Menia († nach 510) war eineLangobardin, vermutlich aus dem Königsgeschlecht. Sie wird beiVenantius Fortunatus (um 600) erwähnt und war in ihrer ersten Ehe bis etwa 500–510 mit demThüringerkönigBisin verheiratet[1] und nach dessen Tod mit einem nicht namentlich bekannten Langobarden aus dem Geschlecht derGausen.Alboin, der Begründer des italienischen Langobardenreiches, war ihr Enkel.
Langobardisches Siedlungsgebiet an der mittleren Donau
Menia war die Gattin des ersten namentlich bekannten Thüringerkönigs Bisin (oder Basin).[2] Mit ihm hatte sie drei namentlich bekannte Söhne,Herminafried,Berthachar undBaderich, die nach dem Tod ihres Vaters das Reich unter sich aufteilten, sowie eine Tochter,Raicunda,[2] die um 510 denlethingischen LangobardenkönigWacho heiratete, aber bald darauf starb und kinderlos blieb.[2] Menia ging, wohl nach dem Tod Bisins, zusammen mit ihrer Tochter in Wachos Langobardenreich an der mittlerenDonau und heiratete dort etwa um 510 in zweiter Ehe einen Langobarden aus Gausus’ Geschlecht. Aus dieser Ehe gingAudoin hervor, der spätere König des pannonischen Langobardenreichs an der unteren Donau.[3] Unter Audoins Sohn Alboin fielen die Langobarden im Jahr 568 in Italien ein und begründeten das italienische Langobardenreich.
Als Mutter und Großmutter dieser legendären Langobardenkönige blieb wohl auch Menia lange im kulturellen Gedächtnis. Nach dem Bericht desPaulus Diaconus in derHistoria Langobardorum wurde ihr Enkel Alboin nicht nur bei den Langobarden, sondern auch bei denBaiern,Sachsen und anderengermanischen Völkern in Heldenliedern gepriesen;[4] selbst das angelsächsischeWidsið (Widsithlied) imExeter Book aus dem späten 10. Jahrhundert berichtet von Alboin.[5]
Auf eine Spur der Königin Menia[6] in derbyzantinischenhagiographischen Literatur (insbesondereSiziliens) sowie der altnordischen Literatur weistWolfram Brandes hin.[2] Er führt an, dass eine Menia auch in deraltnordischen Literatur vorkommt. Die Figur derMenia imGrottasǫngr in derEdda[7] weise Übereinstimmungen mit der gleichnamigen Heldin in einer griechischen Heiligenvita Siziliens auf.[8] Es könne kein Zufall sein, konstatiert Brandes, dass beide den sehr seltenen und ungewöhnlich gebildeten (germanischen) Namen Menia tragen, Gold und Reichtum hervorbringen können, die eine imGrottasǫngr eine Riesin ist, die andere aber in der Vita die Gattin eines Nachkommen des „Riesenjägers“Nimrod aus demAlten Testament[9] und beide es vermögen, in die „Zukunft zu schauen“.[10]Die Vita des heiligenPankratios vonTaormina,[11] verfasst in der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts, übermittelte laut Brandes offenbar Elemente langobardischerHeldensagen ins altnordische Grottilied.[12]
So war diese Vita im griechischen Sizilien und ab circa 800 auch im übrigenByzantinischen Reich und vor allem inKonstantinopel verbreitet. Möglicherweise erreichten Nachrichten über die Hauptgegner der Byzantiner in Italien und deren Anführer die verbliebenen byzantinischen Gebiete, deren Vermittler sehr wahrscheinlich im griechischen Dienste stehendeVaräger waren. Namentlich führt Brandes den NorwegerkönigHaraldr Sigurðarson harðráði († 1066) an, der 1039/1040 in einem byzantinischen Heer diente, das dieSarazenen in Sizilien bekämpfte. Haraldr und seine Gefolgschaft kamen sehr wahrscheinlich sogar nach Taormina, wo der Kult der mythischen StädtegründerinMenia gepflegt wurde[13] und dieMemoria der Menia durch die Vita des Pankratios und deren liturgische Verwendung präsent war.[10]
Es seien wohl diese Elemente byzantinischer liturgischer Memoria, schlussfolgert Brandes, die offenbar von Skandinaviern auf einem byzantinischen Feldzug gegen die Sazarenen in Sizilien gehört und nach dem skandinavischen Norden gebracht wurden, wo sie der Königin Menia ein langes Nachleben in der altnordischen Edda einbrachten.[10]
↑abcdVgl.Jörg Jarnut:Thüringer und Langobarden im 6. und beginnenden 7. Jahrhundert. In:Die Frühzeit der Thüringer (=Reallexikon der Germanischen Altertumskunde. Ergänzungsband 63). Walter de Gruyter, Berlin / New York 2009,ISBN 978-3-11-021454-3, S. 279–290.
↑Vgl.Historia Langobardorum codicis Gothani 5, 13 f. In: Ludwig Bethmann,Georg Waitz (Hrsg.):Scriptores rerum Langobardicarum et Italicarum saec. VI–IX. Hannover 1878, S. 9 (Monumenta Germaniae Historica,Digitalisat). Dort heißt es weiter:Audoin ex genere fuit Gausus.
↑Vgl. Paulus Diaconus,Historia Langobardorum 1, 27. In: Ludwig Bethmann,Georg Waitz (Hrsg.):Scriptores rerum Langobardicarum et Italicarum saec. VI–IX. Hannover 1878, S. 70 (Monumenta Germaniae Historica,Digitalisat). Paulus Diaconus schreibt:Alboin vero ita praeclarum longe lateque nomen percrebuit, ut hactenus etiam tam aput Baioariorum gentem quamque et Saxonum, sed et alios eiusdem linguae homines eius liberalitas et gloria bellorumque felicitas et virtus in eorum carminibus celebretar. Arma quoque praecipua sub eo fabricata fuisse, a multis hususque narratur.
↑Vgl.Widsið (70–74). In:The Exeter book riddles. Translated and introduced by Kevin Crossley-Holland. Revised edition. Enitharmon Press, London 2008,ISBN 978-1-904634-46-1 (Wikisource). Vgl. auch Francis B. Gummeres englische Übersetzung unter Beibehaltung des angelsächsischen Metrums:The Oldest English Epic. Beowulf, Finnsburg, Waldere, Deor, Widsith, and the German Hildebrand. Translated in the Original Metres with Introduction and Notes. Macmillan, New York 1923, S. 188–200 (Wikisource).
↑Vgl. Wolfram Brandes:Thüringer/Thüringerinnen in byzantinischen Quellen. In:Helmut Castritius u. a. (Hrsg.):Die Frühzeit der Thüringer (=Reallexikon der Germanischen Altertumskunde. Ergänzungsband 63). Walter de Gruyter, Berlin 2009,ISBN 978-3-11-021454-3, S. 318. Menia, so Brandes, sei ein extrem seltener Name, "für den keine sinnvolle griechische Etymologie gefunden werden kann".
↑Protagonistinnen im Götterlied der EddaGrottasǫngr (Lied von der Mühle Grotti) sind die Riesenmägde Fenja und Menia. Vgl.Grottasǫngr. In:Klaus von See u. a. (Hrsg.):Kommentar zu den Liedern der Edda. Band 3. Heidelberg 2000,ISBN 3-8253-1136-8, S. 837–964. Vgl. auchKarl Simrock (Hrsg.):Die Edda, die ältere und jüngere, nebst den mythischen Erzählungen der Skalda. 6. Auflage. Stuttgart 1876, S. 313 (Wikisource).
↑Vgl. Aleksandr Nikolaevi? Veselovskij:Iz istorija romana i povesti. In:Sbornik otdelenija russkago jazyka i slovesnosti Imperatorskoj Akademii Nauk. Band 40, Sankt Petersburg 1886, S. 116 (Textarchiv – Internet Archive).
↑Vgl. Wolfram Brandes:Thüringer/Thüringerinnen in byzantinischen Quellen. In: Helmut Castritius u. a. (Hrsg.):Die Frühzeit der Thüringer (= Reallexikon der Germanischen Altertumskunde, Ergänzungsband 63). Walter de Gruyter, Berlin 2009,ISBN 978-3-11-021454-3, S. 318.
↑Vera von Falkenhausen:Die Städte im byzantinischen Italien. In:Mélanges de l’Ecole française de Rome. Moyen-Age, Temps modernes. Band 101, Nr. 2, 1989, S. 401–464 (online). Vgl. auchIz istorija romana i povesti, II. Epizod o Tavr i Menii v apokruficekoj jitii sv. Pankratija. In: Aleksandr Nikolaeviҫ Veselovskij (Hrsg.):Sbornik otdelenija russkago jazyka i slovesnosti Imperatorskoj Akademii Nauk.Band40. Sankt Petersburg 1886,S.79–80 (Textarchiv – Internet Archive; Episode von Taurus und Menia aus der Vita des hl. Pankratios von Taormina. Griechisch. Hrsg. von A. N. Veselovskij).
Historia Langobardorum codicis Gothani. In: Ludwig Bethmann,Georg Waitz (Hrsg.):Scriptores rerum Langobardicarum et Italicarum saec. VI–IX. Hannover 1878, S. 9 (Monumenta Germaniae Historica,Digitalisat).
Paulus Diaconus,Historia Langobardorum. In: Ludwig Bethmann,Georg Waitz (Hrsg.):Scriptores rerum Langobardicarum et Italicarum saec. VI–IX. Hannover 1878, S. 70 (Monumenta Germaniae Historica,Digitalisat).
Otto Abel, Reinhard Jacobi (Übersetzer):Geschichte der Langobarden. Phaidon-Verlag, Essen 1992,ISBN 3-88851-096-1 (Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1878).
Paulus Diaconus. Historia Langobardorum (Geschichte der Langobarden). Lateinisch und deutsch. Herausgegeben und übersetzt von Wolfgang F. Schwarz. Darmstadt 2009,ISBN 978-3-534-22258-2.
Wolfram Brandes:Das Gold der Menia. Ein Beispiel transkulturellen Wissenstransfers. In:Millennium. Band 2, 2005, S. 175–226.
Wolfram Brandes:Thüringer/Thüringerinnen in byzantinischen Quellen. In:Helmut Castritius u. a. (Hrsg.):Die Frühzeit der Thüringer (=Reallexikon der Germanischen Altertumskunde. Ergänzungsband 63). Walter de Gruyter, Berlin 2009,ISBN 978-3-11-021454-3, S. 316–319.
Jörg Jarnut:Thüringer und Langobarden im 6. und beginnenden 7. Jahrhundert. In: Helmut Castritius u. a. (Hrsg.):Die Frühzeit der Thüringer (=Reallexikon der Germanischen Altertumskunde. Ergänzungsband 63). Walter de Gruyter, Berlin / New York 2009,ISBN 978-3-11-021454-3, S. 279–290.
Aleksandr Nikolaeviҫ Veselovskij:Iz istorija romana i povesti, II. Epizod o Tavr i Menii v apokruficekoj jitii sv. Pankratija. In:Sbornik otdelenija russkago jazyka i slovesnosti Imperatorskoj Akademii Nauk.Band40. Sankt Petersburg 1886,S.65–80 (Textarchiv – Internet Archive).