
Moses Hess (auchMoses Heß,Moritz Heß undMaurice Hess; geboren am21. Januar[1]1812 inBonn; gestorben am6. April1875 inParis) war eindeutsch-jüdischerPhilosoph undSchriftsteller. Er gehörte zu denFrühsozialisten und war ein Vordenker desZionismus. Geburts- und Sterbedatum sind nach demjüdischen Kalender der 4.Schewat 5572 und der1.Nisan 5635.[2] Das Leben des Moses Hess lässt sich in einzelne Phasen untergliedern: die jungen Jahre, in denen er sich mit demJudentum identifizierte (bis Ende der 1830er), die Zeit des Übergangs zu den führenden kommunistischen Intellektuellen und der Mitgestaltung der vorrevolutionären Tendenzen (1840er) und zuletzt die Jahre seiner Hinwendung zur frühen Sozialdemokratie und der Herausbildung eines frühen Zionismus (1860er).[3]
Moses Hess wurde in Bonn in eineorthodoxe jüdische Familie geboren. Sein Großvater erzog ihn traditionell. Um sich auch allgemein bilden zu können, lernte Moses als Autodidakt Deutsch und Französisch. Nach einem nicht abgeschlossenen Studium derPhilosophie an derUniversität Bonn gründete er eine der erstensozialistischen Tageszeitungen inKöln, dieRheinische Zeitung. Im Jahre 1845 zog er nachBelgien, 1848 nach Paris, 1849 überStraßburg (wo er kurzzeitig aus dem eingekesseltenRastatt geflüchtete deutsche Revolutionäre beherbergte, unter anderem seine Kölner FreundeFritz undMathilde Franziska Anneke) in dieSchweiz. Später kehrte er erst nach Belgien, dann nach Paris zurück, wo er – mit Unterbrechungen – bis zu seinem Tode blieb. Dort trat er 1858 alsFreimaurer in die PariserLogeHenri IV desGrand Orient de France ein. 1861 kehrte er noch einmal nach Deutschland zurück und war Vorstand desAllgemeinen Deutschen Arbeitervereins. 1863 zog er erneut nach Paris, wo er 1875 verstarb. Er wurde wunschgemäß auf demjüdischen Friedhof Deutz beigesetzt.[4] DerGrabstein ist noch heute dort zu sehen, seine Gebeine wurden allerdings 1961 nach Jerusalem überführt.[5]Seine Biographen waren vor allem Historiker und Vertreter des Zionismus wieTheodor Zlocisti,Edmund Silberner undShlomo Na’aman.[5]
Mit seinen Werken war Hess einer der frühen Sozialisten in Deutschland. SeineHeilige Geschichte der Menschheit. Von einem Jünger Spinozas aus dem Jahre 1837 enthielt das erste dezidiertsozialistische Forderungsprogramm, das in Deutschland erschien. Es enthielt u. a. die Forderung nach Aufhebung der Klassenunterschiede, Gleichberechtigung von Männern und Frauen, „freie Liebe“ als Grundlage der Ehe sowie Kindererziehung, Gesundheitssorge und Wohlfahrt als staatliche Aufgaben. Mit dem Verschwinden von Armut und Mangel würden Gewalt und Kriminalität aus der Gesellschaft verschwinden und die zukünftige vernunftgeleitete Gesellschaft werde ihr entsprechende Formen der politischen Herrschaft entwickeln. 1869 ging Hess als Delegierter zum vierten Kongress derErsten Internationale nach Basel, der vom 6. bis 12. September stattfand. Dort fungierte er nebenWilhelm Liebknecht undSamuel Spier, mit denen er seit Jahren in Briefkontakt stand, alsSecrétaire de langue allemande.[6]
Das von ihm entwickelte Verständnis von Vergesellschaftung spielte für die spätere Theoriebildung vonKarl Marx undFriedrich Engels eine zentrale Rolle. Mit Marx verbanden ihn seine Tätigkeiten für dieRheinische Zeitung, dieDeutsche-Brüsseler-Zeitung und die zeitweise gemeinsame Arbeit anDie deutsche Ideologie. Hess hat angeblich sowohl Marx als auch Engels an Sozialismus undKommunismus herangeführt.[7] Ob Hess in diesem Punkt tatsächlich entscheidenden Einfluss insbesondere auf Marx ausübte, ist jedoch umstritten.[8] In seinen Frühschriften, etwa in derHeiligen Geschichte, war Hess Hauptvertreter eines spekulativen Sozialismus, einer Variante desutopischen Sozialismus, die sich philosophisch anLudwig Feuerbachs Entfremdungstheorie anlehnte. Demzufolge erfolgt die Entwicklung der Menschheit in verschiedenen Stadien und läuft auf einen Sozialismus hinaus, dessen Elemente noch unverbunden in französischer Revolutionstheorie, englischer Sozialpraxis und deutscher idealistischer Philosophie bereits vorlägen.[9] Anstelle von Klassenkampf stellte Hess Solidarität und Liebe als Grundprinzip in den Mittelpunkt, was Marx veranlasste, Hess unter die „wahren Sozialisten“ einzustufen, denen er Liebesduselei vorwarf.[10] Hess‘ Sozialismuskonzept setzte sich zusammen aus der „Philosophie der That“ in Verbindung mit dem Konzept vom „menschlichen Gattungswesen“ als menschlich-inhärente Merkmale, die die Menschheit zwangsläufig zum Kommunismus führen würden. Die Verbindung zwischen den Nationen Frankreich und Deutschland sah Hess als möglichen Lösungsweg hin zur kommunistischen Gesellschaft. Staat, Religion und Eigentum werden als Gegenspieler des Kommunismus als bloße Äußerlichkeiten entlarvt.[11] Diese Vorstellung arbeitete Hess bis 1845 aus. Ab dann (gleichzeitig zu der Mitarbeit an der Deutschen Ideologie) scheint sich Hess immer mehr den neuen Anführern der sozialistischen Bewegung, Marx und Engels, anzubiedern und deren Vorstellung des Kommunismus zu übernehmen. Dass er das nicht aus vollster Überzeugung tat, wird aus seinem Briefwechsel vom 20. Mai 1846 mit Marx und Engels deutlich: „Ich mag nichts mehr mit der ganzen Geschichte zu tun haben; es ist zum Kotzen. Scheisse nach allen Dimensionen. Wenn die Partei sich ihrer Schriftsteller nicht annehmen will oder kann, so müssen diese, wenigstens die, die man verlässt, sich zu helfen suchen, wie sie können. […] Es ist ein Hundeleben, was ich hier führe, und man kann dabei weder arbeiten, noch studieren.“[12]
Später verwarf er jedoch die idealistische Geschichtsphilosophie zugunsten eines naturwissenschaftlich, jaszientistisch ausgerichtetenMaterialismus.[13] Schon zuvor hatte er sich gemeinsam mit und parallel zu Marx und Engels um eine wissenschaftliche Begründung sozialistischer Theorien auf der Basis von Psychologie und Ökonomie bemüht.[14]

Der Sozialismus und der Zionismus wurzelten bei Hess in dem Wunsch nach Erlösung aus gesellschaftlichen Verhältnissen, die er als unterdrückend undantisemitisch auffasste.[15] Unter dem Eindruck der Nationalitätenkonflikte um die Mitte des Jahrhunderts bewegte er sich von eineruniversalistischen Weltanschauung zurück zumPartikularismus, was für viele Zionisten seiner Zeit eine Rückbesinnung auf das Judentum bedeutete. Sie entdeckten das Judentum als eigene Nationalität und nicht als Religion. Sein jüdisches Nationalbewusstsein war so stark ausgeprägt, dass er im Jahre 1862 zum Befremden seiner an einerAssimilation an die deutsche Gesellschaft interessierten jüdischen Zeitgenossen (z. B.Berthold Auerbach) und sozialistischen MitstreiterRom und Jerusalem verfasste, in dem er ein allgemeines Erwachen der unterdrückten Völker – Rom stand für die gerade erfolgreicheitalienische Nationalbewegung – prophezeite, in dem auch die jüdische Nation wieder erwachen und ihren Staat neu errichten solle. Der Untertitel dieses in Briefform geschriebenen Buches lautetDie letzte Nationalitätenfrage, und im Vorwort ist zu lesen: „... mit der Wiedergeburt Italiens beginnt auch die Auferstehung Judäas ...“ InRom und Jerusalem forderte Hess einenGaribaldi für das Judentum. Darin schrieb er u. a.: „Jeder ist, er mag es wollen oder nicht, solidarisch mit seiner ganzen Nation verbunden. Wir alle haben das Ol malchut schamajim (das Joch des Gottesreiches) zu ertragen. (...) Erlauben sodann die Weltereignisse, welche sich im Orient vorbereiten, einen praktischen Anfang zur Wiederherstellung des jüdischen Staates, so wird dieser Anfang zunächst wohl in der Gründung jüdischer Kolonien im Lande der Väter bestehen.“[16]
Dasorthodoxe Judentum sah Hess als das am besten geeignete Mittel an, in derDiaspora die jüdische Nation zu bewahren, da es mit seinenSpeisevorschriften und sonstigenGe- und Verboten weniger religiöse Inhalte als Erinnerungen an die nationale Vergangenheit tradiere. Es sollte bis zur Neugründung eines jüdischen Staates unangetastet bleiben, weshalb er dasReformjudentum, das sich im 19. Jahrhundert nur noch als Konfession und nicht mehr als Nation verstand, ablehnte. Danach sollte ein neuerSanhedrin (Hoher Rat) den religiösen Kultus den dann veränderten Bedingungen einer neuen Gesellschaft anpassen.
Hess war ein Religionsphilosoph, derBaruch de Spinoza bewunderte. Daher sprach er sicheklektizistisch dafür aus, die antikenWeisheiten des Ostens, denZoroastrismus, dieVeden undEvangelien um dieTora zu gruppieren. Dies ist ein prototypischer Ansatz zu einer vereinigten kosmischen Philosophie, wie man sie heute auch in derBnai-Noach-Bewegung findet. DerHegel’schenDialektik eines geschichtlichenWeltgeistes folgend, vertrat Hess eine Art vonMessianismus des Glaubensinhalts, dass mit derfranzösischen Revolution ein neuesWeltzeitalter begonnen habe.
In den 1850er Jahren wandte sich Hess intensiv naturwissenschaftlichen Themen zu und publizierte in populärwissenschaftlichen Organen wieDie Natur. Er suchte nach universalen Gesetzen, die Natur- und Gesellschaftwelt verbanden, wie er sie in der Tendenz aller Elemente, in ein Gleichgewicht zu kommen, wahrnahm. Mit anderen Autoren, die sich 1848 für revolutionäre Veränderungen engagiert hatten, teilte er das Bemühen, durch eine Verbreitung naturwissenschaftlicher Bildung und empirisch-analytischen Wissens den gesellschaftlichen Fortschritt weiter zu fördern.[17]
Die Zeitumstände waren für die Akzeptanz seiner Vorstellungen nicht günstig. Die orthodoxen Juden lehnten sie mit wenigen Ausnahmen als Vorwegnahme desmessianischen Zeitalters ab. Die Mehrheit der westeuropäischen Juden bemühte sich um Integration und Akkulturation, was dadurch erleichtert wurde, dass ein Staat nach dem anderen den lange zuvor begonnenen Prozess derJudenemanzipation abschloss.Theodor Herzl, in der Geschichtsschreibung der eigentliche Urvater der zionistischen Bewegung, erkannte bei der Lektüre vonRom und Jerusalem 1901, dass alles, was der Zionismus versuchte, bereits von Moses Hess gefordert worden war. Als Herzl sein WerkDer Judenstaat verfasste, war ihmRom und Jerusalem unbekannt gewesen. Erst als er Jahre später das Buch auf einer Reise las, wurde ihm klar, dass „seitSpinoza das Judentum keinen größeren Geist hervorgebracht hat als diesen vergessenen verblassten Moses Hess!“ und dass er seine Schrift nicht verfasst hätte, wenn ihmRom und Jerusalem zuvor bekannt gewesen wäre.Wladimir Zeev Jabotinsky würdigte Hess in seinem WerkDieJüdische Legion im Weltkrieg als eine der historischen Persönlichkeiten, denen der Zionismus dieBalfour-Deklaration zu verdanken habe: „Die Balfour-Deklaration verdanken wir sowohl Herzl als auchRothschild, sowohlPinsker als auch Moses Hess“.
Eine Figur von Moses Hess wurde unter die KölnerRatsturmfiguren aufgenommen. Am 9. Oktober 1961 wurden seine sterblichen Überreste nachIsrael überführt und auf dem Kinneret-Friedhof[18] amSee Genezareth nördlich des erstenKibbuzDegania beerdigt.Seine Geburtsstadt Bonn hat 2011 beschlossen, eine Straße in Moses-Hess-Ufer umzubenennen,[19] nachdem es bereits in Köln-Stammheim eine Moses-Heß-Str. gab.[20] In Israel wurde 1931 eines derMoshavim, die damals zum Schutz von Tel Aviv um die Stadt herum angelegt wurden, nach Moses Hess inKfar Hess benannt.
Hess’ wichtigste Werke sind:
Seine nachgelassenen Manuskripte bezeugen einen weiten Themenbereich. Neben Philosophie finden sich z. B. Literatur, Astronomie/Kosmologie, Mathematik, Physik, Biologie.
in der Reihenfolge des Erscheinens
| Personendaten | |
|---|---|
| NAME | Hess, Moses |
| ALTERNATIVNAMEN | Heß, Moses; Heß, Moritz; Hess, Maurice |
| KURZBESCHREIBUNG | deutsch-jüdischer Philosoph, Frühsozialist, Vorläufer des Zionismus |
| GEBURTSDATUM | 21. Januar 1812 |
| GEBURTSORT | Bonn |
| STERBEDATUM | 6. April 1875 |
| STERBEORT | Paris |