
DieOpéra-comique ist eine Gattung der Oper, die imParis des 17. Jahrhunderts aus der Vorstadtkomödie mit Musikeinlagen (Vaudeville) entstand und bis ins 19. Jahrhundert existierte. Sie ist dadurch gekennzeichnet, dass die musikalischen Nummern nicht durch gesungeneRezitative, sondern durch gesprocheneDialoge verbunden sind.Pendants dazu sind im deutschen Sprachgebiet dasSingspiel bzw. dieSpieloper, im englischen dieBallad Opera.
Die Werke, welche zur Opéra-comique gerechnet werden, bieten in Bezug auf Bezeichnung, Form, Inhalt und Anzahl derAkte ein buntes Bild. Gemeinsam ist ihnen aber, dass darin nicht wie in derTragédie lyrique Götter auftreten. Auch sind ihre Helden in der Regel keine Adligen.
Im Laufe der Zeit erfuhr die Opéra-comique stilistische Wandlungen. Um die Mitte des 19. Jahrhunderts spaltete sie sich in zwei Richtungen auf: in eine, die sich derOperette näherte, und in eine andere, die sich verstärkt der Mittel derGrand opéra bediente, bis eine Unterscheidung von dieser nicht mehr möglich war.
Ob ein Werk komisch oder tragisch ist, spielt für die Gattungsbezeichnung Opéra-comique keine Rolle. Häufig ist die Handlung rührend-sentimental. Die Bezeichnungcomique rührt daher, dass dieTragödie bis zum 18. Jahrhundert demAdel vorbehalten war (sieheStändeklausel) und sich das aufstrebendeBürgertum mitKomödien begnügen musste.
Obwohl von Italien beeinflusst, ersetzte die Opéra-comique das dem Bürgertum nicht geläufige Italienische durch die Landessprache, was auch für das deutscheSingspiel gilt. Da große Teile gesprochen waren, konnten die Rollen auch von singenden Schauspielern übernommen werden, und nicht nur von (italienischen) Gesangsvirtuosen.
Weil dasHoftheater in manchen deutschsprachigenResidenzen bis 1918 erhalten blieb, wenn es auch dem Bürgertum zunehmend geöffnet wurde, blieb die Opéra-comique hier im 19. Jahrhundert als bürgerliche Alternative zur höfischen Oper bestehen.Wanderbühnen, die es nach wie vor gab, und privatwirtschaftliche Theater (wie dasTheater an der Wien oder dasKönigsstädtische Theater) waren die ursprünglichen und hauptsächlichen Spielorte für dieses Genre. Dies illustrierenAlbert Lortzings Singspiele, am radikalsten die „Freiheitsoper“Regina von 1848. In Paris dagegen wandelte sich die bieder-bürgerliche Opéra-comique des 18. Jahrhunderts nach derNapoleonischen Theaterreform in der Folge derFranzösischen Revolution zur großstädtisch-glanzvollen des 19. Jahrhunderts.

DasPariser Jahrmarktstheater kannte seit dem 17. Jahrhundert Komödien mit eingelegten Liedern (Vaudevilles). Sie standen in Konkurrenz zu den Darbietungen italienischer Truppen und fanden beim Bürgertum zunehmende Beachtung.Alain Lesages OpernparodieTélémaque trug um 1715 als eines der ersten Stücke die Gattungsbezeichnung Opéra-comique. In den Vaudevilles wurden bekannten Melodien neue Texte unterlegt, in der Opéra-comique dagegen war auch die Musik neu komponiert. Oft wurden diese Stücke „comédie mêlée d’ariettes“ („mit kleinen Arien vermischte Komödie“) oder „drame mêlé de chants“ („mit Gesängen vermischtes Drama“) genannt, was die Mischung aus gesprochenem Text und Gesang anzeigt.
Die Rivalität zwischen italienischer und französischer Musik wurde stets von Neuem angefacht. Als 1752 eine italienische Operntruppe in Paris Erfolge feierte, präsentierte der Philosoph und KomponistJean-Jacques Rousseau mit seinemIntermèdeLe devin du village (Der Dorfwahrsager) eine Opéra-comique, die den Italienern mit Hilfe des Hofes Konkurrenz machen konnte. Rousseau, der sich über den Erfolg freute, aber durchaus nicht zur konservativen „französischen“ Partei gehören wollte, zettelte im folgenden Jahr mit derLettre sur la musique française (Brief über die französische Musik) die Querelle des bouffons (Buffonistenstreit) an, indem er die französische Opernmusik pauschal verurteilte und die italienischeOpera buffa in den Himmel hob.
Wie ihre italienischen Vorbilder, vor allemPergolesis 1733 entstandeneServa padrona, handelt Rousseaus Kurzoper vom Erfolg einfacher Leute, aber Komik undIntrige sind zugunsten konstruktiver, positiver Handlungselemente (vgl.Rührstück) zurückgenommen. Obwohl sich Rousseau um französischeRezitative bemühte, machte sein Beispiel nicht Schule: Man blieb in der Opéra-comique beim gesprochenen Text der Jahrmarktskomödien. Aber der schlichte, sentimentale Ton wies den „ernsthaften“ Stücken dieses Genres den Weg.

So wurde die Opéra-comique nach der Jahrhundertmitte diebürgerlicheAlternative zur höfischenTragédie lyrique auf der einen Seite und zum vulgärenVaudeville auf der anderen. Komponisten wieFrançois-André Danican Philidor oderPierre-Alexandre Monsigny entwickelten ihre musikalischen Mittel. Der DichterCharles-Simon Favart rühmte sich, mit der Opéra-comique eine Oper für die „honnêtes gens“ („ehrbaren Leute“) geschaffen zu haben. Er arbeitete etwa mit den KomponistenEgidio Duni undAntoine Dauvergne zusammen. Nach ihm wurde der 1783 eingeweihte Neubau derComédie-Italienne – der Heimstätte der Opéra-comique –Salle Favart genannt.
Der KomponistNicolas Dalayrac vertrat eine leichtere, komödienhafte Spielart der Opéra-comique. Seine Gesangspartien konnten oft noch von Schauspielern gemeistert werden.André-Ernest-Modeste Grétry hingegen gilt als Wegbereiter der moderneren, dramatischeren und musikalisch gewichtigeren Opéra-comique.[1] Sein bekanntestes Werk,Zémire et Azor von 1771, ist alsPoint of no return auf dem Weg des einstigenJahrmarktsspektakels Opéra-comique zurRespektabilität bezeichnet worden.[2] In seinemRichard Cœur de Lion (Richard Löwenherz) von 1784 kehrt eine patriotische Melodie mehrmals wieder – eine Vorform desLeitmotivs. Zu den Komponisten, die während derFranzösischen Revolution Opéras-comiques schufen, gehören neben Grétry mit seinemGuillaume Tell (Wilhelm Tell) von 1791Étienne-Nicolas Méhul,Nicolas Isouard undFrançois Devienne.

Im deutschen Sprachgebiet wurde die Opéra-comique bewundert und nachgeahmt, aber ihr Witz oft nicht verstanden. So mutierteMarie DuronceraysLes amours de Bastien et Bastienne (1753), eine bissige Parodie auf RousseausDevin du village, in der vonMozart vertonten deutschen FassungBastien und Bastienne (1768) wieder zum bieder-rührenden Singspiel. Sentimentale Werke verstand man besser. Seit derFranzösischen Revolution war es modern, dass die täglichen Probleme der einfachen Leute ernst genommen und nicht ausgelacht wurden.MéhulsJoseph (1807) etwa wurde häufig gespielt und war das Vorbild für ähnliche Opern wieJoseph WeiglsDie Schweizer Familie (1809).Nicolas DalayracsNina oder Wahnsinn aus Liebe (Nina ou la folie par amour, 1786),Die Wilden (Azémia ou le nouveau Robinson, 1787),Die zwei Savoyarden (Les deux petits savoyards, 1789) oderAdolph und Clara (Adolphe et Clara ou les deux prisonniers, 1799) waren im deutschen Sprachgebiet jahrzehntelang beliebt.
Solche älteren Opéras-comiques bildeten bis weit ins 19. Jahrhundert hinein ein unerschöpfliches Reservoir für Übersetzungen, Bearbeitungen und Neuvertonungen. Diedeutschen Wanderbühnen hatten stets auch Opéras-comiques imRepertoire, die sich mit relativ geringem Aufwand aufführen ließen. Auch die ersteWiener Operette,SuppésPensionat von 1860, geht noch auf eine ältere Opéra-comique zurück. Allerdings versuchte eine nationalistisch orientierte Musikgeschichtsschreibung, die deutschen Spielopern als Originalwerke auszugeben.
Das Musiktheater Kontinentaleuropas wurde weitgehend von Paris als der kulturell führendenMetropole bestimmt. So komponierteGluck alsKapellmeister des Französischen Theaters (Burgtheater) inWien zwischen 1758 und 1763 auf französischeLibretti mehrere Opéras-comiques, bevor sich das erwähnte Haus (vorübergehend) dem deutschenSingspiel zuwandte. Auch wenn letztgenanntes Experiment im 19. Jahrhundert als „nationaler“ Triumph gesehen wurde – außer derEntführung aus dem Serail (1782) entstand in diesem Rahmen nichts Bleibendes. Die Gründung der neuen privatwirtschaftlichen Theater wie desLeopoldstädter Theaters 1781 und desFreihaustheaters 1787 (in dem 1791 MozartsZauberflöte uraufgeführt wurde) verlagerte solche Singspiele von der höfischen Bühne auf die „bürgerlichen“ Bühnen in Wien.

Die Emanzipation der Opéra-comique war abgeschlossen, als sie nach der Revolution an die Stelle der höfischen Tragödie treten konnte. Zur Opéra-comique dieser Art gehörtLuigi Cherubinis tragische OperMédée (Medea) von 1797. In Verbindung mit demTheatermelodram ergaben sich modernere Typen wie dieRettungsoper mit ihren Abenteuerstoffen, die etwaHenri Montan Berton pflegte.
Eine unruhige Ära des Experimentierens war die RegierungszeitNapoleons. InBeethovensFidelio (1805–1814) orientiert sich der erste Akt noch weitgehend an der rührstückhaften älteren Opéra-comique, während sich der Komponist anschließend mit dem spektakulären Befreiungsquartett in den Bereich der Rettungsoper begibt, um das Werk im großenChorfinaleoratorienartig zu beenden.
Die moderneren „Spektakelstücke“ Frankreichs hatten auch erheblichen Einfluss auf die sogenannteromantische Oper, wie zum Beispiel aufCarl Maria von WebersFreischütz (1821), der als Oper mit bürgerlichem Sujet und gesprochenen Dialogen zu den Opéra-comiques jener Zeit gehört.
Mit der Tradition dieser jüngeren und größeren Opéra-comique verbindet man die Namen der KomponistenFrançois-Adrien Boïeldieu undDaniel-François-Esprit Auber sowie des LibrettistenEugène Scribe. BoïeldieusLa dame blanche von 1825 setzte die Adelsgesellschaft wieder in ihr altes Recht ein und stand damit im Dienst derRestauration. AubersLe maçon (Der Maurer) aus demselben Jahr hingegen behandelt Handwerkerschicksale.

In der Saison 1827/28, als der Melodramdichter und -produzentRené Charles Guilbert de Pixérécourt Direktor der Opéra-Comique war, waren sich die Varianten des Pariser Musiktheaters so nahe wie nie zuvor, und es spaltete sich dieGrand opéra als Nachfolgerin der altmodisch gewordenen Tragédie lyrique ab. Die politische Bedeutung der Opéra-comique kam nur noch gelegentlich zum Tragen und ging auf die Grand opéra über wie in AubersLa muette de Portici (1828), deren Aufführung am 25. August 1830 in Brüssel diebelgische Revolution auslöste. Obwohl dieses Stück heute aufgrund der fünf Akte und der Rezitative zur Grand opéra gerechnet wird, behielt es mit der integrierten pantomimischen Rolle und den sozial niedrig stehenden Hauptfiguren Merkmale der Opéra-comique bei.
In der Zeit desVormärz bevorzugte man unterhaltsame Werke, welche nirgends aneckten. Sie entwickelten musikalische Stilmittel weiter, dieGioachino Rossini berühmt gemacht hatten. AubersFra Diavolo (1830) undDonizettisLa fille du régiment (1840) gehören zu den erfolgreichsten Opern dieses Genres und blieben hundert Jahre lang im Repertoire.
InAdolphe AdamsLe postillon de Lonjumeau (Der Postillon von Lonjumeau) von 1836, der auch im deutschen Sprachgebiet reüssierte, zeigt sich die Tendenz der älteren Opéra-comique zum Sentimentalen wieder sehr deutlich: Die vorgeblicheBigamie der Hauptfigur stellt sich als Treue heraus, weil sich die zweite Ehefrau des zum Gesangsstar gewordenenPostillons als seine verlassene erste entpuppt: Er führt also kein Lotterleben, sondern ist im Grunde doch ein pflichtbewusster Bürger.
Zur repräsentativen großbürgerlichen Operngattung allerdings wurde die Grand opéra (die an derPariser Oper beheimatet war) mit ihrem hauptsächlichen VertreterGiacomo Meyerbeer. Meyerbeer versuchte die Opéra-comique mit seinemFeldlager in Schlesien (Berlin 1844) zur repräsentativen aristokratischen Oper zu machen, stieß damit aber in der deutschsprachigen Theaterwelt auf Widerstand. In Paris konnte das Werk erst in der französischen UmarbeitungL’étoile du nord (Der Polarstern) von 1854 Fuß fassen.
Die Opéra-comique hatte zunehmend Mühe, sich zu profilieren, und eiferte der Grand opéra nach.Hector Berlioz stand mit seinem KünstlerdramaBenvenuto Cellini (1838) unentschieden zwischen Opéra-comique und Grand opéra. Die Opéra-comique konnte sich nicht mehr als Alternative zurhöfischen Oper präsentieren und war auch nicht mehr das „heitere“ Genre.
Mit den modernenVaudevilles derBoulevardtheater und später mit denMusic-Hall-Attraktionen entstand eine Art Musiktheater für Dienstboten und Arbeiter, sodass die Opéra-comique ebenso wie die Grand Opéra das gehobene Bürgertum repräsentierte.
Dies bemängelte der KomponistJacques Offenbach und erklärte in einer Abhandlung von 1856, dass er die „einfache und wahre“ Opéra-comique des 18. Jahrhunderts wiederbeleben wolle, weil die im Haus der Opéra-Comique gespielten Stücke mittlerweile „kleine Grand opéras“ geworden seien. Das Ergebnis war Offenbachs PariserOperette imThéâtre des Bouffes-Parisiens. Offenbachs an der Opéra-Comique aufgeführtes WerkBarkouf (1860) mit einem Hund als Hauptfigur fiel durch. Die grotesk-komischen Stücke hatten an diesem Ort keine Zukunft. Heitere Werke gab es in diesem Genre allerdings nach wie vor, zum Beispiel jene vonVictor Massé.

Die größer dimensionierte Opéra-comique konnte sich halten, weil die Grand opéra nach Meyerbeers Tod 1864 erschöpft schien.Mignon vonAmbroise Thomas (1866) nachWilhelm Meisters Lehrjahren zeigte nachFaust undWerther erneut, wie gut sichGoethes Romanfiguren auf der französischen Opernbühne machten. MitBizetsCarmen (1875) wurde die Opéra-comique wieder zur führenden Gattung des französischen Musiktheaters. Die Tradition, dass sie die Oper der „einfachen Leute“ war und auch tragische Schicksale in diesem Milieu darstellen konnte, wurde mitCarmen aufgenommen. Dass sich dieProtagonistin nicht um bürgerliche Werte schert, führte bei der Uraufführung zu einem Skandal.
Weil die Gesangspartien von Schauspielern nicht mehr zu bewältigen waren und Sänger Mühe mit den gesprochenen Dialogen hatten, aber auch weil man die Stückelung der Musik als der Oper nicht mehr angemessen erachtete, wurden viele Opéras-comiques nachträglich mit Rezitativen versehen.Carmen teilte dieses Schicksal mitGounodsFaust von 1859 und OffenbachsContes d’Hoffmann (Hoffmanns Erzählungen) von 1881, die zu den letzten bedeutenden Werken der Gattung gerechnet werden.
Mit dem Drang zurdurchkomponierten Form verschwand die Opéra-comique allmählich, etwa zur selben Zeit, als in Deutschland das Singspiel bzw. die Spieloper demMusikdrama als vermeintlich „hohem“ und derWiener Operette als vermeintlich „niederem“ Genre weichen musste.