Marionette

EineMarionette ist eine Gliederpuppe, die von einem Marionettenspieler mit Hilfe von Fäden bewegt wird, die an den einzelnen Gliedern befestigt sind. Das Baumaterial ist traditionellHolz. Für die Köpfe wurde häufigLindenholz verwendet, da es eine feine Maserung aufweist, weich genug ist, um leicht bearbeitet zu werden, im trockenen Zustand wenig reißt und dauerhaft ist. Heute werden je nach Thema verschiedene Materialien wieSchaumstoff,Latex oderPappmaché verwendet. Geführt wird die Marionette mit einem Spielkreuz.
Darstellung und Herstellung
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]Im Gegensatz zuHandpuppen kann hier die ganze Figur dargestellt und bewegt werden, also auch der Unterkörper bzw. die Beine, was eine naturgetreuere Darstellung der Figur zulässt. Außerdem kann der Spieler völlig verdeckt agieren, sodass nur die scheinbar eigenständige Figur für das Publikum sichtbar ist. Diese Umstände führten im 19. Jahrhundert zu einer Mode, Theaterstücke oder auch Opern unmittelbar auf die Marionettenbühne zu übertragen und „kleine Menschlein“ handeln zu lassen, was nach einer verbreiteten Auffassung weder den Stücken noch dem Medium Figurentheater gerecht wurde.
Die komplizierteste Marionette muss scheitern, verlangt man von ihr die Fähigkeiten eines Menschen. Handlungen wie Greifen, innige Umarmungen oder auch kraftvolles Zuschlagen in einer Rauferei liegen ihr ursprünglich nicht, da sie nur denPendelgesetzen und derSchwerkraft gehorcht. Mit eigens dafür entwickelten Figuren sind natürlich auch solche Situationen zu bewerkstelligen. Dann aber entwickelt sich das Spiel unter Umständen eher zur Artistik. Geht es dagegen um Gestalten, die sich von der Schwerkraft lösen, ist die Marionette naturgemäß einem Schauspieler überlegen.
Die Stärken der Marionette liegen in flexiblen allmählichen Bewegungen. Um ein überzeugendes Bewegen der Marionette zu ermöglichen, benötigt es ein genau kalkuliertes Gewicht der zu bewegenden Teile. Werden lediglich Schultern, Kopf und Arme mit dem Spielkreuz verbunden, wie bei einer Kopf-Schulter-Marionette des PuppenbauersFritz Herbert Bross und des PuppenspielersAlbrecht Roser, können Gehbewegungen durch die Animation gezeigt werden, die mit vorhandenen Beinen so nicht möglich sind. Die Länge der Spielfäden ist entscheidend für die Kontrolle der Figur: je länger die Fäden, desto unpräziser wird die Bewegung.
Verbreitung
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]Marionettenartige Gliederpuppen sind seit der Antike bekannt. Bereits im alten Ägypten und im alten Griechenland erfreuten sich dieseNeurospasmata genannten Figuren großer Beliebtheit. Professionelle Puppenspieler verdienten sich mit ihren Darbietungen den Lebensunterhalt.
Eines der bekanntesten deutschsprachigen Marionettentheater ist dieAugsburger Puppenkiste. Die älteste Marionettentheaterdynastie Deutschlands ist dieTheaterfamilie Bille aus dem Erzgebirge, daneben gab es noch die Winters aus Schlesien, die Richters aus Thüringen, die Apels aus Sachsen[1][2][3] und dieTheaterfamilie Schichtl (deren Namen noch als Varieté-Theater Schichtl auf demOktoberfest in München vertreten ist) aus Süddeutschland. DieLindauer Marionettenoper, dasDüsseldorfer Marionetten-Theater, dasSalzburger Marionettentheater, dasMarionettentheater Schloss Schönbrunn und das Operla in Bayreuth führen Opern und Theaterstücke mit Marionetten auf. Ein weiteres bekanntes Marionettentheater ist das 1924 vonKarl Magersuppe gegründete TheaterDie Holzköppe, seit 1955 ansässig inSteinau an der Straße. Diese Bühne zählt zu den ältesten bestehendenPuppentheatern in Deutschland und gehört zu den wenigen, die noch in traditioneller Form spielen.[4] Der klassischen Aufführungspraxis nach Originaltexten hat sich dasBamberger Marionettentheater verschrieben.
Wenn Literaten das Puppenspiel thematisierten, meinten sie fast immer das Marionettentheater. So ist auf dem Umschlag der AnthologieAlte deutsche Puppenspiele vonKlaus Günzel (Hrsg. 1970) eine Marionette abgebildet. Prägnante Beispiele sindHeinrich von Kleist und sein AufsatzÜber das Marionettentheater undTheodor Storms NovellePole Poppenspäler.Franz Pocci schrieb im 19. Jahrhundert für das Marionettentheater desPapa Schmidt die ersten wirklich theaterpraktisch orientierten deutschen Marionettenstücke.
Im modernen deutschen Puppentheater spielt die Marionette quantitativ keine große Rolle, hat aber wesentliche neue Akzente gesetzt.[5] Anfang des 20. Jahrhunderts wandten sich reformorientierte Münchner Künstler dem Puppentheater zu, auch den Marionetten. Gestalterisch und spielerisch begann man um 1920Puppen im Bauhaus zu behandeln.[6] Nachwirkungen der künstlerischen Bestrebungen sind bis heute zu spüren, vor allem im MarionettentheaterKleines Spiel, gegründet 1947.
In den Staats- und Stadttheatern der DDR wurde nach sowjetischem Vorbild meist mitStabpuppen gespielt – als das junge Puppentheater Neubrandenburg sich neben der Handpuppe auch der Marionette zuwandte, war das durchaus als neuer Ansatz zu verstehen. Das StückFurcht und Elend des Dritten Reiches vonBertolt Brecht, das Peter Waschinsky dort mit Marionetten 1980 inszenierte, gilt als Höhepunkt eines sich inhaltlich und formal erneuernden Puppentheaters am Ende der DDR.

Große Tradition haben Marionetten auch imchinesischen Puppentheater und imsizilianischen Puppentheater (Opera dei Pupi). Im Iran heißt das traditionelle MarionettentheaterKheimeh Shab Bazi. Die Form geht aus dem Namen hervor, der mit „nächtliche Aufführung in einer Puppenbude“ übersetzt werden kann. Als begleitende Musikinstrumente erklingen die SpießgeigeKamantsche und die BechertrommelTombak. Die Hauptfigur ist einClown, um den 10 bis 15 weitere Puppenfiguren agieren.[7]
Imburmesischen MarionettentheaterYoke thé werden 50 bis 90 Zentimeter große Puppen zur Begleitung eines klassischenHsaing Waing-Orchesters bewegt. Die ersten Hinweise auf burmesische Spielpuppen (burmesischyoke) stammen von einer Steininschrift aus dem Jahr 1444, auf der einige Puppenspieler namentlich erwähnt werden. Der Dichter, Musiker und GeneralMyawaddy Mingyi U Sa (1766–1853) trug wesentlich dazu bei, das burmesische Puppenspiel zu einer hoch angesehenen höfischen Kunstform zu entwickeln.[8] Das traditionelle Repertoire besteht aus Geschichten aus dem LebenBuddhas (jatakas), historischen Begebenheiten und Legenden. Früher boten Tempelfeste einen Anlass für den Auftritt der mythischen Figuren, zu denen die SchlangengottheitNaga, der mythische VogelGaruda, diverse Tiere und der Magier (zawgyi) gehören. Die Vorstellung eröffnet normalerweise die Puppe eines weiblichen Geistes (natkawdaw), der zu dennat (überwiegend Geister eines gewaltsamen Todes gestorbenen Menschen) gehört. Die Kunstform wird heute vorwiegend durch Puppenspieltruppen inMandalay am Leben erhalten.[9]
InIndien gehören Marionetten zu einer sehr alten dramatischen Form, die bereits im indischen NationaleposMahabharata erwähnt wird, das ab dem 4. Jahrhundert v. Chr. niedergeschrieben wurde und heute noch als Volkstheater in den indischen BundesstaatenRajasthan alsKathputli,Odisha alsKundhei,Karnataka alsGombeyatta und inTamil Nadu alsBommalattam vorkommt.[10] Die Puppen bestehen aus Holz und Stoff, Papiermaché oder Leder.[11]
International populäre Marionetten sind das tschechische Vater-und-Sohn-PaarSpejbl und Hurvinek.
Marionette im übertragenen Sinn
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]Einen Menschen, der von anderen wie ein Werkzeug benutzt wird, bezeichnet man ebenfalls als Marionette. EineMarionettenregierung wird von einer fremden (Sieger-)Macht eingesetzt und kontrolliert. Die BegriffeStrohmann,Drahtzieher,Marionettenstaat undSockenpuppe beziehen sich ebenfalls auf das Marionettenspiel.
Romantik
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]Die Künstler derRomantik hatten eine Affinität zum Marionettentheater. Sie waren fasziniert davon, dass die Figuren scheinbar die Gesetze derSchwerkraft außer Kraft setzten. So kam es zum bekannten Dahinschweben der Figuren, wie es auch dieFeen undElfen in der Phantasie der Romantiker vermochten.
Galerie
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]- Marionettenspielerin
- MarionettentheaterPlön
- Rinaldo Rinaldini als Marionette
- Histoire d’amour amNikolai Sykow Theater
Siehe auch
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]- Der Spatz vom Wallrafplatz
- Hampelmann
- Supermarionation
- Salzburger Marionettentheater
- Düsseldorfer Marionetten-Theater
Literatur
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]- Olaf Bernstengel, Lars Rebehn:Volkstheater an Fäden. Vom Massenmedium zum musealen Objekt – sächsisches Marionettentheater im 20. Jahrhundert. Mitteldeutscher Verlag, Halle/Saale 2007,ISBN 978-3-89812-550-5 (Reihe Weiss-Grün; 36).
- Harro Siegel:Harro Siegels Marionetten. Propyläen-Verlag, Frankfurt a. M. 1982,ISBN 3-549-06657-0.
- René Simmen:Marionetten aus aller Welt. Neuaufl. Rheingauer Verlagsgesellschaft, Eltville 1978,ISBN 3-88102-022-5.
- Anton Bachleitner:Die Düsseldorfer Marionetten. Puppen & Masken, Frankfurt a. M. 2003,ISBN 978-3-935011-39-6.
- BROSS 100 – Das andere Theater. Sonderheft, Puppen & Masken, Frankfurt a. M. 2010,ISBN 978-3-935011-77-8 (über das Lebenswerk des Marionettenmeisters F. H. Bross)
- Heinrich von Kleist:Über das Marionettentheater. Mit einem Beitrag von Wolfgang Kurock. Puppen & Masken, Frankfurt a. M. 2007,ISBN 978-3-935011-64-8.
- Bernhard Wöller:Die spielbare Marionette: Aus Holz mit 12 Fäden und Spielkreuz. Puppen & Masken, Frankfurt a. M. 2000,ISBN 3-922220-96-7.
- Walter Pfeiffer:Die Marionette, ein Leben am seidenen Faden. IHW Verlag, Eching 2011,ISBN 978-3-930167-76-0.
Weblinks
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]- Der Puppenspieler Albrecht Roser – Meister der Marionetten. SWR 2 Wissen, 20. Mai 2022
Einzelnachweise
[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]- ↑Mit großer Freude greif ich zur Feder (Memento vom 14. April 2013 imInternet Archive)
- ↑Die Apels – eine Dresdner Puppenspielerfamilie zwischen Kaiserreich und DDR (Memento vom 15. Oktober 2012 imInternet Archive)
- ↑Kasper, warum hast du so goldene Fäden? (Memento vom 12. September 2012 im Webarchivarchive.today)
- ↑holzkoeppe.de:Geschichte des Marionettentheaters@1@2Vorlage:Toter Link/www.die-holzkoeppe.de (Seite nicht mehr abrufbar, festgestellt im März 2022.Suche in Webarchiven) Info: Der Link wurde automatisch als defekt markiert. Bitte prüfe den Link gemäßAnleitung und entferne dann diesen Hinweis. (aufgerufen am 20. April 2017)
- ↑siehe z. B. die UNIMA-PublikationPuppentheater der Welt. Zeitgenössisches Puppentheater in Wort und Bild. 2. Auflage 1971
- ↑Bauhaus. In: World Encyclopaedia of Puppetry Arts Online. UNIMA Internationale, abgerufen am 8. Oktober 2019 (englisch).
- ↑Shiva Massoudi:„Kheimeh Shab Bazi“: Iranian Traditional Marionette Theatre. In:Asian Theatre Journal, Vol. 26, No. 2, Herbst 2009, S. 260–280
- ↑Noel F. Singer:Burmese Puppets. Oxford University Press, Singapur u. a. 1992, S. 5
- ↑Kathy Foley:Burmese Marionettes: Yokthe Thay in Transition. In:Asian Theatre Journal, Vol. 18, No. 1, (Special Issue on Puppetry) Frühjahr 2001, S. 69–80
- ↑Puppet Forms of India. (Memento desOriginals vom 15. Mai 2013 imInternet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäßAnleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/ccrtindia.gov.in Centre for Cultural Resources and Training, Neu-Delhi
- ↑Inge C. Orr:Puppet Theatre in Asia. In:Asian Folklore Studies, Vol. 33, No. 1, 1974, S. 69–84, hier S. 70