Paradoxon

EinParadoxon (auch dasParadox oder dieParadoxie, PluralParadoxa,Paradoxe bzw.Paradoxien; vomaltgriechischen Adjektivπαράδοξοςparádoxos „wider Erwarten, wider die gewöhnliche Meinung, unerwartet, unglaublich“[1]) ist ein Befund, eine Aussage oder Erscheinung, die dem allgemein Erwarteten, der herrschenden Meinung oder Ähnlichem auf unerwartete Weise zuwiderläuft oder beim üblichen Verständnis der betroffenen Gegenstände bzw. Begriffe zu einemWiderspruch führt.[2] Die Analyse von Paradoxien kann zu einem tieferen Verständnis der betreffenden Gegenstände bzw. Begriffe oder Situationen führen, was den Widerspruch im besten Fall auflöst. Einzelne Paradoxa sind in derListe von Paradoxa zu finden.
Philosophische Tradition
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In der Philosophie wurden Paradoxa, ebenso wieSophismen seit der Antike diskutiert. Teilweise wurden sie eingesetzt, um bestimmte Positionen in derKosmologie oder derTheologie zu stützen oder zu widerlegen und waren bereits früh Gegenstandlogischer Untersuchungen. Bekannt sind die Paradoxien desZenon von Elea, oder etwa dasAllmachtsparadoxon. Bis in die Moderne waren Paradoxien derSelbstreferenz von besonderem Interesse: Dazu zählen dasLügner-Paradoxon, dasParadoxon des Epimenides und das bekannteBarbier-Paradoxon –, schließlich das durch dieRussellsche Antinomie hervorgerufene Mengenparadoxon und dieGrelling-Nelson-Antinomie. Auch in der modernen Wissenschaftstheorie stellen Paradoxien, einmal formuliert, eine wichtige Herausforderung dar, da sie Anforderungen an Theorien und Paradigma deutlich machen, die bisher nicht erfüllt wurden, so etwaHempels Paradox oderGoodmans neues Rätsel der Induktion.
Als ästhetisches Motiv in der Wissenschaft
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]Eine Betrachtung vonParadoxien in den verschiedenen Wissenschaften belegt, dass das Erkennen und Lösen von Paradoxien ein bedeutendes Motiv wissenschaftlicher Arbeit sein kann. Der MathematikerRoger Penrose drückte es so aus: „Paradoxien empfinde ich als ausgesprochen reizvoll. Sie sehen so etwas und versuchen zu verstehen, wie um Himmels Willen könnte das einen Sinn ergeben?! Selbst das ist paradox: Ich habe viel für Paradoxien übrig, und gleichzeitig will ich sie aus der Welt schaffen!“ (Zitat nachGábor Paál)[3]
Der wissenschafts-ästhetische Reiz von Paradoxien zeigt sich auch daran, dass sich Künstler wieM. C. Escher von den Paradoxien in der Mathematik und Physik inspirieren ließen. So gab es zeitweise einen engen Austausch zwischen ihm und Penrose, der sich als Mathematiker mit geometrisch „unmöglichen“ Formen befasste. Von ihm stammt unter anderem das berühmtePenrose-Dreieck. Escher wiederum hat diese in seinen Grafiken umgesetzt. Auch für andere Wissenschaftler und Denker wieBertrand Russell,Gregory Bateson oderArthur Koestler waren Paradoxien in ihren unterschiedlichen Facetten ein zentrales Thema.
Formen
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]Es werden verschiedene Formen von Paradoxa unterschieden:
- Logische Paradoxa: Widersprüchlichkeit als Folge der Negation vonSelbstbezüglichkeit, d. h. wenn eine auf sich selbst anwendbare Aussagenegiert wird. Sie sind mit derRussellschen Antinomie verwandt. Ein Beispiel ist das sogenannteLügner-Paradox desEubulides:
- Dieser Satz ist falsch. (Eine solche Aussage ist wahr, wenn sie falsch ist, und falsch, wenn sie wahr ist.) Eine besondere Form des selbstbezüglichen Widerspruchs ist der sogenannteperformative Widerspruch zwischen propositionalem Gehalt und performativem Gehalt.
- Metaphysische Paradoxa: Phänomene, die mit den zur Verfügung stehenden Mitteln nicht begreifbar sind oder sich der Begreifbarkeit prinzipiell entziehen. Hierzu gehört
- die Frage nach der Endlichkeit beziehungsweise derUnendlichkeit von Raum undZeit. Ein unendliches Universum scheint demgesunden Menschenverstand ebenso zu widersprechen wie beispielsweise ein endliches: „Alles muss doch zu irgendeinem Zeitpunkt angefangen haben.“ – „Aber was war dann davor?“
- Semantische Paradoxa
- Rhetorische Paradoxa: einRhetorisches Stilmittel, bei dem eine tiefergehende Wahrheit durch einen Widerspruch deutlich und drastisch dargestellt werden soll (z. B.Oxymoron). Beispiel:Weniger ist mehr!
Gemeinsam ist allen Paradoxa der Widerspruch zwischen dem Behaupteten einerseits und den Erwartungen und Beurteilungen andererseits, die sich aus vertrautenDenkheuristiken, Vorurteilen,Gemeinplätzen, Mehrdeutigkeiten oder begrenzten Perspektiven als alltägliche Meinung (doxa) ergeben. Auch scheinbare Widersprüche, die sich durch genauere Analyse vollständig auflösen lassen, wirken daher im ersten Moment paradox oder galten im Laufe der Geistesgeschichte als unlösbare Paradoxa oderAporien. Auflösbare Paradoxien sind wahre Aussagen, deren Untersuchung – beispielsweise im Rahmen einesGedankenexperiments – zu wichtigen Erkenntnisfortschritten inWissenschaft,Philosophie undMathematik führen kann, die für das Alltagsverständnis aber unerwartet oder überraschend sind. Der Widerspruch besteht hier oft nur zwischen der erwarteten und der tatsächlichen Lösung. Ein Beispiel aus der Mathematik ist dasZiegenproblem, das logisch und mathematisch exakt lösbar ist, aber der Erwartung vieler Menschen widerspricht.
NachWillard Van Orman Quine lassen sich drei Fälle unterscheiden: Erstens eine der Intuition, herrschenden Meinung oder Erwartung widersprechende, aber korrekte Beantwortungen eines Problems, zweitens aufFehlschlüssen beruhenden Paradoxa und drittens solche, die tatsächlich ein sich selbstwidersprechendes Resultat desSchlussfolgerns darstellen, das auf eineAntinomie oder auf eine (verborgenerweise)inkonsistente Begriffsbestimmung oder falsche Regelannahme verweist.[4]
Abgrenzung nach Penrose
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]Der britische Mathematiker und PhysikerRoger Penrose schlug für diePhysik die Unterscheidung von Paradoxien vonPuzzles vor.[5] Bei Puzzles handele es sich um „verblüffende, aber experimentell unmittelbar belegbare Quantenwahrheiten über die Welt, in der wir leben.“ Dazu gehöre unter anderem das sogenannteEinstein-Podolsky-Rosen-Paradoxon, das keinen echten Widerspruch, sondern lediglich eine zwar unanschauliche, aber doch belegbare physikalische Wahrheit sei. Die Paradoxien oder „X-Rätsel“, wie Penrose sie auch nennt, seien zwar quantenphysikalisch ebenso ein „wahrer Bestandteil dieser Welt, erscheinen aber sounplausibel und paradox, dass wir uns sträuben, sie als ‚wirklich‘ wahr hinzunehmen“. Das bekannteste X-Rätsel sei das Paradoxon vonSchrödingers Katze.
Psychologie
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]In der Psychologie werden als Paradoxa starke Widersprüche in den Anforderungen an das individuelle Denken und Verhalten untersucht. Dazu gehört die vonPaul Watzlawick skizzierte „Sei-spontan-Paradoxie“[6], wie es häufig in Beziehungen zum Ausdruck kommt: Die Erwartung, dass mein Gegenüber seine Entscheidungen gefälligst frei und selbständig treffen soll – und genau damit seine Unselbständigkeit unter Beweis stellen würde. Der Wunsch „Sag mir doch öfter mal spontan, dass du mich liebst!“ ist, sobald ausgesprochen, nicht mehr erfüllbar.
In den sogenanntenparadoxen Interventionen werden psychische Paradoxien wiederum gezielt eingesetzt, insbesondere dann, wenn das Gegenüber (ein Kind zum Beispiel) ein trotziges Verhalten zeigt und auf Aufforderungen bewusst mit dem Gegenteil reagiert. Entsprechend wird in der paradoxen Intervention eine Erwartung geäußert, deren Gegenteil eigentlich erreicht werden soll.
Ein weiteres Beispiel für psychische Paradoxien sindDouble-Bind-Kommunikationsstrukturen.
Paradoxa in der Populärkultur
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]InDas Leben des Brian vonMonty Python wird Brian gegen seinen Willen für den Messias gehalten und fordert in der „Balkonszene“ seine Anhänger auf, Individuen zu sein:
Brian: | Hört zu. Ihr versteht das alles falsch. Es ist wirklich nicht nötig, dass ihr mir folgt. Es ist völlig unnötig, einem Menschen zu folgen, den ihr nicht mal kennt. Ihr müsst nur an euch selbst denken. Ihr seid doch alle Individuen. |
Menge: | Ja! Wir sind alle Individuen! |
Brian: | Und ihr seid alle völlig verschieden! |
Menge: | Ja! Wir sind alle völlig verschieden! |
Dennis: | Ich nicht! |
Menge: | Pscht!! |
Siehe auch
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]Literatur
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]- Alexander Max Bauer,Gregor Damschen undMark Siebel (Hrsg.):Paradoxien. Grenzdenken und Denkgrenzen von A(llwissen) bis Z(eit). mentis, Paderborn 2023,ISBN 978-3-95743-251-3.
- Heinrich Hemme:Das große Buch der Paradoxien. Anaconda Verlag, Köln 2018,ISBN 978-3-7306-0569-1.
- Karsten Engel (Hrsg.):Von Schildkröten und Lügnern – Paradoxien und Antinomien in den Wissenschaften. mentis, Münster 2018,ISBN 978-3-95743-088-5.
- Jean-Claude Fredouille, Francesco Zanella:Paradoxon. In:Reallexikon für Antike und Christentum. Band 26, Hiersemann, Stuttgart 2015,ISBN 978-3-7772-1509-9, Sp. 968–986
- Michael Clark:Paradoxes from A to Z. 2. Auflage. Routledge, London u. a. 2007,ISBN 978-0-415-42082-2.
- Gábor Paál:Was ist schön? Ästhetik und Erkenntnis. Königshausen & Neumann, Würzburg 2003,ISBN 3-8260-2425-7.
- Paul Geyer,Roland Hagenbüchle (Hrsg.):Das Paradox. Eine Herausforderung des abendländischen Denkens (=Stauffenburg-Colloquium. Bd. 21). Stauffenburg-Verlag, Tübingen 1992,ISBN 3-923721-78-1, bes.: Heinrich Plett:Das Paradoxon als rhetorische Kategorie. S. 89–104 (2. Auflage. Königshausen & Neumann, Würzburg 2002,ISBN 3-8260-2345-5).
- Richard M. Sainsbury:Paradoxien (=Universal-Bibliothek 18135). Reclam, Stuttgart 2001,ISBN 3-15-018135-6.
- Raymond M. Smullyan:Das Buch ohne Titel. Eine Sammlung von Paradoxa und Lebensrätseln. Vieweg, Braunschweig u. a. 1983,ISBN 3-528-08485-5.
- Patrick Hughes, George Brecht:Die Scheinwelt des Paradoxons. Eine kommentierte Anthologie in Wort und Bild. Vieweg, Braunschweig 1978,ISBN 3-528-08379-4.
- Kannetzky, Frank:paradoxes denken. mentis, Paderborn 2000,ISBN 978-3-89785-088-0
- Rescher, Nicholas:Paradoxes. Their Roots, Range and Resolution. Open Court, Chicago 2001,ISBN 978-0-8126-9437-6
Weblinks
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]- Barry Hartley Slater: Logical Paradoxes. In: James Fieser, Bradley Dowden (Hrsg.):Internet Encyclopedia of Philosophy.
- Andrea Cantini: Paradoxes and Contemporary Logic. In: Edward N. Zalta (Hrsg.):Stanford Encyclopedia of Philosophy.
- Timm Grams:Denkfallen und Paradoxien
Einzelnachweise
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]- ↑Wilhelm Pape, Max Sengebusch (Bearb.):Handwörterbuch der griechischen Sprache. 3. Auflage, Braunschweig 1914.
- ↑Arnim Regenbogen, Uwe Meyer:Wörterbuch der Philosophischen Begriffe. Meiner, Hamburg 1997,ISBN 978-3-7873-1325-9.
- ↑Was ist schön? Ästhetik und Erkenntnis 2003, S. 194–206.
- ↑Willard Van Orman Quine:The Ways of Paradox, and other essays. Random House, New York 1966.
- ↑Roger Penrose:Schatten des Geistes. Wege zu einer neuen Physik des Bewußtseins. Spektrum, Akademischer Verlag, Heidelberg u. a. 1995,ISBN 3-86025-260-7, S. 297 f.
- ↑Paradoxien von Paul Watzlawick. Abgerufen am 14. April 2023.