Der BegriffMenschlichkeit oderHumanität (lateinischHumanitas) hat eine weitere und eine engere Bedeutung.
Die Idee, dass es die Aufgabe jedes Staates sei, dieWürde und dieRechte jedes Menschen zu garantieren, der sich auf seinem Gebiet aufhält, ist fürRechtsstaaten gemäß derNaturrechtslehre konstitutiv.
Philosophen bestimmen in der Tradition des Humanismus anhand verschiedener moralischer Kriterien eine gewisse Teilmenge des Verhaltens von Menschen als „menschlich“. Im 18. Jahrhundert ging es um Themen wie die Frage, „was den Menschen ausmache“ oder wie der Mensch sein solle. Das Ziel war friedvoller, gütiger, kultivierter Umgang. So sprach beispielsweiseJohann Gottfried Herder davon, dass Menschlichkeit nur teilweise angeboren sei und nach der Geburt erst ausgebildet werden müsse: Die Bildung zu ihr sei „ein Werk, das unablässig fortgesetzt werden muß, oder wir sinken […] zur rohen Tierheit, zur Brutalität zurück.“[1]
Den Rang seiner Menschlichkeit könne ein Mensch – der Theorie nach – durch seine jeweiligen Taten verkleinern – oder vergrößern. Die humanistische Theorie zum Begriff Menschlichkeit umfasste „gute“ Ziele wie Taten der Güte, der Menschenliebe, der Nächstenliebe, der Barmherzigkeit und des Mitgefühls. Daneben etablierte sich im 18. Jahrhundert die Lehre von den „unveräußerlichen Menschenrechten“.
Die begrifflichen Gegenstücke zum „menschlichen“ Verhalten sind in der Tradition des Humanismus, das „unerwünschte Verhalten“ und die „Unmenschlichkeit“ (lat.inhumanitas →dt. auch ‚Inhumanität‘ als Gegenstück zu ‚Humanität‘). SchonCicero erklärte, dass „[d]er rücksichtslose Mensch, der sich für andere Menschen nicht interessiert“, „nicht human“, sei, sondern „unmenschlich“. DieseZweiteilung in „Menschlichkeit und Unmenschlichkeit“ wurde nicht nur auf das konkrete Verhalten von Menschen bezogen, sondern auch als Ausdruck der „Wesensart“ „unmenschlich Handelnder“ interpretiert, der zufolge sie „Unmenschen“ seien.
Als von zentraler Bedeutung erweist sich die Frage, wer darüber entscheidet, welches Verhalten als „unmenschlich“ gelten soll. De facto läuft diese Frage auf die Frage hinaus, wer in einem Staat über die Macht verfügt, wertende Begriffe verbindlich zu definieren.
Der Gedanke der Humanität umfasst die prinzipielleGleichheit aller Menschen jeder Herkunft und jeden Geschlechtes, die allgemeineMenschenwürde und die Ächtung von Angriffskriegen. Im weiteren Sinn gebietet Humanität auch religiöse und politischeToleranz und Achtung vor dem Mitmenschen und seinenÜberzeugungen, im weiteren Sinn auch die Achtung vorTieren und denSchutz der Natur.
Humanität ist die Grundlage derMenschenrechte und deshumanitären Völkerrechts als Grundlage despositiven Rechts wie auch der Rechtspraxis in den einzelnen Staaten. Im Zusammenhang mit denVerbrechen gegen die Menschlichkeit ist die Idee der Humanität von zentraler Bedeutung. In den Verfassungen derdemokratischen Staaten ist die Humanität in den Gesetzen fest verankert (siehe etwa, für deutschsprachige Staaten,Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland,Österreichische Verfassung,Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft,Verfassung des Fürstentums Liechtenstein).
Humanität und das Konzept derSolidarität sind eng mit der Tugend derHilfsbereitschaft und deren Umsetzung alsHilfe verbunden. Beispiele sind das Engagement insozialen Einrichtungen wie derCaritas oder derDiakonie, in einerHilfsorganisation für die Einhaltung der Menschenrechte, derNachbarschaftshilfe oder dem intrastaatlichen Prinzip der Hilfsbereitschaft und Nachbarschaftshilfe alsHumanitäre Hilfe. Hier äußert sich der Wille zur Menschlichkeit durch konkrete Hilfeleistungen wie Hilfsgüter, z. B. in Form von medizinischer Hilfe.
Zugleich gibt es eineRechtspflicht zur Hilfeleistung: Eineunterlassene Hilfeleistung stellt nicht nur einen moralisch zu verurteilenden Verstoß gegen die Menschlichkeit dar;Strafgesetzbücher definieren die unterlassene Hilfeleistung vielmehr auch alsStraftatbestand.
§ 2 desNiedersächsischen Schulgesetzes beschreibt den Bildungsauftrag niedersächsischer Schulen folgendermaßen:
Damit sind alle niedersächsischen Lehrer dienstlich verpflichtet, ihre Schüler zu einer Einstellung und zu einem Verhalten zu erziehen, die sich an den Vorstellungen von Humanität orientieren, die in den angeführten Strömungen der Geistesgeschichte entwickelt wurden. Ähnliche Vorschriften finden sich auch in den Gesetzen andererLänder.
FürCicero war es ein Begriff für die ganzheitliche Bildung des Menschen. In diesem Sinne wurden in derRenaissance diestudia humanitatis betrieben. Daher wird auch vomRenaissance-Humanismus gesprochen. Besonders in derZeit der Aufklärung und der deutschenKlassik (Johann Gottfried Herder,Johann Wolfgang von Goethe,Friedrich Schiller) und nach demZweiten Weltkrieg lebte der Gedanke der Humanität neu auf.
Dann wandelte sich die Begriffsbedeutung.[3]
Mit der am 10. Dezember 1948 inkraftgetretenen, allerdings nicht rechtsverbindlichenAllgemeinen Erklärung der Menschenrechte bekannten sich die Unterzeichnerstaaten dazu, die Einhaltung der Menschenrechte auf ihrem Staatsgebiet zu garantieren. Nach neueren Interpretationen des Völkerrechts geltenHumanitäre Interventionen nicht mehr als illegale und illegitime „Einmischungen in dieinneren Angelegenheiten“ des Staates, der sich massiver Menschenrechtsverletzungen schuldig gemacht hat.
Vertreter desEvolutionären Humanismus verweisen darauf, dass Verhalten, das mit den Begriffen Menschlichkeit und Unmenschlichkeit gemeint ist, inzwischen bereits bei vielen Tierarten wissenschaftlich beobachtet und beschrieben wurde. Es seien ganz andere Eigenschaften, die tatsächlich ausschließlich beim Menschen vorkommen. Normative Ableitungen beziehungsweise Ethiken müssten sich an wissenschaftlichen Erkenntnissen orientieren. Dies führt zurevolutionären Ethik.
Eine frühe, ausführliche Beschreibung von Kooperation, Altruismus, Gerechtigkeit und „Sittlichkeit“ bei vielen gesellig lebenden Tierarten beschriebPjotr Alexejewitsch Kropotkin bereits 1902 in seinem BuchGegenseitige Hilfe in der Tier- und Menschenwelt und entwickelte daraufhin seine Ethik, veröffentlicht unter dem TitelEthik. Ursprung und Entwicklung der Sitten.
Spezifisch menschlich seien Rationalität, Vorstellungskraft, konzeptionelles Denken, seine einzigartigen Fähigkeiten zur Sammlung, Organisation und Anwendung von Erfahrungen durch eine sie weitertragende Kultur.[4]
InHoffnung Mensch. Eine bessere Welt ist möglich. schreibtMichael Schmidt-Salomon, diese menschlichen Eigenschaften führten zumtechnischen undmedizinischen Fortschritt, sowie zursoziokulturellen Evolution. Es brauche „einen kulturellen Transformationsprozess, der die humanen, lebensbejahenden Impulse aufgreift und die inhumanen, lebensfeindlichen Elemente abbaut“.[5]
Ein großes Risiko birgt nach Schmidt-Salomon die Tendenz des Menschen, Menschlichkeit nur gegenüber seinerIn-Group zu zeigen, der Out-Group dagegen Feindseligkeit. Zwar wurde auch dieses Verhalten bereits bei Tieren (Schimpansen) beobachtet, bei Menschen sei es jedoch besonders verbreitet.[6]
Helmuth Plessner, ein Hauptvertreter derPhilosophischen Anthropologie, kritisierte am „Wertekonstrukt“ des Humanismus, dass es die „überhebliche Auffassung“ impliziere, andereKulturen zumissionieren und „Menschlichkeit erst beibringen“ zu wollen. Damit knüpft Plessner implizit an die KritikJesu von Nazaret an derSelbstgerechtigkeit der „Pharisäer“ an. Zu beachten ist nämlich, dassnach christlicher Auffassungalle Menschen „Sünder“ sind. Folgerichtig mahnt Jesus der Bibel zufolge: „Wer von euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein […]!“[7]
In der TraditionFriedrich Nietzsches wird das Festhalten an dem Gegensatzpaar „gut/böse“ als Ausdruck einerSklavenmoral bewertet. Es müsse, wie in den Zeiten derAristokratie (= wörtlich: der „Herrschaft der Besten“) wieder durch das Gegensatzpaar „gut/schlecht“ ersetzt werden, wobei ein „schlechter Mensch“ nicht etwa ein „böser Mensch“ sei, sondern ein schlichter, einfacher Mensch, dem es an den Fähigkeiten und der Stärke der Aristokraten mangele. Der „Herrenmensch“ sei aufgrund seiner Vornehmheit befugt, alles zu tun, was ihn „verherrliche“.[8]
Als „Herrenmenschen“ legtenNationalsozialisten keinen Wert darauf, als „Humanisten“ zu gelten, und verspottetenPazifismus und christliche Nächstenliebe als Ausdruck von „Humanitätsduselei“. So „versprach“Fritz Sauckel, während der Zeit des NationalsozialismusGauleiter vonThüringen und als „Generalbevollmächtigter für den Arbeitseinsatz“ Koordinator des Einsatzes vonZwangsarbeitern: „Wir werden die letzten Schlacken unserer Humanitätsduselei ablegen.“[9] Sauckel gehörte zu den Führungskräften des Nationalsozialismus, die während derNürnberger Prozesse u. a. wegen „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ angeklagt und verurteilt sowie anschließend hingerichtet wurden.