Seine Eltern waren der Mühlenbesitzer Oscar Stern (1850–1919), der seit 1892 inBreslau wohnte, und Eugenie, geb. Rosenthal (1863–1907), die aus Rawitsch in derProvinz Posen stammte. Otto Stern hatte einen Bruder und drei Schwestern, darunter die JuristinBerta Kamm. Seine Nichte war die ChemikerinLieselotte Templeton.[1] Sein Großvater, Abraham Stern, hatte in erster Ehe mit Nanni, geb. Freund, fünf Kinder, darunter Heinrich Stern (1833–1908), der Vater des MedizinersRichard Stern,[2][3] der wiederum Großvater des HistorikersFritz Stern war. In zweiter Ehe war Abraham Stern mit Berta Bender verheiratet, mit der er weitere sechs Kinder hatte, wobei Oscar Stern das dritte dieser Kinder war. Otto Stern war zeitlebens unverheiratet.
Die Abkürzung Otto M. Stern taucht nur im Emeritierungsdokument der Carnegie Institution auf, ansonsten steht in allen Dokumenten nur der Vorname Otto.[3]
Otto Stern besuchte das gemischt-konfessionelleJohannesgymnasium Breslau. Er stammte aus einer wohlhabendenjüdischen Familie, zu der Getreidehändler und Mühlenbesitzer gehörten. Das verschaffte Stern auch später finanzielle Unabhängigkeit im Wissenschaftsbetrieb. Nach dem Abitur in Breslau 1906 begann er das Studium der Mathematik und Naturwissenschaften, unter anderem beiArnold Sommerfeld in München, in Freiburg und an derUniversität Breslau.Experimentalphysik hörte er beiOtto Lummer undErnst Pringsheim. Insbesondere lernte er aber Statistische Mechanik und Thermodynamik im Selbststudium aus den Schriften vonLudwig Boltzmann,Rudolf Clausius undWalther Nernst. Er wurde 1912 an der Universität Breslau inPhysikalischer Chemie beiOtto Sackurpromoviert (mit einerDissertation über denOsmotischen Druck von Kohlendioxid in konzentrierten Lösungen). Im selben Jahr ging er zuAlbert Einstein an dieKarls-Universität Prag und folgte ihm schließlich 1913 an dieEidgenössische Technische Hochschule nachZürich, wo er sich 1913 in Physikalischer Chemiehabilitierte. Mit Einstein – der am Beginn seiner Karriere als Physiker als Spezialist für Thermodynamik galt – arbeitete er insbesondere über Probleme der Statistischen Mechanik. Mit ihm verband ihn eine lebenslange Freundschaft. In Zürich kam er auch in Kontakt mitPaul Ehrenfest undMax von Laue. Im folgenden Jahr ging er an dieJohann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt am Main, wo er sich 1915 fürTheoretische Physik umhabilitierte. Er blieb als Privatdozent für Theoretische Physik in Frankfurt bis 1921, unterbrochen vom Wehrdienst im Ersten Weltkrieg, in dem er sich gleich nach Kriegsausbruch freiwillig meldete und an derOstfront diente,[4] zunächst alsGefreiter und später alsUnteroffizier in technischer Verwendung.Max Born sorgte dafür, dass er einer Forschungsabteilung der Universität Berlin zugewiesen wurde.[5] 1919 erhielt er den Professorentitel und war Assistent von Max Born in Frankfurt. In dieser Zeit wandte er sich von der Theoretischen Physik der Experimentalphysik zu. 1921 erhielt Stern einen Ruf auf einExtraordinariat für Theoretische Physik an derUniversität Rostock, wo er bis 1922 blieb. Ein Grund für den Wechsel warAntisemitismus in Frankfurt (der Physiker und UniversitätsrektorRichard Wachsmuth wollte ihm aus diesem Grund keine etatmäßige Professur geben).[6] 1923 folgte ein Ruf an das neugegründeteInstitut für Physikalische Chemie derUniversität Hamburg alsOrdinarius und Direktor. In Hamburg begann eine enge, die Zeit überdauernde Freundschaft mit seinen Kollegen, dem AstronomenWalter Baade, dem MathematikerErich Hecke und dem (damals noch angehenden) PhysikerWolfgang Pauli. Zu seinen Post-Doktoranden gehörten dortIsidor Isaac Rabi undRonald G. J. Fraser. 1930/31 war erDekan der Universität Hamburg und 1931 bis 1932 Mitglied des Senats der Universität. 1931 wurde er zum Korrespondierenden Mitglied der GöttingerAkademie der Wissenschaften gewählt.[7]
Ein frühes Interesse von Stern war die statistische Mechanik und das Entropie-Konzept. 1924 veröffentlichte ersein Modell[10] derelektrochemischen Doppelschicht, das heute unter seinem Namen bekannt ist.
Viele der Arbeiten Sterns beruhen auf seinerMolekularstrahl-Methode, die auch für die weitere Entwicklung der Experimentalphysik und Quantenphysik von fundamentaler Bedeutung war. Die Molekular- oder Atomstrahl-Methode selbst stammte vonLouis Dunoyer de Segonzac (1911). Die ursprünglichen Veröffentlichungen von Stern dazu dienten der Messung der Maxwellschen mittleren thermischen Geschwindigkeit.[11][12]
Ihm gelang der Nachweis der Interferenz an Atomstrahlen[20] und die Messung derDe-Broglie-Beziehung an Atomstrahlen. Von ihm stammt die erste Messung des magnetischen Moments von Proton und Deuteron.[21][22]
Stern erhielt 1943 als „Anerkennung seines Beitrags zur Entwicklung der Molekularstrahl-Methode und für seine Entdeckung desmagnetischen Moments desProtons“ denNobelpreis für Physik.[23] Die Richtungsquantelung wurde nicht erwähnt, aber der GutachterErik Hulthén hob in einem Beitrag im schwedischen Radio im Dezember 1944 vor allem die Richtungsquantelung hervor.[24] Zwischen 1901 und 1950 war er mit 82 Nominierungen der Physiker mit der höchsten Anzahl an Nominierungen für den Nobelpreis.
Die Universität Frankfurt ehrte Otto Stern, indem sie das 2011 fertiggestellte zentrale Hörsaal- und Bibliotheksgebäude am neuenCampus Riedberg nach ihm alsOtto-Stern-Zentrum benannte.[25] DieStern-Gerlach-Medaille der DPG ist nach ihm und Gerlach benannt. Der Fachverband Magnetische Resonanz der GDCh verleiht denOtto-Stern-Preis für außerordentliche wissenschaftliche Beiträge zur Magnetresonanz. 2013 wurde der Asteroid(14468) Ottostern nach Otto Stern benannt.
Horst Schmidt-Böcking, Karin Reich, Alan Templeton, Wolfgang Trageser, Volkmar Vill (Hrsg.):Otto Sterns Veröffentlichungen. 5 Bände, Springer Spektrum 2016.
Horst Schmidt-Böcking, Alan Templeton, Wolfgang Trageser:Otto Sterns Gesammelte Briefe. Band 1, Springer Spektrum 2018.
Eine direkte Messung der thermischen Molekulargeschwindigkeit. In:Zeitschrift für Physik. Band 2, 1920, S. 49–56.
Ein Weg zur experimentellen Richtungsquantelung im Magnetfeld. In:Zeitschrift für Physik. Band 7, 1921, S. 249–253.
mit W. Gerlach:Der experimentelle Nachweis des magnetischen Moments des Silberatoms. In:Zeitschrift für Physik. Band 8, 1921, S. 110–111.
mit W. Gerlach:Der experimentelle Nachweis der Richtungsquantelung im Magnetfeld. In:Zeitschrift für Physik. Band 9, 1922, S. 349–352.
mit W. Gerlach:Das magnetische Moment des Silberatoms. In:Zeitschrift für Physik. Band 9, 1922, S. 353–355.
Peter Toennies, Horst Schmidt-Boecking, Bretislav Friedrich, Julian Lower:Otto Stern (1888–1969) – the founding father of experimental atomic physics. In:Annalen der Physik. Band 523, 2011, S. 1045–1070.
Bretislav Friedrich, Dudley Herschbach:Stern and Gerlach – how a bad cigar helped reorient atomic physics. In:Physics Today. Dezember 2003, S. 57 (Digitalisat, PDF auf physlab.lums.edu.pk).
Emilio Segré:Otto Stern 1888–1969. Biographical Memoirs National Academy of Sciences, (Digitalisat, PDF auf nasonline.org).
Horst Schmidt-Böcking, Wolfgang Trageser:Ein fast vergessener Pionier. Die von Otto Stern entwickelte Molekularstrahlmethode ist essenziell für Physik und Chemie. In:Physik Journal. Wiley-VCH Verlag Chemie, März 2012,S.47–51 (pro-physik.de [PDF]).
Karin Reich,Horst Schmidt-Böcking: Otto Stern (1888–1969) und seine Jahrhundertexperimente, die die Welt der Physik revolutionierten. [Wissenschaftler in Hamburg; Band 9]. Wallstein Verlag, Hamburg 2024,ISBN 978-3-8353-5770-9.
↑Horst Schmidt-Böcking, Alan Templeton, Wolfgang Trageser:Otto Sterns gesammelte Briefe.Band1:Hochschullaufbahn und die Zeit des Nationalsozialismus. Springer, Berlin / Heidelberg 2018,ISBN 978-3-662-55735-8,S.437 (books.google.de).
↑Holger Krahnke:Die Mitglieder der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen 1751–2001 (=Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, Philologisch-Historische Klasse. Folge 3, Band 246 =Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Göttingen, Mathematisch-Physikalische Klasse. Folge 3. Band 50). Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2001,ISBN 3-525-82516-1, S. 233.
↑Wolfgang Walter:Otto Stern: Leistung und Schicksal. In:Mitteilungen, Gesellschaft Deutscher Chemiker.Band3, 1989 (gdch.de [PDF]).
↑Otto Stern:Zur Theorie der elektrolytischen Doppelschicht. In: Deutsche Bunsen-Gesellschaft für Angewandte Physikalische Chemie, Erich Müller (Hrsg.):Zeitschrift für Elektrochemie.Band30,Nr.21–22. Wiley‐VCH Verlag, November 1924,ISSN0372-8323,S.508–516,doi:10.1002/bbpc.192400182 (knowledge.electrochem.org [PDF]).
↑Otto Stern:Eine direkte Messung der thermischen Molekulargeschwindigkeit. In:Physikalische Zeitschrift.Band21, 1920,S.582.
↑Stern, Volmer, Über die Abklingungszeit der Fluoreszenz. Physikalische Zeitschrift, Band 20, 1919, S. 183–188.
↑Einstein, Stern, Einige Argumente für die Annahme einer molekularen Agitation beim absoluten Nullpunkt, Annalen der Physik, Band 40, 1913, S. 629–632.
↑Stern, Gerlach, Der experimentelle Nachweis der Richtungsquantelung im Magnetfeld, Z.f.Physik, 9, 1922, 349–352. Vorgeschlagen wurde der Versuch von Stern, Ein Weg zur experimentellen Prüfung der Richtungsquantelung im Magnetfeld, Z. f. Physik, Band 7, 1921, S. 249–253.
↑Für den Versuch selbst erwartete Debye aber keinen Nachweis der Richtungsquantelung und Sommerfeld nur ein halbklassisches Ergebnis. Nur Bohr und Max Born (damals auch in Frankfurt) erwarteten ein positives Ergebnis. Gerlach und Stern waren für das Ergebnis offen. Gerlach, Erinnerungen an Albert Einstein 1908–1930, Physikalische Blätter Band 35, 1979, Heft 3, S. 97f.
↑Walther Gerlach, Otto Stern:Das magnetische Moment des Silberatoms. In:Zeitschrift für Physik.Band9,Nr.1, Dezember 1922,ISSN1434-6001,S.353–355,doi:10.1007/BF01326984.
↑Otto Robert Frisch, Stern, Beugung von Materiestrahlen,Handbuch der Physik, Band 22, Teil 2, Springer 1933.
↑Stern, Beugung von Molekularstrahlen am Gitter einer Kristallspaltfläche, Die Naturwissenschaften, 17, 1929, S. 391.
↑Frisch, Stern, Über die magnetische Ablenkung von Wasserstoffmolekülen und das magnetische Moment des Protons, Teil 1, Z. f. Physik, Band 85, 1933, S. 4–16, Teil 2 mit Estermann, S. 17–24.
↑Stern, Estermann, Über die magnetische Ablenkung von isotopen Wasserstoffmolekülen und das magnetische Moment des „Deutons“. Z. f. Physik, Band 86, 1933, S. 132–134.