Peptidoglycan wird von den Bakterien während des Zellwandabbaus und der Zellteilung sowie durch den Zelltod abgegeben. Bei einer Untersuchung an Mäusen wurde festgestellt, dass abgegebene Peptidoglycane die Aktivität der positiv auf den Appetit wirkendeNeuronen imHypothalamus direkt hemmen können. Dadurch wird das Hungergefühl und auch dieKörpertemperatur herabgesetzt. Diese neue Erkenntnis könnte für die Behandlung von Stoffwechselstörungen wieAdipositas von Interesse sein.[16]
Siehe auch
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]Einzelnachweise
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]- ↑Murus bei Lateinwiki.de (Memento vom 7. Mai 2010 imInternet Archive), abgerufen am 2. November 2009.
- ↑abcCarl R. Woese,Otto Kandler, Mark L. Wheelis:Towards a natural system of organisms: Proposal of the domains Archaea, Bacteria and Eucarya. In:Proceedings of the National Academy of Sciences.Band 87,Nr. 12, 1990,S. 4576–4579,doi:10.1073/pnas.87.12.4576,PMID 2112744,PMC 54159 (freier Volltext).
- ↑abMichael T. Madigan, John M. Martinko, Kelly S. Bender, Daniel H. Buckley, David A. Stahl:Brock Biology of Microorganisms. 14. Auflage. Pearson Education Limited, Boston u. a. 2015,ISBN 978-1-292-01831-7,S. 66 ff.
- ↑Wissenschaft-Online-Lexika: Eintrag zuPlanctomycetales imLexikon der Biologie, abgerufen am 15. Februar 2012.
- ↑Otto Kandler, Hans Hippe:Lack of peptidoglycan in the cell walls of Methanosarcina barkeri. In:Archives of Microbiology.Band 113,Nr. 1–2, Januar 1977,S. 57–60,doi:10.1007/BF00428580,PMID 889387.
- ↑Helmut König,Otto Kandler, Walter Hammes:Biosynthesis of pseudomurein: isolation of putative precursors from Methanobacterium thermoautotrophicum. In:Canadian Journal of Microbiology.Band 35,Nr. 1, 1989,S. 176–181,doi:10.1139/m89-027,PMID 2720492.
- ↑Otto Kandler, Helmut König:Cell wall polymers in Archaea (Archaebacteria). In:Cellular and Molecular Life Sciences.Band 54,Nr. 4, 1998,S. 305–308,doi:10.1007/s000180050156,PMID 9614965.
- ↑Gertraud Kandler,Otto Kandler:Untersuchungen über die Morphologie und die Vermehrung der pleuropneumonie-ähnlichen Organismen und der L-Phase der Bakterien. I. Lichtmikroskopische Untersuchungen. In:Archiv für Mikrobiologie.Band 21,Nr. 2, 1954,S. 178–201,doi:10.1007/BF01816378,PMID 14350641 (badw.de [PDF] Artikel auch in Englisch verfügbar).
- ↑M. Leaver, P. Domínguez-Cuevas, J. M. Coxhead, R. A. Daniel and Jeff Errington:Life without a wall or division machine in Bacillus subtilis. In:Nature.Band 457, 1. Februar 2009,S. 849–853 (nature.com – Corrigendum: Band 460, Nr. 7254, 2009, S. 538).
- ↑Otto Kandler:The early diversification of life. In: Stefan Bengtson (Hrsg.):Early Life on Earth. Nobel Symposium 84. Columbia U.P., New York 1994,ISBN 978-0-231-08088-0,S. 152–160.
- ↑Otto Kandler:The early diversification of life and the origin of the three domains: A proposal. In: Jürgen Wiegel, Michael W.W. Adams (Hrsg.):Thermophiles: The keys to molecular evolution and the origin of life? Taylor and Francis Ltd., London 1998,ISBN 0-203-48420-7,S. 19–31 (google.de).
- ↑abcdMichael T. Madigan und John M. Martinko:Brock Mikrobiologie. Pearson Studium; 11. aktualisierte Auflage 2009;ISBN 978-3-8273-7358-8; S. 83f.
- ↑K. Aktories, U. Förstermann, F. Hofmann undK. Starke:Allgemeine und spezielle Pharmakologie und Toxikologie. 10. Auflage. München, Elsevier 2009.ISBN 978-3-437-42522-6
- ↑Karl-Heinz Schleifer,Otto Kandler:Peptidoglycan Types of Bacterial Bell Walls and their Taxonomic Implications. In:Bacteriological Reviews.Band 36,Nr. 4, 1972,S. 407–775,doi:10.1128/MMBR.36.4.407-477.1972,PMID 4568761,PMC 408328 (freier Volltext).
- ↑Wissenschaft-Online-Lexika: Eintrag zuMurein imLexikon der Biologie, abgerufen am 22. November 2008.
- ↑Ilana Gabanyi, Gabriel Lepousez, Richard Wheeler, Alba Vieites-Prado, Antoine Nissant, Sébastien Wagner, Carine Moigneu, Sophie Dulauroy, Samia Hicham, Bernadette Polomack, Florine Verny,Philip Rosenstiel, Nicolas Renier, Ivo Gomperts Boneca, Gérard Eberl, Pierre-Marie Lledo:Bacterial sensing via neuronal Nod2 regulates appetite and body temperature In:Science Band 376, Ausgabe 6590 (2022).doi:10.1126/science.abj3986