Michael Hermesdorff (*4. März1833 inTrier; †18. Januar1885 ebenda) war ein deutscherkatholischerPriester,Dommusikdirektor,Domorganist,Komponist,Musikwissenschaftler,Musikpädagoge,Choralforscher,Redakteur undHerausgeber.
Michael Hermesdorff war das siebte Kind desSchneiders Matthias Hermesdorff und dessen Frau Margarete geb. Schömann. Schon früh ließ Michael eine außergewöhnliche musikalische Begabung erkennen, so dass sein älterer Bruder Matthias, der als Musiklehrer und Organist in der PfarreiSt. Gangolf tätig war, begann, ihn im Orgel- und Klavierspiel zu unterweisen. Von dem seinerzeit kaum zehnjährigen Michael ist überliefert, dass er seinen Bruder bereits bei Gottesdiensten an der Orgel vertreten konnte.[1]
Seit 1844 besuchte er das Jesuitengymnasium, das heutigeFriedrich-Wilhelm-Gymnasium in Trier. Eine von Geburt anverkrümmte Wirbelsäule machte ihm jedoch den Abschluss seiner Schulausbildung unmöglich, so dass er das Gymnasium bereits 1851 wieder verlassen musste.
Schon 1852 übernahm er inEttelbrück im benachbartenGroßherzogtum Luxemburg eine Anstellung als Organist und Musiklehrer sowie die Leitung des dortigenMännerchores und des Musikvereins. Hier entstanden die ersten größeren erhaltenen Kompositionen Hermesdorffs wie z. B. eineMesse für Männerchor in C-Dur, zwei Messen (in d-moll bzw. F-Dur) mit Instrumentalbegleitung sowie eine größere Zahl vonMotetten und verschiedenen Gelegenheitskompositionen.[2]
1855 kehrte er nach Trier zurück und trat dort in dasPriesterseminar ein. Neben seinentheologischen Studien befasste er sich intensiv mit dem Trierischen Choral, einer – wie es zunächst schien – imBistum Trier überlieferten diözesanen Variante desgregorianischen Chorals. Bereits 1857, also noch während seiner Studienzeit, wurde er vonBischofWilhelm Arnoldi aufgrund seiner schon zu diesem Zeitpunkt großen Reputation als Choralkenner offiziell mit der Erforschung der altenCodices beauftragt.[3]
Neben jenem Choral lernte er hier auch Werke derpolyphonenKirchenmusik kennen, die seit dem Amtsantritt des DommusikdirektorsStephan Lück, der eine Vielzahl solcher Kompositionen gesammelt und ediert hatte, zum Repertoire des Trierer Domchores gehörten.Seit seinem Eintritt in das Seminar vertrat Hermesdorff außerdem häufig den kränklichen Domorganisten Jakob Polch (1807–1862) an der großen, erst 1837 neu erbautenBreidenfeldorgel desTrierer Doms.[4]
Nach Abschluss seines Theologiestudiums empfing Hermesdorff am 28. August 1859 durch Wilhelm Arnoldi diePriesterweihe. Aus Anlass seinerPrimiz am 5. September wurden seine Messe F-Dur für Soli, Chor, Streicher und Orgel sowie die MotetteAccepta tibi sit Domine wahrscheinlich uraufgeführt.[5]
Unmittelbar nach seiner Weihe wurde Hermesdorff von Bischof Arnoldi alsKaplan nachCues undBernkastel beordert, um auch dort die in derBibliothek desCusanus-Stifts vorhandenen wertvollen Choralhandschriften zu studieren. Auf Grundlage dieser Dokumente sowie der von ihm bereits in Trier gesichteten Handschriften desTrierer Domschatzes und derStadtbibliothek sollte er dann einGraduale herausgeben. Die Edition eines solchen für das gesamte Bistum Trier bindenden Choralbuches war bereits seit den 1840er Jahren durch die Bistumsleitung ins Auge gefasst worden.
Es erschien 1863 – Hermesdorff hatte mittlerweile nach dem Tode Polchs dessen Nachfolge als Domorganist angetreten – alsGraduale juxta usum Ecclesia Cathedralis Trevirensis im Druck. Ebenfalls nach den alten trierischen Handschriften gab er wenig später diePräfationen, einAntiphonale sowie einKyriale heraus.[6]
Hierauf basierend schloss sich die Edition der sechsbändigenHarmonia cantus choralis an, an der Hermesdorff drei Jahre arbeitete und in der ein Großteil der liturgischen Gesänge für die Messfeier und das Stundengebet vierstimmig für Orgel oderChor bearbeitet sind.[7]
Nachdem Michael Hermesdorff aufgrund der Erkrankung des Domorganisten Jakob Polch, den er bereits während seiner Seminarzeit oft vertreten hatte, schon am 8. Oktober 1862 provisorisch dessen Amt übernommen hatte, wurde er nach dessen Tod am 8. November 1862 als sein Nachfolger zum Domorganisten der Hohen Domkirche zu Trier berufen. Außerdem war er fortan für den Gesangunterricht an der Dommusikschule wie auch am Priesterseminar zuständig.[8] Die Seminaristen unterrichtete er auch während desKulturkampfs heimlich weiter, was mit empfindlichen Strafen bedroht war. Die ihm eng verbundenen Seminaristen kopierten teilweise selbst inhaftiert die handschriftlichen Beilagen der ZeitschriftCäcilia für die Mitglieder des Hermesdorff’schen Choralvereins.[9]
Seit seinem Amtsantritt als Domorganist am 8. Oktober 1862 oblag ihm neben dem Gesangunterricht an der Trierer Dommusikschule inoffiziell auch die Leitung dieses Instituts, die ihm am 17. August 1874 mit der Ernennung zum Dommusikdirektor offiziell übertragen wurde.[10]
Hermesdorff war für den musikalischen Teil der Neuauflage des Trierischen Diözesangesangbuchs (1871) verantwortlich und bearbeitete auch die vierstimmige Ausgabe (1872) für vier Singstimmen und Orgel.[11]
Neben seinen musikalischen Aufgaben am Dom wirkte er außerdem als Glocken- und Orgelrevisor für das Bistum Trier und übernahm ab 1872 das Amt desRendanten der Domfabrik, das er ebenfalls bis zu seinem Tode innehaben sollte. Außerdem übernahm er seelsorgliche Aufgaben in während des Kulturkampfs verwaisten Pfarreien.[12]
Im Frühjahr des Jahres 1884 wurde er, nachdem er aus gesundheitlichen Gründen seine sämtlichen musikalischen Ämter am Dom hatte niederlegen müssen, in Anerkennung seiner Verdienste zum Domvikar ernannt. Er studierte bis kurz vor seinem Tod neue Werke mit dem Domchor ein. Er starb am 18. Januar 1885 gegen drei Uhr morgens in seiner an der Ecke der Dominikaner- und Predigerstraße gelegenen Kurie und wurde am 21. Januar im Kreuzgang des Trierer Doms beigesetzt.[13]
Mit großem Engagement war Hermesdorff insbesondere im Bereich des Choralgesangs, aber auch bezüglich der Situation der Kirchenchöre, der Orgelpflege und der Aus- und Weiterbildung der Kirchenmusiker des Bistums bestrebt, die kirchenmusikalischen Zustände seines Bistums dauerhaft zu verbessern. Ein Jahr nach der Gründung desAllgemeinen Cäcilien-Verbandes (ACV) auf dem Katholikentag 1868 inBamberg durchFranz Xaver Witt rief Hermesdorff im Sommer 1869 den Trierer Diözesan-Cäcilien-Verein ins Leben, dem er bis zu seinem Tode alsPräses vorstand. Dieser Verein galt als vorbildlich organisierter Teilverein des ACV und war gleichzeitig zahlenmäßig eine seiner bedeutendsten Gruppierungen.[14]
Die Organisationsstruktur des Dachverbandes prägte Hermesdorff durch konstruktive Vorschläge wie z. B. auf der Generalversammlung inRegensburg, die auf seinen Erfahrungen bei der Organisation des Trierer Diözesanvereines fußten. Sie wurden in den Organen des ACV zur Nachahmung empfohlen[15] und wirken bis heute nach.
Zur Fortbildung der Kirchenmusiker der Diözese richtete er 1872 einenCatalog der Bibliothek des Zweig-Vereins der Bibliothek des Allgemeinen Deutschen Cäcilien-Vereins für die Diözese Trier ein, in dem den Kirchenmusikern historische und theoretische Schriften sowie Notenmaterialien zu Werken der altklassischen Polyphonie und der Cäcilianer zugänglich gemacht werden sollten.
In diesem Zusammenhang bearbeitete Hermesdorff 12 Motetten nach bekannten Werken altklassischer Meister stark vereinfachend, um auch weniger leistungsfähige Chöre an die Altklassische Vokalpolyphonie heranzuführen. Er zeichnete außerdem verantwortlich für die zweite stark erweiterte Auflage derSammlung ausgezeichneter Compositionen für die Kirche Stephan Lücks, nebenCarl ProskesMusica divina die wohl wichtigste frühe Sammelausgabe von Kompositionen aus dem 15.–17. Jahrhundert, die er noch kurz vor seinem Tod vornahm. Den IV. Band, dessen Edition er selbst nicht mehr vollenden konnte, wurde vonHeinrich Oberhoffer vorgelegt, der seinerseits ebenfalls bald nach der Drucklegung verstarb.
Die bedeutendenTraktateGuidos von Arezzo, denMicrologus de disciplina artis musicae sowie dieEpistola Guidonis Michaeli monacho de ignoto cantu directa, in denen verschiedene Aspekte der „guidonischen“ Notationsweise und der mittelalterlichen Musizierpraxis beleuchtet werden, übersetzte und kommentierte er später selbst, andere Schriften wurden vonRaymund Schlecht oderPeter Bohn bearbeitet.
Zudem hatte Hermesdorff eine Gesangsschule verfasst, die ausdrücklich für die Schulung der Kirchenchöre gedacht war und sich auf seine langjährige Erfahrung als Gesangslehrer der Dommusikschule gründete. Diese Gesangsschule fand weithin Verbreitung und wurde unter anderem bei der Ausbildung derNovizen der während des Preußischen Kulturkampfs in die belgischeAbtei Maredsous und dasPragerEmmauskloster emigriertenBeuronerBenediktiner verwendet. Die Beuroner Mönche mit ihrem ersten KantorAmbrosius Kienle, der mit Hermesdorff befreundet war, galten weithin als die bedeutendsten Sachwalter des gregorianischen Chorals auf deutschem Boden, ihr Stammsitz Beuron als ein deutschesSolesmes.
Die schon 1862 von Heinrich Oberhoffer in Luxemburg gegründete kirchenmusikalische ZeitschriftCäcilia, deren Schriftleitung als Organ des trierischen Diözesan-Cäcilienvereines Hermesdorff zu Beginn des Jahres 1871 übernommen hatte, wurde zum Sprachrohr auch des Choralvereins, die ihr beigefügten, faksimiliertenChoralbeilagen für die Mitglieder des Choralvereins dienten zur Veröffentlichung und Diskussion des von den Vereinsmitgliedern eingesandten Vergleichsmaterials wie auch der Behandlung choralwissenschaftlicher Fragen, wodurch die Zeitschrift zum europaweit führenden Blatt für die Choralforschung avancierte. DieCäcilia gab er bis 1878 heraus, musste sie dann aber zum Januar nach langem und angestrengtem Bemühen um ihre Fortführung wegen großer finanzieller und auch gesundheitlicher Schwierigkeiten aufgeben. Fortan übernahm das von Heinrich Böckeler in Aachen herausgegebeneGregoriusblatt, für das Hermesdorff die Beilagen für seinen Choralverein bis kurz vor seinem Tod fortführte, die Aufgaben derCäcilia. Sein Einfluss erstreckte sich nun über ganz Deutschland, den europäischen Kontinent und bis nach Amerika.
Hatte Hermesdorff bis zum Jahr 1871 seine Bemühungen vorwiegend auf die kirchenmusikalischen Belange seines Heimatbistums Trier konzentriert, wobei ein besonderer Schwerpunkt seiner Bemühungen der Wiederherstellung des Trierischen Chorals galt, so gewann er mit den darauf fußenden Erkenntnissen durch seine Arbeit für die Wiederherstellung des ursprünglichen Gregorianischen Chorals Einfluss auf Entwicklungen, die für die Liturgie der Weltkirche weitreichende Folgen hatten.
Um bezüglich der Erforschung der überlieferten gregorianischen Choralgesänge möglichst viele Gelehrte zusammenzuführen, die ihrerseits die ihnen zugänglichen Choralhandschriften kopieren und so vergleichende Studien derselben ermöglichen sollten, rief er zur Gründung eines „Vereins zur Erforschung alter Choralhandschriften behufs Wiederherstellung des gregorianischen Chorals“ auf. Diesem Verein traten der bedeutende Eichstätter MusikwissenschaftlerRaymund Schlecht und der Hofkapellmeister und Direktor des Brüsseler Conservatoires,François-Auguste Gevaert als Gründungsmitglieder u. a. die folgenden weiteren Persönlichkeiten bei:
Außerdem traten mehr oder weniger große Teile der Domkapitel von Trier, Eichstätt und Ermland sowie die Benediktiner von Beuron in ihrer Gesamtheit dem Verein bei. Im direkten Umfeld des Vereinszentrales wirkte außerdem der französische MusikwissenschaftlerEdmond de Coussemaker an der Umsetzung der Forschungsvorhaben mit. Den Vorsitz des Vereines übernahm bis zu seinem Tode im Januar 1885 Michael Hermesdorff, nach seinem Tod ging der Vorsitz auf seinen engsten Mitarbeiter, den vormaligen Kassierer des Vereins, Peter Bohn, über.
Bereits bei der Erforschung der trierischen Choralhandschriften hatte Hermesdorff erkannt, dass der sogenannte „trierische Choral“ keineswegs nur eine spezielle, diözesaneigene Singweise darstellte, sondern dass in diesem vielmehr eine Variante der ursprünglichen, authentischen Singweise des gregorianischen Repertoires tradiert worden war. Dieser hatte sich zu seiner Entstehungszeit in dieser Form für das gesamte gregorianische Repertoire in ganz Europa mit nur unerheblichen Abweichungen entsprochen, so dass folgerichtig auch sämtliche Codices des frühen Mittelalters, die Hermesdorff nun durch die Mitglieder des Choralvereines aus den verschiedensten Gegenden Deutschlands, Luxemburgs, Frankreichs, Belgiens, der Niederlande und der Schweiz zugänglich wurden, übereinstimmen mussten. Diese Erkenntnis und Hermesdorffs darauf gründende weitere Bemühungen um die Pflege und Edition der authentischen Trierer Choralmelodien sollten in der Folge den sog. „Trierer Choralstreit“ auslösen, der später in einen ganz Europa umfassenden Konflikt um die korrekten Singweisen und die Edition des Gregorianischen Chorals im Allgemeinen einmündete und in dem Hermesdorff, sich auf die durch seine Forschungen gewonnenen Erkenntnisse stützend, vehement gegen die vonFranz Xaver Haberl und dem Regensburger VerlagshausPustet mit päpstlicher Approbation als für die katholische Kirche verbindliche Fassung des gregorianischen Chorals herausgegebene Neo-Medicaea eintrat.[17]
Als Ergebnis der Forschungsarbeiten des Choralvereines und auch als musikwissenschaftliches Hauptwerk Hermesdorffs konnte ab 1876 das „Graduale ad normam cantus s. Gregorii“ vorgelegt werden, das allerdings nach der 11. Lieferung aufgrund finanzieller Schwierigkeiten nicht fortgesetzt wurde. Dennoch wird auch das unvollendete Werk – insbesondere durch die über die Quadratnotation beigefügten Neumenzeichen, für die Hermesdorff erstmals ein Drucksystem entwickelt hatte, dessen „Prototypen“ er für den Guss eigenhändig hergestellt hatte – mit Recht als Vorläufer derGraduel neumé desEugène Cardine angesehen und stellt für die damalige Zeit zweifellos eine sehr beachtenswerte wissenschaftliche Leistung dar. Hermesdorff hat hiermit zu einer Zeit, da sich die Choralforschung noch in ihren bescheidensten Anfängen befand, durch die Edition der gregorianischen Gesänge nach Lesarten alter Handschriften für die Erneuerung des gregorianischen Choralgesanges wesentliche Vorarbeiten geleistet.[18]
Hermesdorff hat „in deutschen Landen die Choralforschung am weitesten vorangetrieben und [...] wesentliches zur Choralreform beigetragen,“[19] die zur Edition der im französischen Solesmes herausgegebenenEditio Vaticana und ihrer verbindlichen Einführung für die Katholische Kirche führte. Diese Entwicklung begann sich bereits auf dem von Hermesdorff mitvorbereiteten Kongress für liturgischen Gesang inArezzo abzuzeichnen, an dem er selbst aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr teilnehmen konnte. Prominentester Teilnehmer des Kongresses war Giuseppe de Sarto, der als PapstPius X. diese Herausgabe durch die Mönche von Solesmes veranlasste, die Bücher 1904/05 als verbindlich eingeführt und seine Ansichten über den liturgischen Gesang in seinemapostolischen SendschreibenTra le sollecitudini dargelegt hat.
Obwohl Hermesdorff glaubte, die Verantwortlichen der Diözese von der authentischen Fassung des gregorianischen Chorals überzeugt zu haben, wurden seine Bücher bereits ein Jahr nach seinem Tod unter seinem Nachfolger Philipp Jakob Lenz, der unter dem Einfluss der Regensburger Reformer um Lenz’ LehrerFranz Xaver Haberl stand, zugunsten der Regensburger Medicaea-Ausgabe wieder aufgegeben. Dieser Rückschlag sollte allerdings 15 Jahre später endgültig von der gesamtkirchlichen Entwicklung durch die Edition der Editio Vaticana durch die Mönche von Solesmes und deren verbindliche Einführung überholt werden.
Personendaten | |
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NAME | Hermesdorff, Michael |
KURZBESCHREIBUNG | deutscher Organist und Choralforscher |
GEBURTSDATUM | 4. März 1833 |
GEBURTSORT | Trier |
STERBEDATUM | 18. Januar 1885 |
STERBEORT | Trier |