Naturwein
AlsNaturwein (auchNaturreiner Wein,Artisan Wine,Naked Wine,Natural Wine,Vin Naturel,Vin Vivant) werdenWeine bezeichnet, die möglichst ohne Zusätze und ohne aufwändigeönologische Verfahren produziert wurden. Dafür ist bereits dieBewirtschaftung im Weinberg Grundlage. Daher wird derökologische Weinbau als Voraussetzung für Naturwein gesehen.[1] Ebenso ausschlaggebend ist die Vorgehensweise in der weiteren Verarbeitung; so soll der Produzent durch Verzicht auf Zusatzstoffe und Hilfsmittel ein möglichst „natürliches“ Produkt erzeugen. Die frühere weinrechtliche Definition als Verzicht aufAnreicherung tritt dabei in den Hintergrund. Die Verwendung der BezeichnungNaturwein ist umstritten.
Geschichte
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]Der Begriff ist historisch in Deutschland eng verbunden mit derLebensreformbewegung. ImWeingesetz von 1909 wurde unter anderemChaptalisation und Nassverbesserung (vgl.Ludwig Gall) großzügig geregelt. Es durfte Trockenzucker zur Erhöhung des Alkoholgehaltes hinzugefügt werden. In schlechten Jahrgängen, die von hohen Säurewerten bei nicht vollständig ausgereiftem Lesegut geprägt waren, durfte gar bis zu einem Viertel Zuckerwasser zur Alkoholerhöhung und Säureregulierung hinzugefügt werden. Dies wurde als notwendig angesehen, um die wirtschaftliche Existenz der Weinbranche auch in schlechten Jahren zu sichern. Von solchen unselbständigen Weinen grenzte sich derNaturwein ab, der selbständig, ohne kellertechnische Eingriffe, ein stabiles Produkt ergab. Dies waren die Spitzenweine aus sehr guten Jahrgängen.
1910 gründete sich derVerband deutscher Naturweinversteigerer als Zusammenschluss mehrerer regionaler Verbände, der heutigeVerband Deutscher Prädikatsweingüter (VDP). In der Folgezeit beeinflussten weitere önologische Neuerungen den Naturweingedanken. So wurde der Begriff im Weinrecht von 1930 alsWein, dem irgendwelche andere Stoffe, als sie zur Kellerbehandlung notwendig sind, nicht zugesetzt worden sind definiert. Zu der Zeit wurde die Schwefelung des Weines als absolut notwendig betrachtet.
Mit der Novellierung des Weingesetzes 1969/1971 wurde der BegriffNaturwein durchPrädikatswein ersetzt. Ungezuckerte Weine durften nicht mehr alsNaturwein bezeichnet werden. Stattdessen wurden die BegriffeQualitätswein bestimmter Anbaugebiete (QbA) undQualitätswein mit Prädikat geprägt. Die Qualitätsangabe bezog sich nicht mehr auf den Herstellungsprozess, da sich dies durch zahlreiche önologische Neuerungen als schwierig erwies. Es wurden auch Begriffe wie „Durchgegoren“ abgeschafft. Stattdessen wurde dasMostgewicht des Lesegutes als wesentliches Qualitätsmerkmal herangezogen und es wurden Geschmacksangaben basierend auf denRestzuckerwerten definiert. Erst ab dem PrädikatKabinett ist Alkoholerhöhung (Anreicherung) nicht mehr zulässig.
Der BegriffNaturwein verschwand und derVerband der Naturweinversteigerer benannte sich inVerband Deutscher Prädikatsweingüter um. Heute bezieht sich der Begriff nicht mehr so sehr auf den Verzicht auf Kristallzucker, sondern auch auf zahlreiche andere önologischen Verfahren, die bewusst eingesetzt oder bewusst nicht eingesetzt werden.
Gegen Ende des 20. Jahrhunderts bildeten sich Winzergruppen vornehmlich aus den Bereich des biologisch-dynamischen Weinbaues, die noch mehr „Bio“ wollen, zu der Bewegung der Naturweine (Natural wines). Die Herstellung dieser Weine wird unter anderem von folgenden Gedanken beeinflusst: Suche nach einem ursprünglichen Geschmack natürlicher Weine, Respekt vor der Natur und Opposition zu industriellen Methoden im Weinbau und der Weinherstellung, zurück zu den alten önologischen Verfahren, Protest gegen die zunehmende Anonymisierung durch die Technisierung des konventionellen, integrierten wie auch aus dem organisch-biologischen Anbau stammender Weine.
Daneben werden auch historische Methoden der Weinbereitung wiederbelebt (Beispiel:Quevri) oder önologische Verfahren außerhalb der Weinbautradition (Beispiel: Maischegärung beimOrange Wine) eingeführt.
Im Jahr 2020 wurde in Köln der gemeinnützige Verein Naturknall gegründet, der erste Naturwein-Verein in Deutschland. Der Verein möchte in der deutschen Öffentlichkeit über unterschiedliche Herstellungsverfahren in der Weinproduktion aufklären, die in der Satzung definierte Herstellungsweise bekannter machen sowie ein Wissens- und Erfahrungsrepertoire aufbauen[2]. Äquivalente Vereine in Europa sind Le Syndicat de défense des vins, die Association Les Vins S.A.I.N.S., die Associazione Vinnatur sowie der Verein Schweizer Naturwein.
Herstellung
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]Auch wenn die Herstellung von Naturwein gesetzlich nicht geregelt ist, bildet sich doch unter den Produzenten ein Konsens heraus:
Der weit überwiegende Teil der Produzenten sieht diebiologische Bewirtschaftung als Voraussetzung für die Naturweinerzeugung an. Hierbei setzen einige Produzenten auf Zertifizierungen, viele bauen den Wein biologisch oderbiodynamisch an, ohne ihre Weine zertifizieren zu lassen. Die Lese erfolgt per Hand. Gesunde Trauben erfordern eine aufwändige Pflege der Reben und einen frühenLesetermin. Anreicherung wird nicht mehr thematisiert. Der Verzicht aufSchönungsmittel undFiltrationshilfsmittel zugunsten einer natürlichen Klärung ist unumstritten. Der Einsatz vonSchwefel wird unterschiedlich gesehen. Laut einer Befragung durch dieHochschule Geisenheim gibt die Hälfte der Befragten an, Naturwein solle kein Schwefel zugesetzt werden, die andere Hälfte befürwortet eine moderate Schwefelung, wobei sich beide Gruppen in der Mitte flexibel überschneiden.[1]
Der Verein Naturknall schreibt seinen Mitgliedern einen Gesamt-Schwefelgehalt nach Abfüllung bei Rotwein höchstens 20 mg/l, Weißwein höchstens 30 mg/l unabhängig vom Restzuckergehalt vor[2].
Je nach Definition kann man die folgenden Statuten als charakteristisch für Naturwein definieren:
Anbau:
- biologische, bio-dynamische Bewirtschaftung
- ohne synthetische Mittel
- gesunde Trauben
Ausbau:
- keine Anreicherung
- nur die traubeneigenen Hefen sind für die Vergärung erlaubt
- keine Schönungsmittel
- keine Filterhilfsmittel
- natürliche Klärung
- Schwefel (umstritten)
Bezeichnungsfragen
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]Im Gegensatz zumOrange Wein ist die BezeichnungNaturwein umstritten. Auch nachdem das Verbotsprinzip desdeutschen Weingesetzes von 1971 zugunsten des Missbrauchprinzips abgeschafft wurde, bleibt dieser Begriff kritisch. Die Verwendung auf dem Etikett wird von derWeinkontrolle beanstandet und von Marktteilnehmern abgelehnt.
Zum einen ist der BegriffNaturwein rechtshistorisch nicht einfach verschwunden und damit ungeregelt und für neue Verwendungen frei. 1971 wurde zusätzlich zum Verbot dieses Begriffs die Produktion und Bezeichnung unangereicherter Weine durch die Einführung desQualitätsweins mit Prädikat gesetzlich neu geregelt.Prädikatsweine sind in diesem Sinne Nachfolgeprodukte des früherenNaturweins. Darüber hinaus sind zwei entgegengesetzte Annahmen maßgeblich:
Jeder Wein sei einNaturprodukt: „Denn wer, so die Überlegung des Gesetzgebers, sich selbst als Besonderheit attestiert, natürlichen Wein zu keltern, unterstellt implizit den Konkurrenten, dass sie nicht natürlichen Wein erzeugen.“[3]
Gegenüber: Ein verarbeitetes Rohprodukt wie Wein sei stets einKulturprodukt. „Die Weinrebe war von einer Natur- zu einer Kulturpflanze geworden. [...] Und was für die Rebe gilt, gilt auch für den Rest der Weinbergs- und Kellerarbeit. Auch die hier ablaufenden Prozesse sind nur noch zu einem infinitesimalen Teil natürlich. Es sind Prozesse, die mithilfe von jahrtausendelang verfeinerten Kulturtechniken gesteuert werden [...]“[3]
Daher verzichten einige Naturweinproduzenten bewusst auf diesen Begriff, während Dogmatiker konventionell hergestellten Wein komplett als unnatürlich ablehnen. Eine mögliche, der Rechtsauffassung der Weinkontrolle entgegenstehende Auffassung, wurde bisher noch nicht gerichtlich entschieden. Eine einheitliche alternative Bezeichnung hat sich eben so wenig durchgesetzt.
Literatur
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]- Surk-ki Schrade:Natürlich Wein. Christian Verlag, München 2022.ISBN 978-3-95961-606-5
- Nicolas Joly:Der Wein, die Rebe und die biologisch-dynamische Wirtschaftsweise. Verlag Gebrüder Kohrmayer, Dreieich 2008,ISBN 978-3-938173-46-6.
Weblinks
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]- Konzept Naturwein - Versuch einer Erklärung
- Orange, Natural, RAW Wines: Modeerscheinung, Nische oder Inspiration? Österreich Wein
- Gemeinnütziger Verein „Naturknall“
Einzelnachweise
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]- ↑abder deutsche weinbau, #8/18, Seite 32: Wein - natürlich.
- ↑abNaturknall. Abgerufen am 17. August 2021 (deutsch).
- ↑ab"Kann denn Wein natürlich sein?" vom 20. Februar 2013, aufgerufen am 26. April 2018.