Penninikum

DasPenninikum ist eine der geologischen Haupteinheiten der Alpen. Seine Gesteine gehörten zum größeren Teil dem Ablagerungsraum derTethys an, dessen Nordwestzipfel imJura (206–144mya) zwischen der europäischenKontinentalkruste und der zum afrikanischen Kontinent gerechnetenAdriatischen Kontinentalplatte lag. Bei derAlpenfaltung wurden die Gesteine des Penninikums zusammengeschoben und weit nach Norden und Westen auf den europäischen Kontinentalrand überschoben. So entstanden aus dem Penninikum diePenninischen Decken.
Struktur und Gesteinsinhalt
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]Im Strukturbau der Alpen liegt das Penninikum über demHelvetikum (abgescherte Sedimente des europäischen Kontinents) und unter demOstalpin /Südalpin (Bestandteile der oberen Kontinentalplatte).
Unter den Gesteinen des Penninikums lässt sich eine Dreiteilung in Oberes, Mittleres und Unteres Penninikum vornehmen, die jeweils wiederum aus einem kompliziert verformten Stapel tektonischer Decken bestehen, die auf einen gemeinsamen Entstehungsraum zurückgeführt werden. Gebräuchlich ist auch die gleichbedeutende Unterteilung in Nord-, Mittel- und Südpenninikum, alternativ auch Hoch-, Mittel- und Tiefpenninikum.
Oberes Penninikum (Piemont-Zone)
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]Die Gesteine dieser Einheit entstammen dem Piemont-Ligurischen Ozean, einem ozeanischen Teilbecken der Tethys direkt vor dem Rand der Apulischen Platte. Zum Oberen oder Hoch-Penninikum (Piemont,Ligurien) zählen die südpenninischenOphiolithe, die zusammen mitBündnerschiefern undRadiolariten (ein typisches Tiefseesediment) vorkommen. Ein weiteres charakteristisches Gestein des Penninikums ist derHelminthoiden-Flysch. Bei den Ophiolithen handelt es sich um die nicht derSubduktion zum Opfer gefallenen Reste eines größeren Ozeans, daher kommt ihnen große Bedeutung als Beweis der Existenzozeanischen Lithosphärenmaterials zu. Solche größeren Opholithmassen bilden in den Alpen auch einige Gipfel, der bekannteste ist derGroßglockner in denHohen Tauern in Österreich. Zum Oberen Penninikum gehören auch die Gesteine derPréalpes und dietektonische Mélange derMatreierSchuppenzone.
Mittleres Penninikum (Briançonnais-Zone)
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]Die Gesteine des Mittleren Penninikums entstammen einem Hochgebiet im alpinen Ozean, das als Briançonnais bezeichnet wird. Sie stellte eine „kontinentale“ Hochzone dar, während die südlich gelegene Piemont-Zone und die nördliche Valais-Zone tiefer gelegene Sedimentationsräume waren. Die genaue geologische Stellung des Briançonnais ist weiter Gegenstand der Forschung. Diskutiert wird die Herkunft als Rest einesTerrans oder als ehemalige Ostspitze der heutigeniberischen Halbinsel. Klar ist, dass die Briançonnais-Schwelle denWalliser Trog (Valais-Zone) im Norden vom Piemont-Ozean im Süden trennte.
Das Mittlere Penninikum enthält Kristallindecken, kohleführende Schichten desPaläozoikums (Zone de Houillière) und davon abgeschertemesozoische Sedimentdecken, die ausSandsteinen,Tonsteinen undKalksanden (im Walliser Trog) sowie flachmarinen Kalken und Mergeln (auf der Briançonnais-Schwelle) bestehen.
Unteres Penninikum (Valais-Zone)
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]Das Untere Penninikum enthält unter anderem ozeanische Sedimente undOphiolithe,Bündnerschiefer sowie dieFlyschzone. Es wird heute als Überrest einesAkkretionskeils aus dem zumAtlantik offenen nordpenninischenValais-Ozean angesehen, in dem Gesteine aus dem Ozean und vom äußersten Rand des europäischen Kontinents miteinander vermischt sind. Kalk- und Tonschiefer des Unteren Penninikums bilden heute die Berge zwischenBrig undPrättigau.
Die klassischerweise zum Penninikum gerechneten tiefsten Einheiten des penninischen Deckenstapels enthalten Gesteine, die dem Übergang zwischen Ozean und den Außenbereichen des europäischenKontinentalschelfs entstammen. Sie werden heute unter dem Namen Subpenninikum zusammengefasst.
Tektonischer Bau
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]Das Penninikum ist in seiner Gesamtheit als mittlere Großeinheit zwischen der adriatischen Oberplatte und der europäischen Unterplatte oft stark tektonisch beansprucht. Anders als im Helvetikum wurde nicht nur das sedimentäre Deckgebirge, sondern auch das kristalline Grundgebirge in die Deckentektonik mit einbezogen. Typisch für seinen Bau sind große, liegende Falten mit Gneiskernen sowie die häufig vorkommende, großräumige Abscherung der Sedimentdecken von ihrer ursprünglichen Unterlage, vor allem anEvaporitserien derTrias. Die abgescherten Sedimente wurden im Allgemeinen weiter nach Norden verfrachtet als ihr Unterlager, so dass das kristallineGrundgebirge im Süden zurückblieb. Schmale Reste von Sedimenten machen dort eine Unterscheidung der verschiedenen Deckeneinheiten möglich.
Das Penninikum wurde in einem späten Stadium der alpinen Orogenese an derPeriadriatischen Naht nach Süden und Südwesten auf das Südalpinrücküberschoben, so dass der Deckenstapel auf komplizierte Weise verfaltet wurde. Darüber hinaus kam es imTessin zu einer tief reichenden Aufwölbung. Das komplette Penninikum wurde in einer Nord-Süd-streichenden Struktur, demLepontinischen Dom, um bis zu 16 km angehoben. Aus diesem Grund sind die Einheiten des Tiefpenninikums dort an der Oberfläche aufgeschlossen.
Auf dem penninischen Deckenstapel der Schweiz und Frankreichs ist im Gebiet derDent Blanche ein großer Rest ostalpiner Gesteine erhalten geblieben, dieDent Blanche-Decke. Ungefähr an der Grenze zwischen Schweiz und Österreich werden die penninischen Decken von den ostalpinen Decken fast vollständig überlagert. Sie treten nur im penninischen Flysch der den Alpennordrand begleitendenFlyschzone zu Tage sowie in einigen tektonischen Fenstern im Osten (Gargellenfenster,Unterengadiner Fenster,Tauernfenster undRechnitzer Fenster).
Klippendecken
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]Hoch- und Mittelpenninische Sedimente sind von ihrer kristallinen Unterlage abgeschert und weit nach Norden überschoben worden. Sie liegen heute als vom übrigen Penninikum isoliertetektonische Klippen vor. Die Decken der Préalpes liegen auf den tektonisch tieferenhelvetischen Decken, ganz im Norden sogar auf überfahrenerMolasse. Hier bilden tektonisch stark beanspruchteultrahelvetische Sedimente die vermittelnde Schicht zwischen den Préalpes und ihrem Unterlager.
Die Klippendecken bilden eine lange Reihe von Einzelvorkommen, die sich zwischen dem Osten vonLuzern (Mythen-Decke) in der Schweiz in weitem Bogen bis nachAnnecy in Frankreich (Annes-Decke) hinziehen. Die größten zusammenhängenden Vorkommen sind zwei große, an der Ostspitze desGenfersees ineinander übergehende Einheiten: im Südwesten dieChablais-Préalpes, südlich des Genfersees imChablais, und im Nordosten diePréalpes Romandes in denFreiburger Voralpen.
Die Préalpes werden von unten nach oben in folgende Einheiten unterteilt:[1]
- dieNiesen-Decke, die nur in den Préalpes Romandes vorkommt und dort die südlichste Einheit der Klippendecken bildet
- diePréalpes Médianes, sie werden in diePréalpes Plastiques (vor allem weiche, plastische Flysch-Gesteine) und die überlagerndenPréalpes Rigides (vor allem harte, rigide Kalksteine) eingeteilt
- dieBrekzien-Decke, die nur auf dem südlichen Teil der Préalpes Médianes vorkommt
- dieNappe Supérieure, sie wird noch einmal unterteilt die Gets-Decke, die Simmen-Decke, die Dranses-Decke und die Gurnigel-Decke.
Vorkommen
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]Größere Teile des Alpenraumes bestehen aus Gesteinen des Penninikums, vor allem in den Westalpen und den Schweizer Alpen. Die Westalpen südlich derRhone-Simplon-Linie bestehen fast ausschließlich aus Gesteinen des Penninikums, denen nach Westen externeKristallinmassive und tektonisch deformiertesDeckgebirge vorgelagert sind. Im Schweizer Raum werden die Gebiete südlich desAarmassivs und nördlich der Periadriatischen Naht dem Penninikum zugerechnet. In den Klippen-Decken östlichLuzern und in derDent-Blanche-Decke lagern dem Penninikum hier Überreste der Einheit des Ostalpins auf. Das westalpine Penninikum taucht beiLiechtenstein undGraubünden unter das Ostalpin ab. Östlich des Rheins wird das Penninikum so fast vollständig von den Ostalpinen Decken überlagert.
In den Ostalpen ist es unter diesen Decken nur in einigen Bereichen an der Oberfläche erschlossen. Zu den penninischen Decken gehört dieFlyschzone (Sandsteinzone), die den Alpennordrand in Bayern und Österreich auf weite Strecken begleitet. In den Alpen selbst erscheint das Penninikum mitkristallinen Gesteinen ingeologischen Fenstern, zum Beispiel imGargellenfenster inVorarlberg, imUnterengadiner Fenster, das bisPrutz inTirol hereinreicht; imTauernfenster zwischenBrennerfurche undLiesertal und imRechnitzer Fenster am Ostende der Alpen.
Namensherkunft
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]Der AusdruckPenninikum leitet sich von denPenninischen Alpen ab, deren Name von denlateinischen NamenMons Penninus bzw.Summus Penninus für denGroßen Sankt-Bernhard-Pass undVallis Pennina (Vallis Poenina) für dasobere Rhonetal (entspricht ungefähr dem heutigenKanton Wallis) ableitet. Ursprünglich dürfte sich der Name auf einkeltisches oder vorkeltisches Wort fürPass oder Berg bezogen haben (vgl.gälischben,walisischpen), das später eine keltische und dannrömische Gottheit bezeichnete (Iupiter Penninus, mit nachfolgend hergestelltem Bezug auf denPunier (Poenus)Hannibal auchIupiter Poeninus).[2]
Siehe auch
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]Literatur
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]- Manfred P. Gwinner:Geologie der Alpen. Stratigraphie, Paläogeographie, Tektonik. 2. Auflage. Schweizerbart’sche Verlagsbuchhandlung, Stuttgart 1978,ISBN 3-510-65315-7.
- Stefan M. Schmid, Bernhard Fügenschuh, Eduard Kissling, Ralf Schuster:Tectonic map and overtall architecture of the Alpine orogen. In:Eclogae geologicae Helvetiae.Band 97, 2004,ISSN 0012-9402,S. 93–117 (unibas.ch [PDF]).
- Reinhard Schönenberg, Joachim Neugebauer:Einführung in die Geologie Europas (= Rombach-Hochschul-Paperback.Band 18). 4., neubearbeitete Auflage. Rombach, Freiburg (Breisgau) 1981,ISBN 3-7930-0914-9,S. 185 ff.
- Heinz Veit:Die Alpen. Geoökologie und Landschaftsentwicklung (= UTB. Geowissenschaften, Ökologie, Biologie.Band 2327). Ulmer, Stuttgart 2002,ISBN 3-8001-2788-1.
Einzelnachweise
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]- ↑Jon Mosar: The Prealps. Institute für Geologie und Paläontologie der Universität Lausanne, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 25. November 2011; abgerufen am 7. Februar 2010. Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäßAnleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.unil.ch
- ↑„Der widersinnigen Ableitung des Namens von den Puniern widerspricht schonLivius (XXI, 38). Auf der Höhe des Passes stand ein Tempel, in welchem ein GottPeninus oderPenninus von den Eingeborenen verehrt wurde. Dieser Name wird von dem celtischen WortePenn oderPinn – de Spitze – abgeleitet. Die Römer machten daraus einenJupiter Penninus undmons Jovis (daherMont Joux).“ C. Ludwig Enoch Zander:Der Heerzug Hannibals über die Alpen. Göttingen 1828, S. 25