Satire ist eine Kunstform, mit der Personen, Ereignisse oder Zustände kritisiert, verspottet oder angeprangert werden. Typische Stilmittel der Satire sind die Übertreibung als Überhöhung oder die Untertreibung als bewusste Bagatellisierung bis ins Lächerliche oder Absurde. Üblicherweise ist Satire eine Kritik von unten (Bürgerempfinden) gegen oben (Repräsentanz der Macht), vorzugsweise in den Feldern Politik, Gesellschaft, Wirtschaft oder Kultur.
Die Anwendung von Satire wird oft alsschwarzer Humor bezeichnet.
In der älteren Bedeutung des Begriffs war Satire lediglich eineSpottdichtung, die Zustände in sprachlich überspitzter und verspottender Form thematisiert. Historische Bezeichnungen sind auchSpottschrift,Stachelschrift undPasquill (gegen Personen gerichtete satirische Schmähschrift).
Das WortSatire entstammt demlateinischensatira, das wiederum aussatura lanx hervorgeht und ‚mit Früchten gefüllte Schale‘ bedeutet. Im übertragenen Sinn lässt es sich mit ‚bunt gemischtes Allerlei‘ übersetzen. In früherer Zeit wurdeSatire fälschlicherweise aufSatyr zurückgeführt, daher die ältere SchreibweiseSatyra.[1]
Satirische Zeichnung von 1806 zeigtNapoleon als Bäcker seiner Verbündeten undTalleyrand, der bereits neuen Teig knetet.Andere Rollenverteilung 1814, Napoleon wird vonBlücher und Woronzeff in den „Backofen der Verbündeten“ geschoben.
Es gibt annähernd so viele Bestimmungen der satirischen Schreibweise wie es Satiriker gibt, und keine Bestimmung trifft auf die Gesamtheit der Satiren zu. Ihre Gegenstände, Mittel und Funktionen wandeln sich im Laufe der Geschichte. Es ist daher unmöglich, sie scharf von derKomik, derParodie und derPolemik zu trennen.
Satire kann folgende Funktionen haben (nicht alle müssen im Einzelfall gleichermaßen gegeben sein):
Kritik: NachSchiller stellt die Satire die mängelbehaftete Wirklichkeit einem Ideal gegenüber.[2]
Didaktik: direkte oder indirekte Absicht zu belehren und zu bessern.
Unterhaltung: Nähe zu Formen der Komik und zur Parodie, von denen sie sich durch die kritische Haltung unterscheidet.
Die Satire bedient sich häufig der Übertreibung (Hyperbel), kontrastiert Widersprüche und Wertvorstellungen in übertriebener Weise (Bathos), verzerrt Sachverhalte, vergleicht sie spöttisch mit einem Idealzustand (Antiphrasis) und gibt ihren Gegenstand der Lächerlichkeit preis. Zu ihren Stilmitteln gehören Parodie,Travestie undPersiflage, zu ihren TonfällenIronie,Spott undSarkasmus. Insofern sich die Satire auf eine Idealvorstellung beruft, kann sie sich auch desPathos bedienen.
Eine wichtige Form der Satire ist dersatirische Roman, in der die Satire alsfiktionalesNarrativ auftritt. Sehr häufig ist hier die Form desReiseberichts in der ersten Person oder einer Reisebeschreibung in der dritten Person, wobei die Hauptfigur oft sehr naiv erscheint (sieheErzählperspektive). Es können entweder die naiven Erwartungen der Hauptfigur an die Welt mit der Wirklichkeit, die sie erlebt, kontrastiert werden, oder die von ihr bereiste Welt kann satirisch mit anderen Formen literarischer oder philosophischer Weltdarstellung kontrastieren.
Satire tritt häufig als Mittel derPolemik auf. In öffentlichenDebatten und im gelehrtenDisput kann sie ein Mittel sein, einen Gegner bloßzustellen. Dabei greift sie nicht direkt mit Sachargumenten an, sondern geht den indirekten Weg der Kontrastierung, bei der dem Zuhörer oder Leser der Kontrast zwischen Wirklichkeit und Ideal augenfällig wird. In dieser Funktion ist sie Teil der Streitkunst (Eristik). Aggressionspotenzial und Gewaltnähe der Satire werden in der alteuropäischen Tradition durchgehend reflektiert.[3]
Älteste und zugleich langlebigste Untergattung der Satire ist diemenippeische Satire. DieAntike definierte sie zunächst rein formal durch die Kombination vonVers- undProsadichtung (Prosimetrum). Nach dem römischenPolyhistorMarcus Terentius Varro, der die prosimetrische Form (nicht den Inhalt) in dierömische Literatur importierte, wird sie auch alsvarronische Satire bezeichnet.
Ihr Namensgeber ist dergriechischeKynikerMenippos von Gadara (3. Jahrhundert v. Chr.), von dem selbst keine Schriften erhalten sind. Er soll mit einer Mischung aus Ernst und Komik, aus Witz und Spott, in Dialogen und Parodien die kynische Kritik (Diatribe) in literarische Form gebracht haben.
Die formale Freiheit der Menippea wurde bald umgedeutet zur inhaltlichen und stilistischen Freiheit. Äußere Formlosigkeit, freier Wechsel der Tonfälle und Perspektiven wurden für sie zu flexiblen Mitteln, durch Spott, Parodie und Ironie die Wahrheit zu sagen.
Der SyrerLukian von Samosata (2. Jahrhundert n. Chr.) war der erste Schriftsteller, der sich auf Menippos berief, als er satirische Werke in dieser freien Form verfasste. In seinen komischenTotengesprächen, die eine heute verlorene Schrift des Menippos nachahmen, tritt dieser auch selbst als Figur auf. Ein klassisches Beispiel für dieMenippea istSenecasApocolocyntosis („Verkürbissung“), eine Schmährede auf den verstorbenen KaiserClaudius, sowie auchPetronsSatyricon.
In derRenaissance lebte die Menippea wieder auf. 1581 veröffentlichte der HumanistJustus Lipsius sein WerkSatyra Menippea: Somnium, sive lusus in nostri aevi criticos, es war der erste Werktitel nach der Antike, der sich auf diesen Gattungsbegriff berief. 1594 entstand in Paris eine Gemeinschaftsarbeit von vier gebildeten Parisern, die unter dem TitelLa Satire Ménippée die Herrschenden anprangerte (Lexika nennen diesen Titel noch bis 1750 unter diesem Stichwort). Weitere literarische Beispiele sind etwaFrançois Rabelais’Pantagruel (1532) undGargantua (1534),Johann FischartsGeschichtklitterung (1575/90),Laurence SternesTristram Shandy (1759–1767),Des Luftschiffers Gianozzo Seebuch vonJean Paul (imTitan, 1800–1803) oder dieWunderbare Geschichte von BOGS dem Uhrmacher (1807) vonClemens Brentano undJoseph Görres.
Northrop Frye schlug vor, die Menippea alsliterarische Großform neben anderen Formen derProsa einzuordnen.Michail Bachtin (1987) sieht in ihr das kulturtragende Prinzip desKarnevals, das in den Volkskulturen Europas eine zentrale Rolle spielt und auch in der Literatur aufzufinden ist.
DieRömer führten die Satire auf die Spottverse des römischen DichtersLucilius zurück.Quintilians stolzer Satz: „Satura quidem tota nostra est“ („Die Satire freilich ist ganz unser“)[4] belegt, wie bedeutsam den Römern diese literarische Gattung erschien; diese als einzige hatten sie nicht von denGriechen übernommen. Lucilius’ Verssatiren markierten also im 2. Jahrhundert v. Chr. eineEmanzipation von der bis dahin griechisch geprägten Dichtkunst. Damit gemeint ist jedoch nur dieVerssatire (indaktylischenHexametern), auchlucilische Satire genannt.
Lucilius war ein Schriftsteller von Rang und finanzieller Unabhängigkeit; nur so konnte er es wagen, über Personen des öffentlichen Lebens Spott auszugießen. Viele seiner Spottdichtungen wurden ursprünglich einzeln publiziert, wenn sie sich auf tagespolitische Ereignisse bezogen. Sie verspotten inEpigrammen undDialogen die römische Geschäftswelt und das Leben in Rom, die menschlichenLaster,Aberglauben und Krankheiten, zeichnen in bissigem Ton Ehefrauen und Affären, und belehren über Sprache,Orthografie und Dichtkunst.
Horaz berief sich auf Lucilius als Vorgänger, indem er seine Satiren wie dieser alsSermones betitelte und in strengen Hexametern abfasste. Sie erheben den philosophischen Anspruch, die Laster in der Welt zu nennen, die für den Unfrieden in der Welt verantwortlich sind: Habgier, Ehebruch, Aberglaube, Maßlosigkeit usw. Die Themen sind also ähnlich denen von Lucilius’ Satiren, doch weniger scharf im Ton; Horaz war wegen seiner weniger einflussreichen Position dazu gezwungen, die Schwächen des Menschen an sich selbst oder an verstorbenen Personen aufzuzeigen oder an solchen, die ihm nicht gefährlich werden konnten.
Stilistisch wird demnach zwischen derhorazischen Satire (scherzhaft und komisch) und derjuvenalischen Satire (strafend, pathetisch) unterschieden. Diese Gattungsbegriffe existierten bis weit ins späte 18. Jahrhundert und waren in der literarischen Praxis und in derLiteraturgeschichte gebräuchliche Unterscheidungen; selbst Friedrich Schiller unterschied noch zwischen der „lachenden“ und der „pathetischen“ Satire (inÜber naive und sentimentalische Dichtung). DurchGoethes folgenreiche Neueinteilung der Literatur inEpik,Lyrik undDrama verloren die antiken Unterscheidungen für die Gegenwartsliteratur an Bedeutung.
„Satura“ („Füllung“, „Gemisch“) war ursprünglich der Titel einer Gedichtsammlung vonEnnius, die aber selbst nicht satirischen Inhalts ist. Als „saturae“ werden beiLivius auch komödiantische Gesangs- und Tanzdarbietungen bezeichnet, die er auf die griechischenSatyrspiele zurückführen wollte. Bezeichnete Lucilius selbst seine Satiren anfangs als „ludus ac sermones“ (Spiele und Schriftwerke, Dialoge), so standen in den ersten drei Jahrhunderten beide Begriffe nebeneinander, bis sich mit dem polemisch gesellschaftskritischen Schriftenzyklus aus 16 Satiren von Juvenal im 2. Jahrhundert n. Chr. die Bezeichnung „satura“ für ein literarisches Werk satirischen Inhalts endgültig durchsetzte. Juvenal war auch der erste Satiriker, der das Phänomen der Realsatire ins Wort brachte, als er über einen unfreiwillig komischen Vorfall schrieb:„Difficile est satiram non scribere“ („Hier keine Satire zu schreiben, ist schwer“)[5]
Hasen rösten den Jäger am Spieß, Kupferstich vonIsrahel van Meckenem, 15. Jahrhundert
Satiren des Mittelalters und des Humanismus waren tendenziell konservativ, von christlichen Werten und der Richtigkeit derStändeordnung überzeugt. Weil sie die unaufhebbare Sündhaftigkeit des Menschen darstellen und auf Besserung hinwirken sollen, gehören sie zur christlichenDidaktik.
ImMittelalter tritt Satire daher meist alsStändesatire auf. Ausgehend von der hierarchischen Feudalordnung kritisiert sie Verletzungen der Standespflichten und jede Art von Übertretung der von Gott geschaffenen Sozialordnung. Dazu zählt die Auflehnung der unteren Stände (Bauern), aber auch die Grausamkeit desAdels oder die sündhafte Leichtlebigkeit der Geistlichen.
Eine andere Form ist das Tierepos, etwaReineke Fuchs (verschiedene Fassungen).Tierfabel undSchwank wurden in ihm zu einem literarischen „Spiegel“ verschmolzen, der die moralische Verkommenheit der höfischen Welt mit dem höfischen Ideal vergleicht. Man kann das Tierepos auch als Parodie des höfischenEpos verstehen, dessen Helden diese Ideale verkörperten.
Illustration aus demNarrenschiff:Von vnnutzē buchern – über den, der viele Bücher besitzt und sie weder liest noch versteht, nur abstaubt
Erst die Entwicklung des modernenIndividualismus in der italienischenRenaissance brachte als Korrektiv die „moderne“ Satire hervor: Der Witz wird zur Waffe.Jacob Burckhardt bezeichnete das Italien des 15. Jahrhunderts als „eine Lästerschule (…), wie die Welt seitdem keine zweite mehr aufzuweisen gehabt hat“ (Die Cultur der Renaissance, 1860). Die Bandbreite der satirischen Schriften Italiens reichte von denLustspielen derCommedia dell’arte bis zum gelehrtenWitz, denfacetiae, die vonPhilologen gesammelt und analysiert wurden.
Die Parodie des Feierlichen und Erhabenen stand in hoher Blüte; der Witz etwa einesTeofilo Folengo oder einesPietro Aretino war berüchtigt. Der vielseitige Aretino schrieb Komödien, die das aristokratische Leben in Rom verspotteten. In seinen fast 3000Briefen und vermischten Schriften übt er seine Kunst, spontan – oft auchopportunistisch – zu jedem beliebigen Gegenstand eine spitze Bemerkung zu formulieren, besonders gegen alles Pedantische und Pathetische.
In Deutschland lag die Situation anders. Die Satiren desHumanismus gehören meist zur Gattung derNarrenliteratur. Fast bruchlos stehenSebastian BrantsNarrenschiff (1494) undErasmus von RotterdamsLob der Torheit (1509) undJulius vor der verschlossenen Himmelstür (1514) in der Tradition des Mittelalters; sie sind hauptsächlich auf die humanistische Kritik von Sitten und Untugenden der Zeitgenossen gerichtet, die sie mit didaktischer Strenge zu verbessern trachten. Besonders dasNarrenschiff fand in lateinischer Übersetzung[6] in ganz Europa Leser und Nachahmer.
Papstkarikatur der ReformationszeitAntiklerikale Karikatur aus der Reformationszeit vonErhard Schön
DieReformation entdeckte die Satire als publizistisches Mittel der polemischenAgitation im Streit um die christliche Lehre. Je nach religiöser Zugehörigkeit ihrer Autoren richteten sich die satirischen Streitschriften und Flugblätter gegen diekatholische Kirche (Erasmus,Ulrich von Hutten,Dunkelmännerbriefe) bzw. gegen die Vertreter der Reformation (Thomas Murner). Dabei wurden sowohl die widerstreitenden Gruppen als auch erstmals ihre individuellen Exponenten Ziel der satirischen Angriffe: der Papst als Esel oder Drache,Johannes Eck als Schwein, Thomas Murner als Katze oder der Theologe Lemp als bissiger Hund und dazu kontrastierend Luther als siebenköpfiges Ungeheuer (Hans Brosamer). Die Karikatur vonErhard Schön zeigt allerdings nicht Luther (wie häufig fälschlicherweise behauptet wird), sondern einen gewöhnlichen Mönch. Sie richtet sich also gegen die Kirche, nicht gegen die Reformation.[7]
Vielfach erfolgte im Rückgriff auf biblische Situationen eine aktualisierende Zuspitzung auf das Tagesgeschehen. Gestalten derApokalypse versah man mit den päpstlichen Insignien, dieHure Babylon trägt dieTiara, an Stelle von Babylon schildert dieSeptemberbibel das zugrunde gehende Sündenbabel Rom.
Bildsatiren der Reformationszeit wurden in hoher Zahl und vielfältigen originellen und vor allem derb-volkstümlichen[8] Exemplaren aufgelegt und verbreitet. Gleichwohl erfolgten die Veröffentlichungen der Karikaturen aus Gründen des Selbstschutzes häufig anonym. Berichtet wird von Haftstrafen für Zeichner, Drucker und Kolporteure für ihre „Schmähschriften“.
InBern waren es nicht Predigten, sondern die antikatholischen Fastnachtsspiele vonNiklaus Manuel, die der Reformation zum Durchbruch verhalfen.
Satiren dienten auch imBarock der Kritik an derhöfischen Welt und den Zeitgenossen, indem sie die Verkehrtheit der gegenwärtigen Welt pointiert herausstellten und mit dem Ideal christlicher Sitten, Ehrbarkeit und Tugend verglichen. Repräsentativ ist dafürMoscheroschs RomanWahrhafftige Gesichte Philanders von Sittewalt (1646),[9] der die erstarrten Repräsentationsgesten desAdels durch bittersten Hohn entlarven wollte. Man glaubte auch, mittels heiterer Schriften vonSchlaflosigkeit undMelancholie heilen zu können, etwa durch humoristisch-satirischeKollektaneen wie dieCuriösen Speculationen bey Schlaf-losen Nächten (Johann Georg Schmidt, 1707).
Zu den heute bekanntesten satirischen Romanen des Barock gehörenGrimmelshausens herausragenderSimplicissimus Teutsch (1668/1669)[10] undChristian ReutersSchelmuffsky (1696/97),[11] die beide – auf jeweils sehr unterschiedliche Weise – der komisch-satirischen Tradition desSchelmenromans oder pikaresken Romans zugeordnet werden können. AuchAndreas Gryphius’ StückHorribilicribrifax (1663) gehört vom Ideengut in diese Aufzählung. Ihr aller Vorbild ist jedoch das monumentalste Werk der barocken Satire,Cervantes’ parodistischer RitterromanDon Quijote (1605–1615). Gerade derSchelmuffsky entfaltet eine komische Höhe, die vielleicht erst wieder mitGottfried August Bürgers Bearbeitung der Abenteuergeschichten desBaron Münchhausen (1786) erreicht wurde. Die Abenteuer des fluchenden und aufschneiderischen Schelmuffsky hatten jedoch zu Lebzeiten des Autors wenig Wirkung und wurden erst um 1800 von den deutschenRomantikern wiederentdeckt.
Ein wichtiges Phänomen ist auch die sogenannteAlamode-Satire (frz.à la mode = modisch, neumodisch) oderSprachsatire: Viele Autoren – zu dieser Zeit meist Amtmänner, Geistliche oder Hofschreiber – waren Mitglieder derpatriotischenSprachgesellschaften. Deren selbstgesetztes Ziel war es, Literatur in deutscher Sprache zu fördern und den deutschen Wortschatz von Fremdwörtern zu reinigen. Mit polemischen Mitteln agitierte man daher gegen „Sprachverderber, welche die alte Teutsche Muttersprach, mit allerley frembden Wörtern vermischen, dass solche kaum halber kan erkant werden“ (Klaglied von 1638). Solche Polemiken tragen Titel wieDeutsche Satyra wieder alle Verterber der deutschen Sprache (Johann Heinrich Schill, 1643), oderReime dich, oder ich fresse dich: das ist, deutlicher zu geben, Antipericatametanaparbeugedamphirribificationes Poeticae oder Schellen- und Scheltenswürdige Thorheit Boeotischer Poeten in Deutschland (Gottfried Wilhelm Sacer, 1673). Ein weiterer bedeutender Satiriker der Zeit warJoachim Rachel, der sich als „deutscher Juvenal“ außerordentlicher Popularität erfreute.
Da ein beliebtes schriftstellerisches Genre die Abfassung von deutschsprachigenRhetorik-Lehrbüchern war, kursierten auch satirisch gemeinte Anleitungen zur Redekunst „à la mode“. Im Zuge dieser kollektiven „Spracharbeit“ versuchte man auch die verdeutschten Bezeichnungen „Stachelschrift“ und „Stachelgedicht“ für satirische Schriften einzuführen; sie fanden jedoch wenig Verbreitung.
Im Zeitalter derAufklärung florierte die Satire als didaktisches Mittel, mit der die philosophischen und pädagogischen Ziele der Aufklärung befördert werden sollten. Die Kritik der Mächtigen blieb jedoch lange Zeit ausgespart; sicher vor allem aus Furcht vorZensur. Die SatirenGottlieb Wilhelm Rabeners etwa blieben „menschenfreundliche“ Kritik von Verstößen gegen gutenGeschmack undSittlichkeit.
Zugleich entfaltete sich dasliteraturtheoretische Interesse an der Satire.Johann Georg Sulzer etwa definierte die Satire nicht mehr über die Form, sondern über den Inhalt. Von ihr wird verlangt, dass sie Themen vonsozialer Relevanz behandle, nämlich „jede im Verstand, Geschmack oder dem sittlichen Gefühl herrschende Unordnung“; damit gehört sie zu den wertvollen Mitteln, die der moralischen Besserung des Menschen dienen: „Der Endzweck der Satire ist dem Übel, das sie zum Inhalt gewählt hat, zu steuern, es zu verbannen, oder wenigstens sich dem weiteren Einreißen desselben zu widersetzen und die Menschen davon abzuschrecken.“ (Allgemeine Theorie der schönen Künste, 1771).
Gerade die Satire der Spätaufklärung übte aber auch scharfe Kritik an den Idealvorstellungen der Aufklärung. InJohann Karl Wezels satirischem RomanBelphegor ist es die Vorstellung, das Geschehen in der Welt folge einem rationalen Plan, die in aller Deutlichkeit widerlegt wird. Erfolg haben in Deutschland nun auch die Satiren vonJonathan Swift, die frühaufklärerische Ideale kritisieren: So persifliertA Modest Proposal (1729) die Vorstellung, rationale Überlegungen könnten der Linderung menschlicher Not dienen; inGulliver’s Travels (1726) bereist der Held einige Inseln, die Parodien auf gelehrte Theorien der Zeit darstellen.
Zu den namhaftesten Satirikern der Spätaufklärung zählenGeorg Christoph Lichtenberg, der den kurzen, geschliffenenAphorismus populär machte, undJean Paul, dessen gesamtes Werk eine Neigung zur Satire zeigt. In England blühte die Satire noch mehr als in Deutschland; ebenso in Frankreich bei den namhaftesten Aufklärern, etwaMontesquieu (Persische Briefe, 1721),Voltaire (Candide, 1759) undDenis Diderot (Rameaus Neffe, 1761–1776). AuchSchillers undGoethesXenien (1797) kann man zu den satirischen Schriften zählen; ihre spitzenEpigramme zielten vor allem auf ihre Dichterkollegen und unmittelbaren publizistischen Gegner.
Schiller war es auch, der die Satire in der Wertschätzung an den Rand der Dichtkunst rückte: „Streng genommen verträgt (…) der Zweck des Dichters weder den Ton der Strafe, noch den der Belustigung.“ (Über naive und sentimentalische Dichtung: Satirische Dichtung. 1795) Unter bestimmten Bedingungen könne satirische Dichtung dennoch gelten; abhängig jedoch von der moralischen Integrität ihrer Autoren: die „pathetische Satire“ müsse „aus einem glühenden Triebe für das Ideal hervorfließen“; die „lachende Satire“ könne nur einer „schönen Seele“ entspringen. In mittelmäßigen Händen würde die Satire zum Spott werden und ihre „poetische Würde“ verlieren – und demzufolge aus der „hohen Literatur“ ausgeschlossen werden.
Zu denLiteratursatiren der Romantik zählenLudwig Tiecks StückeDer gestiefelte Kater (1797), der „gleichsam auf dem Dache der dramatischen Kunst herumspaziert“ (Friedrich Schlegel) undDie Verkehrte Welt (1798), das „Schauspiel eines Schauspiels“ (August Wilhelm Schlegel). Schlegels Konzepte derromantischen Ironie und derTranszendentaleUniversalpoesie, die sich ironisch immer wieder selbst den Boden unter den Füßen wegzieht, kann im weitesten Sinne selbst zu den satirischen Schreibverfahren gezählt werden. Es ist jedoch zu beobachten, dass sich Theorie und literarische Praxis der Satire in der Romantik trennen – ihre produktivsten Theoretiker wie die Gebrüder Schlegel sind selbst literarisch wenig aktiv.
InPhilistersatiren wurden der braveSpießbürger und dessen geistige Vertreter („Philister“) veräppelt. BeiClemens Brentano undJoseph Görres, aber auch beiJoseph von Eichendorff finden sich Texte dieses Genres. Später auchSpießbürgersatire genannt, hat diese Form praktisch bis heute Bestand.
Charles Darwin als Affe in einemCartoon von 1871China modernisirt sich. Satyrisches Bild Nr. 38, kolorierter Kupferstich der Wiener Theaterzeitung, um 1850
HegelsVorlesungen über die Ästhetik (1835–1838) urteilten noch über die Gegenwart: „Heutigentags wollen keine Satiren mehr gelingen“. Das 19. Jahrhundert sollte ihn auf eine gewisse Art widerlegen.
Dominiert wurde das 19. Jahrhundert aber vom Aufkommen dergesellschaftskritischen und politischen Satire. Soziologisch kann man sie als Reaktion auf das Bestreben nachParlamentarismus undDemokratie in ganz Europa und die Entstehung des ganzen Spektrumspolitischer Parteien sehen. Ihre Pioniere warenHeinrich Heine,Wilhelm Hauff undGeorg Weerth. Heine attackierte imAtta Troll (1843) allegorisch die deutsche Politik desVormärz. Seine „politische Dichtkunst“, wie er sie nannte, richtet sich auch inDeutschland, ein Wintermärchen (1844) pessimistisch gegen die preußische Hegemonie.
LeichteTheaterkomödien wurden um die Jahrhundertwende im deutschsprachigen Raum zum bevorzugten Medium des satirischen Witzes. Repräsentative Autoren waren die ÖsterreicherArthur Schnitzler,Johann Nestroy undHugo von Hofmannsthal. Auch derNaturalismus hatte seine satirisch-sozialkritischen Dramen, etwaGerhart HauptmannsBiberpelz (1893) undArno Holz’Blechschmiede (1902) sowie der wiederentdeckte SpätromantikerChristian Dietrich Grabbe mit seinem LustspielScherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung (1827). Ab 1900 fasste dann dasKabarett im deutschsprachigen Raum Fuß. Kabarettistische Bühnenprogramme wurden in den Großstädten zur beliebten Abendunterhaltung und zum zentralen Medium für tagesaktuelle Kritik an Politik und Zeitumständen.
Ab 1854 garantierte ein Bundesgesetz in Deutschland im Prinzip diePressefreiheit. Klagen wegen „Pressevergehens“ und Gefängnisstrafen für Redakteure waren jedoch an der Tagesordnung. Wegen der neuen Freiheit und trotz der scharfen Überwachung durch die Staatsanwaltschaft wurden zahlreiche satirische Zeitschriften verschiedener politischer Richtungen gegründet. In England erschien seit 1841 derPunch, der sich in Anlehnung an denPariserCharivari auch „The London Charivari“ nannte.Punch undCharivari waren Vorbilder für eine ganze Anzahl deutschsprachiger satirischer Magazine. Im Jahr derMärzrevolution 1848 erschienen beispielsweise allein in Berlin rund 35 dieser zum großen Teil sehr kurzlebigen politischen „Witzblätter“. Dauerhaften Erfolg hatten unter anderen die reich illustriertenFliegenden Blätter (ab 1845) sowie der bürgerlich-konservativeKladderadatsch (ab 1848).
Neue Formen der Satire entstanden vor allem in diesem flexiblen Medium derZeitschrift. Zur literarischen Satire in ihren verschiedenen Formen gesellte sich das Bildmedium, die politischeKarikatur. Eine Innovation war derCartoon, der in England entstand und durch meist unpolitische Themen gekennzeichnet war. Mit grafisch anspruchsvollen Zeichnungen und kurzen, pointierten Dialogen skizzierte er gesellschaftliche Peinlichkeiten und komische Situationen. Cartoons wurden bald auch in deutschen Zeitschriften populär; zu ihren Gestaltern gehörten die besten Grafiker desJugendstils.
In der Zeit derWeimarer Republik von 1919 bis 1933 zählenKurt Tucholsky undErich Kästner (ab 1927) zu den großen Satirikern deutscher Sprache. „Wenn einer bei uns einen guten politischen Witz macht, dann sitzt halb Deutschland auf dem Sofa und nimmt übel“, beschrieb Tucholsky 1919 die Situation der Satire, die von Staat, Kirchen und den konservativen Parteien bekämpft wurde. In seinem bis heute breit rezipierten EssayWas darf die Satire? zog er das Fazit: „Was darf die Satire? Alles.“[12] Der Wiener KritikerKarl Kraus, der mit seiner ZeitschriftDie Fackel (1899) ein eigenes öffentliches Forum für Kritik an Sprache, Gesellschaft und Journalismus schuf, ist bis heute einer der meistzitierten Satiriker.
Nach 1933 wurden unter der Diktatur desNationalsozialismus satirische Zeitschriften eingestellt, die Schriftsteller insExil gejagt. Viele satirische Werke wurden Opfer derBücherverbrennungen und der Zensur. Manche Zeitschriften, etwa derSimplicissimus, existierten weiter, wurden abergleichgeschaltet und mit regimetreuen Inhalten versehen.
Auch die österreichische SatirezeitschriftDie Muskete existierte noch bis 1941. Nationalistische und antikommunistische Züge waren ihr nie fremd gewesen; dennoch wurde sie für den Nationalsozialismus, der seit 1938 auch in Österreich herrschte, vereinnahmt. Das Titelblatt der letzten Ausgabe von 1941 zierte ein rotwangiges Mädchen in Bauerntracht mit einemDeutschen Schäferhund.
In der Sowjetunion richteten sich die von der Zensur genehmigten satirischen Zeitungsartikel, Karikaturen, Romane und Theaterstücke gegen Regimegegner, darunterzaristische Emigranten, Priester und Gläubige derorthodoxen Kirche, sowie gegen ineffiziente „Bürokraten“ und angebliche „Bummelanten“. Die Satire war somit Element des Propaganda- und Denunziationssystems der Parteiführung.[13]
In denUSA konnten satirische Romane dagegen aufblühen: Der immens gebildeteVladimir Nabokov, der sarkastischeSinclair Lewis und der ReiseschriftstellerEvelyn Waugh gelten als herausragend.
Nach demZweiten Weltkrieg war es ab den 60er Jahren dieNeue Frankfurter Schule, die die deutsche Satire entstaubte und zu neuen Höhen führte. Gemeinsames Forum war vor allem die Satirezeitschriftpardon (1962). Weil der Verleger den Kurs des Hefts änderte, gründetenpardon-Mitarbeiter 1979 das SatireheftTitanic, das nach wie vor monatlich erscheint. Gerade die Geschichte derTitanic belegt, dass auch in der Bundesrepublik Deutschland Satire nichtalles darf; mehrmals wurde dieTitanic gerichtlich zur Zahlung von Schmerzensgeld verurteilt.
In derDDR erschien ab 1954 das MagazinEulenspiegel, das noch heute erscheint, sich jedoch seit der Wende stark gewandelt hat, vor allem auch stilistisch, und in vielen Aspekten derTitanic ähnelt.
Erfolgreicher als die Neue Frankfurter Schule waren in Deutschland, gerechnet an den Verkaufszahlen, allerdings die bürgerlichen Satiren vonEphraim Kishon undLoriot. Romane mit satirischen Zügen stammen von u. a.Wolfgang Koeppen (Das Treibhaus, 1953),Martin Walser (Ehen in Philippsburg, 1957),Günter Grass (Die Blechtrommel, 1959). Obwohl sie auch als Gesellschaftsporträts lesbar sind, tragen sie doch deutliche Züge der zugespitzten satirischen Weltdarstellung. Als literarische Gattung konnte sich der satirische Roman jedoch nicht wieder etablieren.
InÖsterreich gab es mehrere (kurzlebige) Satiremagazine. In den 1950er Jahren war das dieLeuchtkugel, von 1982 bis 1985 derWatzmann, zeitgleich derLuftballon und 1997 derSimplicissimus, seit 2009 derRappelkopf.
Wenn man von satirischen Bewegungen sprechen kann, trifft man diese vor allem in Frankreich an. Um 1900 erfandAlfred Jarry die parodistische Wissenschaft der’Pataphysik, die 1948 in der Gründung desCollège de ’Pataphysique wieder aufgenommen wurde. Auch den Kunstbewegungen desSurrealismus,Dada und derSituationistischen Internationale können satirische Züge nachgewiesen werden, wenn man ihre ironisch-spielerischen und humorvollen Tendenzen hervorhebt.
Die Satire in Buchform hat eine lange Geschichte und blickt auf eine lange Reihe von Werken zurück, die bis in die Gegenwart reicht. Durch die Postmoderne und die stärker werdende Dominanz von Film und Fernsehen wird die „reine“ Satire in Buchform zwar seltener, aber immer noch von Liebhabern des Fachs wegen ihrer großen Kritikmöglichkeiten gepflegt und weiterentwickelt. Beispiele:
Auch im Film ist die Satire relativ häufig präsent. Sie ist zwar kaum als eigenständiges Filmgenre zu betrachten, dennoch ist sie Bestandteil vieler Filme, die z. B. Gesellschaftskritik üben.
Der Wissenschaft bediente sich 1967 der SchriftstellerLeonard C. Lewin unter demPseudonym L. L. Case, indem er in dem als Sachbuch geführten BuchReport From Iron Mountain on the Possibility and Desirability of Peace[14] behauptete, ausgeleakten Unterlagen gehe hervor, dass 15 der bedeutendsten amerikanischen Wissenschaftler zu dem Ergebnis gekommen seien, dass nur der Krieg „Wirtschaft und Wissenschaft, Gesellschaft und Staat am Leben“ halten könne und „die Haupttriebkraft für die Entwicklung der Wissenschaft auf allen Stufen“ sei.[15][16] Das Buch entwickelte sich zumBestseller und wurde mehrere Jahre teils ernsthaft diskutiert, bis Lewin 1972 bestätigte, dass es alsHoax gedacht war und er der Autor sei.[17] Zwischen 1967 und 2008 erschien das Buch in 52 Auflagen und vier Sprachen.[18]
Seit 1991 wird derIg-Nobelpreis vergeben, auch alsAnti-Nobelpreis bezeichnet, eine satirische Auszeichnung, um wissenschaftliche Leistungen zu ehren, die „Menschen zuerst zum Lachen, dann zum Nachdenken bringen“. Vergeben wird der Preis von der inCambridge (USA) erscheinenden ZeitschriftAnnals of Improbable Research. Seit 2012 werden die Preise an derHarvard-Universität überreicht.
Ebenfalls als Hoax ausgelegt war der 1996 von demPhysikerAlan Sokal in derFachzeitschriftSocial Text veröffentlichte ArtikelTransgressing the Boundaries: Towards a Transformative Hermeneutics of Quantum Gravity, zu deutsch etwa:Die Grenzen überschreiten: Auf dem Weg zu einer transformativenHermeneutik derQuantengravitation.[19][20] Sokal war über Jahre hinweg aufgefallen, dass verschiedene Autoren der Denkrichtungen Philosophie und Soziologie in ihren Aufsätzen wiederholt Konzepte, Modelle und Begriffe, die in der Physik exakt definiert sind, ohne hinreichende Belege zu eigenen Analogien oder Parallelen verwendeten. Der Artikel war in postmodernem Jargon formuliert und gab vor, die Quantengravitation alslinguistisches undsoziales Konstrukt zu deuten, wobei dieQuantenphysik die postmodernistische Kritik stütze. Sokal hatte dabei absichtlich zahlreiche logische und inhaltliche Fehler eingestreut, die den Redakteuren der Zeitschrift – sie hatten für die Schlussredaktion keine Physikexperten hinzugezogen – jedoch nicht auffielen.
In der Folge sorgte die Affäre für eine Auseinandersetzung über die intellektuellen Standards in denSozial- undGeisteswissenschaften und zahlreichen weiteren Veröffentlichungen.[21] InEleganter Unsinn erweiterte Sokal gemeinsam mitJean Bricmont seine satirische Kritik: „Vielleicht glauben [die Autoren], sie könnten das Prestige der Naturwissenschaften nutzen, um ihren eigenen Diskursen den Anstrich von Exaktheit zu geben. Und sie scheinen darauf zu vertrauen, dass niemand ihre falsche Verwendung wissenschaftlicher Begriffe bemerkt, dass niemand mit einem Aufschrei verkünden wird, der König sei nackt.“[22]
Mit Hilfe ihres AufsatzesThe conceptual penis as a social construct,[23] den der Philosoph Peter Boghossian und der Mathematiker James Lindsay 2017 unter Pseudonymen beiCogent Social Sciences zu denSchlagwortenGender Studies undFeminismus einreichten, wollten die beiden nachweisen, wie auch gut beleumundete Fachzeitschriften unter bestimmten Umständen Artikel veröffentlichen, die jeder wissenschaftlichen Grundlage entbehren. Die Auswahl des akademischen Gebietes erfolgte aufgrund dessen, dass dort „oft überkomplizierte Wörter verwendet werden und eine starke moralische Voreingenommenheit besteht, die Männlichkeit oft als Wurzel allen Übels betrachtet[, u]nd dass es Beiträge mit dieser Wortwahl und Voreingenommenheit ziemlich leicht haben.“[24][25]
Die Geschichte der rechtlichen Einschränkung von Satire ist bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts dieGeschichte der Zensur.
Seit 1854 existiert in Deutschland einPresserecht, das im Prinzip diePressefreiheit garantiert. Immer wieder wurde es durch gesetzliche Bestimmungen eingeschränkt, zum Beispiel
und durch willkürliche konservative Rechtsprechung (siehe auchRichterrecht)
Diese betraf vor allem die Satirezeitschriften, die ab der Einführung des Presserechts wie Pilze aus dem Boden schossen. Jede ihrer Ausgaben wurde von derStaatsanwaltschaft auf Rechtsverstöße überprüft; Prozesse waren an der Tagesordnung. Üblich war bei den Zeitschriften deshalb einSitzredakteur, der im Falle einer Anklage ins Gefängnis ging, damit die Redaktion weiterhin arbeitsfähig war.
Während derZeit des Nationalsozialismus wurde die kritische politische Satire ganz aus der Öffentlichkeit verbannt (siehe auchPresse im Nationalsozialismus). Mittel dazu waren unter anderem dasSchriftleitergesetz (verabschiedet am 4. Oktober 1933, in Kraft getreten am 1. Januar 1934), „Schwarze Listen“; außerdem wurden politisch Andersdenkende verfolgt, unter Druck gesetzt (Drohungen, z. B. Androhung von Gewalt), verfolgt, kriminalisiert und ihrer Freiheit beraubt (durch Gefängnisstrafen oder indem sie außerhalb des normalen Rechtssystems in „Schutzhaft“ genommen wurden – siehe auchKonzentrationslager#1933 bis 1935). Nicht wenige wurden auch ermordet. Ein bekanntes Beispiel:Erich Mühsam (1878–1934), der 1931 bis 1933 unter dem Pseudonym „Tobias“ politisch-satirische Beiträge für denUlk (die Wochenbeilage desBerliner Tageblatts) veröffentlichte, wurde kurz nach der nationalsozialistischen Machtergreifung 1933 von derSA verhaftet und am 10. Juli 1934 imKZ Oranienburg nach über 16-monatiger „Schutzhaft“ vonSS-Männern ermordet.[26]
Situation in Westdeutschland 1949–1990 und im wiedervereinigten Deutschland
Satire wird in der Bundesrepublik Deutschland durch dieMeinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1GG) und dieKunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 GG) geschützt. Diese konkurrieren allerdings mit dem allgemeinenPersönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i. V. m.Art. 1 Abs. 1 GG), das sichert, dass der Einzelne selbst darüber bestimmen darf, wie er sich in der Öffentlichkeit darstellt.
Satire kann Kunst sein, ist es aber nicht notwendigerweise. Um durch dieKunstfreiheit geschützt zu sein, muss sie – rein rechtlich gesehen – eine schöpferische Gestaltung aufweisen, d. h. als fiktive oderkarikaturhafte Darstellung erkennbar sein. Ist diese nicht gegeben – oder wird sie vom Gericht nicht anerkannt –, kommt dasPersönlichkeitsrecht zum Tragen.
Vor Gericht müssen derAussagekern einer Satire und seinekünstlerische Einkleidung getrennt behandelt werden. Beide müssen daraufhin überprüft werden, ob sie das Persönlichkeitsrecht verletzen. Werden unwahre Aussagen nicht als fiktive oder karikaturhafte Darstellung erkennbar, ist die Meinungsfreiheit nicht geschützt; die Satire kann dann als „Schmähkritik“ und damit alsüble Nachrede verstanden werden, bei der das Persönlichkeitsrecht greift. „Von einer Schmähkritik könne nur die Rede sein, wenn bei der Äußerung nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern dieDiffamierung der Person im Vordergrund stehe, die jenseits polemischer und überspitzter Kritik persönlich herabgesetzt und gleichsam an den Pranger gestellt werden soll“, so ein Urteil desBundesgerichtshofs.[27]
Ein Urteil desBundesverfassungsgerichts stellte 2005 fest, dass auch satirischeFotomontagen dem Schutz der freien Meinungsäußerung und der Kunstfreiheit unterliegen – allerdings nur dann, wenn sie als fiktive oder karikaturhafte Darstellungen erkennbar sind.[28]
Sowohl gegenEulenspiegel,pardon wie gegenTitanic und denNebelspalter wurden in der Vergangenheit zahlreiche Prozesse angestrengt. BesondersTitanic ist dafür bekannt, mit ihrer Satire rechtliche Spielräume auszureizen. Von 1979 bis 2001 wurden insgesamt 40 Gerichtsverfahren gegenTitanic angestrengt und 28 Ausgaben verboten;Schadenersatzzahlungen und Gerichtskosten brachten das Heft teilweise an den Rand des Konkurses. Auch dietaz und ihr prominentester satirischer AutorWiglaf Droste mussten sich häufig vor Gericht verteidigen.[29]
Bei dem bis 2006 erschienenen Online-SatiremagazinZYN! beschränkten sich die rechtlichen Schwierigkeiten aufmarken- undnamensrechtliche Probleme. Firmen wie Opel beispielsweise verwahrten sich gegen eine Nennung ihrer Marke in einer Parodie des NachrichtenmagazinsSPIEGEL (SPIGGL). Eine Parodie derBild-Zeitung durch ein anderes Online-Satiremagazin führte hingegen zu einerAbmahnung.
Burkhard Meyer-Sickendiek: Art. „Satire“, in: Historisches Wörterbuch der Rhetorik, Band 8: Rhet-St, hrsg. v. Gert Ueding, Tübingen 2007, Sp. 447–469.
Jonathan Greenberg: The Cambridge Introduction to Satire. Cambridge University Press: Cambridge 2019 (englisch; teilweise angloamerikanische Perspektive).
Satirische Schreibweise:
Michail Bachtin:Rabelais und seine Welt: Volkskultur als Gegenkultur. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1987,ISBN 3-518-04708-6.
Ulrich Gaier:Satire. Studien zu Neidhart, Wittenwiler, Brant und zur satirischen Schreibart, Niemeyer, Tübingen 1967.
Klaus W. Hempfer:Tendenz und Ästhetik. Studien zur französischen Verssatire des 18. Jahrhunderts, Wilhelm Fink, München 1972.
Andreas Mahler:Moderne Satireforschung und elisabethanische Verssatire. Texttheorie, Epistemologie, Gattungspoetik, Wilhelm Fink, München 1992.
Udo Kindermann:Satyra. Die Theorie der Satire im Mittellateinischen. Vorstudie zu einer Gattungsgeschichte. Carl-Verlag, Nürnberg 1978,ISBN 3-418-00058-4.
Hellmut Rosenfeld:Die Entwicklung der Ständesatire im Mittelalter. In:Zeitschrift für deutsche Philologie. Schmidt, Berlin 71.1951/52,ISSN0044-2496
Ulrich Gaier:Satire, Studien zu Neidhart, Wittenwiler, Brant und zur satirischen Schreibart. Niemeyer, Tübingen 1967, (ohne ISBN)
Peter Richter (Hrsg.):Parodie und Satire in der Literatur des Mittelalters. Ernst-Moritz-Arndt-Universität, Greifswald 1989,ISBN 3-86006-008-2.
Humanismus und Renaissance
Barbara Könneker:Satire im 16. Jahrhundert. Epoche – Werke – Wirkung. Beck, München 1991,ISBN 3-406-34760-6.
Georg Piltz (Hrsg.):Ein Sack voll Ablaß. Bildsatiren der Reformationszeit. Eulenspiegel, Berlin 1983, (ohne ISBN)
Barock
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Stefan Trappen:Grimmelshausen und die menippeische Satire: eine Studie zu den historischen Voraussetzungen der Prosasatire im Barock. Niemeyer, Tübingen 1994,ISBN 3-484-18132-X.
Wolfgang Weiß:Die englische Satire, Wiss. Buchges., Darmstadt 1982,ISBN 3-534-08120-X.
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Gegenwart
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Satire und Recht
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Elmar Erhardt:Kunstfreiheit und Strafrecht. Zur Problematik satirischer Ehrverletzungen. Decker, Heidelberg 1998,ISBN 3-7685-1389-0.
Sebastian Gärtner:Was die Satire darf. Eine Gesamtbetrachtung zu den rechtlichen Grenzen einer Kunstform. Duncker & Humblot, Berlin 2009,ISBN 978-3-428-12669-9.
Sabine Stuhlert:Die Behandlung der Parodie im Urheberrecht. Eine vergleichende Untersuchung von Parodien im Urheberrecht der Bundesrepublik Deutschland und der Vereinigten Staaten von Amerika. Verlag C.H Beck, München 2002,ISBN 3-406-49786-1.
Julia Wenmakers:Rechtliche Grenzen der neuen Formen von Satire im Fernsehen. Wo hört bei Stefan Raab und Harald Schmidt der Spaß auf? Verlag Dr. Kovac, Hamburg 2009,ISBN 978-3-8300-4299-0.
Franziska Brinkmann:Satire vor Gericht. Eine Auseinandersetzung mit den Politsatire-Plakaten Klaus Staecks aus rechtlicher Sicht und kunsthistorischer Perspektive. Nomos Verlag, Baden-Baden 2021,ISBN 978-3-8487-7861-4 (E-Book frei verfügbar).
↑SieheUdo Kindermann:Satyra. Die Theorie der Satire im Mittellateinischen. Vorstudie zu einer Gattungsgeschichte. Carl-Verlag, Nürnberg 1978,ISBN 3-418-00058-4.
↑Vgl. dazu: Friedrich Schiller:Satirische Dichtung. In:Über naive und sentimentalische Dichtung. (1795) Philosophische Schriften Teil 1; Nationalausgabe Band 20, Weimar/Böhlau, 1962.
↑Christoph Deupmann:‚Furor satiricus‘. Verhandlungen über literarische Aggression im 17. und 18. Jahrhundert. Niemeyer, Tübingen 2002,ISBN 3-484-18166-4.
↑Juvenal, Saturae I,30; lateinisches Zitat und Quellennachweis nachZeno.org-Archiv
↑Wahrscheinlich plante Brant, sein Werk selbst ins Lateinische zu übersetzen, übertrug diese Aufgabe dann aber seinem SchülerJakob Locher, dessen Arbeit unter dem TitelStultifera Navis am 1. Juni 1497 in Straßburg erschien, gedruckt vonJohann Grüninger – Quelle:Das Narrenschiff (Brant).
↑Vgl. auch Hans-Joachim Raupp:Bauernsatiren. Entstehung und Entwicklung des bäuerlichen Genres in der deutschen und niederländischen Kunst ca. 1450–1570. Niederzier 1986.
↑Johann Michael Moscherosch:Wunderliche und wahrhafftige Gesichte Philanders von Sittenwald, Das ist Straff-Schrifften Hanß-Michael Moscheroch von Wilstädt: In welchem Aller Weltwesen, Aller Mänschen Händel, mit ihren Natürlichen Farben der Eitelkeit, Gewalts, Heuchelen, Thorheit bekleidet, offentlich auff die Schau geführet, als in einem Spiegel dargestellet und gesehen werden. Erster Theil. Bey Johan-Philipp Mülben und Josias Städeln, 1650 (google.de [abgerufen am 9. September 2023]).
↑Christian I. Reuter:Schelmuffskys Wahrhafftige Curiöse und sehr gefährliche Reisebeschreibung zu Wasser und Lande ... , und zwar die allervollkommenste u. accurateste Edition in hochteutscher Frau Mutter Sprache eigenhändig und sehr artig an den Tag gegeben von E. S. Breitkopf & Härtel, 1848 (google.de [abgerufen am 9. September 2023]).
↑Kurt Tucholsky (unter Pseudonym Ignaz Wrobel):Was darf die Satire?, Essay in der Abendausgabe des Berliner Tageblatt und Handels-Zeitung vom 27. Januar 1919 (Jg. 48, Nr. 36, S. 2), Original in der Staatsbibliothek zu Berlin/Preußischer Kulturbesitz, online aufWikisource.
↑Ben Lewis:Das komische Manifest. Kommunismus und Satire von 1917 bis 1989. München 2008, S. 73.
↑Report from Iron Mountain on the possibility and desirability of peace. With introductory material by Leonard C. Lewin. Dial Press, New York 1967,LCCN67-027553.
↑Guter Krieg. In:Der Spiegel.Nr.15, 1967,S.172 (online –27. November 1967).
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↑Alan Sokal:Transgressing the Boundaries. Toward a Transformative Hermeneutics of Quantum Gravity. In:Social Text.Nr.46/47, 1996,S.217–252,doi:10.2307/466856 (englisch,nyu.edu [abgerufen am 25. Dezember 2017]).
↑Mara Beller:Über wen haben wir gelacht? In:Die Zeit.Nr.13, 25. März 1999 (online [abgerufen am 25. Dezember 2017]).
↑Alan Sokal,Jean Bricmont:Eleganter Unsinn. Wie die Denker der Postmoderne die Wissenschaften mißbrauchen. C.H. Beck, München 1999,ISBN 3-406-45274-4,S.20f., 23 (französisch:Impostures intellectuelles. Paris 1997. Übersetzt von Johannes Schwab und Dietmar Zimmer).
↑Jamie Lindsay, Peter Boyle:The conceptual penis as a social construct. In:Cogent Social Sciences.Band3,Nr.1, 2017,doi:10.1080/23311886.2017.1330439 (englisch,skeptic.com [PDF;464kB; abgerufen am 26. November 2017] Die Studie wurde angenommen, ist aber frei erfunden. Hinter der Arbeit stehen der Philosoph Peter Boghossian und der Mathematiker James Lindsay. Wie sie später bekanntmachten, haben sie sich bemüht, ein „absurdes Paper im Stil der poststrukturalistischen, diskursiven Gender-Theorie zu schreiben“. Die Studie wurde zurückgezogen.).
↑Leonie Feuerbach:„Der konzeptuelle Penis verursacht den Klimawandel“. In:Frankfurter Allgemeine Zeitung. 29. Mai 2017 (online [abgerufen am 25. Dezember 2017]).