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Nitrile

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Allgemeine Formel eines Nitrils: das charakteristische dreifach gebundene Stickstoffatom istblau markiert. Der Rest R ist ein Organyl-Rest (Alkyl-Rest,Aryl-Rest, Alkylaryl-Rest etc.) oder – seltener – einAcyl-Rest.

Nitrile sind eineGruppechemischer Verbindungen mit der allgemeinen Formel R–C≡N. Die charakteristischefunktionelle Gruppe der Nitrile ist das dreifach gebundene Stickstoffatom ≡N beziehungsweise die Nitril- oder Cyanogruppe –C≡N. Die Stoffgruppe leitet sich vomCyanwasserstoff (Blausäure, H–C≡N) ab. Ein Beispiel hierfür ist dasAcetonitril, H3C–C≡N, bei dem R eine Methylgruppe ist.

Nitrile sind polare Verbindungen und können eine Vielzahl von Reaktionen eingehen, weshalb sie eine große Bedeutung in der chemischen Synthese haben, auch im industriellen Bereich. Typische Reaktionen sind die Umsetzung zuCarbonsäuren (Hydrolyse) und dieReduktion zuAminen oderAldehyden. Über das Stickstoffatom können Nitrile an Metallatome koordinieren und soKomplexe bilden. Hergestellt werden Nitrile oft durchDehydratisierung (Wasserabspaltung) ausCarbonsäureamiden undOximen oder durch die Einführung einer Cyanogruppe mitCyanidsalzen wieKaliumcyanid.

Nitrile kommen in vielen Pflanzen und Tieren natürlich vor. Eine besonders wichtige Gruppe sind diecyanogenen Glycoside, die Blausäure freisetzen können und für die Giftigkeit vieler Pflanzen verantwortlich sind, darunterAprikosenkerne undBittermandeln. Bei Tieren kommen Nitrile inklusive cyanogener Glycoside vor allem beiInsekten undTausendfüßern vor und dienen oft derVerteidigung. Nitrile kommen auch beiBakterien,Pilzen und im Weltraum vor.

Nitrile sind wichtige Intermediate und Reagenzien für die Chemie und kommen als Zwischenstufe bei derStrecker-Synthese vonAminosäuren vor. Verbindungen wieMethylmethacrylat undAdiponitril werden großtechnisch aus Cyanwasserstoff hergestellt. Wichtige industrielle Produkte, bei denen es sich um Nitrile handelt, sind Acrylfasern,Sekundenkleber, die oft aufCyanacrylaten basieren, undNitrilkautschuk, der für medizinische Handschuhe verwendet wird. Acetonitril ist ein wichtiges Lösungsmittel. Einige Nitrile werden alsDuftstoffe undSchädlingsbekämpfungsmittel eingesetzt. Durch ihre charakteristischen physikalischen und geometrischen Eigenschaften spielt die Nitrilgruppe außerdem eine wichtige Rolle beim zielgerichtetenDesign pharmazeutischer Wirkstoffe.

Inwieweit Cyanwasserstoff selbst den Nitrilen zuzurechnen ist, ist umstritten. Zumindest formal lässt es sich als Nitril derAmeisensäure auffassen, andererseits ist es ein Grenzfall, was die Einordnung von Verbindungen in die organische oder anorganische Chemie anbelangt und wird oft als anorganisch betrachtet, während die Stoffgruppe der Nitrile klar der organischen Chemie angehört.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

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Joseph Louis Gay-Lussac stellte 1815 als erstes Dicyan her

Die ersten Synthesen von Nitrilen stammen aus dem 19. Jahrhundert. Bereits im Jahr 1815 stellteJoseph Louis Gay-LussacDicyan unter Verwendung vonSilbercyanid her.[1] 1832 synthetisiertenFriedrich Wöhler undJustus von Liebig gezieltBenzoylcyanid ausBenzoylchlorid. Weiterhin erhielten sie durchDehydratisierung vonBenzamid mitBariumoxid einen „ölartigen Körper mit süßlich aromatischem Geruch“,[2] der erst später den NamenBenzonitril erhielt. Zwei Jahre später stellteThéophile-Jules Pelouze zum ersten MalPropionitril her und bediente sich dabei einer klassischenSubstitutionsreaktion. Die Prägung des BegriffsNitrile für die Verbindungsgruppe wirdHermann Fehling zugeschrieben, um das Jahr 1844.[3] 1903 untersuchteArthur Lapworth die Bildung vonCyanhydrinen durch Addition von Blausäure anAldehyde undKetone und entdeckte, dass das eigentliche Nucleophil das Cyanid-Ion ist, sodass Zusatz einer Base dieReaktionsgeschwindigkeit erhöht. Dabei handelte es sich um eine der ersten Untersuchungen eines organischenReaktionsmechanismus.[4][5]

Lange Zeit waren Nitrile von primär akademischem Interesse. Zwischen dem Ersten undZweiten Weltkrieg nahm der Umfang der Forschung aber deutlich zu.[3] Bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts wurden mehrere großtechnische industrielle Prozesse entwickelt, bei denen Nitrile hergestellt oder verwendet werden. Ein wichtiges Beispiel ist die Entwicklung vonNylon (Polyamid 6.6) in den 1930er-Jahren, daAdiponitril ein Schlüssel-Intermediat bei dessen Herstellung ist, das selbst wiederum durchHydrocyanierung vonButadien mit Cyanwasserstoff hergestellt wird.[6][7]Acrylnitril-Polymere sind etwa seit den 1920er-Jahren bekannt, erlangten aber erst gegen Ende der 1940er-Jahre eine größere Bedeutung in der Verwendung als synthetische Fasern.[8]Sekundenkleber auf Basis vonCyanacrylaten gibt es ebenfalls seit Ende der 1940er-Jahre.[9]

Nomenklatur

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Butyronitril,
nach IUPAC: Butannitril (blau markiertes C-Atom zählt zur Hauptkette),
formal auch Propancarbonitril (blau markiertes C-Atom zählt zum Substituenten)

Die funktionelle Gruppe der Nitrile mit der C≡N-Dreifachbindung wird als Nitril- oder Cyanogruppe bezeichnet.[10] Ist das Nitril diefunktionelle Gruppe höchster Rangordnung, so wird die Endung-nitril an den Namen der Ausgangsverbindung angehängt. Das dreifach gebundene Kohlenstoffatom wird, wie immer, für die Benennung des Grundgerüsts mitgezählt.[11] Alternativ kann (analog zu-carbonsäure) die Endung-carbonitril verwendet werden, dann wird das Kohlenstoffatomnicht zum Grundgerüst gezählt.[12] Diese Endung muss verwendet werden, wenn die Nitrilgruppe an einen Ring gebunden ist (wie beimCyclopentancarbonitril) oder wenn nicht alle Gruppen Teil des Grundgerüsts sind, was immer der Fall ist, wenn mehr als zwei Nitrilgruppen vorkommen, da diese nur am, Kettenende stehen können.[13] Entsprechend ihrer Verwandtschaft mit den Carbonsäuren (der Nitrilkohlenstoff hat die gleiche Oxidationsstufe wie der Carboxylkohlenstoff) werdenTrivialnamen oft aus dem Namen der Carbonsäuren mit der Endung-onitril abgeleitet (zum BeispielBenzoesäure zuBenzonitril).[14] Ist die Nitrilfunktionnicht von höchster Rangordnung im Molekül, so wird die VorsilbeCyan- mit entsprechender Positionsbezeichnung verwendet. Auch hier wird das dreifach gebundene Kohlenstoffatomnicht zum Grundgerüst gezählt.[13]

Abgrenzung zu verwandten Verbindungen

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Verbindungsklassen, die über eine C≡N-Dreifachbindung verfügen. Links (von oben nach unten): Cyanwasserstoff, Nitrile, Isocyanide. Mitte: Cyanate, Thiocyanate, Cyanamide. Rechts: Nitriloxide, Nitrilsulfide, Nitrilimide, Nitriliumionen

Nitrile sind isomer zuIsocyaniden (Isonitrilen). Diese tragen ebenfalls eine C≡N-Dreifachbindung, allerdings ist der zugehörige Rest über das Stickstoffatom gebunden, weshalb es sich umZwitterionen handelt.[15]

Verbindungen, bei denen an das Kohlenstoffatom einer C≡N-Gruppe ein Sauerstoffatom anschließt, werden alsCyanate bezeichnet.[16] Handelt es sich statt dem Sauerstoffatom um ein Schwefel- oderSelenatom, spricht man von Thiocyanaten undSelenocyanaten.[17][18] Ist die Cyanogruppe an ein Stickstoffatom gebunden, spricht man von einemCyanamid.[19]

Neben den Nitrilen sind weitere Verbindungsklassen bekannt, die über C≡N-Dreifachbindung verfügen, wobei das Stickstoffatom eine vierte Bindung trägt, sodass es positiv geladen ist. Bei denNitriloxiden ist zusätzlich ein Sauerstoffatom an das Stickstoffatom gebunden.[20] Handelt es sich stattdessen um ein Schwefel- oder um ein weiteres Stickstoffatom, spricht man von einemNitrilsulfid oder einemNitrilimid.[21][22] Ist das Stickstoffatom des Nitrils protoniert oder trägt einen weiteren organischen Rest, handelt es sich um einNitriliumion.[23] Trägt das Stickstoffatom einen organischen Rest mit einem negativ geladenen Kohlenstoffatom, handelt es sich um einNitril-Ylid, eine Form vonYliden.[24]

Vertreter und Eigenschaften

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Beide Atome der Nitrilgruppe sind sp-hybridisiert. Die Struktur der Nitrilgruppe ähnelt der C≡C-Dreifachbindung inEthinylgruppen.[14] Die C≡N-Dreifachbindung ist im Vergleich zu anderen Verbindungen kurz. Im Acetonitril und Propionitril beträgt die Bindungslänge beispielsweise jeweils knapp 116 pm während die daran anschließende C-C-Einfachbindung jeweils etwa 147 pm lang ist.[25] Durch die Elektronegativitätsdifferenz zwischen Kohlenstoff und Stickstoff weisen Nitrile ein erheblichesDipolmoment auf. Aus dem gleichen Grund liegen ihre Siedepunkte etwa 60 °C höher als die von Alkinen analoger Struktur oder vergleichbarer Molmasse.[26] Nitrile sind allgemein guteLösungsmittel sowohl für polare als auch für unpolare Stoffe. Acetonitril und Propionitril sind mit Wasser mischbar, bei den längeren aliphatischen Nitrilen nimmt die Wasserlöslichkeit aber deutlich ab.[27]

Acidität

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Durch die stark elektronenziehenden Eigenschaften der Nitrilgruppe weisen die Verbindungen eine relevanteCH-Acidität auf und können in α-Position (am Kohlenstoffatom neben der Nitrilgruppe) vergleichsweise leicht deprotoniert werden.[28] Neben der Elektronegativität des Stickstoffs spielt auch die Delokalisierung von Elektronen durchMesomerie eine Rolle. So kann für ein α-deprotoniertes Nitril eine Grenzformel formuliert werden, bei der die negative Ladung auf dem Stickstoff liegt.[29]Malonitril mit zwei Nitrilgruppen hat einen pKs-Wert von etwa 11.[30]Cyanoform mit drei Nitrilgruppen gehört mit einem pKs-Wert von −5,1 zu den stärksten organischen Säuren überhaupt[31] und ist saurer als Schwefelsäure (pKs-Wert −3,0) oderSalpetersäure (pKs-Wert −1,5).[32] Weitere Beispiele für Nitrile mit sehr niedrigem pKs-Wert sind die Cyanoderivate vonCyclopentadien, so hatPentacyanocyclopentadien einen geschätzten pKs-Wert von −11.[33]

Spektroskopische Eigenschaften

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In derIR-Spektroskopie tritt durch dieStreckschwingung der C≡N-Dreifachbindung eine deutliche Bande bei einer Wellenzahl von etwa 2250 cm−1 auf. Ist die Nitrilgruppe mit einer Alkendoppelbindung konjugiert, tritt die Bande bei etwa 2225 cm−1 auf. Ist die Nitrilgruppe an einen aromatischen Ring gebunden, liegt die Bande meist zwischen den beiden Werten.[34] Im1H-NMR treten Protonen, die α zur Nitrilgruppe stehen bei etwa 2 ppm (1,98 ppm in Acetonitril) auf, bei einer ähnlichenVerschiebung wie Protonen, die α zu anderen Carbonsäurederivaten stehen (Carbonsäure oder Carbonsäureamid). Das Kohlenstoffatom der Nitrilfunktion tritt im13C-NMR bei etwa 112–126 ppm auf.[14]

Vertreter

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Eine Auswahl einfacher Nitrile ist in der folgenden Tabelle mitSchmelz- undSiedepunkten angegeben. Das einfachste Nitril ist Acetonitril. Die Alkannitrile mit bis zu vierzehn Kohlenstoffatomen, das heißt bis einschließlichTetradecannitril, sind alle bei Raumtemperatur flüssig.[27] Das Gleiche gilt auch für das einfachste α,β-ungesättigte Nitril, Acrylnitril und das einfachste aromatische Nitril, Benzonitril. Die einfachsten Dinitrile sind Dicyan und Malonitril. Acetoncyanhydrin ist ein wichtiger Vertreter derCyanhydrine. Im Vergleich dazu ist Cyanwasserstoff leicht flüchtig, da sein Siedepunkt etwa bei Raumtemperatur (26 °C) liegt.[35]

Eigenschaften von Nitrilen
SummenformelMolmasse
(g/mol)
NameStrukturformelCAS-NummerSchmelzpunkt
(°C)
Siedepunkt
(°C)
Referenz
C2H3N41,05AcetonitrilAcetonitril75-05-8−4582[36]
C3H5N55,08PropionitrilPropionitril107-12-0−10397[37]
C4H7N69,11ButyronitrilButyronitril109-74-0−112117[38]
C4H7N69,11IsobutyronitrilIsobutyronitril78-82-0−72104[39]
C3H3N53,06AcrylnitrilAcrylnitril107-13-1−8277[40]
C7H5N103,12BenzonitrilBenzonitril100-47-0−13191[41]
C2N252,04DicyanDicyan460-19-5−27,83−21,15[42]
C3H2N266,06MalonitrilMalonitril109-77-332–34220[43]
C4H7NO85,11AcetoncyanhydrinAcetoncyanhydrin75-86-5−2082[44]

Toxikologie

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Die Aufnahme vonCyanwasserstoff führt selbst bei kleinen Mengen leicht zurCyanidvergiftung.[45] Für die Toxizität vieler Nitrile spielt die Freisetzung von Cyanwasserstoff eine Rolle, sie ist jedoch nicht allein dafür verantwortlich.[27][46] Aliphatische Nitrile können beim Einatmen über die Lunge aufgenommen werden und sie durchdringen Haut und Schleimhäute.[27] Malonitril setzt im Metabolismus besonders viel Cyanwasserstoff frei, Acetonitril besonders wenig. Malonitril kann außerdem, ebenso wie das Cyanidion, dieCytochrom-c-Oxidase hemmen. Bei ungesättigten Nitrilen wieAllylcyanid undAcrylnitril steht einecholinerge Symptomatik im Vordergrund. Während bei ihnen die Freisetzung von Cyanwasserstoff nur eine untergeordnete Rolle spielt, vermögen sie mitThiolgruppen, wie sie in Proteinen des Körpergewebes vorkommen, zu reagieren und dadurch gesundheitsschädliche Auswirkungen zu zeitigen.[46] Viele Nitrile verursachen neurologische Symptome, die vermutlich auf die Freisetzung von Cyanwasserstoff zurückzuführen sind. Weitere Symptome, die vermutlich nicht mit der HCN-Freisetzung zusammenhängen, sind Reizungen von Atemwegen und Verdauungstrakt, Übelkeit, sowieLeber- undNierenschäden.[27]

Während die Freisetzung von Cyanwasserstoff bei den meisten Nitrilen von untergeordneter Bedeutung ist, basiert die Giftigkeit dercyanogenen Glycoside direkt auf der Bildung von Cyanwasserstoff beziehungsweise Cyanid. Diese sind auch für die mögliche Giftigkeit verschiedener Speisepflanzen verantwortlich, darunterManiok, Aprikosenkerne undLeinsamen.[47] Cyanid als Anion des Cyanwasserstoffs bindet in denMitochondrien an Eisen-Cofactoren der Cytochrom-c-Oxidase, was den Sauerstoff-Umsatz und dieATP-Produktion in den Zellen verhindert, unabhängig von der Verfügbarkeit vonSauerstoff. Dies führt zunächst zu Symptomen wieerhöhtem Blutdruck,Hyperventilation,Herzrasen und Kopfschmerzen und schließlich zuStupor,Krämpfen undAtemstillstand.[45]

Vorkommen

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Schon in den 90er-Jahren waren über 100 natürlich vorkommende Nitrile bekannt,[48] inzwischen sind mehrere hundert bekannt.[49] Die Verbindungen kommen in Bakterien, Pilzen, Pflanzen, sowieGliederfüßern undSchwämmen vor.[48][49] DieBiosynthese natürlich vorkommender Nitrile geht oft von Aminosäuren aus. DerenN-Hydroxylierung undDecarboxylierung (Abspaltung der Carbonsäuregruppe als Kohlenstoffdioxid) ergibtAldoxime, die die direkten Vorläufer der Nitrile sind.[48]

Vorkommen in Pflanzen

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Viele Nitrile kommen als Sekundärmetaboliten in Pflanzen vor.

ImWunderbaum (Ricinus communis) kommt neben dem hochgiftigen ProteinRicin auch dasAlkaloidRicinin vor, das eine Nitrilfunktion trägt.[50] Das strukturell eng verwandteNudiflorin kommt inTrevia nudiflora (FamilieWolfsmilchgewächse) vor.[51] Inbraunem Senf kommtIndolacetonitril vor, das ausIndolacetaldoxim gebildet wird und vermutlich zur Verteidigung gegen pathogene Pilze dient.[52] InJojoba kommt neben anderen NitrilenSimmondsin vor, einGlycosid mit einem α,β-ungesättigten Nitril imAglycon.[53] Eine ähnliche Verbindung, dasMenisdaurin, kommt in derGewöhnlichen Stechpalme (Ilex aquifolium) vor.[54] Auch in mehreren Arten der GattungAcacia kommen α,β-ungesättigte Nitrile vor, darunter dasSutherlandin und dasAcacipetalin.[55][56] ImMeerrettichbaum (Moringa oleifera) kommtNiazirin vor, ein Glycosid von4-Hydroxyphenylacetonitril.[57] DieDuftende Platterbse (Lathyrus odoratus) verursacht die KrankheitLathyrismus, wofürN-Glutamyl-3-aminopropionitril[S 1] und sein Abbauprodukt3-Aminopropionitril verantwortlich sind.[58][59] Das ätherische Öl vonHeracleum transcaucasicum (GattungBärenklau) enthältGeranylnitril.[60]Pyridin-3-carbonitril kommt imEinjährigen Bingelkraut vor.[61]Cyanolipide sind eine Klasse vonLipiden, die ausschließlich inSeifenbaumgewächsen (Sapindaceae) vorkommen. Die Alkoholkomponente ist bei diesen ein ungesättigtes Nitril mit fünf Kohlenstoffatomen und ein oder zwei Hydroxygruppen, im Gegensatz zumGlycerin in denGlyceriden. Zu den Seifenbaumgewächsen, die Cyanolipide enthalten, gehörenWaschnussbaum undGuaraná.[62][63] Cyanwasserstoff wird von vielen Pflanzen freigesetzt, die entsprechende cyanogene Verbindungen enthalten, vor allem cyanogene Glycoside und Cyanolipide.[64] In Pflanzen wirkt Cyanwasserstoff auch als Signalmolekül.[65]

  • Ricinuspflanze
    Ricinuspflanze
  • Ricinin
    Ricinin
  • Guaraná, ein Seifenbaumgewächs, enthält Cyanolipide
    Guaraná, ein Seifenbaumgewächs, enthält Cyanolipide
  • Eine Alkoholkomponente von Cyanolipiden, die zum Beispiel in Guaraná vorkommt
    Eine Alkoholkomponente von Cyanolipiden, die zum Beispiel in Guaraná vorkommt

Nitrile aus Glucosinolaten in Kreuzblütlern

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Eine Gruppe von Naturstoffen, die als Vorläufer von Nitrilen auftreten, sind dieGlucosinolate (Senfölglycoside), die ähnlich wie bei der direkten Biosynthese von Nitrilen über ein Aldoxim gebildet werden.[48] Die Glucosinolate sind eine wichtige Gruppe von Sekundärmetaboliten, die Pflanzen der Familie derKreuzblütler (Brassicaceae) zur Verteidigung gegen Fressfeinde und Mikroorganismen dienen. Glucosinolate werden durchMyrosinase im Normalfall zuIsothiocyanaten abgebaut; in Gegenwart eines zusätzlichen Proteins (epithio specifier protein) jedoch unter anderem zu Nitrilen.[66][67]Sinigrin kommt vor allem inMeerrettich,Wasabi undbraunem Senf vor, aber auch inKopfkohl,Grünkohl,Blumenkohl undRosenkohl, und wird nebenAllylisothiocyanat unter anderem zu Allylcyanid (3-Butennitril) abgebaut.[68][69]Glucotropaeolin, das inGartenkresse vorkommt, wird unter anderem zuPhenylacetonitril abgebaut,Gluconasturtiin, das inBrunnenkresse vorkommt, unter anderem zuPhenylpropionitril.[70]Sinalbin, das inPfeilkresse vorkommt, kann analog zu 4-Hydroxyphenylacetonitril abgebaut werden.[71]

  • Brunnenkresse
    Brunnenkresse
  • Struktur des Gluconasturtiins
    Struktur des Gluconasturtiins
  • Struktur des Phenylpropionitrils
    Struktur des Phenylpropionitrils

Cyanhydrine und cyanogene Glycoside

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Cyanhydrine und derenGlycoside, die alscyanogene Glycoside bezeichnet werden, sind in der Natur weitverbreitet und kommen in mehreren Tausend Pflanzenarten vor.[5][49] Über einhundert natürlich vorkommende cyanogene Glycoside sind bekannt.[49] Cyanogene Glycoside dienen Pflanzen zur Verteidigung, aber möglicherweise auch alsSpeicherform fürStickstoff. Sie werden ausgehend von einer kleinen ZahlAminosäuren und diversenZuckern gebildet.[5] Bei Beschädigung der Pflanze kommen die Glycoside mitEnzymen (β-Glucosidasen undα-Hydroxynitrillyasen) in Kontakt, die zuerst das Aglycon (ein Cyanhydrin) freisetzen und dieses dann zu einer Carbonylverbindung und giftiger Blausäure abbauen.Amygdalin ist ein Glycosid desMandelonitrils und eines der am weitesten verbreiteten cyanogenen Glycoside und kommt insbesondere in den Samen derRosengewächse (Rosaceae) vor, darunterApfel,Aprikose,Pfirsich,Pflaume,Kirsche undMandel.[72] Während Amygdalin nur in Kernen von Pfirsichen vorkommt, enthalten die sonstigen Teile der Pflanze vorwiegendPrunasin.[73] Prunasin ist ebenfalls ein Glycosid des Mandelonitrils, allerdings ist die Zuckereinheit ein Monosaccharid (kein Disaccharid wie bei Amygdalin). Prunasin kommt als biosynthetischer Vorläufer von Amygdalin in Mandeln und Bittermandeln vor.[74] Prunasin kommt außerdem inKirschlorbeer vor.[75] InPassionsfrüchten kommen Prunasin undSambunigrin, sowie einige andere cyanogene Glycoside vor; inPapaya hauptsächlich Prunasin.[76][77] Sambunigrin, ebenfalls ein Glycosid von Mandelonitril, kommt auch in mehreren Arten der GattungHolunder (Sambucus) vor, unter anderem imSchwarzen Holunder und imKanadischen Holunder,[78][79] sowie inXimenia americana.[80]Vicianin, ein weiteres Glycosid des Mandelonitrils, kommt in Farnen der GattungDavellia (FamilieDavelliaceae) vor.[81]Dhurrin ist ein cyanogenes Glycosid des4-Hydroxymandelonitrils, das inSorghumhirse und anderen Arten der GattungSorghum vorkommt, darunter inSorghum halepense.[82][83]Linamarin (mit dem AglyconAcetoncyanhydrin) undLotaustralin (mit dem AgylconButanoncyanhydrin) treten in den GattungenLinum (zum Beispiel inFlachs) undLotus sowie in derGartenbohne gemeinsam auf.[84] Auch in Maniok kommen beide Verbindungen vor.[85] In der MistelartLoranthus micranthus (GattungLoranthus) kommt Linamaringallat vor, ein Derivat bei dem Linamarin zusätzlich mitGallussäure verestert ist.[86] DerKautschukbaum enthält ebenfalls Linamarin und Studien haben ergeben, dass die Verbindung in diesem Fall wahrscheinlich auch eine wichtige Speichersubstanz ist und nicht nur der Verteidigung dient. Die Samen enthalten besonders große Mengen der Verbindung, die bei der Entwicklung der Keimlinge umgewandelt wird, ohne dass Blausäure freigesetzt wird, was darauf hindeutet, dass das Linamarin für andere biosynthetische Prozesse verwendet wird.[87]

  • Pfirsichbaum
    Pfirsichbaum
  • Struktur des Amygdalins
    Struktur des Amygdalins
  • Struktur des Prunasins
    Struktur des Prunasins
  • Mandelonitril, das Aglycon von Amygdalin und Prunasin
    Mandelonitril, das Aglycon von Amygdalin und Prunasin

Vorkommen in Tieren

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In vielenGliederfüßern (Arthropoda) kommen cyanogene (Blausäure freisetzende) Nitrilverbindungen vor, unter anderem inHundertfüßern (Chilopoda),Doppelfüßern (Diplopoda),Schnabelkerfe (Hemiptera),Käfern (Coleoptera) undSchmetterlingen (Lepidoptera).[88] ImStachelbeerspanner (Abraxas grossulariata) kommt ein nitrilhaltiges Glycosid,Sarmentosin, vor, das vermutlich der Verteidigung dient.[89] Sarmentosin kommt außerdem in mehreren Arten der GattungParnassius vor.[90] Mehrere Arten derGlasflügelwanzen (unter anderemJadera haematoloma) enthalten Cyanolipide beziehungsweiseCardiospermin, die sie möglicherweise aus ihren Nahrungspflanzensequestrieren, das heißt aufnehmen und einlagern.[88][91][92]Sechsfleck-Widderchen sind Schmetterlinge, die die cyanogenen Glycoside Linamarin und Lotaustralin sowohl aus ihren Nahrungspflanzen sequestrieren als auch selbst synthetisieren können.[93] Auch andere Arten aus der gleichen Gattung (Zygaena) wie dasSumpfhornklee-Widderchen enthalten cyanogene Glycoside.[94] Das Wehrsekret des HundertfüßersHimantarium gabrielis enthältBenzoylcyanid, Phenylacetonitril, Mandelonitril (Benzaldehydcyanhydrin) undMandelonitrilbenzoat.[95] Phenylacetonitril kommt auch alsHormon bei derWüstenheuschrecke (Schistocerca gregaria) vor.[96] Bei verschiedenenBandfüßern (Polydesmida) enthält das Wehrsekret ebenfalls Benzoylcyanid.[97] In derMilbenartOribatula tibialis (OrdnungHornmilben, Oribatida) kommtMandelonitrilhexanoat vor.[98] Als Abbauprodukt der cyanogenen Verbindungen kommt in Gliederfüßern auch Cyanwasserstoff vor.[65]

  • Stachelbeerspanner
    Stachelbeerspanner
  • Wüstenheuschrecke
    Wüstenheuschrecke
  • Himantarium gabrielis
    Himantarium gabrielis
  • Benzoylcyanid kommt in den Wehrsekreten verschiedener Arthropoda vor
    Benzoylcyanid kommt in den Wehrsekreten verschiedener Arthropoda vor

Neben den Arthropoda enthalten auch Meerestiere Nitrilverbindungen. Dazu gehören dasBursatellin ausSeehasen der GattungBursatella[99] und die aus Schwämmen isoliertenCalyculine.[100] Bei denAlbanitrilen aus Schwämmen der GattungMycale handelt es sich um lineare Verbindungen (Kettenlänge 16 bis 18), die an einem oder beiden Enden eine Nitrilfunktion und zusätzlich mehrere C≡C-Dreifachbindungen aufweisen.[101]

Vorkommen in Pilzen

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Viele Pilze bilden Cyanwasserstoff ausGlycin. Dazu gehören Vertreter der Gattungen Trichterlinge (Clitocybe),Schwindlinge (Marasmius),Stielporlinge (Polyporus) undRitterlinge (Tricholoma).[102] DieEpurpurine sind eine Gruppe gelber Phenolfarbstoffe, die jeweils zwei Nitrilgruppen tragen und inEmericella purpurea vorkommen.[103]Diatretin II kommt imFleischfalben Trichterling (Clitocybe diatreta)[104] und demvioletten Rötelritterling vor.[105] ImNelken-Schwindling kommt das Cyanhydrin derGlyoxalsäure vor, das aus zwei Molekülen Glycin gebildet wird und bei Beschädigung des Pilzes Blausäure freisetzt.[106]

Vorkommen in Bakterien

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Cyanwasserstoff wird von diversen Bodenbakterien gebildet, darunter Cyanobakterien und Vertreter der GattungenAeromonas,Bacillus undPseudomonas. Die Biosynthese erfolgt ausgehend von Glycin.[107] AusPseudomonas veronii wurde eine Gruppen von Alkannitrilen isoliert:Dodecannitril,Tridecannitril, Tetradecannitril,Pentadecannitril undHexadecannitril, außerdem Verbindungen mit ähnlicher Kettenlänge, die aber eine Doppelbindung aufweisen. AusMicromonospora echinospora wurden ebenfalls Verbindungen mit ähnlicher Kettenlänge isoliert, die aber eine Methylverzweigung am Kettenende, eine Doppelbindung, oder beides aufweisen.[108] AusStreptomyces regensis ist ein Cyanhydrin bekannt, das zusätzlich einePhosphonsäuregruppe aufweist.[109] DasAethokthonotoxin aus demCyanobakteriumAetokthonos hydrillicola ist ein bromiertes Indolderivat, das zusätzlich eine Nitrilgruppe trägt. Es ist einNeurotoxin, das oft zum Tod vonWeißkopfseeadlern führt, die es über die Nahrung aufnehmen.[110]

Vorkommen im Weltall

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Nitrile gehören zu den häufigsten organischen Molekülen im Weltall und mehr als zehn Verbindungen wurden eindeutig nachgewiesen.[111] Cyanwasserstoff war eine der ersten mehratomigen Spezies, die im Weltall nachgewiesen wurde und kommt dort vergleichsweise häufig und in größeren Mengen vor.[112] Zu den im Weltall nachgewiesenen Nitrilen gehören außerdemAcetonitril undAminoacetonitril,[111] sowieIsobutyronitril,[113]Cyanoacetylen undCyanopolyine mit zwei bis fünf konjugierten Dreifachbindungen.[114] In der Atmosphäre des SaturnmondesTitan kommen Cyanwasserstoff, Cyanoacetylen undDicyan vor.[115]

Bedeutung für die Entstehung des Lebens

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Nitrile spielten möglicherweise eine wichtige Rolle bei derEntstehung des Lebens auf der Erde.[116][115] In mehreren Experimenten konnte gezeigt werden, dass es viele mögliche Umgebungsbedingungen gibt unter denen Cyanwasserstoff entstehen kann. Ausgangsprodukte können Gasgemische ausMethan,Kohlenstoffdioxid, Stickstoff,Ammoniak und/oderWasserstoff sein. Denkbar sind außerdem verschiedene Formen einer Energiezufuhr wie elektrische Entladungen oderUV-Strahlung. Aus Cyanwasserstoff wiederum bilden sich unter einfachen Bedingungen weitere Moleküle.[117] So werden Cyanwasserstoff und andere Nitrile wie Cyanoacetylen und Dicyan als Vorläufer derNukleinbasen vermutet.[115][117] Aminonitrile wiederum sind wahrscheinliche Vorläufer der Aminosäuren undPeptide, zum Beispiel Aminoacetonitril von Glycin. Hierbei wird ein Prozess analog zur Strecker-Synthese vermutet, sodass sich zunächst aus Cyanid,Acetaldehyd und Ammoniak das α-Aminopropionitril bilden könnte, das anschließend zuAlanin hydrolysiert wird.[116][118][119]

Herstellung

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Für die Herstellung von Nitrilen existiert eine große Anzahl an Methoden. Dazu gehören dieKolbe-Nitril-Synthese, die Dehydratisierung vonCarbonsäureamiden undAldoximen und dieOxidation primärerAmine.

Additions- und Substitutionsreaktionen mit Cyanidgruppen

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Ein mögliches Herstellungsverfahren für Nitrile ist die Kolbe-Nitrilsynthese. Dabei entsteht in einer Substitutionsreaktion aus einem reaktionsfähigenAlkylhalogenid und einem Alkalicyanid (Natriumcyanid oderKaliumcyanid) das Alkannitril und ein Alkalihalogenid. Die Reaktion eignet sich besonders gut zur Umsetzung primärer sowie allylischer und benzylischer Halogenide. Sekundäre Alkylhalogenide liefern schlechtere Ausbeuten, tertiäre reagieren stattdessen nur durchEliminierung. Neben Halogeniden können auch andere Edukte mit guten Abgangsgruppen verwendet werden.Silbercyanid ist im Gegensatz zu Alkalicyaniden zur Herstellung von Nitrilen nicht als Reagenz geeignet, da mit diesem vorzugsweiseIsonitrile gebildet werden.[120] Ein Beispiel für eine Kolbe-Nitrilsynthese ist die Reaktion vonMethyliodid mit Natriumcyanid zuAcetonitril undNatriumiodid:[121]

CH3I+NaCNCH3CN+NaI{\displaystyle \mathrm {CH_{3}I+NaCN\longrightarrow CH_{3}CN+NaI} }

Analog kann1,3-Dibrompropan mit Natriumcyanid zuPentandinitril umgesetzt werden[122] oder1-Iodoctan mit Kaliumcyanid zuNonannitril.[123] Mit Cyanwasserstoff /Triethylaluminium oder mitDiethylaluminiumcyanid können ebenfalls Cyanierungen durchgeführt werden, beispielsweise die Ringöffnung einesEpoxids zu einem β-Cyanhydrin oder die 1,4-Addition von Cyanid an einEnon.[124][125]Trimethylsilylcyanid ist ein weiteres Cyanierungsreagenz mit dem Epoxide zu β-Cyanhydrinen geöffnet werden können. Dabei wird das Sauerstoffatom silyliert.[126] Mit Trimethylsilylcyanid gelingt außerdem die Substitution tertiärer Alkylhalogenide, die mit der Kolbe-Nitril-Synthese nicht möglich ist.[120]

Mit geeigneten Übergangsmetallkatalysatoren kann in einerHydrocyanierung Cyanwasserstoff an die Mehrfachbindungen vonAlkenen und Alkinen addiert werden, wodurch Nitrile erhalten werden. Hierzu werden meistNickelkatalysatoren verwendet. Eine direkte Verwendung von Cyanwasserstoff ist oft nicht nötig, stattdessen eignen sich auch Syntheseäquivalente wieAcetoncyanhydrin oderIsovaleronitril.[127] Ein wichtiger industrieller Prozess ist außerdem die Hydrocyanierung vonButadien zuAdiponitril.[7]

Dehydratisierungsreaktionen

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Herstellung von Nitrilen (Mitte) durch Dehydratisierung. Als Ausgangsverbindungen eignen sich Carbonsäureamide (links) oder Aldoxime (rechts). Die Atome des abgespaltenen Wassermoleküls sind jeweils blau hervorgehoben

Carbonsäureamide undAldoxime können durchDehydratisierung (Abspaltung eines Wassermoleküls) zu Nitrilen umgesetzt werden, wofür eine große Zahl an Reagenzien und Methoden bekannt ist.[128][129][130] Auch für die Herstellung von Nitrilen durch die Dehydratisierung vonNitroalkanen sind Methoden bekannt.[131]

Ein Reagenz für die Dehydratisierung von Carbonsäureamiden, das schon Mitte des 19. Jahrhunderts bekannt war, istPhosphorpentoxid.[128] Amide können außerdem durch Umsetzung mit dreiwertigen Phosphorreagenzien wiePhosphortrichlorid oderTriphenylphosphit dehydratisiert werden;[130] sowie mitDiethylchlorphosphat,[132]Thionylchlorid[133] oderPhosgen.[134] Bei Einsatz bestimmterPalladium-Komplexe oder eines anderen geeigneten Katalysators kann Acetonitril als Dehydratisierungsreagenz wirken, um ein Amid in ein Nitril zu überführen, wobei es selbst zuAcetamid reagiert. Analog kann auchDichloracetonitril verwendet werden.[135][136] Ähnliche Methoden verwendenEisen(II)-chlorid-Tetrahydrat,Zinktriflat oderUranylnitrat-Hexahydrat als Katalysator undN-Methyl-N-trimethylsilyltrifluoracetamid als Dehydratisierungsreagenz.[137][138][139] Auch mittels eines Reaktionssystems ausTriphenylphosphin,Iod undN-Methylmorpholin können Carbonsäureamide dehydriert werden.[140] Eine weitere Methode stellt die Dehydratisierung bei hohen Temperaturen (220–240 °C) inHexamethylphosphorsäuretrisamid (HMPT) dar.[141] Die Dehydratisierung von primären Amiden mitZinkchlorid unter Einwirkung vonMikrowellen ist umkehrbar. In wässrigem Acetonitril kann ein Amid zum Nitril umgesetzt werden. In einem Wasser-THF-System mit Zusatz von Acetamid läuft hingegen die umgekehrte Reaktion von Nitril zu Amid ab.[142]

Sowohl Carbonsäureamide als auch Aldoxime können durch Umsetzung mitAluminiumchlorid undNatriumiodid in Acetonitril dehydratisiert werden.[129] Ebenso können beide Verbindungsklassen mitOxalylchlorid und einer katalytischen MengeDimethylsulfoxid dehydratisiert werden, in einer Reaktion, die ähnlich einerSwern-Oxidation abläuft.[143] Auch die Umsetzung zu Nitrilen unter Katalyse mit siebenwertigemRhenium (Perrheniumsäure oderTrimethylsilylperrhenat) gelingt sowohl mit Amiden als auch mit Aldoximen. Als Nebenprodukt anfallendes Wasser kann durchazeotrope Destillation entfernt werden.[144]

Aldoxime können außerdem mitCyanurchlorid dehydratisiert werden,[145] mit demBurgess-Reagenz,[146] sowie mit einer Kombination vonTrifluormethansulfonsäureanhydrid und Triphenylphosphin, wobei letzteres zuTriphenylphosphinoxid oxidiert wird.[147] Auch eine katalytische Dehydrierung ist möglich, beispielsweise mitEisen(III)-triflat,[148][S 2] mitKupfer(II)-acetat,[149] mit einem gemischten Hydroxid vonZinn undWolfram[150] oder mit einem bimetallischen Palladium-Mangan-Katalysator.[151] Schließlich ist auch die enzymatische Dehydratisierung von Aldoximen mitAldoxim-Dehydratasen möglich. Dabei handelt es sich um Enzyme, die in Bakterien vorkommen, darunterPseudomonas chlororaphis, und die schon verschiedentlich zur Synthese von Nitrilen verwendet wurden.[152]

Herstellung aus Aldehyden und Ketonen

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Das Van-Leusen-Reagenz kann verwendet werden, um Carbonylverbindungen in Nitrile zu überführen

Aldehyde können mitHydroxylaminhydrochlorid in Oxime überführt und dann weiter zu Nitrilen dehydratisiert werden (beispielsweise mit Oxalylchlorid).[153] Auch direkte Umsetzungen von Aldehyden zu Nitrilen sind bekannt, möglich ist dies mittelHydroxylamin-O-sulfonsäure[154] oderO-(4-Trifluormethylbenzoyl)hydroxylamin.[155][S 3] Eine solche Umsetzung ist auch mit Hydroxylamin möglich, wennTitan(IV)-chlorid oder ein gemischtes Hydroxid von Zinn und Wolfram als Katalysator verwendet wird[150][156] oder wennSulfurylfluorid oderSelenoxid als zusätzliches Reagenz verwendet wird.[157][158]Tosylmethylisocyanid (auch Van-Leusen-Reagenz genannt) ermöglicht die direkte Umwandlung eines Ketons in ein Nitril, was alsVan-Leusen-Reaktion bezeichnet wird. Dabei wird die gesamte Nitrilgruppe und damit auch ein zusätzliches Kohlenstoffatom eingeführt.[159][160][161]

Herstellung aus Aminen

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TEMPO eignet sich als Katalysator für die katalytische Oxidation primärer Amine zu Nitrilen

Primäre Amine (R-CH2-NH2) können mittels verschiedener Methoden zu Nitrilen oxidiert werden. Es sind mehrere Verfahren bekannt, die Nitroxylradikale wieTEMPO und dessen Derivat4-Acetamido-TEMPO als katalytisches Oxidationsmittel verwenden. Diese können durchOxone als stöchiometrisches Oxidationsmittel regeneriert werden oder elektrochemisch durch Anlegen einer Spannung.[162][163] Eine andere Methode verwendetKupfer(I)-chlorid oderKupfer(II)-chlorid als Katalysator, Sauerstoff als stöchiometrisches Oxidationsmittel und zusätzlich einMolsieb zum Abfangen des entstehenden Wassers.[164]

Ammoxidation

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DieAmmoxidation ist eine heterogen katalysierte Gasphasenreaktion, in der aliphatische Verbindungen oder methylsubstituierte aromatische Verbindungen durch Umsetzung mit Sauerstoff (Luft) undAmmoniak zu Nitrilen umgesetzt werden, wobei Wasser als Nebenprodukt anfällt. Die Prozesstemperatur beträgt über 300 °C, als Katalysatoren kommen Oxide vonVanadium,Chrom oderMolybdän zum Einsatz.[165]Acrylnitril, ein wichtiger Ausgangsstoff zur Herstellung vonPolymeren (siehe Abschnitt Verwendung), wird überwiegend durch Ammoxidation vonPropylen hergestellt.[8] Das wichtigste Herstellungsverfahren für Cyanwasserstoff ist derAndrussow-Prozess, das heißt die Ammoxidation vonMethan mit einemPlatin-Katalysator. Eine erhebliche Menge des weltweit verwendeten Cyanwasserstoffs fällt allerdings auch bei der Herstellung von Acrylnitril als Nebenprodukt an.[166]

Sonstige Herstellungsverfahren

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Durch dieCarbocyanierung kann ein Nitril an eine Mehrfachbindung addiert werden, wobei ein weiteres Nitril erhalten wird. Arylnitrile können unter Katalyse mitBis(cyclooctadien)nickel(0) undTrimethylphosphin an Alkine addiert werden, wodurch α,β-ungesättigte Nitrile erhalten werden. Mit gewissen Änderungen an den Reaktionsbedingungen wie der Verwendung eines anderenPhosphins oder Zusatz einerLewis-Säure wie Trimethylaluminium oderTriphenylboran, können auch nichtaromatische Nitrile addiert werden, sowohl gesättigte als auch α,β-ungesättigte.[167] Es sind auch Carbocyanierungen bekannt, bei denen zwei Moleküle verbunden werden und zusätzlich eine Nitrilgruppe eingeführt wird. Dies funktioniert durch Einsatz vonHexabutyldistannan sowie vonTosylcyanid als Quelle der Cyanidgruppe.[168]

Carbonsäuren können durch Umsetzung mitIndium(III)-chlorid in Acetonitril bei 200 °C in die entsprechenden Nitrile überführt werden. Dabei wirkt Acetonitril sowohl als Lösungsmittel als auch als Quelle für Stickstoffatome und wird bei der Reaktion zuEssigsäure umgesetzt. Die Reaktion verläuft über mehrereMumm-Umlagerungen.[169] Alkohole können durch eineMitsunobu-Reaktion in Nitrile überführt werden. Dazu kannCyanomethylidentrimethylphosphoran in Gegenwart von Acetoncyanhydrin verwendet werden.[170]N-Alkylamide können imVon-Braun-Abbau durch Umsetzung mitPhosphorpentachlorid in Nitrile umgewandelt werden.[171] Alternative Reagenzien sindPhosphorpentabromid undCarbonylbromid.[172]

Herstellung von aromatischen Nitrilen

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Herstellung von Arylnitrilen ausgehend von Chinonen durch reduktive Aromatisierung silylierter Cyanhydrin-Zwischenstufen

Die Herstellung von Arylnitrilen gelingt unter anderem durch dieSandmeyer-Reaktion vonAryldiazoniumsalzen mitKupfer(I)-cyanid)[173] und durch dieRosenmund-von Braun-Reaktion (direkte Umsetzung eines Arylbromids mit Kupfer(I)-cyanid).[174] Umsetzung vonMetallthiocyanaten mit aromatischen Carbonsäuren wird alsLetts-Nitrilsynthese bezeichnet. Dafür kannKaliumthiocyanat verwendet werden, aberBleithiocyanat ergibt bessere Ergebnisse.[3]

Aryliodide können unter Palladiumkatalyse mit Trimethylsilylcyanid zu aromatischen Nitrilen umgesetzt werden. So ergibt die Reaktion vonIodbenzol mit Trimethylsilylcyanid undTetrakis(triphenylphosphin)palladium(0) (Pd(PPh3)4) als ProduktBenzonitril.[175] Eine weitere Synthesemöglichkeit, die ebenfalls auf Palladiumkatalyse beruht (auch hierfür kann Pd(PPh3)4 eingesetzt werden) ist dieDecarbonylierung aromatischerAcylcyanide.[176] Auch die palladiumkatalysierte Cyanierung von Arylchloriden mitKaliumcyanid[177] oderKaliumhexacyanidoferrat(II)[178] ist bekannt.Chinone können mit Trimethylsilylcyanid zu silylierten Cyanhydrinen umgesetzt werden und anschließend mitPhosphortribromid aromatisiert werden.[179] Eine weitere mögliche Synthese von Arylnitrilen ist die Umsetzung von Arylgrignard-Verbindungen oder Aryllithium-Verbindungen mitDimethylmalonitril.[180]

Herstellung von Cyanhydrinen

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Herstellung von Cyanhydrinen: Das Edukt, ein Aldehyd oder Keton wird mit einem Alkalicyanid umgesetzt. M ist ein Alkalimetall

Cyanhydrine können durch Addition eines Alkalicyanids an einenAldehyd oder einKeton in Gegenwart vonEssigsäure hergestellt werden. Für Substrate, die nach dieser Methode nicht reagieren, eignet sichDiethylaluminiumcyanid als Alternative. Eine andere Methode ist die Transhydrocyanierung, bei der Cyanwasserstoff vonAcetoncyanhydrin auf ein Aldehyd oder Keton übertragen wird.[5] Als Katalysatoren für letztere Reaktion eignen sichAlkoholate vonLanthaniden wieLanthan(III)-isopropanolat,[S 4]Cer(III)-isopropanolat,[S 5]Samarium(III)-isopropanolat[S 6] undYtterbium(III)-isopropanolat.[181][S 7]

Bei der Addition vonTrimethylsilylcyanid an Ketone oder Aldehyde entstehen Cyanhydrine als Trimethylsilylether.[182][183] Als Katalysatoren eignen sichZinkiodid, Kaliumcyanid mit[18]Krone-6 oderYtterbium(III)-cyanid.[5][S 8] Unter geeigneten Bedingungen können solche Reaktionen enantioselektiv erfolgen. Hierzu eignen sich Vanadium- oderTitankatalysatoren, die einen chiralen,Salen-ähnlichen Liganden tragen. Eine andere Möglichkeit ist die Verwendung vonTitan(IV)-isopropanolat und einem chiralenImin.[184][185]

Herstellung von Acylcyaniden

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Acylcyanide beziehungsweise α-Oxonitrile können in einigen Fällen durch Umsetzung vonCarbonsäurehalogeniden mit Übergangsmetallcyaniden (zum BeispielKupfercyanid oderSilbercyanid) hergestellt werden. Dies funktioniert besonders gut mit aromatischen Carbonsäurehalogeniden und mitCarbonsäurebromiden, während aliphatischeCarbonsäurechloride gar nicht reagieren. Aliphatische Acylcyanide lassen sich durch Reaktion von Carbonsäurechloriden mit Trimethylsilylcyanid herstellen.[186]

Enantioselektive Synthese chiraler Nitrile

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Unter Rückgriff aufChiral-Pool-Verbindungen können durchenantioselektive Synthese α-chirale nitrilhaltige Wirkstoffe ineutomerer Form, wieVildagliptin undSaxagliptin, erhalten werden. Dabei können standardmäßige Reaktionen zur Erzeugung der Nitrilfunktion angewandt werden. So kann ein enantiomerenreines Amid oder Oxim hergestellt werden, beispielsweise aus der natürlich enantiomerenrein vorkommenden AminosäureProlin, und dieses dehydratisiert werden. Wie zweckmäßig ein solches Verfahren ist, hängt allerdings vom jeweiligen Zielmolekül ab. Daneben sind auch asymmetrische Cyanierungsreaktionen bekannt.[187] Wichtig ist die asymmetrische Hydrocyanierung von Carbonylverbindungen, siehe hierzu den Abschnitt Herstellung von Cyanhydrinen. Daneben sind auch viele asymmetrische Hydrocyanierungen von Iminen bekannt, die zu enantiomerenreinen α-Aminonitrilen führen.[185]

Reaktionen

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Die Nitrilfunktion hat eine große Bedeutung in der organischen Synthese, da sie einerseits über ein nucleophiles Stickstoffatom und ein elektrophiles Kohlenstoffatom verfügt, andererseits aber auch Komplexe bilden kann.[188]

Hydrolyse

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DurchHydrolyse von Nitrilen kann manCarbonsäuren[189] herstellen. Die Hydrolyse kann sowohl sauer als auch basisch erfolgen, in beiden Fällen sind aber in der Regel drastische Bedingungen erforderlich. Bei der basischen Hydrolyse addiert sich einHydroxidion an das Nitril und bildet eine Imidoverbindung. Bei der sauren Hydrolyse wird das Nitril zunächst protoniert und dann unter Addition von Wasser ebenfalls eine Imidoverbindung gebildet. Die Imidoverbindung lagert sich in beiden Fällen zu einem Carbonsäureamid um, das unter den jeweiligen Bedingungen zu einer Carbonsäure weiterreagieren kann.[14]

RCN+2 H2O   OHΔ   RCOOH+NH3{\displaystyle \mathrm {{R\!\!-\!\!C\!\!\equiv \!\!N}+2~H_{2}O~~~{\overset {\Delta }{\xrightarrow[{OH^{-}}]{}}}~~~R\!\!-\!\!COOH+NH_{3}} }
RCN+2 H2O   Δ   RCOOH+NH4+{\displaystyle \mathrm {R\!\!-\!\!C\!\!\equiv \!\!N+2~H_{2}O~~~{\overset {\Delta }{\xrightarrow {} }}~~~R\!\!-\!\!COOH+NH_{4}^{+}} }

Es sind auch Enzyme bekannt, die alsNitrilasen bezeichnet werden und die direkte Hydrolyse von Nitrilen zu Carbonsäuren ohne Amide als Zwischenstufe katalysieren.[190] Nitrile treten auch als Zwischenstufe bei derStrecker-Synthese auf. Hierbei wird ein Aldehyd mit Ammoniak und Cyanid umgesetzt, wobei zunächst ein α-Aminonitril entsteht. Dessen Hydrolyse ergibt eineα-Aminosäure. Wegen der Bedeutung der Aminosäuren sowohl in der Natur als auch in der Industrie, hat die Strecker-Synthese eine enorme historische Bedeutung, ist aber auch heute noch wichtig.[191]

Nitrile können auch gezielt zu Amiden statt zu Carbonsäuren hydrolysiert werden, sowohl im Sauren als auch im Basischen. Dazu gehört die Hydrolyse mittelsTrifluoressigsäure mitSchwefelsäure beziehungsweiseEssigsäure mit Schwefelsäure,[192] die Hydrolyse mit Wasser undTrimethylsilylchlorid,[193] oder mitBortrifluorid und wässriger Essigsäure.[194] Basisch (hydroxid-katalysiert) ist die wässrige Hydrolyse mit Rutheniumhydroxid auf Alumina als Katalysator möglich,[195] und die Umsetzung mitNatriumhydroxid inIsopropanol.[196] Die Enzyme, die die Hydrolyse von Nitrilen zu Amiden katalysieren, werden alsNitrilhydratasen bezeichnet.[197]

Reduktion

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Nitrile können mit verschiedenen Reagenzien reduziert werden. Durchkatalytische Hydrierung oder Umsetzung mit starken Hydridüberträgern wird so ein primäresAmin erhalten:

RCN+2 H2    RCH2NH2{\displaystyle \mathrm {{R\!\!-\!\!C\!\!\equiv \!\!N}+2~H_{2}~~\longrightarrow ~~R\!\!-\!\!CH_{2}\!\!-\!\!NH_{2}} }

Ein konkretes Beispiel ist hierLithiumaluminiumhydrid.[14] Weitere Reaktionssysteme, durch die Nitrile zu Aminen reduziert werden können, sindRaney-Nickel mitKaliumborhydrid,[198] Raney-Nickel mitHydraziniumformiat,[199]Raney-Cobalt,[200]Dimethoxyboran mitDinickelborid[201] undRhodium aufAluminiumoxid.[202] Die Hydrierung von Adiponitril zuHexamethylendiamin ist ein wichtiger industrieller Prozess.[203]

Mit bestimmten Reagenzien wieDiisobutylaluminiumhydrid läuft die Reaktion nur bis zumImin, durch dessen Hydrolyse einAldehyd erhalten werden kann:[14]

RCN  DIBAL  RCH=NH  [H]  RCH=O{\displaystyle \mathrm {{R\!\!-\!\!C\!\!\equiv \!\!N}~~{\overset {\text{DIBAL}}{\xrightarrow {} }}~~R\!\!-\!\!CH\!\!=\!\!NH~~{\overset {\text{[H]}}{\xrightarrow {} }}~~R\!\!-\!\!CH\!\!=\!\!O} }

Auch mittels derStephen-Reduktion können aus Nitrilen Aldehyde erhalten werden. Dazu wird das Nitril mitZinn(II)-chlorid undChlorwasserstoff inEther umgesetzt.[204]

Additionen von Kohlenstoff-Nucleophilen

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Durch Addition von metallorganischen Verbindungen an Nitrile, darunter mitGrignard-Reagenzien, entstehen Iminoverbindungen, deren Hydrolyse Ketone ergibt.[14] Die Addition sterisch gehinderter Verbindungen an Nitrile kann durch Zusatz vonKupfer(I)-bromid deutlich beschleunigt werden. Ein Beispiel ist die Umsetzung von Benzonitril mittert-Butylmagnesiumchlorid, die ohne einen solchen Zusatz praktisch keinen Umsatz ergibt, mit dem Zusatz jedoch über 90 % innerhalb weniger Stunden.[205] Bei derBlaise-Reaktion wird aus einem α-Bromester wieEthylbromacetat ein Zinkenolat gebildet und dieses dann an ein Nitril addiert. Durch Hydrolyse wird einβ-Ketoester erhalten.[206]

Addition vonO- undN-Nucleophilen

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In derPinner-Reaktion werden unter saurer Katalyse Alkohole an Nitrile addiert, wodurch nach NeutralisationImidate erhalten werden.[207][208] Bei einer neueren Variante der Reaktion wird als LösungsmittelCyclopentylmethylether verwendet.[209] Eine wichtige Reaktion, bei der ein Sauerstoff-Nucleophil an ein Nitril addiert wird, ist dasTrichloracetimidat-Verfahren. Hierbei wird einSaccharid (Zuckermolekül) durch Addition anTrichloracetonitril in ein Trichloracetimidat überführt und so aktiviert, was die Synthese von Oligosacchariden ermöglicht.[210][211] Eine weitere wichtige Anwendung von Imidaten ist dieOverman-Umlagerung, eine Variante derClaisen-Umlagerung. Dabei wird einAllylalkohol an Trichloracetonitril oderTrifluoracetonitril addiert. Das gebildete Imidat wird zu einemN-Allylamid umgelagert.[212] Bei derPayne-Oxidation wird durch Addition eines Hydroperoxid-Ions (ausWasserstoffperoxid) an ein Nitril, meist Acetonitril oder Benzonitril, eineImidopersäure gebildet. Diese eignen sich für dieEpoxidierung von Alkenen, analog zu anderenPersäuren, wiemeta-Chlorperbenzoesäure.[213][214] Die Addition von Aminen an Nitrile ergibtAmidine. Eine solche Reaktion gelingt unter Katalyse mitSamarium(II)-iodid[215] oder mitYttrium(III)-triflat,Lanthan(III)-triflat, sowieTriflaten anderer Lanthanide.[216]

Deprotonierung und α-Funktionalisierung

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Die elektronenziehenden Eigenschaften der Nitrilgruppe ermöglichen die Herstellung von Carbanionen-Nucleophilen durch α-Deprotonierung.[28] Diese können für Alkylierungs- und Acylierungsreaktionen verwendet werden, allerdings kann die Deprotonierung auch zurRacemisierung chiraler Verbindungen führen.[217] Die Selbstkondensation von Nitrilen in Gegenwart einer Base (zum BeispielLithiumbis(trimethylsilyl)amid) wird alsThorpe-Reaktion bezeichnet. Sie führt zu Cyanoenaminen (üblicherweise stereoselektiv zum (E)-Isomer) und eignet sich unter anderem auch zur Herstellung von cyclischen Molekülen.[218]

Reaktionen mit Aromaten

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Die Nitrilgruppe von Arylnitrilen kann einen dirigierenden Effekt ausüben und die selektive Metallierung eines Aromaten inortho-Position zum Nitril ermöglichen. Solche Arylmetallspezies können dann in Kupplungsreaktionen eingesetzt werden.[188]

Bei derHouben-Hoesch-Reaktion wird ein Aromat unter Säurekatalyse mit einem Nitril acyliert, ähnlich einerFriedel-Crafts-Acylierung. Nach hydrolytischer Aufarbeitung wird dabei ein Keton erhalten. Die Reaktion funktioniert insbesondere mit elektronenreichen Aromaten wiePhenol. Sie eignet sich auch für Cyclisierungen, wenn es sich um eine intramolekulare Reaktion handelt.[219]

Cyclisierungen

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Nitrile können zuTriazinen trimerisiert werden. Bei Propionitril,Valeronitril oder Benzonitril, gelingt die Trimerisierung durch hohen Druck, bei 100–125 °C und etwa 7 bis 8,5 kbar in Methanol.[220] Derartige Trimerisierungen gelingen außerdem mittels Katalyse durch Samarium(II)-iodid,[221] Yttrium(III)-triflat oder einer Lewissäure (Zinkchlorid, Aluminiumchlorid oder Titanchlorid) aufSilica.[222] Durch Umsetzung von Cyanwasserstoff mitChlor und anschließende Trimerisierung wird Cyanurchlorid hergestellt.[223] Mit Trifluormethansulfonsäureanhydrid können Triazine aus zwei verschiedenen Nitrileinheiten gebildet werden, von denen eine zweimal und eine einmal in den Ring eingebaut wird.[224] Die Polymerisation vonTerephthalonitril (1,4-Dicyanobenzol) in flüssigem Zinkchlorid bei 400 °C ergibt ein zweidimensionales Netz aus Phenylen- und Triazinringen.[225]

[4+2]-Cycloaddition von Nitrilen mitDienen sind kaum bekannt und von untergeordneter Bedeutung. Die [2+2+2]-Cycloaddition eines Nitrils mit zwei Alkinen wird durch Nickelverbindungen katalysiert und ermöglicht die Herstellung stark substituierterPyridine.[188] Auch Reaktionen mit Cobalt undZirconium als Katalysatoren sind bekannt.[226][227] Die [3+2]-Cycloaddition von Nitrilen mitAziden beziehungsweiseStickstoffwasserstoffsäure ergibtTetrazole.[188][228] DieGewald-Reaktion ist eine Methode für die Herstellung von 2-Aminothiophenen. Hierzu wird ein Nitril mit einer zusätzlichen elektronenziehenden Gruppe (wie im Malonitril oderMethylcyanoacetat) mit elementaremSchwefel und einem Aldehyd oder Keton umgesetzt. Diese Reaktion wird für die Herstellung des WirkstoffsOlanzapin verwendet.[229]

Weitere Reaktionen

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Die reduktive Decyanierung ermöglicht die Entfernung einer Nitrilgruppe, wenn diese lediglich wegen ihrer dirigierenden oder elektronenziehenden Eigenschaften verwendet wurde. Die klassische Methode zur reduktiven Decyanierung ist die Verwendung von elementarenAlkalimetallen mit einem Protonendonator. Mögliche Kombinationen sindNatrium in Ammoniak oderLithium inEthylamin.[28] Ein weiteres Beispiel ist die Verwendung vonKalium auf Aluminiumoxid inHexan.[230] Aromatische Nitrile können auch mit Übergangsmetallkatalysatoren auf der Basis von Nickel oderCobalt defunktionialisiert werden.[28]

Bei derRitter-Reaktion wird ein Alken oder ein tertiärer Alkohol mit einem Nitril und Schwefelsäure umgesetzt, wodurch einN-Alkylamid gebildet wird, wobei das Alken oder der Alkohol den Substituenten am Stickstoff ergibt.[231]

Die Protonierung oder Alkylierung von Nitrilen ergibt Nitrilium-Ionen. Die Protonierung von Nitrilen ist ein Teilschritt der sauren Hydrolyse von Nitrilen.[14] DieN-Alkylierung von Nitrilen ergibt Alkylnitrilium-Verbindungen. Dies ist möglich durch Umsetzung mitChlorameisensäureestern in Gegenwart vonAntimon(V)-chlorid.[232]N-Ethylnitriliumverbindungen entstehen durch Umsetzung von Nitrilen mitTriethyloxoniumtetrafluoroborat.[233]

Nitrile als Komplexliganden

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Tetrakis(acetonitril)kupfer(I)-tetrafluoroborat, eine Komplexverbindung, die Acetonitril-Moleküle als Liganden trägt

Nitrile bilden diverseKomplexe mit Übergangsmetallen. Sie sind dabei im Allgemeinen über das nichtbindende Elektronenpaar des Stickstoffatoms koordiniert, es sind aber auch einige Komplexe bekannt, bei denen die Koordination über die Dreifachbindung erfolgt. Viele als Feststoff isolierbare Komplexe sind vonKupfer bekannt.[234] Andere Metalle, die Nitrilkomplexe bilden, sind unter anderemChrom,Mangan,Zink,Niob,Rhenium undEisen. Typische Nitrilliganden sindAcetonitril oderBenzonitril.[234][235] Hergestellt werden können Nitrilkomplexe unter anderem durch Dehydratisierung eines Hydratsalzes mit dem gewünschten Gegenion des Komplexes. Dies funktioniert mitTetrafluoroboraten von Mangan, Eisen,Cobalt,Nickel und Kupfer. Eine andere Möglichkeit ist die Oxidation elementarer Metalle mit einemNitrosoniumsalz mit dem gewünschten Gegenion. Ein Beispiel hierfür ist die Umsetzung von Kupfer mitNitrosoniumperchlorat[S 9] in Acetonitril zu Tetrakis(acetonitril)kupfer(II)-perchlorat, wobeiStickstoffmonoxid als Nebenprodukt entsteht.[235]

Nitrilliganden binden in der Regel nur schwach an das Zentralatom des Komplexes und können leichtausgetauscht werden, um andere Komplexe herzustellen.[235] Ein Beispiel ist die Umsetzung vonTetrakis(acetonitril)kupfer(I)-tetrafluoroborat zuTetrakis(methoxyisobutylisonitril)kupfer(I)-tetrafluoroborat, das im medizinischen Bereich verwendet wird.[236] Viele Nitril-Komplexe haben katalytische Eigenschaften in der Polymerisation von Cyclopentadien und anderen Reaktionen.Tetrakis(acetonitril)kupfer(I)-perchlorat katalysiert Michaeladditionen an Enone wie die Alkylierung vonCyclohexenon mitDiethylzink.[235]

Verwendung

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Cyanwasserstoff wird in der chemischen Industrie in großer Menge als Intermediat zur Herstellung anderer Verbindungen eingesetzt.Acrylnitril ist ein wichtiger Ausgangsstoff zur Herstellung von Nitril-Polymeren.Acetonitril ist ein wichtiges Lösungsmittel. Weitere Nitrile werden als Duftstoffe, Pestizide und chemische Reagenzien eingesetzt. Außerdem spielt die Nitrilgruppe eine wichtige Rolle in der Entwicklung von pharmazeutischen Wirkstoffen.

Verwendung von Cyanwasserstoff

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Folgeprodukte von Cyanwasserstoff (HCN): Acetoncyanhydrin, Methylmethacrylat und dessen Polymer PMMA (obere Reihe); Cyanurchlorid (Mitte oben); Methionin (Mitte unten); Adiponitril, Hexamethylendiamin und Polyamid 6.6 (untere Reihe)

Cyanwasserstoff ist eine Massenchemikalie, die weltweite Produktion betrug 2001 etwa 2,6 Millionen Tonnen. Wichtige Folgeprodukte, die daraus hergestellt werden, sind insbesondereAdiponitril,Acetoncyanhydrin,Natriumcyanid undCyanurchlorid.[166][223] Auch Chelatbildner werden ausgehend von Cyanwasserstoff produziert,[223] beispielsweiseEDTA ausFormaldehyd,Ethylendiamin, Cyanwasserstoff undNatriumhydroxid.[237] Ein wichtiger industrieller Produktionsprozess für Aminosäuren ist dieStrecker-Synthese, bei der Cyanwasserstoff als Edukt verwendet wird.[238] Eine mengenmäßig wichtige Aminosäure istMethionin, das ausAcrolein, Cyanwasserstoff undSchwefelwasserstoff hergestellt und insbesondere in Tierfutter verwendet wird.[223][239]

Kunststoffherstellung

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Einige weitverbreitete Polymere enthaltenAcrylnitril als Monomer und weisen daher Nitrilgruppen auf. ReinesPolyacrylnitril (PAN) lässt sich schlecht verarbeiten, weshalb bei der Herstellung von Polyacrylnitril neben 85 bis 99 % Acrylnitril fast immer kleine Mengen anderer Monomere zugesetzt werden.[8] Verwendet werden daneben auchCopolymere, die zwischen 35 und 85 % Acrylnitril als Monomer enthalten, neben anderen Monomeren wieVinylacetat undMethylmethacrylat.[8][240] Die Nitril-Polymere sind nebenPolyestern undPolyamiden eines der wichtigsten vollsynthetischen Materialien für Textilfasern.[8][241] Diese Fasern werden alsAcrylfasern bezeichnet und in einer Größenordnung von mehreren Millionen Tonnen pro Jahr hergestellt. Im Jahr 2000 betrug die weltweite Produktion etwa 2,7 Millionen Tonnen.[8][242] Verwendet werden Acrylfasern unter anderem in Bekleidung (Socken und Pullover) sowie für Decken, Teppiche und Strickgarn.[8][243] PAN ist außerdem der wichtigste Ausgangsstoff zur Herstellung vonCarbonfasern, die als extrem leichtes aber gleichzeitig stabiles Material beim Bau von Autos und Flugzeugen verwendet werden.[8][240][244][245] Die weltweite Produktionsmenge des Monomers Acrylnitril betrug 1988 etwa 3,2 Millionen Tonnen.[166]

Acrylnitril-Butadien-Copolymere werden als Nitrilkautschuk bezeichnet und haben verschiedene vorteilhafte Eigenschaften wie hoheZugfestigkeit undAbriebfestigkeit, sowie Beständigkeit gegen Kohlenwasserstoffe (Öl und Treibstoffe). Sie werden daher für Dichtungsringe und Öl- und Treibstoffschläuche verwendet.[8] Eine weitere wichtige Anwendung von Nitrilkautschuk sindSchutzhandschuhe, die oft statt Handschuhen ausLatex im Gesundheitswesen verwendet werden, da letztere regelmäßigAllergien verursachen.[246] Solche Handschuhe werden außerdem oft bei der Arbeit mit gefährlichen Chemikalien wie organischen Lösungsmitteln verwendet.[247]

Ein weiteres wichtiges Polymer ist dasTerpolymer aus Acrylnitril, Butadien und Styrol (ABS). Dieses ist eines der wichtigsten Materialien für Außenhüllen von elektronischen Geräten (Computer, Bildschirme und Tastaturen).[248] Weitere Verwendungen sind Plastikteile von Autos (an Scheinwerfern und Spiegeln); Einsätze für Kühlschränke; Außenhüllen von Küchengeräten, Staubsaugern und Elektrowerkzeugen; sowie Koffer, Vesperdosen.[249] und Spielzeuge, darunterLego-Steine.[250][251] Auch ABS wird in der Größenordnung von mehreren Millionen Tonnen pro Jahr produziert, beispielsweise etwa 2,7 Millionen Tonnen im Jahr 1992.[249]

Polyamid 6.6 (Nylon) ist kein Nitril, allerdings ist ein Schlüsselintermediat zu dessen Herstellung dasAdiponitril. Adiponitril wird durch Hydrocyanierung von Butadien oder durch Dimerisierung von Acrylnitril hergestellt und durch katalytische Hydrierung zuHexamethylendiamin umgesetzt, welches eines der Monomere für Nylon ist. Das zweite Monomer,Adipinsäure wird durch Oxidation vonCyclohexan gewonnen.[252][253]Acetoncyanhydrin ist ein wichtiges Intermediat zur Herstellung vonMethylmethacrylat, welches wiederum zur Herstellung vonPolymethylmethacrylat verwendet wird.[254]

  • Polyacrylnitril wird in Strickgarn verwendet
    Polyacrylnitril wird in Strickgarn verwendet
  • Carbonfasern werden oft aus Polyacrylnitril hergestellt
    Carbonfasern werden oft aus Polyacrylnitril hergestellt
  • Schutzhandschuhe aus Nitrilkautschuk
    Schutzhandschuhe aus Nitrilkautschuk
  • Lego-Bausteine werden aus Acrylnitril-Butadien-Styrol-Copolymer (ABS) hergestellt
    Lego-Bausteine werden aus Acrylnitril-Butadien-Styrol-Copolymer (ABS) hergestellt

Chemisch-pharmazeutische Industrie und Labore

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Acetonitril findet als Lösungsmittel Verwendung, insbesondere in der pharmazeutischen Industrie.[255] Im Jahr 2022 wurden laut einer Marktanalyse weltweit etwa 180.000 Tonnen Acetonitril produziert, wovon etwa 70 % in der pharmazeutischen Industrie verwendet wurden.[256] Es ist außerdem eines der wichtigsten Lösungsmittel für Analysen mittelsHPLC.[255][257] Die Zersetzung vonAzobisisobutyronitril (AIBN) und verwandten Verbindungen (zum BeispielAzobiscyclohexancarbonitril) ergibt vergleichsweise stabile Radikale, weshalb diese Verbindungen alsRadikalstarter für radikalische Reaktionen, insbesondere Polymerisationen, verwendet werden.[258] Das ChinonDDQ, das über zwei Nitrilgruppen verfügt, ist ein weitverbreitetes Oxidationsmittel, das auch in der pharmazeutischen Industrie verwendet wird.[259] Nitrilgruppen lassen sich als Sonde für infrarot-spektroskopische Untersuchungen in Biomoleküle einführen.[260] Einige Nitrile werden als Edukte für die Synthese von Pharmazeutika verwendet.[27]Ketoprofen ist ein in einigen EU-Ländern zugelassenesAntiphlogistikum, für dessen industrielle SynthesePropionitril verwendet wird.[261][262]

Nitrile in der Medizin

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Nitrile finden sich in einem breiten Spektrum an Arzneistoffgruppen. Zwischen 2010 und 2020 wurde jedes Jahr mindestens ein Arzneistoff mit Nitrilfunktion von der amerikanischenFood and Drug Administration zugelassen. Die Nitrilgruppe hat charakteristische physikalische und chemische Eigenschaften, die für dieGestaltung von Wirkstoffen eine wichtige Rolle spielen. Als strukturelles Element weist diese Gruppe eine lineare Geometrie auf und beansprucht nur sehr wenig Raum, etwa ein Achtel im Vergleich zu einerMethylgruppe. Damit ist sie als Strukturbestandteil von Liganden gut geeignet, Hohlräume einerBindungstasche eines Zielproteins aufzufüllen, die entsprechend schlank und tief sind und anderweitig kaum zu besetzen sind. Der Einbau einer Nitrilgruppe in ein Molekül führt im Allgemeinen zur Senkung seinesOctanol-Wasser-Verteilungskoeffizienten bzw. zur Erhöhung seiner Wasserlöslichkeit. Dies wirkt sich bei an sichlipophileren Verbindungen in der Regel günstig auf dieBioverfügbarkeit, diePlasmahalbwertszeit und damit auf deren Wirkungsdauer aus. Die Nitrilgruppe in Arzneistoffen ist zumeist metabolisch sehr stabil.[263] Die Nitrilgruppe istisoster zurCarbonylgruppe, derHydroxylgruppe und zum Chloratom. Sie hat demnach ähnliche elektronische und sterische Eigenschaften wie diese und kann gegen diese ausgetauscht werden, um die Moleküleigenschaften leicht zu variieren.[264]

DieWasserstoffbrückenbindung ist das wichtigste pharmakodynamische Bindungsmuster der Nitrilgruppe, die aufgrund der Elektronegativität ihres Stickstoffatoms, im Gegensatz zurEthinylgruppe, als Protonenakzeptor fungiert.[265] So bildet beispielsweise die Nitrilgruppe des kompetitivenPDE3-InhibitorsMilrinon über einen an derLigandenbindungsstelle dieserPhosphodiesterase befindlichenHistidin-Rest eine affinitätsrelevante Wasserstoffbrücke.[263] Nitrile sind fähig, einekoordinative Bindung mitCalciumkationen einzugehen, was für die Wirkung vonCalciumkanalblockern desVerapamil-Typs essentiell ist. Diese hemmen den Calciumstrom, indem der Ligand-Calcium-Komplex eine Salzbrücke eingeht mit einem derGlutamatreste desSelektivitätsfilters in der Pore diesesionotropen Rezeptors.[266][267] Eingesetzt wird Verapamil bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen wiearterieller Hypertonie undAngina pectoris.[268]

Nitrilsubstituenten verringern durch starkenElektronenzug dieElektronendichte vonAromaten. Moduliert werden auf diese Weiseπ-π-Wechselwirkungen zwischen Wirkstoff und geeignetenAminosäureresten eines Zielproteins, wiePhenylalanin,Tyrosin,Tryptophan undHistidin.[264] Eine solche π-π-Wechselwirkung wird beobachtet bei denAromatasehemmernLetrozol undAnastrozol, die alsAntiestrogene wirken und beiBrustkrebs eingesetzt werden.[269][270] VieleAndrogenrezeptor-Antagonisten enthalten einen ausgeprägt elektronenarmen aromatischen Ring, der für die supramolekulare Rezeptorbindung von besonderer Bedeutung ist.[271] InBicalutamid,Enzalutamid und weiteren Analoga, die zur Behandlung vonProstatakrebs eingesetzt werden, trägt eine Nitrilgruppe zu dieser Ladungsverschiebung bei.[272]

Einige Fälle sind bekannt, in denen Nitrile eine reversible, gleichwohl wirkungsrelevantekovalente Bindung zu einemZielmolekül ausbilden.[264] Dabeiaddieren unter geeigneten Bedingungen Hydroxyl- oderThiolgruppen vonSerin- oderCysteinresten der Zielproteine mit der Nitrilgruppe zuOxo- oderThioimidaten. Dies gilt für den beiDiabetes mellitus Typ II eingesetztenDipeptidylpeptidase-4-InhibitorVildagliptin,[273] genauso wie fürSaxagliptin.[274] Das antibakterielle AntibiotikumCefmetazol[S 10] wirkt ebenfalls als kovalenter Inhibitor, in diesem Fall einer bakteriellenProtease.[275] Für denCalcium-SensitizerLevosimendan wird eine Reaktion mit dem ProteinkomplexTroponin-C angenommen.[276] Eine solch reaktive Gruppe wird auch alsWarhead (wörtlich übersetzt „Gefechtskopf“) bezeichnet.

In einigen Fällen sind Nitrilgruppen hauptsächlich wegen ihrer Sterik (das heißt räumlichen Gestalt) relevant, indem sieVan-der-Waals-Kontakte mit Aminosäureresten ausbilden. Die trifft zu auf denTyrosinkinase-InhibitorBosutinib, der beiChronischer myeloischer Leukämie eingesetzt wird.Kristallstrukturen sind bekannt, in denen Bosutinib mit diversen Tyrosinkinasen komplexiert ist. Inhibitoren derReversen Transkriptase, wieEtravirin undRilpivirin, werden in Kombinationspräparaten gegenHIV eingesetzt. Die Acrylnitril-Teilstruktur des Rilpivirins taucht in einen ausTyrosin,Phenylalanin undTryptophan bestehenden aromatischen Käfig ein, wie die zugehörige Raumstruktur, die im Jahr 2008 veröffentlicht wurde, erkennen lässt.[277] DerSerotonin-WiederaufnahmehemmerCitalopram, der gegen Depressionen eingesetzt wird, war im Jahr 2016 mit 290 Millionen definierten Tagesdosen das meist verschriebene Psychopharmakon in Deutschland. Die Nitrilgruppe desEscitaloprams zeichnet sich durch optimale Komplementarität gegenüber der zentralen und einer weiteren allosterischen Bindungsstelle des Transportmoleküls aus, wie es aus der Kristallstruktur hervorgeht.[278]

  • Levosimendan
    Levosimendan
  • Letrozol
    Letrozol
  • Saxagliptin
    Saxagliptin
  • Milrinon
    Milrinon
  • Cefmetazol
    Cefmetazol
  • Citalopram
    Citalopram
  • Rilpivirin
    Rilpivirin

Sonstige Verwendungen

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Geranylnitril wird als Duftstoff verwendet

Eine zweistellige Anzahl an Nitrilen wird als Duftstoffe für Kosmetika verwendet. Dazu gehören unter anderemZimtsäurenitril,Dodecannitril,Benzonitril undGeranylnitril.[279][280][281] Nitrile weisen zum Teil ähnliche Düfte auf wie entsprechendeAldehyde, sind aber deutlich stabiler, sodass sie sich als Ersatz eignen. So eignet sich Geranylnitril als Zitrusduft und ist im Gegensatz zum strukturanalogenCitral stabil gegen Oxidation.[282]

Diverse Nitrile finden als Pestizide Verwendung. Cyanogruppen sind in einigenPyrethroid-Insektiziden enthalten. Pyrethroide sind Carbonsäureester und durch Verwendung von3-Phenoxymandelonitril als Alkoholkomponenten, wie inDeltamethrin undCypermethrin, wurde eine Gruppe besonders wirksamer Derivate entwickelt.[283]Azoxystrobin war schon 1999, wenige Jahre nach Einführung, mit über 400 Millionen Dollar Verkaufswert das meistverkaufte Agrar-Fungizid und hat seine Bedeutung auch mehr als 15 Jahre später noch behalten, sodass es auch 2016 noch das meistverkaufte Fungizid war.[284][285] Azoxystrobin wurde ausgehend von dem natürlich vorkommendenStrobilurin A entwickelt. Wichtige Unterschiede zwischen der Startverbindung und dem fertigen Wirkstoff sind der Austausch der Doppelbindungen gegen aromatische Ringe und die Einführung einer Cyanogruppe an dem Ring, der schon in der Ausgangsverbindung enthalten ist.[285] Ein viel genutztes Nitril-Insektizid istFipronil.[286]

Tube mit Cyanacrylat-Klebstoff und Struktur von Ethylcyanacrylat, das oft in Cyanacrylat-Klebstoffen verwendet wird

Cyanacrylate werden alsSekundenkleber verwendet, da sie als Einkomponentenzubereitung schnell bei normalen Umgebungsbedingungen aushärten und viele Materialien kleben können. Die bei weitem meistgenutzte Verbindung in diesem Bereich istEthylcyanacrylat, in geringerem Maße werdenMethylcyanacrylat undAllylcyanacrylat verwendet.[287] Cyanacrylatkleber werden auch im medizinischen Bereich verwendet, um Wunden zu verkleben, anstatt sie zu nähen. Da Ester mit kurzkettigen Alkylresten (wie Methylcyanacrylat) aber oft Nebenwirkungen, insbesondereEntzündungen, verursachen, werden hier andere Verbindungen verwendet als im technischen Bereich. So kommen vor allemButylcyanacrylat und2-Octylcyanacrylat zum Einsatz.[9]

Nitrile finden Verwendung alsElektrolytzusatzmittel inLithiumbatterien. So bewirkt der Zusatz von1,3,6-Hexantricarbonitril[S 11] eine signifikante Zunahme der Leistung gegenüber einer entsprechenden Batterie ohne Zusatz. Die Wirkweise der Nitrilzusätze ist noch nicht vollständig geklärt.[288][289]

Literatur

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Weblinks

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Commons: Nitrile – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Wiktionary: Nitril – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

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Anmerkungen

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  1. Externe Identifikatoren von bzw. Datenbank-Links zuN-Glutamylaminopropionitril: CAS-Nr.:18961-63-2,Wikidata:Q125548126.
  2. Externe Identifikatoren von bzw. Datenbank-Links zuEisen(III)-triflat: CAS-Nr.:63295-48-7,EG-Nr.:625-938-3,ECHA-InfoCard:100.154.386,PubChem:11656316,ChemSpider:9831054,Wikidata:Q72484900.
  3. Externe Identifikatoren von bzw. Datenbank-Links zuO-(4-Trifluormethylbenzoyl)hydroxylamin: CAS-Nr.:1774368-74-9,PubChem:23201930,Wikidata:Q125548236.
  4. Externe Identifikatoren von bzw. Datenbank-Links zuLanthan(III)-isopropanolat: CAS-Nr.:19446-52-7,EG-Nr.:625-147-3,ECHA-InfoCard:100.153.671,PubChem:9858075,Wikidata:Q72487196.
  5. Externe Identifikatoren von bzw. Datenbank-Links zuCer(III)-isopropanolat: CAS-Nr.:30276-32-5,PubChem:11056214,Wikidata:Q125558694.
  6. Externe Identifikatoren von bzw. Datenbank-Links zuSamarium(III)-isopropanolat: CAS-Nr.:3504-40-3,EG-Nr.:623-799-3,ECHA-InfoCard:100.152.446,PubChem:11110239,Wikidata:Q72515210.
  7. Externe Identifikatoren von bzw. Datenbank-Links zuYtterbium(III)-isopropanolat: CAS-Nr.:6742-69-4,EG-Nr.:622-129-7,ECHA-InfoCard:100.150.919,PubChem:4184062,Wikidata:Q72515207.
  8. Externe Identifikatoren von bzw. Datenbank-Links zuYtterbium(III)-cyanid: CAS-Nr.:39705-70-9,Wikidata:Q125558716.
  9. Externe Identifikatoren von bzw. Datenbank-Links zuNitrosoniumperchlorat: CAS-Nr.:15605-28-4,PubChem:177613,ChemSpider:154629,Wikidata:Q4359356.
  10. Externe Identifikatoren von bzw. Datenbank-Links zuCefmetazol: CAS-Nr.:56796-20-4,EG-Nr.:260-384-2,ECHA-InfoCard:100.054.877,PubChem:42008,ChemSpider:38311,DrugBank:DBDB00274,Wikidata:Q5057238.
  11. Externe Identifikatoren von bzw. Datenbank-Links zu1,3,6-Hexantricarbonitril: CAS-Nr.:1772-25-4,EG-Nr.:217-199-7,ECHA-InfoCard:100.015.636,PubChem:15678,ChemSpider:14913,Wikidata:Q27289244.
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