Paul Hacker

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Zur Navigation springenZur Suche springen

Paul Hacker (*6. Januar1913 inSeelscheid; †18. März1979 inMünster) war ein deutscherIndologe. Er konzentrierte sich vor allem auf eine philologisch-textkritische Herangehensweise, seine Studien galten den Vedānta-Schriften und den Texten der Purāṇa, aber auch der Auseinandersetzung mitneohinduistischen Werken. Hacker beschäftigte sich auch mit ideengeschichtlichen Fragestellungen und derPhilologie der modernen indischen Sprachen, besonders der desHindi.

Inhaltsverzeichnis

Leben

[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]

Hacker wuchs in Seelscheid auf, wo er auch zur Schule ging, bis er mit 19 Jahren zu studieren begann. Er studierte in Bonn, Heidelberg, Frankfurt und Berlin die Fächer Slawistik, Indologie, Vergleichende Linguistik, Englisch und Französisch. 1940, im Alter von 27 Jahren, promovierte Hacker mit einer Arbeit „Studien über den RealismusI. J. Turgenjews“. Von 1940 bis Kriegsende diente Hacker bei derWehrmacht. 1947 wurde ihm eine Förderung zuteil, mittels derer er eine Arbeit schrieb, die ihm die Habilitation ermöglichte: „Untersuchungen zur Geschichte des frühenAdvaita“. Ab 1949 gab er Vorlesungen inBonn, ab 1950 inMünster. 1954 arbeitete er an einem Institut in Darbhanga, der Mithila University. Von 1955 bis 1963 war er wieder in Bonn tätig, wo er sich mit seinem KollegenJoseph Ratzinger anfreundete und zum Katholizismuskonvertierte. Schließlich folgte 1963 die Rückkehr nach Münster, wo er den neu gegründeten Lehrstuhl für Indologie übernahm. 1971 ging er für eine Gastprofessur an die University of Pennsylvania. Paul Hacker ging 1978 in den Ruhestand.

Bedeutung

[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]

Zu Beginn der 1950er Jahre widmete Hacker derAdvaita-Philosophie desŚaṅkara einige Arbeiten. Schon in diesen Texten begegnet man der Tendenz Hackers, sich eingehend mit indischen Termini zu beschäftigen, die einem Korrelat in modern-westlichen Sprachen entbehren. In diesem Zusammenhang sind auch seine Aufsätze überDharma,Śraddha und Vrata und nicht zuletzt die nie vollendete Formulierung des „Inklusivismus“-Begriffes zu sehen.

Paul Hacker bildete die vonWillibald Kirfel entwickelte textgeschichtliche Methode zur Behandlung anonymer Literatur weiter. „Durch die teilweise gleichlautenden Textstücke bieten die Purāṇen eine einzigartige (in anderen Hochkulturen fehlende) Möglichkeit, Dokumente der Mythologie, des Kultus und der Legendenbildung (und damit auch größtenteils der Theologie) nach früheren und späteren Bestandteilen zu ordnen und so das geschichtliche Werden ihrer Inhalte zu verfolgen.“[1] Diese Methode formulierte er in verschiedenen Aufsätzen aus und wendete sie z. B. in der Prahlāda-Abhandlung konsequent an. In diesem 1959 erschienenen Buch zog Hacker 16 Versionen der Legende heran, machte Gemeinsamkeiten und Unterschiede ersichtlich und rekonstruierte Kirfels Methode folgend eine ursprüngliche Form der Prahlāda-Legende.

Inklusivismus

[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]

Hacker prägte im Laufe seines Schaffens immer deutlicher den Begriff „Inklusivismus“ als Bezeichnung einer universellen Eigenart indischen Denkens. „Inklusivismus bedeutet, daß man erklärt, eine zentrale Vorstellung einer fremden religiösen oder weltanschaulichen Gruppe sei identisch mit dieser oder jener zentralen Vorstellung der Gruppe, zu der man selber gehört. Meistens gehört zum Inklusivismus ausgesprochen oder unausgesprochen die Behauptung, daß das Fremde, das mit dem Eigenen als identisch erklärt wird, in irgendeiner Weise ihm untergeordnet oder unterlegen sei. Ferner wird der Beweis dafür, daß das Fremde mit dem Eigenen identisch sei, nicht unternommen.“[2]

Hacker machte diese „Denkart“ in vielen Bereichen indischer Religionen aus, so z. B. in denUpaniṣaden, derBhagavadgītā, denPurāṇas und dem Denken neohinduistischer Vertreter. „In allen (...) Fällen ist der Inklusivismus Zeichen einer geistigen Auseinandersetzung. Man polemisiert nicht direkt gegen die gegnerische Weltanschauung, sondern man anerkennt ihre wichtigen Begriffe, vielleicht sogar ihren wichtigsten Begriff, (…). Aber man ordnet die Zentralbegriffe gleichzeitig der eigenen Weltanschauung unter. Diese Methode der Auseinandersetzung unterscheidet sich von der später entwickelten Polemik, die mit formal logischen Mitteln und Methoden arbeitete. Sie bekundet eine außergewöhnliche geistige Geschmeidigkeit und Flexibilität, und wahrscheinlich hat sie auch bei manchen Hörern eine gewisse Werbekraft ausgeübt. Die Inder selber haben, soweit ich sehe, keinen Terminus dafür. Sie haben nicht darüber reflektiert. Wir haben in unserem Kulturkreis kein genaues Äquivalent zu diesem Inklusivismus, und eben deswegen haben wir ihn als Toleranz mißverstanden.“[3]

„Wie ich schon sagte, ist der Inklusivismus ein Mittel des Unterlegenen oder des noch Schwachen, des noch in Entwicklung Begriffenen, sich durchzusetzen, sich Geltung zu verschaffen.“[4]

Der Möglichkeit, dass der Inklusivismus als allgemein menschliche Möglichkeit der geistigen Auseinandersetzung mit etwas außerhalb der eigenen Welt betrachtet wird, entgegnet Hacker: „Daß er auf Indien beschränkt ist, zeigt sich am handgreiflichsten an der Tatsache, daß der Inklusivismus als solcher, als eine besondere geistige Haltung [nicht verstanden bzw.] mißverstanden wurde, und daß man, wenn man mit modern-westlichen Begriffen inklusivistische Geisteshaltungen bezeichnen wollte, von Toleranz sprach.“[5]

Werk

[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]

Neben Hackers indologischem Werk, das im Wesentlichen in den Kleinen Schriften zusammengefasst ist, hat Hacker auch zahlreiche theologische Arbeiten hinterlassen, auf deren Bedeutung Joseph Ratzinger in seiner Autobiographie hinweist.[6][7] Hacker gehört zu den Gründern derhochkirchlichenBruderschaft St. Jakobus.

(Auszugsweise aus:Kleine Schriften. Herausgegeben von Lambert Schmithausen. Wiesbaden, Franz Steiner 1978. S. IX–XX)

Selbstständige Werke

[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]
  • Upadeśasāhasrī von Meister Shankara. Aus dem Sanskrit übersetzt und erläutert. Bonn: Ludwig Röhrscheid 1949.
  • Untersuchungen über Texte des frühen Advaitavāda. 1. Die Schüler Śañkaras. Mainz: Akad.; Wiesbaden: Steiner in Komm. 1953 (=Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften und der Literatur. Geistes- und sozialwissenschaftliche Klasse. Jahrgang 1950, Band 26).
  • Zur Funktion einiger Hilfsverben im modernen Hindi. Mainz: Akad.; Wiesbaden: Steiner in Komm. 1958 (=Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften und der Literatur. Geistes- und sozialwissenschaftliche Klasse. Jahrgang 1958, Band 4).
  • Prahlāda. Werden und Wandlungen einer Idealgestalt. Beiträge zur Geschichte des Hinduismus. Teil I: Die Entstehung der Legende; die Prahlāda-Legende des Viṣṇupurāṇa und des Bhāgavatapurāṇa. Teil II: Weiterentwicklungen nach dem Bhāgavatapurāṇa; Nebenentwicklungen. Verlag der Akademie der Wissenschaften und der Literatur in Mainz, in Kommission bei Franz Steiner Verlag, Wiesbaden 1960 (=Abhandlungen der geistes- und sozialwissenschaftlichen Klasse der Akademie der Wissenschaften und der Literatur in Mainz. Jahrgang 1959, Nr. 9 und 13).
  • Das Ich im Glauben bei Martin Luther. Graz: Styria 1966 (Neudruck Bonn 2002, mit einem Vorwort vonJoseph Ratzinger).

Aufsätze, Vorträge

[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]
  • Eigentümlichkeiten der Lehre und Terminologie Śañkaras: Avidyā, Nāmarūpa, Māyā, Īśvara. In: ZDMG 100.1950, S. 246–286.
  • Vivarta. Studien zur Geschichte der illusionistischen Kosmologie und Erkenntnistheorie der Indern (=Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften und der Literatur. Geistes- und sozialwissenschadftliche Klasse. Jahrgang 1953, Band 5).
  • Religiöse Toleranz und Intoleranz im Hinduismus. In: Saeculum 8.1957, S. 167–179.
  • Der Dharmabegriff im Neuhinduismus. In: ZMR 42.1958, S. 1–15.
  • Purāṇen und Geschichte des Hinduismus. Methodologische, programmatische und geistesgeschichtliche Bemerkungen. In: OLZ 55.1960, Sp. 341–354.
  • Zur Entwicklung der Avatāralehre. In: WZKSO 4. 1960, S. 47–70.
  • Zur Methode der geschichtlichen Erforschung der anonymen Sanskritliteratur des Hinduismus. (Vortrag gehalten auf dem XV. Deutschen Orientalistentag Göttingen 1961.) In: ZDMG 111.1961, S. 483–492.
  • Mechanistische und theistische Kosmogonie im Hinduismus. In: ZMR 49.1965, S. 17–28.
  • Zur Methode der philologischen Begriffsforschung. In: ZDMG 115.1965, S. 294–308.
  • Der religiöse Nationalismus Vivekānandas. In: EMZ 28.1971. S. 1–15.
  • Inklusivismus (1979). Posthum in: Oberhammer, Gerhardt (Hrsg.): Inklusivismus: Eine indische Denkform. Wien: Akad. 1983.
  • Kleine Schriften. Hrsg. v. Lambert Schmithausen. Wiesbaden: Franz Steiner 1978.
  • Joseph Ratzinger und die Zerstörung des Dogmas. In:Zur Philosophie und Theologie Joseph Ratzingers, hrsgg. v.Wigand Siebel, 4. Auflage, Saarbrücken 2007,ISBN 3-928198-03-3, S. 14–30.

Quellen

[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]
  1. Aus:Purāṇen und Geschichte des Hinduismus. Methodologische, programmatische und geistesgeschichtliche Bemerkungen. In: OLZ 55.1960, Sp. 343.
  2. Aus:Inklusivismus (1979). Posthum in: Oberhammer, Gerhardt (Hrsg.): Inklusivismus: Eine indische Denkform. Wien: Akad. 1983. S. 12.
  3. Aus:Inklusivismus (1979). Posthum in: Oberhammer, Gerhardt (Hrsg.): Inklusivismus: Eine indische Denkform. Wien: Akad. 1983. S. 14.
  4. Aus:Inklusivismus (1979). Posthum in: Oberhammer, Gerhardt (Hrsg.): Inklusivismus: Eine indische Denkform. Wien: Akad. 1983. S. 17.
  5. Aus:Inklusivismus (1979). Posthum in: Oberhammer, Gerhardt (Hrsg.): Inklusivismus: Eine indische Denkform. Wien: Akad. 1983. S. 23.
  6. Vgl. Joseph Ratzinger:Aus meinem Leben. München: Heyne 1998.
  7. Vgl. auch hierzu den Aufsatz von Hacker:Joseph Ratzinger und die Zerstörung des Dogmas, in:Zur Philosophie und Theologie Joseph Ratzingers, hrsgg. v.Wigand Siebel, 4. Auflage, Saarbrücken 2007,ISBN 3-928198-03-3, S. 14–30.

Literatur

[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]
  • Wilhelm Rau:Bilder 135 deutscher Indologen. 2., erweiterte und verbesserte Auflage. Franz Steiner, Wiesbaden 1982.
  • Valentina Stache-Rosen:German Indologists. Biographies of scholars in Indian studies written in German. Max Mueller Bhavan, New Delhi 1981.
  • Gerhardt Oberhammer (Hrsg.):Inklusivismus: Eine indische Denkform. Akademie, Wien 1983 (zur kritischen Auseinandersetzung mit der Inklusivismus-These Hackers).

Weblinks

[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]
Personendaten
NAMEHacker, Paul
KURZBESCHREIBUNGdeutscher Indologe
GEBURTSDATUM6. Januar 1913
GEBURTSORTSeelscheid
STERBEDATUM18. März 1979
STERBEORTMünster
Abgerufen von „https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Paul_Hacker&oldid=230012624
Kategorien: