Martin Karl Sandberger (*17. August1911 inCharlottenburg bei Berlin; †30. März2010 inStuttgart[1]) war ein deutscherSS-Standartenführer. Er war als Befehlshaber des Einsatzkommandos 1a sowieKommandeur der Sicherheitspolizei und des SD inEstland einer der Protagonisten desHolocausts imBaltikum.
Martin Sandberger wurde in Berlin-Charlottenburg als Sohn eines ausWürttemberg stammenden leitenden Angestellten derI.G. Farben geboren. Er wuchs in Berlin und Tübingen auf und studierte von 1929 bis 1933 Jura an den UniversitätenMünchen,Köln,Freiburg im Breisgau und schließlichTübingen.[2] Er war Mitglied derStudentenverbindung Sängerschaft Alt-Straßburg Freiburg imSV.[3]
Zum 1. Dezember 1931 trat er in dieNSDAP (Mitgliedsnummer 774.980[4]) undSturmabteilung (SA) ein. An der Universität Tübingen waren die Nationalsozialisten schon vor der „Machtergreifung“ tonangebend. Sandberger war 1932–1933 Vorsitzender der Tübinger Studentenschaft, 1933 avancierte er zum Hochschulgruppenführer desNS-Studentenbundes (NSDStB) und zum Führer der Studentenschaft in Tübingen. Erpromovierte im November 1933 mit der ausgesprochen seltenen Note „sehr gut“ zum ThemaDie Sozialversicherung im nationalsozialistischen Staat: Grundsätzliches zur Streitfrage: Versicherung oder Versorgung?
Als Funktionär des NSDStB machte er rasch Karriere und wurde Bundeshochschulinspekteur. 1936 erfolgte der Übertritt von der SA zurSS (SS-Nummer 272.495). Sandberger wurde vonGustav Adolf Scheel für denSD inWürttemberg angeworben und war seit 1936 hauptamtlicher Mitarbeiter desSD-Oberabschnitts Südwest. Auch innerhalb des SD machte er eine steile Karriere, wurde schon 1938SS-Sturmbannführer (Major) und blieb weiterhin für den von Scheel geführten NSDStB tätig.[5]
Am 13. Oktober 1939 ernannte ihn Himmler zum Chef derEinwandererzentralstelle Nord-Ost, deren Aufgabe u. a. die „rassische Bewertung“ deutscher Umsiedler (Heim-ins-Reich-Geholter) war. Mit dem deutschenÜberfall auf die Sowjetunion wurde Sandberger als Führer desEinsatzkommandos 1a (neben einem weiteren Tübinger Juristen,Walter Stahlecker) zu einem der Haupttäter desVölkermordes imBaltikum. Sandberger zeigte einen besonderen Eifer; in seinem Jahresbericht vom 1. Juli 1941 meldete er 941 ermordete Juden nach Berlin. Sein „Einsatz“ wurde gewürdigt, am 3. Dezember 1941 wurde er zum Kommandeur derSicherheitspolizei (SiPo) und desSD in Estland ernannt. Sandberger erscheint seit März 1941 im Geschäftsverteilungsplan desReichssicherheitshauptamtes (RSHA) als Leiter des Referats I B 3 (Lehrplangestaltung der Schulen). Nach derBesetzung Italiens im September 1943 war er Ende 1943 Chef der SiPo und des SD inVerona unter dem dortigen Befehlshaber der SiPo und des SD für ItalienWilhelm Harster.[6] Ab Januar 1944 war er Leiter der Abteilung VI A (Organisation des Auslandsnachrichtendienstes) im Amt VI des RSHA.(Lit.: Krausnick, Birn, Welzer, Weiss-Wendt)
ImEinsatzgruppen-Prozess wurde er 1948 zum Tode verurteilt.[7] Sein Verteidiger warBolko von Stein. Obwohl selbst das Beratergremium des amerikanischenHochkommissars nach derGründung der Bundesrepublik Deutschland, der„Peck Panel“, in diesem Fallfür die Aufrechterhaltung des Todesurteils war, wurde Sandbergers Urteil vonJohn McCloy am 31. Januar 1951 in lebenslange Haft geändert.[8]
Sandbergers Vater nutzte nun seine Beziehungen zum BundespräsidentenTheodor Heuss und dieser wandte sich an den damaligen US-BotschafterJames Bryant Conant mit der Bitte um Begnadigung. Zahlreiche württembergischeHonoratioren wie der JustizministerWolfgang Haußmann und der LandesbischofMartin Haug machten sich für Sandberger stark. Selbst der renommierte Jurist und Vizepräsident des Deutschen BundestagesCarlo Schmid kümmerte sich um denLandsberg-Gefangenen. RechtsanwaltHellmut Becker setzte sich für ihn ein und vertrat ihn im Revisionsprozess.[9][10] Das Engagement für Sandberger zeigte Wirkung, am 9. Mai 1958 kam er frei.
Anschließend erhielt er durch Vermittlung von Bernhard Müller eine Stelle als Justiziar in der UnternehmensgruppeLechler. Bis zum Jahr 1972 war Sandberger wiederholt als Zeuge in NS-Kriegsverbrecherprozessen geladen, so 1958 imUlmer Einsatzgruppen-Prozess gegen das „Einsatzkommando Tilsit“. Eine Strafverfolgung durch die Staatsanwaltschaften in München (1962) und Stuttgart (1971/72) wegen seiner Verantwortung für die „Erschießung zahlreicher Personen, darunter Kommunisten, Juden und Fallschirmspringer in den Jahren 1941 – 1943“ (Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Stuttgart im Juni 1971, S. 1 – hier nicht erwähnt ist die Gruppe der Zigeuner) wurde eingestellt. Die Begründung war, dass Sandberger bereits 1948 in dem Verfahren vor demInternationalen Militärtribunal in Nürnberg verurteilt worden war. Damit sei eine Strafverfolgung durch deutsche Justizbehörden gemäß demÜberleitungsvertrag von 1955 ausgeschlossen (vgl. Bundesarchiv B 162/5199 S. 26). Sowohl derZwei-plus-Vier-Vertrag im Zuge derWiedervereinigung 1989 als auch die Öffnung der Archive nach der Unabhängigkeit Estlands 1991 haben keine neuen Dokumente zu Tage gefördert, jedenfalls sind keine in der Forschung erwähnt (vgl. Birn).
Im Zusammenhang mit dem Prozess gegenJohn Demjanjuk erschien im Spiegel am 3. April 2010 ein Artikel,[11] der ein breites Medienecho fand. Sandberger, einer der letzten lebenden hochrangigen NS-Verbrecher, starb am 30. März 2010 in Stuttgart in einem Pflegeheim.
Personendaten | |
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NAME | Sandberger, Martin |
ALTERNATIVNAMEN | Sandberger, Martin Karl (vollständiger Name) |
KURZBESCHREIBUNG | deutscher SS-Standartenführer und Kommandeur der Sicherheitspolizei |
GEBURTSDATUM | 17. August 1911 |
GEBURTSORT | Berlin-Charlottenburg |
STERBEDATUM | 30. März 2010 |
STERBEORT | Stuttgart |