Ostalgie


AlsOstalgie (Kofferwort aus „Osten“ bzw. „Ostdeutschland“ und „Nostalgie“) wird die nostalgische Wahrnehmung derDDR in der BevölkerungOstdeutschlands seit derWende bezeichnet. Das Wort geht auf den Titel eines Programms des Dresdner KabarettistenUwe Steimle aus dem Jahr 1992 zurück.[1]
Das Phänomen entstand mit einer ab 1991 einsetzenden Distanzierung eines Teils derostdeutschen Bevölkerung gegenüber der Bundesrepublik. In Supermärkten wurden plötzlich frühere sogenannte „Ostprodukte“ angeboten, Ostalgie-Partys veranstaltet und DDR-Alltagsgegenstände und -Symbole als Identitätsanker wiederentdeckt. Die Ostalgie wurde aber auch durch Spaß undIronie sowie kommerzielle Motive, z. B. die so genannte „Ampelmännchen-Industrie“, geprägt. Ihren Höhepunkt erreichte die Ostalgie mit dem 2003 erschienenen SpielfilmGood Bye, Lenin! und den anschließenden DDR-Fernsehshows öffentlicher und privater TV-Sender.[2][3]
Begriffsbestimmung
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]Für den BegriffDDR-Nostalgie gibt es keine allgemein akzeptierte Definition. Diverse Begriffe wieOstalgie,Ostidentität,neues ostdeutsches Selbstbewusstsein undostdeutsche Mentalität werden schwammig verwendet. Das bekanntesteSchlagwort ist dasKofferwortOstalgie, das synonym zurDDR-Nostalgie verwendet wird. DieseWortschöpfung ausOsten undNostalgie wird zwar dem Dresdner KabarettistenUwe Steimle zugeschrieben, der Begriff Ostalgie ist jedoch gemäß dem SozialwissenschaftlerThomas Ahbe in besonderer Weisepejorativkonnotiert, da die BegriffeOst undNostalgie eher für Defizitäres stünden: im Falle vonNostalgie, weil es im Kontrast zum optimistischen, modernenZeitgeist stehe, und beiOst oderostig, weil damitrostig, marode undüberholt assoziiert werde.[4]Ostalgie werde häufig als ein Mangel an Integrationswillen, als ein Aufbegehren, die DDR wiederhaben oder diedeutsche Wiedervereinigung rückgängig machen zu wollen, missverstanden. Tatsächlich handele es sich beiOstalgie jedoch um eine Integrationsstrategie, da ein Teil der Ostdeutschen ihre angestammten eigenen Erfahrungen, Erinnerungen und Werte, die mit denen der westdeutschen Mehrheit nicht kompatibel seien, beibehalten wollten.[5]
Phänomen der DDR-Nostalgie
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Der BegriffDDR-Nostalgie ist analytisch nicht definiert und wird in der wissenschaftlichen Literatur uneinheitlich gebraucht. Die Soziologin Katja Neller, die 2005 zum ThemaDDR-Nostalgie promoviert hat, grenzt den Begriff streng von dem KofferwortOstalgie ab und definiert dieDDR-Nostalgie als positiveRetrospektivbewertungen derneuen Bundesbürger (bzw. der früheren DDR-Bürger) gegenüber der DDR.[6] Da es vor derWende angeblich keine eigentliche DDR-Identität gab, dreht sich ein wichtiger Teilaspekt der wissenschaftlichen Debatten zurDDR-Nostalgie um die Frage, ob es sich bei den von der Forschung festgestellten retrospektiven DDR-Loyalitäten nur um Nachwendephänomene handelt oder ob diese an vorhandene Bindungen aus der DDR-Zeit anknüpfen.[7]
Wurde die DDR kurz nach der Wende von der ostdeutschen Bevölkerung noch einmütig negativ beurteilt, zeigen neue Umfragen zunehmend positive Beurteilungen. Trotz des seit der Wende gestiegenenLebensstandards erfährt die DDR in Ostdeutschland mittlerweile in vielen Bereichen, besonders in Bezug auf diesoziale Sicherheit, eine bessere Bewertung als die Bundesrepublik. Diese Einschätzung wurde auch von denPanelteilnehmern derSächsischen Längsschnittstudie geteilt.[8] DieOstalgie kann als eine auf die Euphorie der unmittelbaren Wendezeit folgende und für die 1990er Jahre typische Reaktion eines Teils der Bevölkerung Ostdeutschlands betrachtet werden, mit der diese Bevölkerungsgruppe den sehr widersprüchlichen und schwierigen wirtschaftlichen Transformationsprozess und die Anpassung an ein neues Rechtssystem nach der friedlichen Revolution, mithin den scharfen Bruch zwischen Vergangenheit und Zukunft thematisierte. Was sich politik- und wirtschaftswissenschaftlich mit der Herstellung der Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion als erfolgreiche Einführung eines neuen Systems beschreiben lässt, ging aus Sicht der ostdeutschen Bevölkerung nicht nur mit Gewinnen, sondern auch mit Ernüchterung und Verlusten einher. Als sich die mit demSinnbild derBlühenden Landschaften in Aussicht gestellten ökonomischen Zukunftsperspektiven für Ostdeutschland nicht so zügig einstellten wie erhofft, setzte mit Beginn der 1990er Jahre eine Wiederentdeckung und Renaissance von Symbolen und Produkten der DDR-Vergangenheit ein.[9][2]
Erklärungsansätze
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]Für die Erklärung der Ostalgie gibt es zwei grundsätzliche Hypothesen, die Sozialisationshypothese und die Situations- oder Erfahrungshypothese. Die Sozialisationshypothese basiert auf der Annahme, dass eine ideologische Erziehung im Sinne sozialistischer Werte und Lebensweisen wesentlich vollständiger geglückt ist als angenommen und weiterbestehen. Die Situations- bzw. Erfahrungshypothese erkennt die immer noch unterschiedlichen Lebensbedingungen in Ost und West als bedeutend an. Sie geht davon aus, dass die verklärende Rückschau auf die DDR aus der strukturellen Ungleichheit der Bedingungen beider Teilgesellschaften resultiert. Eigene Erfahrungen, wie an der Lebenssituation, der wirtschaftlichen Stellung oder den politischen Erfolgen stehen negative Erfahrungen des Transformationsprozesses gegenüber.[10]
Die KulturwissenschaftlerinAleida Assmann, die sich mit Erinnerungsprozessen beschäftigt, sieht in der Ostalgie einen normalen Verdrängungsmechanismus, in dem das Gedächtnis auswählt. Positive Dinge würden herausgehoben und die negativen ganz tief vergessen werden. Dann komme es zu einem völlig umgelagerten Bild: „Die DDR ist dann der Staat, der einen versorgt hat, der für einen da war, der eine Zukunftsgarantie gegeben hat, der eine große Existenzsicherung bereitgestellt hat – alles Dinge, die heute verloren gegangen sind in einer Welt des wirtschaftlichen Niedergangs, aber auch der erhöhten und gesteigerten Wettbewerbsstrukturen.“ Diesem Phänomen werde auch politisch zugearbeitet. Wenn mit dem Verschwinden von Straßennamen, Gebäuden (Palast der Republik) oder Institutionen die Erinnerung an denUnrechtsstaat getilgt werden, verblassten auch die Erinnerungen an die DDR insgesamt.[11]
Die HistorikerinBeatrix Bouvier vertritt die Meinung, dass eine positive Wertung der DDR-Zeit erst dadurch ermöglicht worden sei, dass die DDR beinahe nahtlos in derBundesrepublik Deutschland aufging. Dadurch hätten die Ostdeutschen zwar die Wohltaten der sich zunehmend verschuldenden und damit „auf Pump und auf Kosten der Zukunft“ lebenden Sozialpolitik in der DDR erfahren, nicht aber den daraus resultierenden „tatsächlichenBankrott“ desSozialismus in der DDR.[12]
Ostalgie-Partys: Nachholende Verabschiedung der DDR ab 1994
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Ostalgie-Partys wurden als Privat-Party oder im halböffentlichen Raum gefeiert. Es gab auch semiprofessionelle Veranstaltungen, bei denen viele Gäste mit DDR-typischen Kleidungsstücken oder uniformiert erschienen. Die Festräume waren randvoll mit den einstigen DDR-Propaganda-Requisiten ausstaffiert: Papierfähnchen, Porträts, Symbole, Orden, Pokale, Fahnen, Wimpel und Transparenten mit Propagandasprüchen der SED-Diktatur oder deren Verulkungen. Sogar einDoppelgänger vonErich Honecker trat bisweilen auf.Zum Musikrepertoire gehörten Schlagerschnulzen und Popsongs aus der DDR und als Intermezzo wurden musikalisch ironisch oder sarkastisch recycelte Fassungen der sozialistischen Hymnen und „Arbeiter- und Kampflieder“ aufgelegt. DerConférencier moderierte die Partys im auf die Spitze getriebenen schwülstigen, sperrigen Kommunikationsstil der DDR-Offiziellen.
In den 1990er Jahren gab es auch professionelle,kommerzielle Veranstalter von Ostalgie-Partys, die quer durch Ostdeutschland tourten. Der bekannteste war Ralf Heckel,[13] einSchallplattenunterhalter (Jahrgang 1969, aus Nordhausen), der 1994 die erste Ostalgie-Party organisierte. Nach eigenen Angaben veranstaltete er von Januar 1995 bis Oktober 1999 mehr als 100 Ostalgie-Partys mit etwa 150.000 Gästen. Das Medien-Echo bundesweit wie international war groß. Heckel beurteilte die Ossi-Feier ideologiefrei:„Das war wie eine 50er-Jahre-Party, die jagt auch niemand zum Teufel. Es gibt so viele Retro-Kulte, warum nicht so einen?“[14]
Renaissance von Filmen, Comics, Alltagsgegenständen und -symbolen der DDR
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Während der Ostalgie-Welle fungierten DDR-Alltagsgegenstände und -symbole als Identitätsanker.[15] Dabei wurde primär der sozialistischen Konsumgesellschaft unterHonecker, mithin der Durchschnitts-DDR gehuldigt, z. B.:
- der biografisch angelegtenPionier- oderFDJ-Kleidung
- demTrabi
- der Wohnung imPlattenbau[16] So unterhält das WohnungsunternehmenStadt und Land inBerlin-Hellersdorf, Hellersdorfer Straße 179 – Parterre rechts – eineDDR-Museumswohnung, die nach Anmeldung oder während der zweistündigen Sonntagsöffnungszeit besichtigt werden kann.[17]
- DEFA-Filme
- demDDR-Sandmännchen: Als die Sendung nach 1990 aus Kostengründen eingestellt werden sollte, hagelte es Proteste. Daraufhin wurde dieSandmann Studio Trickfilm GmbH gegründet, welche den Sandmann zunächst in den alten Mahlsdorfer Studios und nach Zwischenstationen schließlich im Filmpark Babelsberg weiterproduzierte. Die alten Figuren des DFF-Sandmännchens wiePittiplatsch und Schnatterinchen (ein Kobold und eine Ente) oderHerr Fuchs und Frau Elster wurden um weitere neue Figuren ergänzt.
- Ostalgie-Hostels[18]
- Symbolen aus der DDR, z. B. demOst-Ampelmännchen oder demWappen der DDR
- der DDR-Traditions-ComiczeitschriftMosaik desMosaik Steinchen für Steinchen Verlags (Auflage 105.000 Exemplare Beginn 2020).
Weiterhin gibt es neben ostalgischen Veranstaltungen auchRundfunksendungen, die den Alltag in der DDR und die mit ihm verbundenen Lebensweisen und Gegenstände sowie Erinnerungen an die DDR zum Thema haben.
Vermarktungsstrategie „bekennende Ostmarken“
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]Im ostdeutschen Handel waren seit 1991 nach und nach wieder Produkte erhältlich, die in Ostdeutschland produziert wurden. Galten noch zu DDR-Zeiten viele Erzeugnisse einheimischer Produktion als schlechte Kopien oder Surrogate der westdeutschen Originale, wurden nun Ostprodukte als die echten und unverfälschten beworben. Dabei war die Vermarktungsstrategie der „bekennenden Ostmarken“, also der einstigen DDR-Marken, erfolgreich, wobei deren einstige Verpackung, gegebenenfalls auch deren Rezeptur und Qualität modernisiert wurden, während man die Markennamen, Symbole, aber auch diegustatorische Wahrnehmung um desWiedererkennungswertes willen beibehielt. Selbst eine zu DDR-Zeiten schlecht beleumundete Schokoladen-Marke wieKnusperflocke debütierte 1990. 1998 folgten dieSchlager-Süßtafel undBambina. Beide zusammen erzielten 1999 einen Umsatz von 31 Millionen DM. Einer sächsischen Erhebung zur Marktpräsenz einheimischer Frischwaren im Sortiment des Lebensmittelhandels zufolge stammten 1993 in jedem zweiten Geschäft etwa 40 % der angebotenen Frischwaren aus Sachsen.[19]
Prägende Verkaufsargumente
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]Ende der 1990er Jahre stieg dieKonjunktur von Ostprodukten beträchtlich. Mit der Steigerung von Umsatz und Gewinn und der Verbesserung der eigenen Marktposition zeichnete sich auch im Sprachgebrauch der Werbekampagnen eine Trendwende ab: nun wurdenOstalgie und ein starkes ostdeutsches Selbstbewusstsein prägende Verkaufsargumente.[20] Dabei appellierte die Produktwerbung in ihrerZielgruppenansprache geschickt an die in der Öffentlichkeit ausgeblendeten Erinnerungen und Erfahrungen der Ostdeutschen. So bewarb beispielsweise die BerlinerSpreequell Mineralbrunnen GmbH, die den MarkennamenClub-Cola aus der DDR übernommen hatte, in einer Werbekampagne für ein Cola-Getränk mit demSlogan: „Hurra, ich lebe noch!“. Ähnlich agierte der KonzernJT International, der die ostdeutscheZigarettenmarkeClub übernommen hatte und in der Produktwerbung des Jahres 1993 mit dem Werbeslogan „Gutes neu erleben!“ an die neue Mainstream-Meinung in der Ex-DDR – „Es war nicht alles schlecht!“ – anknüpfte. Die Werbestrategen der Ost-ZigaretteJuwel konterten dieTest-The-West-Kampagne der MarkeWest, indem sie Juwel-Raucher mit dem Spruch „Ich rauche Juwel, weil ich den Westen schon getestet habe. Juwel eine für uns“ bei der Stange hielten. Bei Wiedereinführung der KaffeemarkeRondo auf dem Markt behielt dieRöstfein Kaffee GmbH inMagdeburg (Sachsen-Anhalt) die ursprüngliche Blau-Silber-Verpackung des DDR-Rondo und die Positionierung im mittleren Preissegment bei. Mit diesem Marketingkonzept wurdeRondo 1998 die drittstärkste Einzelmarke im ostdeutschen Kaffeemarkt, mit einem Umsatz von 6500 Tonnen.[19] Die DDR-ZigarettenmarkeKaro – nach der Wiedervereinigung vom KonzernPhilip Morris übernommen – wirbt mit dem Slogan „Anschlag auf den Einheitsgeschmack“. AuchNudossi, das Ost-Nutella ausRadebeul, dieHalloren-Sahnecreme-Kugeln ausHalle (Saale) oder dasFit-Spülmittel aus derOberlausitz sind alte DDR-Marken, die ein Comeback in die Supermarktregale geschafft haben.
Dabei übersehen die Ostalgiker-Konsumenten jedoch häufig, dass viele vormalige Ost-Produkte heute nur noch dem Namen und dem Logo nach aus dem Osten stammen, da deren Marken oder Hersteller von Westfirmen übernommen wurden. So wird derKornbrandNordhäuser Korn heute vonEckes, das WaschmittelSpee vonHenkel und die Kosmetik-MarkeFlorena vonBeiersdorf vermarktet.[21] Auch DDR-Wortkreationen wieBroiler als Bezeichnung für das ostdeutsche Grillhähnchen waren wieder in hohem Maße aktuell.[15]
- Club-Cola-Etikett zu DDR-Zeiten
- Heutiges Club-Cola-Logo
- Club-Zigarettenpackung
- Juwel-Zigarettenpackung („Alte Juwel“), 1988
- geöffnete Schachtel filterlose Karo
- Packung Rondo Kaffee
- Spreewälder Gurken mit Glas
- Historische Produkte von Florena
- Leckermäulchen – Milchvereinigung des Bezirks Leipzig
Ostprodukte-Messe Ostpro
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]Ein weiteres Phänomen des Ostalgie-Booms sind Verkaufsmessen wie dieOstprodukte-Messe Ostpro. Die Ostpro-Messe fand – mit Unterstützung der aus derSED hervorgegangenen ParteiPDS – bereits mehrere Male in Berlin statt. Auf dieser großen Verkaufsmesse für Ostprodukte, auf der mehr als 100 Unternehmen aus Ostdeutschland ausstellen, werden einschlägige DDR-Produkte für Ostalgie-Schwärmer präsentiert.[20] Die Messe wird vornehmlich von Rentnern frequentiert.
Eine Ausnahme im Ostalgie-Boom bildet die vormaligeVEB Rotkäppchen-Sektkellerei, die mit der MarkeRotkäppchen ihreMarktführerschaft auf Gesamtdeutschland ausgeweitet hat und mitOstalgie auf derOstpro nicht in Verbindung gebracht werden möchte.[22]
Satirische Rezeption
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]Der SchriftstellerMax Goldt schlug in einem satirischen Text vor, analog zu Geschäften mit Ostprodukten inBerlin-Kreuzberg Läden einzurichten, in denen es nur ehemals westdeutsche Produkte mitvierstelligen Postleitzahlen gibt.[23]
Kinofilme und TV-Serien
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]Der 1999 erschienene KinofilmSonnenallee vonLeander Haußmann war der erste kommerziell erfolgreiche Film nach der Wende, der rückblickend auf unernste Weise das Leben in der DDR nachzeichnet und dabei auch viel Wert auf Details legt, wodurch er auch nostalgische Empfindungen bediente. Der FilmSonnenallee löste eine Flut weiterer „Mauerkomödien“ aus, die die ehemalige DDR mit einem Augenzwinkern aus einem völlig anderen Blickwinkel betrachteten: 2003 kam der SpielfilmGood Bye, Lenin! in die Kinos, es folgte dieTragikomödieHerr Lehmann (nach demgleichnamigen Romandebüt vonSven Regener), 2004 erschien die Ost-West-KomödieKleinruppin forever, 2005 die FilmkomödieNVA (ebenfalls von Haußmann), und 2006 wurde das LiebesdramaDer Rote Kakadu veröffentlicht.[24] Von RTL wurde die Ostalgie-SerieMeine schönsten Jahre über das Leben eines jugendlichen Ostberliners in den 1980er Jahren ausgestrahlt, die wegen zu niedriger Einschaltquoten jedoch nach acht Folgen eingestellt wurde.
Jüngst wurde die Deutung vonGoodBye, Lenin! als Musterbeispiel einer Ostalgiewelle kritisch hinterfragt und stattdessen die Erzählung als legitime Form des Verarbeitens von gesellschaftlichem Wandel gedeutet.[25]
Ostalgie-Shows
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]In der zweiten Hälfte 2003 starteten im Fernsehen mehrere DDR-Shows, die sich dem durchschnittlichen DDR-Alltag widmeten.
Am 17. August 2003 startete dasZDFDie Ostalgie-Show mit den ModeratorenAndrea Kiewel undMarco Schreyl. Es gab 4,78 Millionen Zuschauer (Marktanteil 21,8 Prozent); jeder Dritte in Ostdeutschland verfolgte die Show.[26] Moderatorin Kiewel ballte die rechte Faust, hob ihren Arm in die Höhe und rief: „Für Frieden und Sozialismus seid bereit!“ Die Zuschauer erwiderten im Chor: „Immer bereit.“
Am 22. August 2003 begann derMitteldeutsche Rundfunk (MDR) mit der wöchentlichen Ausstrahlung von sechs Folgen seines freitäglichen „Ein Kessel DDR“, moderiert vonFranziska Schenk undGunther Emmerlich, mit einer Quote von 22,8 Prozent. Am 23. August 2003 folgteSat 1 mit der zweiteiligen Sendung „Meyer & Schulz – Die ultimative Ost-Show“ mitAxel Schulz undUlrich Meyer. Ab dem 3. September 2003 sendeteRTL die vierteilige „DDR-Show – Von Ampelmännchen bis Zentralkomitee“.Katarina Witt, die mitOliver Geissen durch die Sendung führte, trug als Moderatorin eineFDJ-Bluse.
Kritik und Diskurs um politische Symbole der DDR
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]Kritiker werfen ein, dass im Rahmen der Nostalgie die gesellschaftspolitischen und wirtschaftlichen Zustände, die in der DDR herrschten, ausgeblendet,verdrängt oder schöngeredet würden. Der HistorikerHubertus Knabe initiierte eine bundesweite Verbotsdebatte für DDR-Symbole, die für die Diktatur derSED stehen: das Staatswappen, die Abzeichen von SED, FDJ undMfS sowie möglicherweiseHammer und Sichel.[27] Der frühere Bürgerrechtler und BerlinerCDU-BundestagsabgeordneteGünter Nooke forderte in Reaktion auf das von Witt in derDDR-Show getragene Blauhemd derFDJ rechtliche Schritte gegen das Zeigen von DDR-Symbolen.[28] Nooke bezog sich auf ein Urteil desVerfassungsgerichts aus dem Jahr 1954. Die Richter hatten die westdeutsche FDJ zur verfassungswidrigen Organisation erklärt, ein Verbot ausgesprochen und damit auch das Zeigen ihrer Symbole untersagt.[29]
Westalgie
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]Abgeleitet vom Begriff Ostalgie wird der Begriff „Westalgie“ verwendet, um eine Nostalgie gegenüber der Bundesrepublik Deutschland während der deutschen Teilung zu bezeichnen.[30][31][32]
Siehe auch
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]Literatur
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]Ostalgie
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]- Thomas Ahbe:Ostalgie: Zum Umgang mit der DDR-Vergangenheit in den 1990er Jahren. Landeszentrale für politische Bildung Thüringen, Erfurt 2005.ISBN 978-3-931426-96-5. (Digitalisat; PDF; 186 kB)
- Thomas Ahbe:Ostalgie. Zu ostdeutschen Erfahrungen und Reaktionen nach dem Umbruch. Landeszentrale für politische Bildung Thüringen, Erfurt 2016,ISBN 978-3-943588-72-9.
- Eva Banchelli:Ostalgie: eine vorläufige Bilanz, in Fabrizio Cambi (Hrsg.):Gedächtnis und Identität. Die deutsche Literatur nach der Wiedervereinigung, Koenigshausen & Neumann, Würzburg 2008, S. 57–68,ISBN 978-3-8260-3788-7.
- Daphne Berdahl:Ostalgie und ostdeutsche Sehnsüchte nach einer erinnerten Vergangenheit. In:Thomas Hauschild (Hrsg.):Inspecting Germany. Internationale Deutschland-Ethnographie der Gegenwart. Lit, Münster u. a 2002, S. 476–495,ISBN 3-8258-6123-6.*Jens Bisky:Zonensucht. Kritik der neuen Ostalgie. In:Merkur. Deutsche Zeitschrift für europäisches Denken. 658 (2004), 58. Jg., S. 117–127.
- Svetlana Boym:The Future of Nostalgia, Basic Books, 2001.
- David Clarke, William Niven (Hrsg.):Special Theme Issue: Beyond Ostalgie. East and West German identity in contemporary German culture. In:Seminar. A Journal of Germanic Studies. 3 (2004), 40. Jg., S. 187–312.
- Paul Cooke:Representing East Germany since Unification. From Colonization to Nostalgia. Oxford 2005.
- Andreas W. Daum, Good Bye, Lenin! (2003).Coping with Change ‒ and the Future in the Counterfactual. In:Deutsche Filmgeschichten. Historische Porträts, hg. v. Nicolai Hannig, Annette Schlimm und Kim Wünschmann. Wallstein, Göttingen, 2023, 221–227.
- Jonathan Grix, Paul Cooke (Hrsg.):East German distinctiveness in a unified Germany (= The new Germany in context). Birmingham 2002.* Thomas Leurer, Thomas Goll (Hrsg.):Ostalgie als Erinnerungskultur? Symposium zu Lied und Politik in der DDR (= Würzburger Universitätsschriften zu Geschichte und Politik, Band 6). Baden-Baden 2004.
- Katja Neller:„Auferstanden aus Ruinen?“ Das Phänomen DDR-Nostalgie. In: Oscar Gabriel,Jürgen Falter,Hans Rattinger (Hrsg.):Wächst zusammen, was zusammengehört? Stabilität und Wandel politischer Einstellungen im wiedervereinigten Deutschland. Baden-Baden Nomos 2005. S. 339–381.ISBN 978-3-8329-1663-3.
- Katja Neller:DDR-Nostalgie: Dimensionen der Orientierungen der Ostdeutschen gegenüber der ehemaligen DDR, ihre Ursachen und politischen Konnotationen. Springer-Verlag, 2006.ISBN 978-3-531-15118-2(Die Arbeit wurde 2005 von der sozial- und wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät derUniversität Stuttgart alsDissertationsschrift angenommen.)
- Simone Schmollack und Katrin Weber-Klüver:Damals in der DDR – Geschichten von Abschied und Aufbruch. Aufbau, Berlin 2010,ISBN 978-3-351-02722-3.
- Vanessa Watkins:Ostalgieshows – Erinnerungskonzepte der Massenmedien. Über die Unmöglichkeit eines objektiven Erinnerns. In: Elize Bisanz:Diskursive Kulturwissenschaft. Analytische Zugänge zu symbolischen Formationen der post-westlichen Identität in Deutschland. LIT, Hamburg 2005,ISBN 3-8258-8762-6, S. 77–87.
Westalgie
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]- Andrew Plowman: „Westalgie? Nostalgia for the ,Old‘ Federal Republic in Recent German Prose“, in:Seminar. A Journal of Germanic Studies 40.3 (2004), S. 249–261.
- Paul Cooke: „Whatever Happened to Veronica Voss? Rehabilitating the „68ers“ and the Problem of Westalgie in Oskar Roehler’sDie Unberührbare (2000)“. In: German Studies Review. Vol. 27, Nr. 1, 2004, S. 33–44.
- Linda Shortt: „Reimagining the West: West Germany, Westalgia, and the Generation of 1978“, in:Debating German Cultural Identity since 1989, ed. by Anne Fuchs, Kathleen James-Chakraborty and Linda Shortt, Rochester / New York 2011, S. 156–169;
Weblinks
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]- Thomas Wagner:Erinnerungskultur und Verdrängung Weshalb „Ostalgiker“ an Boden gewinnen. Sendung desDeutschlandfunks, 26. März 2009
- Thorsten Metzner:Ostalgie wird erforscht. in:Der Tagesspiegel vom 23. September 2011
Einzelnachweise
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]- ↑Märkisches Medienhaus: serie_fruehstueck: Sächsisches Unikum mit Honni-Stimme und großem „Räbertuahr“. 27. Oktober 2016, abgerufen am 11. November 2020.
- ↑abNicole Völtz in: Konstantin Hermann (Hrsg.):Sachsen seit der friedlichen Revolution. Tradition, Wandel, Perspektiven.Sonderausgabe der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung. Sax-Verlag 2010. S. 217.
- ↑Thomas Ahbe:Ostalgie: Zum Umgang mit der DDR-Vergangenheit in den 1990er Jahren. Landeszentrale für politische Bildung Thüringen, Erfurt 2015.
- ↑Rita Bartl, Susan Dankert, Theresa Hiepe und Imke Münnich:Ostalgie in Gesellschaft und Literatur: „Am kürzeren Ende der Sonnenallee“ von Thomas Brussig. ScienceFactory 2013. S. 10f.
- ↑Thomas Ahbe:Ostalgie: Zum Umgang mit der DDR-Vergangenheit in den 1990er Jahren. Landeszentrale für politische Bildung Thüringen, Erfurt 2005. S. 66.
- ↑Katja Neller:DDR-Nostalgie: Dimensionen der Orientierungen der Ostdeutschen gegenüber der ehemaligen DDR, ihre Ursachen und politischen Konnotationen. Springer-Verlag, 2006. S. 43ff, S. 117ff.
- ↑Katja Neller:DDR-Nostalgie: Dimensionen der Orientierungen der Ostdeutschen gegenüber der ehemaligen DDR, ihre Ursachen und politischen Konnotationen. Springer-Verlag, 2006. S. 117f.
- ↑Nicole Völtz in: Konstantin Hermann (Hrsg.):Sachsen seit der friedlichen Revolution. Tradition, Wandel, Perspektiven.Sonderausgabe der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung . Sax-Verlag 2010. S. 225.
- ↑Thomas Ahbe:Ostalgie: Zum Umgang mit der DDR-Vergangenheit in den 1990er Jahren. Landeszentrale für politische Bildung Thüringen, Erfurt 2015. S. 7.
- ↑Katja Neller:DDR-Nostalgie. Dimensionen der Orientierungen der Ostdeutschen gegenüber der ehemaligen DDR, ihre Ursachen und politischen Konnotationen Diss. Wiesbaden 2006, S. 64, 68 u. 70.
- ↑Thomas Wagner: Erinnerungskultur und Verdrängung. In: deutschlandfunk.de. 26. März 2009, abgerufen am 17. Februar 2024.
- ↑Beatrix Bouvier:Die DDR – ein Sozialstaat? Sozialpolitik in der Ära Honecker, Bonn 2002, S. 10.
- ↑Thomas Ahbe:Ostalgie: Zum Umgang mit der DDR-Vergangenheit in den 1990er Jahren. Landeszentrale für politische Bildung Thüringen, Erfurt 2015. S. 43f.
- ↑Ralf Heckel:„Das ist nicht nur Klamauk“ oder Wie Ralf Heckel Werbung für einen Radiosender machen wollte und damit die Ostalgiepartys erfand – S. 257–266 in: Simone Schmollack und Katrin Weber-Klüver:Damals in der DDR – Geschichten von Abschied und Aufbruch. Berlin 2010,ISBN 978-3-351-02722-3
- ↑abWas von der DDR übrigblieb – von A bis Z. FAZ, 22. September 2014, archiviert vom Original am 12. August 2016; abgerufen am 18. Juli 2020.
- ↑Stuart Taberner und Paul Cooke:German culture, politics, and literature into the twenty-first century: beyond normalization. Vol. 102. Camden House, 2006. S. 90f.
- ↑Museumswohnung in Hellersdorf (Memento vom 21. Januar 2016 imInternet Archive); abgerufen am 11. August 2022.
- ↑Tobias Schreiter:Ostalgie-Hostel: Gute Nacht, Herr Honecker! spon.
- ↑abThomas Ahbe:Ostalgie: Zum Umgang mit der DDR-Vergangenheit in den 1990er Jahren. Landeszentrale für politische Bildung Thüringen, Erfurt 2015. S. 45–50.
- ↑abKatja Neller:DDR-Nostalgie: Dimensionen der Orientierungen der Ostdeutschen gegenüber der ehemaligen DDR, ihre Ursachen und politischen Konnotationen. Springer-Verlag, 2006. S. 51.
- ↑Peter Littmann:Nix Neues im Osten. Littmann blickt's. welt.de vom 17. August 2003.
- ↑Besuch auf der Ostpro „Herrlich, was wir für einen Scheiß hatten!“Handelsblatt 17. Oktober 2015.;Domain derOstprodukte-Messe OSTPRO.
- ↑Peter Richter:Blühende Landschaften: eine Heimatkunde. Goldmann, 2004,ISBN 978-3-442-31075-3,S. 50 (google.de [abgerufen am 26. Juni 2021]).
- ↑Rita Bartl, Susan Dankert, Theresa Hiepe und Imke Münnich:Ostalgie in Gesellschaft und Literatur: „Am kürzeren Ende der Sonnenallee“ von Thomas Brussig. ScienceFactory Verlag 2013.ISBN 978-3-95687-028-6, S. 11 und S. 144.
- ↑Andreas W. Daum:Good Bye, Lenin! (2003). Coping with Change ‒ and the Future in the Counterfactual. In: Nicolai Hannig, Annette Schlimm und Kim Wünschmann (Hrsg.):Deutsche Filmgeschichten. Historische Porträts. Wallstein, Göttingen 2023,ISBN 978-3-8353-8448-4,S. 221–227.
- ↑„Ostalgie-Show“ Erinnerungsgegacker
- ↑Stasi-Experte Knabe fordert Verbot von DDR-Symbolen, auf morgenpost.de
- ↑Auch in der Diktatur ist der Alltag menschlich Ob DDR, ob Nazi-Reich: Im Rückblick verklären die Menschen das normale unpolitische Leben/Von Günter Nooke. In:Tagesspiegel. (archive.org).
- ↑Junge Union will DDR-Symbole verbieten, auf fr.de, abgerufen am 1. April 2019
- ↑Hendrik Berth, Elmar Brähler:Deutsch-deutsche Vergleiche: psychologische Untersuchungen 10 Jahre nach dem Mauerfall. Verlag für Wissenschaft und Forschung, 1999,ISBN 978-3-89700-225-8,S. 40 f. (google.de [abgerufen am 26. Juni 2021]).
- ↑Alexandra Ludewig:Screening Nostalgia: 100 Years of German Heimat Film. transcript Verlag, 2014,ISBN 978-3-8394-1462-0,S. 331 f. (google.de [abgerufen am 26. Juni 2021]).
- ↑Philipp Theisohn: Will nur nach Hause gehen. Zur Wiederkehr der BRD im zeitgenössischen Pop und anderswo. In: POP-ZEITSCHRIFT. 11. November 2019, abgerufen am 25. April 2022 (deutsch).