Giovanni Battista(Giambattista) Montini entstammtelombardischemLandadel.[4] Er war der Sohn von Giuditta Montini, geborene Alghisi (1874–1943)[5] und Giorgio Montini (1860–1943),Rechtsanwalt,Verleger der katholischen TageszeitungIl Cittadino di Brescia sowie von 1919 bis 1926 (bis zum Verbot aller Parteien durch den Faschismus)Parlamentsabgeordneter der katholischenItalienischen Volkspartei (PPI).[6]
Seit 1922 arbeitete Montini imStaatssekretariat des Heiligen Stuhls, wo er, abgesehen von einer kurzen Tätigkeit an der WarschauerNuntiatur, bis 1954 wirkte. Nebenamtlich war Montini von 1925 bis 1933 Generalassistent des katholischen Studentenverbandes Italiens (Federazione Universitaria Cattolica Italiana). Als solcher hatte er Auseinandersetzungen mit demfaschistischen Regime. Von 1937 an war Montini alsSubstitut ein enger Mitarbeiter von Staatssekretär Pacelli, dem späterenPius XII., den er auf seinen Auslandsreisen begleitete. Während Montini sich nach dem Tod von KardinalstaatssekretärLuigi Maglione 1944 als Substitut vorwiegend den innerkirchlichen Aufgaben widmete, beschäftigte sich sein KollegeDomenico Tardini mit den kirchenpolitischen Aufgaben. Dabei verkörperte Tardini eher die Tradition, während Montini für viele bereits „die Zukunft“ darstellte.
Als Pro-Staatssekretär unterstand ihm ab 1944 auch diePäpstliche Hilfskommission für Flüchtlinge, deren direkte Leitung zwarFerdinando Baldelli innehatte, die aber von Montini angeregt und von Pius XII. gegründet wurde.[11] „Sie sollte Katholiken zur Emigration verhelfen, unterstützte dabei aber auch viele Flüchtige, der Justiz zu entkommen. Aufgrund der Empfehlungen der Hilfskommission stellte das Rote Kreuz zahlreiche Reisedokumente aus, die eine Auswanderung möglich machten. Sie lauteten oftmals auf falsche Namen.“[12] Über die sogenannteRattenlinien wurden dieFlüchtlinge hauptsächlich nachArgentinien geschleust.
Pius XII. hatte 1952 die Namen seiner beiden Mitarbeiter Montini und Tardini an die Spitze der neuen Kardinalsliste gesetzt und teilte dies im Januar 1953 den damals anwesenden Kardinälen im Konsistorium mit („Iam erant nomina in primis a Nobis scripta.“). Nachdem die beiden Kandidaten die Kardinalswürde abgelehnt hatten, ernannte sie der Papst 1952 zu Pro-Staatssekretären (ohne Bischofsrang und ohne Kardinalswürde). Montini, der im Namen des Papstes oft Reden geschrieben und gehalten hatte, schickte er zwei Jahre später, nach dem Tod KardinalAlfredo Ildefonso Schusters, überraschend alsErzbischof nachMailand. Der Anlass seiner Entfernung aus Rom könnten Differenzen mit Pius XII. gewesen sein. Nach anderer Meinung habe Pacelli seinem Mitarbeiter bewusst pastorale Erfahrungen mitgeben wollen. DieBischofsweihe wurde Montini am 12. Dezember 1954 im Petersdom von KardinalEugène Tisserant unter Assistenz des BischofsGiacinto Tredici vonBrescia und des MailänderWeihbischofsDomenico Bernareggi gespendet;[13] der Papst, durch Krankheit verhindert dies selbst zu tun, beteiligte sich an der Feier mit einer Ansprache über Funk.[14] Montini widmete sich nun mit aller Kraft der Großstadtseelsorge in der norditalienischen Metropole. Sein Hauptaugenmerk galt der Arbeiterwelt und dem Bau neuer Kirchen, wofür er sein Privatvermögen hergab.
Während des Pontifikats des bereits schwer kranken Pius XII. hatte Montini, wegen seiner Nähe zum linken Flügel der italienischen ParteiDemocrazia Cristiana (umAmintore Fanfani) als „sozial-liberal“ verdächtigt, starke Gegner in der römischen Kurie und ihrer Umgebung. So unterstützte er die damals als innovativ angesehene LaienorganisationOpus Dei auch gegen Aktivitäten führender, damalsintegralistisch orientierterJesuiten.
Aufsehen erregte seine Ansprache vom 11. Februar 1961 vor katholischen Ordensfrauen in Rom, wonach „die Kirche Gottes der Hilfe der Ordensfrauen für eine apostolische Verpflichtung bedarf, welche näher ist dem seelsorgerischen Leben, näher dem Priestertum“. Die gerade den Ordensfrauen aufgegebene Seelsorge sei „das Liebeswerk des Priesters“. Er rief sie auf, „die Diakonissen, die Priesterinnen (ministre) der Kirche Christi“ oder „die Mitarbeiterinnen am priesterlichen Amte des Herren“ zu werden.[16]
Im Verlauf desZweiten Vatikanischen Konzils, bei dem Montini Mitglied der Kommission für die außerordentlichen Aufgaben war, hielt er sich (im Bewusstsein der Risiken dieser Zusammenkunft) in der Öffentlichkeit und in der Konzilaula auffallend zurück und sprach nur zweimal zu den versammelten Bischöfen. Hinter den Kulissen entfaltete der Kardinal jedoch eine rege Überzeugungstätigkeit, was die programmatische Gestaltung des Konzils anging. Johannes XXIII., der seinen Mitarbeiter sehr schätzte, hatte absichtlich keine enge Richtung vorgegeben, damit dieses Konzil eine Eigendynamik entwickeln konnte. Diese Offenheit führte aber unter den Teilnehmern zu einer anfänglichen Richtungslosigkeit. Montini gelang es, diese kritische Phase zu überwinden. Von einigen Kardinälen wurde er dadurch bereits als möglicher Nachfolger des Papstes angesehen.
Nach dem TodJohannes’ XXIII. am 3. Juni 1963 trat am 19. Juni das Kardinalskollegium zumKonklave zusammen. Schon im Vorfeld des Konklaves hatte Montini alsPapabile gegolten. Bereits im fünften Wahlgang am 21. Juni wurde Montini zum Papst gewählt (mit 65 von 80 Stimmen, soGiulio Andreotti)[17] und nahm denPapstnamenPaul VI. an. Sein Kontrahent im Konklave soll Kardinal Antoniutti gewesen sein.[18] Die Krönungszeremonie fand am 30. Juni auf dem Petersplatz statt.
Im Jahr 1964 legte Paul VI. dieTiara ab und führte sie nur noch in seinem Wappen. Er war der letzte Papst, der damit gekrönt wurde.
Paul VI. führte das von seinem Vorgänger Johannes XXIII. begonnene Zweite Vatikanische Konzil zu Ende. Nur sechs Tage nach seiner Wahl und noch vor der Krönungszeremonie berief er am 27. Juni 1963 das durch den Tod seines Vorgängers unterbrochene Konzil wieder ein.[19] Im Epilog Pauls VI. zum Zweiten Vatikanischen Konzil heißt es:
“Da questo centro cattolico romano nessuno è, in via di principio, irraggiungibile; in linea di principio tutti possono e debbono essere raggiunti. Per la Chiesa cattolica nessuno è estraneo, nessuno è escluso, nessuno è lontano. […] questo Nostro universale saluto rivolgiamo anche a voi, uomini che non Ci conoscete; uomini, che non Ci comprendete; uomini, che non Ci credete a voi utili, necessari, ed amici; e anche a voi, uomini, che, forse pensando di far bene, Ci avversate! Un saluto sincero, un saluto discreto, ma pieno di speranza; ed oggi, credetelo, pieno di stima e di amore.”
„Von diesem römisch-katholischen Zentrum aus ist grundsätzlich niemand unerreichbar; alle können und müssen erreicht werden. Für die katholische Kirche ist niemand fremd, ausgeschlossen oder fern. Diesen Unseren universellen Gruß richten Wir auch an euch Menschen, die ihr uns nicht kennt; nicht versteht, nicht als nützlich, notwendig oder als Freunde erachtet. Und auch euch, die ihr vielleicht im Geheimen daran denkt, etwas Gutes zu tun, wenn ihr euch uns entgegenstellt, sei heute ein aufrichtiger, unaufdringlicher Gruß dargebracht, voll Hoffnung, Hochachtung und Liebe.[20]“
Paul VI. verwirklichte eine Reihe der von demZweiten Vatikanischen Konzil angestoßenen Maßnahmen, wie dieLiturgiereform. Er setzte dabei einer durchgreifenden Demokratisierung der Kirche jedoch energischen Widerstand entgegen. Damit folgte er dem „petrinischen Prinzip“ seiner Vorgänger, begriff den Gehorsam gegenüber dem kirchlichen Lehramt also als Voraussetzung des Dialogs (EnzyklikaEcclesiam suam von 1964). Ferner reformierte der Papst 1965 das Heilige Offizium und schuf daraus dieKongregation für die Glaubenslehre.
Paul VI. verfügte viele Reformen, ohne davon Aufhebens zu machen. Zur Abschaffung der über 400 Jahre währenden Institution desIndex der verbotenen Bücher genügte 1965 ein Nebensatz in der Anordnung zur Umgestaltung des Heiligen Offiziums. Im Oktober 1966 gründete Paul VI. zudem dasPresseamt des Heiligen Stuhls.[24] Die Apostolischen SchreibenMarialis cultus (1974) undEvangelii nuntiandi (1975, im Anschluss an dieBischofssynode) nahmen neueste theologische Entwicklungen auf.
Infolge der durch Paul VI. veranlassten Veränderungen, insbesondere der Liturgiereform im Anschluss an das Zweite Vatikanische Konzil, spalteten sich diePriesterbruderschaft Pius X. um den ErzbischofMarcel Lefebvre mit rund 120.000 Anhängern sowie verschiedenesedisvakantistische Kreise (mit je einigen Dutzend oder einigen hundert Anhängern) ab. Im Ganzen konnte erstmals nach einem Konzil der Neuzeit die Einheit der Kirche (mit heute etwa 1,3 Milliarden Katholiken) gewahrt werden.
1975 erneuerte Papst Paul VI. mit der am 1. Oktober veröffentlichten Apostolischen KonstitutionRomano Pontifici Eligendo die Bestimmungen zurPapstwahl. Er legte fest, dass alle Kardinäle, die während des Eintritts einer Sedisvakanz ihr 80. Lebensjahr vollendet haben, nicht mehr wahlberechtigt seien. Zudem bekräftigte er, dass die Zahl der wahlberechtigten Kardinäle 120 nicht übersteigen solle.
Umstritten ist in der Öffentlichkeit bis heute die EnzyklikaHumanae vitae: Über die rechte Ordnung der Weitergabe menschlichen Lebens von 1968, in der Paul VI. zwar einerseits die Berücksichtigung der empfängnisfreien Zeiten durch die Gatten für erlaubt ansah, andererseits den Gebrauch künstlicher empfängnisverhütender Mittel als „immer unerlaubt“ verwarf. Das Schreiben erhielt insofern besondere Aufmerksamkeit, als die Markteinführung derAntibabypille erst wenige Jahre zurücklag. Daher bekam der Papst von Gegnern der Enzyklika den spöttischen Beinamen „Pillen-Paul“.[25]
Einsatz für die Gleichberechtigung von Mann und Frau
Ebenso wie sein VorgängerJohannes XXIII. setzte er sich entgegen der Haltung vieler Kleriker (im Vatikan) für die Gleichberechtigung der Frauen ein. Dabei galt sein Augenmerk auch der innerkirchlichen Gleichberechtigung. Er war davon überzeugt, dass die Kirche die Fähigkeiten der Frauen insbesondere in den Frauenorden nicht entsprechend Gottes Willen nutzt. Noch als Kardinal forderte er 1961 die katholischen Ordensfrauen auf, „Priesterinnen (ministre) der Kirche Christi“ zu werden (s. o. „Wirken als Kardinal“). Als Papst hielt er am 29. Oktober 1966 eine Ansprache vor dem Nationalkongress der italienischen Gesellschaft für Gynäkologie. Darin verteidigte er nicht nur seine umstrittene Lehre zur Empfängnisverhütung, sondern führte auch aus, dass „die Frau ... alle kulturellen und sozialen Funktionen übernehmen kann“, weil sie „das für jede Bildung empfänglichste Geschöpf sei“.[16]
In dieser Form eine Neuheit waren die Auslands- und Pilgerreisen Pauls VI. Als der Papst am 4. Dezember 1963, zum Schluss der zweiten Sitzungsperiode des Zweiten Vatikanischen Konzils, den darauf nicht vorbereiteten Konzilsvätern ankündigte, er werde vom 4. bis 6. Januar 1964 eine Reise insHeilige Land unternehmen, kam dies überraschend, da seit 150 Jahren keiner seiner Vorgänger mehr (und um 1814 zuletztPius VII. nur unter dem ZwangNapoléon Bonapartes) italienischen Boden verlassen hatte. Es sollte die erste Pilgerfahrt sein, die je ein Papst ins Heilige Land unternahm, noch dazu in einer Zeit, als dieses Territorium politisch umstritten und gefährlich war. Zudem schien es dem Protokoll eine schwer lösbare Aufgabe, die Vorbereitung in nur vier Wochen zu bewältigen. Die Reise, die zu den Heiligen Stätten in Israel und Jordanien führte, fand weltweite Beachtung. InJerusalem traf Paul VI. mitPatriarchAthinagoras vonKonstantinopel zusammen. Das war die erste Begegnung der Oberhäupter von Ost- und Westkirche seit dem Treffen von PapstEugen IV. mit PatriarchJoseph II. auf demKonzil von Ferrara 1438/39, und sie führte 1965 zur Aufhebung der gegenseitigenExkommunikationen zwischen denPatriarchaten von Konstantinopel undRom aus demMorgenländischen Schisma von 1054. Mit der Reise hatte die katholische Kirche überdies faktisch den Staat Israel anerkannt.
Es war der Auftakt für viele Auslandsreisen des Papstes und seiner Nachfolger. Im Jahre 1964 kam Paul VI. noch nachIndien und sprach am 4. Oktober 1965 vor derUNO-Vollversammlung in New York. Der Friedensappell des Papstes dort gehört zu seinen meistbeachteten politischen Reden. Weitere Reisen führten ihn 1967 nachFátima undIstanbul (mitSelcuk undEphesus) sowie 1968 nachKolumbien zur Eröffnung der 2. Generalversammlung des lateinamerikanischen Episkopates. Am 10. Juni 1969 war Paul VI. in Genf. Er sprach vor der internationalen ArbeitsorganisationILO anlässlich ihres 50-jährigen Bestehens und vor dem Ökumenischen Rat der Kirchen(Notre nom est Pierre.). Vom 31. Juli bis zum 2. August 1969 kam Paul VI. nachUganda; es war dies nicht Montinis erster Afrikabesuch, aber der erste eines Papstes. 1970 kam er unter anderem auf diePhilippinen und nachAustralien. Am 27. November 1970, dem zweiten Tag seiner letzten Auslandsreise durch Asien und Ozeanien, entging Paul VI. in der philippinischen HauptstadtManila nur knapp dem Messerattentat des vermutlich geistesgestörten bolivianischen KunstmalersBenjamín Mendoza y Amor Flores, der sich als Priester verkleidet hatte. Der Papst wurde dabei vom späteren US-amerikanischen ErzbischofPaul Marcinkus und seinem PrivatsekretärPasquale Macchi vor Schlimmerem bewahrt. Der Attentäter wurde später zu einer Gefängnisstrafe verurteilt.
In ökumenischer Hinsicht entwickelte Paul VI. neben dem Dialog mit der Orthodoxie auch den Dialog mit derAltkatholischen Kirche weiter, die bereits Konzilsbeobachter entsandt hatte. Während frühere Päpste ab 1723 die Wahlanzeigen eines altkatholischen Erzbischofs von Utrecht regelmäßig mit einerBannbulle quittierten, verfasste Montini 1969 erstmals an den designierten altkatholischen ErzbischofMarinus Kok einen persönlichen Glückwunschbrief.[26] Im Laufe seines Pontifikats wurde mehrfach versucht, für die Altkatholiken eine, das Ostkirchendekret fast wortwörtlich übernehmende, Regelung zu schaffen.[27] Dieses vom Konzil beschlossene Dekret über die katholischen OstkirchenOrientalium Ecclesiarum ermöglicht unter Nr. 27 und 28 die beschränkte Eucharistiegemeinschaft zwischen der katholischen Kirche und den orthodoxen Kirchen.[28]
In das Pontifikat Pauls VI. fällt auch eine diplomatische Öffnung den kommunistischen Teilen der Erde gegenüber. Diese wurde innerhalb der Kirche kontrovers aufgenommen. Unter Federführung des Bischofs von Segni,Luigi Carli, unterzeichneten im Herbst 1965 450 Bischöfe eine Bittschrift an Papst Paul, in der eine neue Verurteilung des Kommunismus gewünscht wurde.[29] Bereits am Rande der UNO-Vollversammlung 1965 hatte es ein erstes informelles Gespräch mit dem sowjetischen AußenministerAndrei Andrejewitsch Gromyko gegeben. Im folgenden Jahr ersuchte Gromyko offiziell um eine Zusammenkunft mit dem Papst, zu der es am 27. April 1966 in der Vatikanstadt kam. Neben Gesprächen über die weltpolitische Gesamtlage forderte Paul VI. bei diesem Treffen vor allemReligionsfreiheit in den Staaten desOstblocks. In den folgenden Jahren gab es mehrere Treffen zwischen Diplomaten des Heiligen Stuhles, an erster StelleAgostino Casaroli, und derSowjetunion in Moskau und im Vatikan. Damit entfernte sich Paul VI. von der strikt antikommunistischen Haltung seitPius XII., wonach Kontakte mit kommunistischen Staaten weitgehend abgelehnt wurden. Ziel des Papstes war es, durch die vorsichtige Annäherung den schweren Stand der katholischen Kirche im Ostblock zu mildern. Am 1. Januar 1968 führte Paul VI. für diesen Tag für die Weltkirche denWeltfriedenstag ein.
Am 16. März 1978 wurde der christdemokratische PolitikerAldo Moro von denRoten Brigaden entführt. Moro und Montini waren seit Moros Studienzeit befreundet; er war ab 1939 in der Leitung des katholischen Studentenverbandes FUCI aktiv, dessen geistlicher Leiter der spätere Papst von 1925 bis 1933 war. Paul VI. setzte sich persönlich für die Freilassung Aldo Moros ein, indem er sich mit einem handschriftlichen Brief an die Entführer wandte. Doch trotz dieser Bemühungen wurde der Politiker schließlich ermordet; Montini selbst hielt später die Trauermesse im Rahmen des Staatsaktes für Moro.
Am 14. Juli 1978 brach Paul VI. zur päpstlichen Sommerresidenz nach Castel Gandolfo auf. Obwohl gesundheitlich angeschlagen, traf er sich dort mit dem neuen italienischen StaatspräsidentenSandro Pertini. Am selben Abend hatte der Papst Atemprobleme und benötigte die Gabe von Sauerstoff. Am folgenden Tag (Samstag) war Paul VI. erschöpft, wollte aber trotzdem denAngelus beten. Er war dazu jedoch nicht in der Lage und blieb stattdessen im Bett. Von dort aus nahm er an der abendlichen Messe teil. Nach der Kommunion erlitt der Papst einen schweren Herzinfarkt, an dessen Folgen er am 6. August 1978 gegen 21:40 Uhr starb.[30] Paul VI. wurde in denvatikanischen Grotten bestattet, seinem Wunsch entsprechend in einem Erdgrab.
Die fünf großenEnzykliken stehen allesamt thematisch im Zusammenhang mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil und verdeutlichen aktuelle Aspekte der Glaubens- und Sittenlehre mit größerer Ausführlichkeit als in den Konzilsdokumenten möglich war. In der Folgezeit veröffentlichte der Papst weitere Apostolische Schreiben, insbesondereOctogesima adveniens zur katholischen Soziallehre (1971) sowieGaudete in Domino undEvangelii nuntiandi imHeiligen Jahr 1975.
Ecclesiam suam (6. August 1964) über den Weg der Kirche in der heutigen Zeit
Mense Maio (29. April 1965) über die Marienverehrung im Monat Mai
Mysterium fidei (3. September 1965) über die Eucharistie als Mitte der Kirche
Christi matri rosarii (15. September 1966) über das Rosenkranzgebet als Mittel zum Frieden
Papst Paul VI. zeigte eine außergewöhnliche Offenheit für die zeitgenössische Kultur, vor allem für die Bildende Kunst.[31] Schon in Mailand verkehrte Montini gerne mit Intellektuellen, Künstlern und Schriftstellern.[32] Mit den von ihm gesammelten Werken moderner religiöser Kunst errichtete Paul VI. eine eigene Abteilung in denVatikanischen Museen, die er 1973 alsSammlung Moderner Religiöser Kunst eröffnete. Die Museumsabteilung umfasst etwa 800 Werke von etwa 250 internationalen Künstlern. Weitere Werke gelangten 1977 in die Sammlung, und zwar als Schenkungen zeitgenössischer Künstler anlässlich seines 80. Geburtstages am 26. September 1977.[33]
Seit demZweiten Vatikanischen Konzil beauftragte Paul VI. mehrere zeitgenössische Künstler und Architekten, 1964–1977 entstanden somit neue Werke im Vatikan. „Zu diesen […] zählen vier päpstliche Grabdenkmäler und vier Bronzeportale für die Petersbasilika, der päpstliche Kreuzstab, dieVatikanische Audienzhalle mit Synodensaal und die päpstliche Privatkapelle im Apostolischen Palast.“[34] Die bronzeneFerula von 1963 schuf Lello Scorzelli.
Von 1964 bis 1971 ließ der Papst die großeVatikanische Audienzhalle durchPier Luigi Nervi (1891–1979) errichten. Diese wird gewöhnlich nach ihrer Funktion („Aula delle Udienze Pontificie“), ihrem Architekten („Sala Nervi“) oder heute offiziell nach ihrem Bauherrn („Aula Paolo VI“) benannt.
Papst Paul VI. erhob mitAlbino Luciani (Ernennung 1973),Karol Wojtyła (Ernennung 1967) undJoseph Ratzinger (Ernennung 1977) jene drei Bischöfe zu Kardinälen, die später seine Nachfolger werden sollten. Montini selbst (wie jeweils seine acht direkten Vorgänger, darunter alle bisherigen Päpste im 20. Jahrhundert) war von seinem unmittelbaren Vorgänger zum Kardinal ernannt worden (sieheListe der Kardinalskreierungen).
Die Papstforschung urteilte über Paul VI., er sei zu Lebzeiten von vielen verkannt und angefeindet worden, obwohl er es sich nicht leicht gemacht habe. Im Rückblick wird vielerorts anerkannt, dass Montini manche seiner Vorgänger an Reformeifer übertroffen hat. Er bahnte hiermit den Weg für seine Nachfolger. Der mit dem Papst befreundete französische PhilosophJean Guitton gelangte früh zu der Einschätzung, die Leistung des Pontifikats werde von der Nachwelt noch entdeckt werden.
Die Fortführung und den Abschluss desZweiten Vatikanischen Konzils (1962–1965) benannte Montini bereits drei Tage vor Amtseinführung und Krönung (30. Juni 1963) als die zentrale Aufgabe seines Pontifikats. Als konzil-interpretierender „Gesetzgeber“ war Paul VI. der „eigentliche Konzilspapst“, „nicht nur, weil er sämtliche Beschlüsse des Zweiten Vatikanischen Konzils in Kraft setzte, sondern auch, weil seine gesamte Amtszeit von der ungeheuren Aufgabe geprägt war, das Konzil ins Leben der Kirche zu überführen. Entsprechend groß ist die Bedeutung des Montini-Pontifikates für alle Fragen der Rezeption und Hermeneutik des Zweiten Vatikanischen Konzils“.[35]
DasIstituto Paolo VI in seinem Heimatort Concesio bei Brescia erforscht sein Pontifikat. Es verleiht seit 1983 denInternationalen Preis Paul VI. Zusammen mit derÉcole francaise de Rome gab das Institut 1984 ein umfassendes Werk über ihn heraus:Paul VI et la modernité dans l’Église.
Am 6. März 2018 erkannte Papst Franziskus ein für die Heiligsprechung notwendiges Wunder an.[39] Die Heiligsprechung Pauls VI. fand am 14. Oktober 2018 statt.[40]
Als liturgischer Gedenktag wurde zunächst der 26. September, der Geburtstag Pauls VI., festgesetzt.[41] Mit Dekret derKongregation für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung vom 25. Januar 2019 verfügte Papst Franziskus die Aufnahme des nichtgebotenen Gedenktags für den 29. Mai in denRömischen Generalkalender. Damit wird seit 2019 der Gedenktag Pauls VI. am Jahrestag seiner Priesterweihe begangen.[3]
Jörg Ernesti:Paul VI.: Der vergessene Papst. Verlag Herder, Freiburg im Breisgau 2012,ISBN 978-3-451-30703-4.
Ralf van Bühren:Kunst und Kirche im 20. Jahrhundert. Die Rezeption des Zweiten Vatikanischen Konzils (= Konziliengeschichte, Reihe B: Untersuchungen). Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn 2008,ISBN 978-3-506-76388-4.
Michael Bredeck:Das Zweite Vatikanum als Konzil des Aggiornamento. Zur hermeneutischen Grundlegung einer theologischen Konzilsinterpretation (= Paderborner theologische Studien, Band 48). Schöningh, Paderborn 2007,ISBN 978-3-506-76317-4.
Jean Mathieu-Rosay:Die Päpste im 20. Jahrhundert. Primus-Verlag, Darmstadt 2005,ISBN 3-89678-531-1.
Georg Schwaiger:„Im Namen des Herrn“: Paul VI. (1963–1978). In: ders.:Papsttum und Päpste im 20. Jahrhundert. Von Leo XIII. bis Johannes Paul II. C. H. Beck, München 1999, Kap. VIII. S. 344–372,ISBN 3-406-44892-5.
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Iosif R. Grigulevic:Die Päpste des XX. Jahrhunderts. Urania-Verlag, Leipzig 1984.
↑Giulio Andreotti:Meine sieben Päpste. Begegnungen in bewegten Zeiten. Herder, Freiburg 1982,ISBN 3-451-19654-9, S. 124.
↑John-Peter Pham:The Heirs of the Fisherman. Behind the scenes of papal death and succession. Oxford University Press, Oxford 2004,ISBN 0-19-517834-3, S. 123.
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↑Wolfgang Krahl:Ökumenischer Katholizismus. Alt-katholische Orientierungspunkte und Texte aus 2 Jahrtausenden. Kath. Parochie der Alt-Katholiken St. Cyprian, Bonn 1970, S. 100.
↑Peter Neuner:Neue Aspekte zur Abendmahlgemeinschaft. In:Stimmen der Zeit, Band 192 (1974), S. 169–180, hier S. 172–173.
↑Ralf van Bühren, Paul VI. und die Kunst. Die Bedeutung des Montini-Pontifikates für die Erneuerung der Künstlerpastoral nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil, in:Forum Katholische Theologie 24, 2008, S. 266–290.
↑Ralf van Bühren:Kunst und Kirche im 20. Jahrhundert. Die Rezeption des Zweiten Vatikanischen Konzils. Schöningh, Paderborn 2008, S. 319–323, Abb. 18.
↑Ralf van Bühren:Kunst und Kirche im 20. Jahrhundert. Die Rezeption des Zweiten Vatikanischen Konzils. Schöningh, Paderborn 2008, S. 310. Zu den von Paul VI. beauftragten Kunstwerken und Gebäuden vgl. S. 310–319, Abb. 53–59.
↑Michael Bredeck:Das Zweite Vatikanum als Konzil des Aggiornamento. Schöningh, Paderborn 2007, S. 350; vgl. Ralf van Bühren:Kunst und Kirche im 20. Jahrhundert. Die Rezeption des Zweiten Vatikanischen Konzils. Schöningh, Paderborn 2008, S. 302–303.